1. Der arbeitende Gott und sein Ebenbild
Gott selbst ist ein Arbeiter, der in sechs Schöpfungstagen alle „Werke“ seiner Schöpfung vollendete (1Mo 2,2). Dennoch ist Gott auch weiter aktiv, denn Er „schläft und schlummert nicht“ (Ps 121,4). Zahlreiche Verse in der Bibel machen deutlich, dass Gott die Kräfte der Natur beherrscht, die Ereignisse der Geschichte lenkt und aktiv am Leben der Menschen beteiligt ist. All dies ist mit Arbeit verbunden. Es ist sicher auch kein Zufall, dass der menschgewordene Sohn Gottes von Beruf ein hart arbeitender Zimmermann oder Bauarbeiter war (Mk 6,3).
Nach 1. Mose 1,27 ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen. Im nächsten Vers bedeutet der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen und über sie zu herrschen, eindeutig auch den Auftrag zur Arbeit. Schließlich heißt es in 1. Mose 2,15 unmissverständlich: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Der Mensch ist aus der Erde genommen oder gemacht, also ein irdisches, physisches Wesen (1Mo 3,19). Deshalb soll er auch den Boden, d.h. die gesamte materielle Schöpfung bearbeiten.
Als Menschen sind wir als Stellvertreter Gottes in dieser Welt zur produktiven und kreativen Arbeit berufen. Arbeit und Kultur, die sich damit in Verbindung z.B. in Techniken und Werkzeugen bildet, sind als solche kein Fluch, sondern ein Geschenk und eine Einladung, Gottes schöpferische Tätigkeit in Teilen fortzusetzen. Durch Arbeit im weitesten Sinne haben wir Anteil an Gottes Erhaltung und Fürsorge für die Menschheit und Natur.
2. Würde und Last der Arbeit
Seit dem Sündenfall ist auch die Arbeit nur noch im Schatten der Sünde möglich und mitunter äußerst hart geworden (1Mo 3,17–19). Nicht selten erscheint Menschen ihre Mühe und Plackerei als sinnlos (Pred 1,3). In einer gefallenen Welt befriedigt Arbeit nur unvollkommen, und oft können ihre Früchte nicht oder nur begrenzt genossen werden. Das wirtschaftliche Handeln des Menschen ist bedroht von Gewalt, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, von Gier, Neid und Faulheit (s.u.).
Dennoch spricht die Bibel allgemein an vielen Stellen positiv über die Arbeit (s. z.B. Mt 13,55; Apg 18,3; 1 Thess 4,11; 2 Thess 3,10; Eph 4,28) und ermahnt zu Fleiß (vor allem im Sprüchebuch). Der sogenannte Kulturauftrag (1Mo 1,28; 9,1) ist weiterhin genauso göttlicher Wille für die Menschen wie der Missionsauftrag (Mt 28,18–20), wobei letzterer natürlich nur dem Volk der Glaubenden gilt. Bezeichnend ist, dass wir in der Bibel – ganz im Unterschied zur Gedankenwelt der antiken Griechen und Römer – keine Geringschätzung des Handwerks und harter körperlicher Arbeit finden.
In der Reformation erfuhr das Arbeits- und Alltagsleben eine außerordentliche Aufwertung. Gott wird nicht nur in Kirche und Kloster, sondern auch in Werkstatt und Stall gedient. Das religiöse Leben der Geistlichen ist an sich keineswegs Gott wohlgefälliger. In der Folge gewann zuerst im protestantischen Nordwesteuropa das Wirken der Handwerker, Händler und Unternehmer ein bisher unbekanntes Ansehen. Freiheit und Würde für die bürgerliche Mittelschicht schuf den Boden für die industrielle Revolution.
3. Knappheit und Überfluss
Gott hat die ersten Menschen in eine Welt ohne Not und Tod gesetzt. Doch waren Adam und Eva bereits bedürftige Geschöpfe, durch ihre Körperlichkeit und ein Leben in Raum und Zeit begrenzt. Auch der Mensch ohne Sünde war gewissermaßen der Knappheit unterworfen, wenn sie auch durch Gottes Fürsorge keinen Mangel bedeutete; umso mehr gilt dies nach dem Sündenfall.
Gott hat dem Menschen zwar eine Welt mit reichlich vorhandenen Ressourcen anvertraut, aber nur sehr wenige von ihnen, wie z.B. Luft und Wasser, existieren in einem für uns direkt nutzbaren Zustand. Seit jeher ist menschliche Arbeit erforderlich, um das Potenzial der Schöpfung nutzbar zu machen. Meist müssen viel Intelligenz und Kreativität sowie Energie und Technologie auf die Ressourcen angewandt werden, um sie nutzbar zu machen bzw. in einen nützlicheren Zustand zu verwandeln. Man denke z.B. an die Verarbeitung von Getreide zu Brot und vorher an die Züchtung ertragreicher Sorten. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil des Auftrags, die Erde zu bearbeiten und zu kultivieren.
Die ersten Menschen bekamen eine Aufgabe, die noch unvollendet war: nach und nach sollen sie und ihre Nachkommen sich die Erde untertan machen.
Die ersten Menschen bekamen eine Aufgabe, die noch unvollendet war: Nach und nach sollen sie und ihre Nachkommen, sich die Erde untertan machen, an Zahl zunehmen, aber auch im Wissen und in der Weisheit wachsen, also in jeder Hinsicht reifen. Im wirtschaftlichen Umgang mit den Schöpfungsgaben lernen wir auch heute, im Rahmen unserer Gaben und Begrenztheit Kosten von Entscheidungen abzuwägen und so gutes Haushalten zu praktizieren.
4. Das wichtigste Kapital
Gott schuf den Menschen mit der Fähigkeit, ja Leidenschaft, Dinge zu erschaffen, unbekannte Möglichkeiten zu entdecken und neue Dimensionen zu erkunden. Der Schöpfer hat ihn mit dieser Gabe ausgestattet. Ihm gefällt es, wenn Menschen neue Ideen hervorbringen, um seine Welt weiter zu gestalten. Der Mensch selbst mit seiner Kreativität und seinem erwartungsvollen Blick in eine offene Zukunft ist die wichtigste Ressource der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung.
Verbindet sich Knappheit mit Kreativität, können die begrenzten Ressourcen noch besser genutzt werden. Erfindungsreichtum und technologische Durchbrüche bilden daher seit jeher die Grundlage der Zunahme von Wohlstand. Die Alternative ist die räuberische Denk- und Handlungsweise, die den Wohlstand auf unmoralische Weise nur umverteilt, aber nichts Neues schafft.
Wohlstand wird durch Arbeit und Fleiß, Unternehmertum und Investitionen sowie gute Ideen hervorgebracht. Sie alle gedeihen in einem Raum der Freiheit, in dem die Ideen sich untereinander befruchten und am Ende neue Produkte stehen, die auch anderen angeboten werden und so auf Märkten getestet werden. Werden außerdem das Eigentum und Verträge geschützt und Frieden im Inneren und zwischen Staaten bewahrt, geht die Armut zurück und können Menschen gut ernährt und versorgt werden.
5. Der Segen der Arbeitsteilung
Adam als Mann war so geschaffen, dass er die Vervollständigung durch die Frau brauchte (1Mo 2,18). Der Mensch ist somit seit jeher auf gegenseitige Hilfe und Ergänzung angelegt. Daher ist, von einigen Ausnahmen abgesehen, Arbeit immer ein soziales Phänomen. Wir sind auf die Hilfe und die Arbeit anderer angewiesen (am deutlichsten ist dies zu Beginn und am Ende des menschlichen Lebens); wir arbeiten für andere, mit anderen, zum Wohl anderer.
Menschen besitzen nach Gottes Willen von Natur aus unterschiedliche Kräfte, Begabungen und Vorlieben. Dies macht die Spezialisierung der Arbeit und damit die Zusammenarbeit sinnvoll. Ist bei Sammlern und Jägern die Arbeitsteilung nur von geringer Bedeutung, so ist sie für die Gründung von Städten, für die Ausweitung von Handel und Industrie, ja die Zivilisation im Allgemeinen unerlässlich. Denn nur das Zusammenwirken bringt die Menschheit wirklich voran. In einem System der Arbeitsteilung können konkret Erfindungen angegangen und Innovationen umgesetzt werden, die die Kraft und den Einfallsreichtum der Einzelnen übersteigen.
Tiefster Grund der Arbeitsteilung ist die göttliche Dreieinigkeit. Vater, Sohn und Geist lieben einander, kommunizieren miteinander, tun etwas füreinander; ihr Wirken in der geschaffenen Welt und ihr Erlösungshandeln ist von Einigkeit, aber auch Unterschiedlichkeit gekennzeichnet. In gewisser Weise können wir von einer Aufgaben- und damit Arbeitsteilung der drei Personen reden (so nahm z.B. nur der Sohn menschliche Natur an und wurde gekreuzigt).
6. Tausch und Zusammenarbeit
Aus der von Gott angelegten Arbeitsteilung durch unterschiedliche Fähigkeiten ergibt sich der Tausch als gegenseitiger Dienst. Ein Teil einer guten Ernte tauscht der Mensch gegen Werkzeuge für Saat und Ernte. Der Viehzüchter und der Ackerbauer tauschen z.B. Milch und Weizen. Beide Seiten haben einen Gewinn durch den Tausch. Geld dient als universelles Tauschmittel zwischen den Angeboten von Gütern und Dienstleistungen. Auf diese Weise muss das Eigeninteresse, das zum Tausch anregt, das Interesse anderer ernst nehmen. Nur wenn man dem Anderen einen wirklichen Dienst tut, wird er auch Interesse an dem Angebot haben.
Gegenseitiger Tausch und Handel trägt auch zur friedlichen Zusammenarbeit bei. Durch verlässliche Kaufverträge wird Vertrauen gepflegt. Auch wenn sich Menschen fremd sind, ist es für sie von Vorteil, einander nicht ständig zu berauben, sondern füreinander zu produzieren. Weil man auf Kunden und Handelspartner angewiesen ist, geht man tendenziell anständig mit ihnen um. Eine kooperative, marktwirtschaftliche Gesellschaft mit einem freien Markt bietet einen großen Anreiz, Hass und Aggressionen zurückzuhalten. Sie fördert Friedfertigkeit und Rücksichtnahme.
Die ausgedehnte Ordnung der menschlichen Kooperation, in der sich Marktteilnehmer an die Regeln des Eigentums- und Vertragsrechts halten, ist eine der wichtigsten Beispiele dieser gnädigen Zuwendung Gottes. Das gehört zur „allgemeinen Gnade“ Gottes, die jeder empfangen kann. Die Versöhnung der in Sünde gefangenen Menschen mit Gott und die Überwindung dieser Feindschaft (Röm 5,10; 2Kor 5,18–19) geschieht dagegen nicht durch einen Tauschprozess. Gott in seiner Barmherzigkeit schenkt seinen Feinden Gnade, stiftet einseitig Frieden. Das ist Gottes „besondere“, heilsbringende Gnade.
7. Arbeit unter dem Gebot Gottes
Gott ist der Schöpfer, Erhalter und daher auch der Haupteigentümer dieser Welt (Ps 24,1; 104,24; Hag 2,8). Die irdische Welt und ihre Güter hat er den Menschen zur Verwaltung übergeben, die Eigentümer bzw. Besitzer im Sinne eines Hausverwalters (gr. oikonomos) sind. Besitz in unseren Händen bleibt deshalb immer Gabe Gottes (Pred 5,18). Gott als dem guten Geber aller Gaben schulden wir Rechenschaft, weshalb alles Wirtschaften, das doch mit dem anvertrauten Besitz geschieht, seinen Geboten untersteht.
Arbeit geschieht in einer sündigen Welt. Eigentum als Grundlage des Wirtschaftens muss deshalb durch das Recht geschützt werden. Eine Vielzahl von biblischen Gesetzen garantiert und regelt deswegen auch den Bestand und Austausch von Besitztümern. Grundlegend verbietet das achte Gebot den Diebstahl: „Du sollst nicht stehlen.“ (2Mo 20,15; s. auch 1 Kön 21 sowie Mt 15,19; Röm 2,21; Eph 4,28; Off 9,21) Das Weitergeben von Besitz an die nächste Generation ist in der Bibel selbstverständlich (Spr 19,14).
In der Weisheitsliteratur wird häufig vor „unrechtem Gewinn“ gewarnt (Spr 1,19; 11,18; 15,6.7); verurteilt werden Betrug im Handel (Spr 16,11; 5Mo 25,13–16; Micha 6,11) und Vorenthaltung des Lohnes (Jer 22,13; 5Mo 24,14–15; 3Mo 19,11-13; Jak 5,4); erstaunlich oft warnt die Bibel vor Korruption (5Mo 10,17; 16,19; 27,25; Am 5,12; Micha 3,11). Das Schicksal der Armen ist der biblischen Ethik dabei ein sehr wichtiges Anliegen; ihre Ausbeutung und Unterdrückung ist Gott ein Anstoß, sie verdienen besonderen Schutz (2Mo 22,22–23; 23,6; 5Mo 24,14–15; Jes 1,17; 10,1–2; Am 2,6–8, 8,4-6).
Der gefallene Mensch ist geneigt, in irdischen Dingen und Reichtümern Sinn und Zufriedenheit zu finden. Doch nur der Schöpfer und nicht Geschaffenes kann den geistigen Durst des Menschen stillen.
Der gefallene Mensch ist geneigt, in irdischen Dingen und Reichtümern Sinn und letzte Zufriedenheit zu finden. Doch nur der Schöpfer und nicht Geschaffenes kann den geistigen Durst des Menschen stillen. Die Verehrung von Götzen – welcher Art auch immer – weckt Gier, die das gesunde Eigeninteresse infiziert. Die Bibel setzt daher Habsucht und Geiz mit Götzendienst in eine Reihe (5Mo 6,14–15; Kol 3,5); Christen werden aufgefordert, dem Götzendienst wie der Geldgier zu entfliehen (1Kor 10,14; 1Tim 6,10–11). Eindeutig sind die Warnungen vor den Gefahren des Reichtums (Lk 12,18–21; 1Tim 6,17–19; Mt 6,24; 13,22; 19,24).
Das Zehnte Gebot (2Mo 20,17) verbietet das Verbotene zu begehren – das, was der Nächste nicht bereit ist, zu tauschen bzw. nicht tauschen darf. Neid ist der innere Antrieb, der zu Diebstahl und „lauter bösen Dingen“ (Jak 3,16; s. auch Röm 1,29; Gal 5,21; 1 Pt 2,1) führt. Tiefe Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation durch das Schauen auf den Mitmenschen statt auf Gott korrumpiert Beziehungen und soziale Bindungen. Neid ist eine Wurzelsünde, ein Grundübel, das nicht nur der Wirtschaft schadet, sondern auch Familie und Gesellschaft zerstört.
8. Das christliche Zeugnis am Arbeitsplatz
Für die meisten erwachsenen Gläubigen ist der Arbeitsplatz das Umfeld, in dem wir am ehesten auf Nichtchristen treffen. Die vorderste Front der Evangelisierung war und ist daher neben der Familie die Arbeitswelt. Dort sollen unsere guten Werke gesehen werden (1Pt 2,12), dort sollen wir Rechenschaft über unsere christliche Hoffnung geben (1Pt 3,15).
„Weltliche“ Berufe und Beschäftigungen sind für Gott keineswegs unwichtig. Denn gerade im beruflichen Umfeld wirken Christen als Salz und Licht (Mt 5,13–16). Am Arbeitsplatz wird der Charakter des Christen geformt, wird um des Glaubens willen gelitten und zeigen sich die Früchte des Geistes (Gal 5,22–23); dort kann die Liebe des Nächsten und des Feindes eingeübt (Mt 22,39; 5,44) und muss für Wahrheit und Gerechtigkeit eingestanden werden; unter den Kollegen ergeben sich Möglichkeiten, biblische Perspektiven zu Fragen von Beruf, Politik, Sexualität und Weltanschauung aufzuzeigen. Nicht zuletzt weist die Qualität unserer Arbeit auf den gut arbeitenden Gott hin.
Die Bibel spricht die Verantwortung der Arbeitgeber (Hiob 31,13–15; Kol 4,1; Eph 6,9; Phlm 16) und der Angestellten, damals im Stand von Unfreien oder Sklaven, deutlich an (Eph 6,5–8; Kol 3,22–25; Tit 2,9–10). Darüber hinaus gibt sie nicht wenige Beispiele von Männern und Frauen, die ihren Glauben an den Orten, an denen sie arbeiteten, lebten und bezeugten. Hier sind Führungskräfte wie Joseph (1Mo 41,41), Daniel (Dan 2,48) oder Nehemia (Neh 4,12–15), aber auch Arbeitende in niedrigeren Positionen wie die namenlose Sklavin des Syrers Naaman (2Kön 5) oder die hebräischen Hebammen in Ägypten (2Mo 1,15–22) zu nennen.
9. Die Vielfalt der Schöpfungsordnungen
Den Menschen als Geschöpfen sind nicht nur die Grenzen der Gebote Gottes vorgegeben. Als konkreter Ort der Verantwortung hat Gott außerdem mehrere Mandate oder Ordnungen (ältere Begriffe: Stände, Herrschaften, Regimenter) eingesetzt: Familie, Kirche, Arbeit und Obrigkeit. Alle diese Grundordnungen unterstehen Gott, unterscheiden sich aber im Hinblick auf ihre Aufgaben und die Ausübung von Autorität. Ein Christ hat in allen Mandaten seinen Platz, d.h. gehört zu einer Familie, arbeitet als Teil einer Wirtschaftsgemeinschaft, ist Gemeindemitglied und Staatsbürger.
Einerseits dürfen diese Ordnungen nicht vermischt werden. So hat die Gewinnorientierung ihren Platz in der Wirtschaft, aber nicht in der Kirche; die Evangeliumsverkündigung gehorcht nicht dem Prinzip von Angebot und Nachfrage; Innovation und Fortschritt bedeuten im Reich Gottes etwas anderes als in der Arbeitswelt. Andererseits sind die Ordnungen aufeinander angewiesen. So braucht die Kirche den Schutz der Obrigkeit, ist auf Spenden aus Arbeitslöhnen angewiesen; den Eltern wird durch die Gemeinde in der Erziehung geholfen usw.
Außerdem muss darauf geachtet werden, dass nicht eine Ordnung die andere beherrscht, behindert und zur Seite drängt. Vielfach droht heute eine Unterwerfung aller Bereiche unter die Prinzipien der Ökonomie. Dem Leben der Familie wird geschadet durch Anforderungen des Arbeitslebens und der Karriere, die über das Wohl der Kinder im Familienleben gestellt ist. In der Kirche werden eventuell geistliche Fragen wie Konsumentscheidungen behandelt oder von Effizienzkriterien dominiert. Der moderne Staat neigt in erheblichem Maß dazu, seine Begrenzungen zu überschreiten, indem er versucht, alle Lebensbereiche direkt zu kontrollieren. Seine Aufgabe ist es, den notwendigen schützenden Rahmen für das Zusammenleben der Menschen mit der Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten. Aber stattdessen will er zunehmend die Erziehung der Kinder bestimmen oder das Wirtschaftsleben über die Interessen der Marktteilnehmer hinaus in allen Einzelheiten regulieren.
10. Der Segen des Ruhetags
Wir arbeiten mit Gott zusammen, weil wir die von ihm eingesetzten Verwalter der Erde sind. Wir ruhen nach der Arbeit, weil Gott selbst nach der Vollendung des Schöpfungswerks ruhte (1Mo 2,2–3). Der Rhythmus von Arbeit und Anstrengung auf der einen und Ruhe und Genuss auf der anderen Seite ist eine weitere grundlegende Ordnung Gottes. Das vierte Gebot über den Sabbat (2Mo 20,8–11) ruft dazu auf, den Sinn und Zweck der Arbeit im Gotteslob zu erkennen. Am siebten Tag sollen wir nicht arbeiten, sondern danken und uns an dem freuen, was geschaffen wurde – an allem Geschaffenen in der Natur und an allen Werken menschlicher Hände und Kultur.
Der siebte Tag ist eine Gelegenheit, innezuhalten und sich der Abhängigkeit von Gott bewusst zu werden, denn nur Er ermöglicht uns das Arbeiten und segnet unser Tun. Die vorgeschriebene Ruhe erinnert daran, dass Arbeit kein Selbstzweck ist. Der freie Sonntag ist in ökonomischer Hinsicht ein heilsamer Störfaktor in unserer Gesellschaft. Die gemeinsame Sonntagsfeier in der Gemeinde relativiert Unterschiede von arm und reich und zeigt, dass wir viel mehr als eine Produktions- und Konsumgesellschaft sind.
Es ist kein Zufall, dass das Heil der Menschen bei Gott als „Sabbatruhe“ (Heb 4,9) bezeichnet wird. Anders als bei den heidnischen Göttern sind es nicht die Menschen, die sich das Wohlwollen eines Gottes erarbeiten; vielmehr arbeitet Gott für uns, damit wir schließlich mit ihm in eine ewige Ruhe eingehen können. Es wird sicher auch in der neuen Schöpfung Beschäftigung für Menschen geben. Aber der irdische Ruhetag ist vielleicht der wichtigste Hinweis auf das „Letzte“ – auf freie, geschenkte, unverdiente Gnade – in der jetzigen Epoche des „Vorletzten“ (Bonhoeffer), in der Arbeit noch eine sehr wichtige Stellung einnimmt.