Der international bekannte Autor ist in Deutschland vor allem durch seine ausgezeichnete „Biblische Dogmatik“ bekannt (siehe „Bibel und Gemeinde“ 2014-1 S. 73). Mit diesem Buch nun, das in den USA seit 1988 vorliegt (ergänzt im Jahr 2000), ist endlich auch eine deutsche Übersetzung erschienen. In seiner Arbeit geht Grudem 1. von den alttestamentlichen Propheten als Boten Gottes aus, und stellt ihnen 2. die neutestamentlichen Apostel als Boten Christi gegenüber. Alle ihre in der Schrift niedergelegten Worte waren wirklich Gottesworte.
Im 3. Kapitel untersucht Grudem die Propheten in Korinth und im 4. die im übrigen NT vorkommenden. In beiden erklärt er seine wichtigste Aussage: Diese Gemeinde-Propheten unterschieden sich von den Propheten im Alten Testament. Sie sprachen bloß mit menschlichen Worten, um etwas zu berichten, auf das Gott sie aufmerksam gemacht hatte. Es sind Prophezeiungen, die geprüft werden müssen (1Kor 14,29). Diese Propheten hatten auf jeden Fall weniger Autorität als ein Apostel (1Kor 14,37-38). Grudem findet dies im ganzen NT bestätigt. „Auf der einen Seite gibt es die ‚apostolische‘ Prophetie mit absoluter göttlicher Autorität in den tatsächlich gesprochenen Worten.“ … „Auf der anderen Seite gibt es die ‚normale Gemeindeprophetie‘, für die keine absolute göttlichen Autorität angegeben wird.“ (S. 89) Wenn diese nämlich auch absolute göttliche Autorität gehabt hätten, dann „müssten wir erwarten, dass diese Gabe ausstirbt, sobald die Schriften des Neuen Testaments beendet und den Gemeinden übergeben waren“ (S. 41). In der Gemeinde kann Prophetie also etwas sein, das Gott einem plötzlich vor Augen führt oder aufs Herz legt oder in den Kopf setzt, so dass die Person fühlt, dass es von Gott kommt und es dann mit ihren eigenen Worten mitteilt. (Anhang S. 340)
Im 5. Kapitel kommt Grudem zu dem Schluss, dass Propheten in der neutestamentlichen Gemeinde „keine ekstatischen Erlebnisse während ihres Prophezeiens hatten.“ (S. 108) Im 6. Kapitel untersucht er die Unterschiede von Prophetie und Lehre und erklärt, warum es für Paulus in Ordnung war, dass Frauen in den öffentlichen Versammlungen der neutestamentlichen Gemeinden zwar prophezeien durften (1Kor 11,5), nicht aber lehren (1Tim 2,12).
Grudem, Wayne: Die Gabe der Prophetie im Neuen Testament und heute. Petzenkirchen: VGTG 2022. 399 S. Paperback: 29,90 €. ISBN: 978-3-902669-43-8
In den folgenden Kapiteln untersucht Grudem den Inhalt von Prophetien und alle möglichen Missverständnisse und Fragen, die es im Zusammenhang mit Prophetie geben kann. Er zeigt, dass sie keine Leitungsfunktion in den Gemeinden hatten, und fragt, ob alle Gläubigen prophezeien könnten. Jedes der ersten zwölf Kapitel seines Werkes schließt er mit einer Zusammenfassung und einem Absatz „Gültigkeit für heute“ ab. Den insgesamt 14 Kapiteln folgen zehn Anhänge, die gewisse Einzelheiten genauer erklären, zum Beispiel die Frage, warum Zusätze zur Heiligen Schrift abgelehnt werden müssen.
Hilfreich – auch für eine kritische Überprüfung – ist das ausführliche Verzeichnis der Bibelzitate und das der außerbiblischen Literatur am Schluss des Buches.
Fazit: Wayne Grudem macht sehr interessante und gut begründete Vorschläge, die manche exegetische und gemeindepraktische Probleme lösen könnten. Er geht überall fair auf andere Auslegungen und deren Begründungen ein und stellt manche charismatische Praktiken in Frage. Ein durchaus nüchternes und bibelzentriertes Buch, in dem man eigene Argumente wiederfindet. Schon deshalb sollte man es gelesen haben.