Der Autor, Jahrgang 1965, ein begabter Journalist, wuchs in der DDR auf, erhielt nach dem Abitur keinen Studienplatz und wurde erst als 20-jähriger redaktioneller Mitarbeiter in der Ost-CDU-Zeitung „Neue Zeit“. Nach der Wende nahm er ein Fernstudium auf, arbeitete für verschiedene Zeitungen und wechselte 2011 ins Parlamentsbüro von BILD, dessen Leitung er ab 2013 übernahm. In dieser Funktion war er für die Begleitung der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zuständig und bereiste mit ihr fast alle Kontinente. Er zählt zu den besten Kennern des Berliner Politikbetriebs. Er selbst bezeichnet sich als Christ (S. 229), fremdelt allerdings mehr und mehr mit seiner reformierten Amtskirche.
In seinem Buch beschreibt er, wie es 2022 zu seiner Kündigung beim Medienhaus Axel Springer kam. Vorausgegangen waren heftige Debatten im Haus, nachdem eine Reihe zum Teil namhafter Wissenschaftler einen Aufruf an die öffentlichen Rundfunksender veröffentlicht hatten, in dem es u.a. hieß:
„Wir, die Unterzeichner, beobachten als Wissenschaftler seit langem, wie sich der öffentlich rechtliche Rundfunk die Darstellungen der ‚queeren‘ Transgenderideologie zu eigen macht und dabei naturwissenschaftliche Tatsachen leugnet. Ausgangspunkt ist stets die Falschbehauptung, es gebe nicht nur ein männliches und weibliches Geschlecht, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern bzw. Zwischenstufen zwischen Mann und Frau.“ (S. 18)
Im Lauf der Debatten machten verschiedene Top-Manager des Hauses keinen Hehl daraus, „dass der inzwischen größte Geschäftsbereich des Unternehmens … gefährdet sei, wenn man sich nicht zu den klaren Zielen Diversität, Vielfalt und LGBTQ-Community bekenne. Vor allem in Amerika. In der Tech-Branche an Ost- und Westküste sei es geradezu ein Marktausschluss, wenn man in dieser Hinsicht Zweifel hinterlasse.“ (S. 26)
Schuler, Ralf: Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde. Basel: Fontis-Verlag 239 S. Hardcover: 22,90 €. ISBN: 978-3-03848-260-4
Nach dem Prolog versucht der Autor eine Bestandsaufnahme mit ‚Vorsicht Redeverbot‘, ‚schleichende Veränderung‘ bis hin zu ‚Links, schwenk – Marsch‘. Im zweiten und längsten Kapitel beschreibt Schuler den Herdentrieb: Wie Konformität die Freiheit unterwandert. ‚Der Hass der Herde‘ und die Umwertung der Werte. „Vom Klimaschutz bis zum Gender-Thema geht es inzwischen oft nicht mehr um das Werben für Standpunkte, sondern um das Erzwingen von Zustimmung und das Schaffen von Fakten.“ (S. 69)
‚Der Preis der Meinungsfreiheit: man kann alles sagen, aber …‘ wird im dritten Kapitel beschrieben. Hier findet man ein Zitat des Kabarettisten Dieter Nuhr: „Der Shitstorm von rechts kann zu gewaltsamer Bedrohung führen. Der von links hat subtilere Folgen: Hochschulprofessoren verlieren ihre Anstellung, Künstler werden nicht mehr eingeladen, man wird zur umstrittenen Person erklärt, vielleicht nur, weil man als Biologe zu dem Ergebnis kommt, dass es für die Fortpflanzung von Säugetieren exakt zweier Geschlechter bedarf. Das Attribut ‚umstritten‘ begleitet einen fortan. Man wird damit zu einem Menschen erklärt, dem die Anständigen besser nur noch sehr skeptisch zuhören …“ (S. 137).
Im 4. Kapitel zeigt der Autor, wie man mentale Leitplanken aufbricht. Am Ende geht es um nicht mehr und nicht weniger als um Wachsamkeit, zuallererst gegenüber unserer eigenen Neigung, den Gleichschritt aufzunehmen und darum, dass wir merken, wenn wir es tun.“ (S. 154) Es muss uns nach Matthäus 5,37 um Klarheit und Wahrheit gehen. (S. 157). Er hat aber häufig erlebt: „Ich kann gar nicht zählen, wie oft Gesprächspartner darauf hinwiesen, dass wir ja ‚unter uns‘ sprechen.“ (S. 147)
Es folgen die aufschlussreichen ‚Merkel-Jahre‘ in Kapitel 5. Und in einem längeren Epilog formuliert Schuler noch einmal seine Skepsis: „Das restriktive Beschneiden der Freiheit Einzelner kann die Freiheit aller nicht garantieren. Genauso kann das Unterbinden von Streit keinen Frieden generieren. Friede – das Volk der Bibel nennt es Shalom – erwächst vielmehr aus der Versöhnung auf dem Boden der Wahrheit. Versöhnung wiederum ist die Frucht von Vergebung und neuerlich gewährtem Vertrauen. Ein unabsehbares Wagnis. Ohne einen transzendenten Bezug zum Urgrund von Versöhnung und Frieden, der letztlich jenseits unserer Verfügbarkeit liegt, wird es zunehmend schwierig …“ (S. 229).
Das beeindruckende höchst aktuelle Buch schließt mit einem dreiseitigen (!) Verzeichnis der genannten Personen.