Auch für interessierte Leser außerhalb der Universität ist das vorliegende Buch, das auch eine Dissertation darstellt, lesenswert. Sorgfältig wird die Frage nach der staatlichen Macht über Schulen und das Recht von Kirchen, Eltern oder Interessenvereinigungen, eine private Schule zu errichten, erörtert?
Dazu hat die Verfasserin öffentlich zugängliche Dokumente ausgewertet, sich aber auch auf Interviews gestützt. Sie zeigt auf, welche Auseinandersetzungen in den politischen Gremien schon in der Weimarer Zeit und seit dem 2. Weltkrieg stattgefunden und zu welchen Ergebnissen sie geführt haben. Deutlich wird die Hinwendung zu sozialistischen Zielen in den Schulen dargestellt (Lehrwerke und Sexualkundeunterricht).
Es gelingt der Autorin, die Gründung der vier ausgewählten Bekenntnisschulen (Reutlingen, Bremen, Gießen, Detmold) in ihren Besonderheiten aufzuzeigen. Fazit ist, dass keine dieser Schulen gegründet worden wäre ohne das Vorhandensein eines „Gründungsvaters“. Diese suchten Mitstreiter und haben sich ausdauernd und hartnäckig gegen den Zeitgeist gestemmt und für ihre und andere Kinder eine Schule eingerichtet, die auf christlichen Prinzipien aufbaute und deren Arbeit deutlich an der Bibel orientiert war.
In diesem Zusammenhang geht die Verfasserin auf das Problem der Trennung von Kirche und Staat anhand der säkularen Schule ein. Sie gibt den Hinweis, dass die Schulgründer zu den „Stillen im Lande“ gehörten, die gegen ihre Überzeugung und gegen den Willen vieler Politiker eine christliche Schule aufbauten. Mehrfach hebt sie hervor, dass sie „durch alle Instanzen“ gingen. Wie sie ihr Handeln von der Bibel her begründeten, wird nur angedeutet. Es wird nur von der politischen Situation (68er) argumentiert. So bleibt unklar, wie die Schulgründer mit dem Gebot der Unterordnung unter die staatliche Gewalt umgingen. Wann darf man sich gegen Entscheidungen der Obrigkeit stellen? Gab es biblische Argumente für die Nutzung der grundsätzlichen Möglichkeit zur Errichtung privater Schulen? Und welche Konsequenzen hat die Gründung einer Bekenntnisschule für den Lehrplan, die Lehrkräfte und die Schüler? All diese Fragen könnten von der Bibel her behandelt werden und die Antworten der Schulgründer betrachtet. Dies kann ich in der vorliegenden Dissertation nicht erkennen. Diese Aspekte wurden nur historisch eingeordnet, sieht man davon ab, dass die Bibel bei der Erklärung des Begriffs „Evangelikale“ eine Rolle spielt (Die Bibel als absolute Autorität in allen Glaubens- und Lebensfragen).
Roßkopf, Susanne: Der Aufstand der Konservativen. Die Bekenntnisbewegung im Kontext der Bildungsreformen der 70er Jahre. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte im Umbruch der 68er. Berlin: Lit-Verlag 2017. 523 S. Paperback: 64,90 €. ISBN: 978-3-643-13641-1
Auch in dem sehr ausführlichen Kapitel über die Geschichte der christlichen Kirche, in dem sorgfältig auf das Beziehungsgeflecht von Eltern, Kirche und Staat eingegangen wird, gibt es viele Zitate aus historisch bedeutsamen Werken, jedoch keine direkte Bezugnahme auf die Heilige Schrift. Deshalb bleibt die Frage offen, welche Bedeutung die Bibel und ihr Welt- und Menschenbild für die Bekenntnisschulen hatten und haben. So bietet das Buch lediglich die Möglichkeit, Geschichte nachzuvollziehen. Die inneren Beweggründe aus Bibel und Glauben lassen sich nur erahnen. Dabei hätte gerade dies eine Hilfestellung für eine aktuelle, von der Bibel begründete Positionsfindung in Sachen Bildung und Schule sein können. Gut erkennbar wird in der Darstellung die Anpassung vor allem der evangelischen Kirche an den Zeitgeist. Umso wichtiger wäre die Frage nach festen Bezugspunkten für Bildung, denn das heißt auch für das Leben und die Entscheidungen jedes Einzelnen in dieser Gesellschaft, gewesen.
So bleiben viele Fragen offen, die ein Leser stellen könnte, der von der Geschichte der ersten Bekenntnisschulen Impulse für eine Alternative zur staatlichen Schule unserer Zeit sucht. Kurz: Das Buch hat sicher seine akademische Bedeutung, aber es wäre ein Gewinn gewesen, wenn die Verfasserin ihre Position zur Bibel und ihre Stellung zu den „Konservativen“, den „Pietisten“ oder „den Evangelikalen“ deutlicher gezeigt hätte.