Manchmal sind es die eigenen Sünden, die Anfechtungen und Versuchungen hervorbringen und unseren Glauben auf die Probe stellen (vgl. Psalm 106). Sünde kann auch unser Vertrauen auf die Errettung beeinträchtigen. Trotzdem ist nicht immer Sünde die direkte Ursache für Anfechtungen, Versuchungen und Erprobungen. Unsere Herausforderung mit solchen Anfechtungen und Versuchungen ist besonders schmerzhaft, wenn unsere eigene Erfahrung nicht zu dem passt, was wir aufgrund unserer normalen Erwartungen als angemessen und gerecht empfinden würden. Die eigenen Herausforderungen scheinen uns keine Folge unserer persönlichen Sünden zu sein. Das Predigerbuch und Hiob verdeutlichen diesen Punkt. Wenn die verdorbenen Menschen nicht bekommen, was sie verdient haben, die Gerechten aber unbeschreiblich leiden, dann rufen Menschen zum Himmel: „Wie kann es sein, dass der Weise genauso stirbt wie der Tor?“ (Pred 2,16). Wie kann das sein?: „Da sind Gerechte, denen es nach dem Tun der Ungerechten ergeht, und da sind Ungerechte, denen es nach dem Tun der Gerechten ergeht.“ (8,14) Hiobs Freunde nahmen deswegen an, dass er gesündigt haben musste, weil er so litt. Sie zogen auf der Grundlage, dass es dem Gerechten gut geht und der Verdorbene leidet, einen falschen Schluss. Tatsächlich ist das Leben nicht so schwarz und weiß. Es sind Jakobus, Paulus und Petrus, die uns aus diesen Schwierigkeiten helfen.
Jakobus bietet einige höchst relevante Lehraussagen zu Anfechtungen und Versuchungen, mit denen der christliche Glaube auf die Probe gestellt wird. Er schreibt (1,2):
„Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet“.
Jakob hat dabei innere und äußere Versuchungen im Blick, denn er benutzt das gleiche griechische Wort hier wie in Vers 12ff, wo es klar um innere Versuchungen geht. Jakobus spricht also zu jedem, der in Anfechtungen und Versuchungen gerät.
Der Blick auf den ewigen Ausgang
Jakobus will zuerst, dass wir die richtige Haltung im Hinblick auf unsere Anfechtungen einnehmen. Seine Antwort auf die Frage, wie wir auf sie reagieren sollen, ist einfach und überraschend: Wir sollen die Anfechtungen willkommen heißen, weil wir wissen, dass sie dazu dienen, unseren Glauben zu stärken und unseren Charakter als Christen zu bessern. Kurz gesagt: Versuchungen bringen ein Wachstum in einem gottgefälligen Leben.
Die Freude in Anfechtung ist keine irdische Freude. Es ist die Freude, die einen Blick auf den Ausgang aller Dinge hat. Das bedeutet, sie hat eine himmlische Perspektive.
Insbesondere meint Jakobus, dass wir die verschiedenen Anfechtungen zur Freude zählen sollen. Deswegen müssen wir uns klar machen, welche Freude gemeint ist. Es geht um die Freude, die von oben, von Gott, kommt, nicht um die irdische. Es ist die Freude, die einen Blick auf den Ausgang aller Dinge hat. Das bedeutet, sie hat eine himmlische Perspektive.
Jakobus erklärt weiter, dass der Grund für einen Christen zu solch einer Haltung in Anfechtungen und Verfolgungen ist, dass wir etwas über sie wissen, das die Welt nicht weiß. Jakobus kann zur Freude auffordern, weil die Anfechtungen etwas hervorbringen, was wir in unserem Charakter brauchen: ausdauernde Geduld. Das ist keine rein passive, sondern eine aktive Qualität.
Allerdings ist für Jakobus die Fahrt hier noch nicht beendet. Die ausdauernde Geduld führt zu einer weiteren charakterlichen Qualität. Es geht ihm nämlich nicht nur um eine einzelne Tugend, sondern um die Entwicklung des Charakters. Deswegen fährt er fort (Jak 1,4): „Die Geduld aber soll ihr Werk tun bis ans Ende, damit ihr vollkommen und unversehrt seid und kein Mangel an euch sei.“ Das Neue Testament lehrt keinen menschlichen Perfektionismus oder dass wir Perfektion menschlich anstreben und erreichen. Unsere Erfolge bei den Tugenden werden immer begrenzt sein. Aber was meint Jakobus dann?
Der Blick auf Jesus, den Vollender unseres Glaubens
Ich bin der Überzeugung, dass er unsere Aufmerksamkeit damit auf Christus selbst richten will. Als Leser werden wir uns erinnern, was der Schreiber des Hebräerbriefes sagt:
Hebräer 5,8-9: So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.
Der Fokus des entsprechenden Abschnitts im Hebräerbrief liegt auf der Vorbereitung von Jesus Christus auf sein vollkommenes und endgültiges Hohepriesteramt für uns. Es geht also nicht eigentlich um Widerstand in Versuchungen. Vielmehr bedeutet „perfekt“ hier, dass Jesus völlig geeignet ist für das Amt des Hohepriesters durch die Übung seiner Widerstandskraft und seiner positiven Gerechtigkeit. Bedenken wir: Unser Herr überwand die natürliche Abneigung gegen das Leiden, die wir als Menschen alle haben. Unser Retter und mitfühlender Hohepriester lehnte es ab, den leichten Weg zu wählen. Stattdessen nahm er die Herausforderung für uns auf sich, im Gehorsam das Leiden so zu tragen, dass wir es „als Freude“ ansehen können in Versuchung und Anfechtungen zu leiden. Er schafft dadurch den Charakter der Standhaftigkeit in uns.
Es scheint so, als ob manche der Mitglieder in den Gemeinden, an die Jakobus schrieb, meinten, dass Gott, weil er souverän ist, auch für alle ihre Versuchungen verantwortlich sei (Jak 1,13). Stattdessen will Jakobus, dass sie erkennen, dass Anfechtungen ihren Ursprung in unserem eigenen Inneren haben. Es ist vielmehr so, dass Gott, unser himmlischer Vater, nur gute Gaben für alle will, die ihn lieben (17-18).
Diese Wahrheiten scheinen auch beim Apostel Paulus tiefe Eindrücke hinterlassen zu haben. Er behauptet voller Überzeugung, nachdem er seine Visionen und Offenbarungen vom Herrn Jesus beschrieben hat, über seinen „Stachel im Fleisch“, dass er „guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen [ist]; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2Kor 12,10). Er und seine Mitarbeiter hatten Anfeindungen erlitten und gesagt, dass sie „über ihre Kraft“ beladen wurden und nah daran waren, „am Leben zu verzweifeln“. Sie fühlten sich, als wäre das Todesurteil über sie gesprochen. Trotzdem hält Paulus fest, dass das alles geschah, dass sie nicht auf sich selbst vertrauten, „sondern auf Gott, der die Toten auferweckt“ (1,8-9).
Der Blick auf die geschehene Errettung
Durch die Bezugnahme auf den Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten will Petrus auf die größere Befreiung verweisen: der Auszug aus der Knechtschaft der Sünde.
Auch Petrus trifft einige Aussagen über Anfechtungen am Anfang seines ersten Briefes, die ähnlich klingen wie Jakobus (1Pet 1,6-7). Wie kann Petrus so feste und zuversichtliche Behauptungen aufstellen? Die beiden Antworten darauf finden sich im größeren Kontext. Erstens stellt Petrus heraus, dass die Christen das neue erwählte Volk Gottes sind (2,9-10). Zweitens lenkt Petrus unsere Aufmerksamkeit auf die Geschichte unseres eigenen Lebens: Wir wurden in Christus befreit, was begründet ist in dem ursprünglichen Auszug des Volkes Gottes aus der Gefangenschaft in Ägypten. Aber die Befreiung geht darüber hinaus, weil wir aus der viel größeren Bindung an die Sünde befreit wurden. Das ist ein zweiter Exodus, den unser Herr Jesus Christus für sein erwähltes Volk bewirkt hat.
In den ersten beiden Kapiteln gebraucht Petrus den Exodus als tragende Metapher. Die Bilder des Auszuges aus Ägypten tauchen wiederholt auf. Das schließt das Passafest ein und den Wunsch nach Heiligkeit, aber auch die Erwähnung des goldenen Kalbs, die versöhnten Leben und das makellose Lamm (vgl. 2Mo 12; 15,13.32; 3Mo 11,44; 19,2). Die Christen, an die Petrus schreibt, sollen nicht zurückschauen, sondern vorangehen auf ihr unvergängliches Erbe zu (1Pet 1,4). Warum malt Petrus dieses Bild vom Auszug in dieser Weise? Ein Grund mag daran lieben, dass seine Zuhörer gut in den Geschichten der hebräischen Bibel unterrichtet waren. Das ermöglichte ihnen Parallelen zu erkennen zwischen dem Volk Gottes des alten Bundes und der erwählten Gemeinde der Christen, die eine Sicht für eine Gemeinsamkeit in Heiligkeit und Liebe hatten (1,13-25).
Gott stellt keine Forderungen an uns, denen er nicht selbst durch die Rettung eine Basis und ein Fundament gegeben hat. Heiliges Leben auch in Zeiten der Anfechtung beruht auf der Heiligung, die Jesus für uns erwirkt hat.
In diesen Abschnitten aus dem 1. Petrusbrief erscheint ein wichtiges Prinzip: die Tatsache dessen, was Gott für uns getan hat in Christus, ist die Grundlage für die Forderung an uns als Antwort darauf. 1Petrus 1,13-21 beginnt Petrus vom Ende her, mit dem zweiten Kommen von Christus, worauf das Wort „Offenbarung“ deutet. Das Fundament ist jedoch in der Hoffnung auf Christus gelegt, wovon die Verse 17-21 sprechen. Dieses Fundament ist die Basis für die Forderung nach einem heiligen Leben in den Versen 14-16. Im Folgenden ist das Gebot einander zu lieben, begründet in der Tatsache, dass die Christen wiedergeboren sind (23), „nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt“. Der Hinweis auf die Wiedergeburt ist offenbar ein Echo aus Vers 3.
Petrus will, dass unser Denken erneuert wird, und mit diesem Ziel gebraucht er die starken Bilder vom Auszug aus Ägypten. Wir sollen an unsere neue Identität als Fremdlinge Gottes in dieser Welt denken. Indem er auf die Grundlagen des Glaubens abstellt, kann er seine Zuhörer auffordern, nach größerer Heiligkeit zu streben. Dazu sollen die Christen auch angemessen über ihre Anfechtungen durch die Verfolgung denken, die sie erleiden müssen. Damit eröffnet Petrus seinen Brief:
1Petrus 1,6-7: „Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.“
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries. Der Aufsatz erschien zuerst im Tabletalk Magazine.