In einem aktuellen christlichen Andachtskalender las ich kürzlich eine Auslegung zu 1Mo 6,5-6. Darin hieß es unter anderem: „Gott ist tief bekümmert und muss sich eingestehen: ‚Ich habe damals einen Fehler gemacht, als ich den Menschen erschaffen habe. Das schmerzt und reut mich‘.“ Mir ist klar, dass das nicht stimmen kann, weil Gott doch weder irgendwo seine Absicht bereut, überhaupt Menschen geschaffen zu haben noch auch, wie er sie geschaffen hatte: als „sehr gute“ Schöpfung mit der Möglichkeit in Sünde zu fallen. Aber wie kann man das gut begründen?
Bei der Antwort auf diese Frage geht es wesentlich darum, wie das hebräische Wort nicham, das hier mit „reuen“ übersetzt wird, richtig zu verstehen ist. Und das ist tatsächlich nicht so einfach. In Wörterbüchern und Kommentaren wird eine Vielzahl von Möglichkeiten vorgeschlagen (reuig werden, bereuen, sich leid sein lassen, jemanden leid tun, über etwas Mitleid empfinden, Trost finden, Trost schaffen, sich erbarmen, vergelten, stärken u.a.). Meistens wird dabei vor allem der emotionale Bereich in den Vordergrund gerückt, während gerade der in den alttestamentlichen Stellen meistens eher eine untergeordnete Rolle spielt. Wenn man die Stellen genau anschaut, dann zeigen sich zwei miteinander in Verbindung stehende Grundbedeutungen. Es geht einerseits um die Änderung einer früher getroffenen Entscheidung oder Tat mit der Folge, dass die Sache nun einen anderen Verlauf nimmt, und andererseits geht es um das Bedauern einer früher getroffenen Entscheidung oder Tat mit der Folge, dass dafür Trost gesucht oder gefunden wird. Das Theologische Wörterbuch zum Alten Testament fasst das gut zusammen:
„Das Moment Entscheidung – Effekt und das Moment Emotion – Affekt sind somit in nhm die Regel und unlösbar miteinander verbunden, auch wenn in Einzelfällen eine stärkere Betonung des einen oder anderen Elementes zu bemerken ist“ (Bd. 5, Sp. 369).
In 9 verschiedenen Texteinheiten ist Gott / Jahwe das Subjekt von nicham, wie im angefragten Textabschnitt. Wegen der klaren Aussagen in 4Mo 23,19 und 1Sam 15,29, die sich auf Gottes Wesen berufen, müssen wir aufpassen, dass wir die Reue Gottes nicht einfach mit unserer menschlichen Reue gleichsetzen, selbst wenn das gleiche Wort in der Bibel dafür benutzt wird.
„Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?“
„Auch lügt der nicht, der Israels Ruhm ist, und es gereut ihn nicht. Denn nicht ein Mensch ist er, dass ihn etwas gereuen könnte.“
Besonders die zweite Stelle ist bemerkenswert, weil es aus dem Mund Gott nur wenige Verse vorher heißt (Vers 11): „Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe.“ Wir sollten das nicht als Widerspruch verstehen, sondern als Kommentar, der den Leser davor bewahren soll, die Sache mit der Reue Gottes falsch zu verstehen, nämlich menschlich emotional als Einsicht in einen vergangenen Fehler. Übrigens finden sich solche Kommentare auch in 1Mo 6. Der Grund für Gottes Reue hier ist in 8,21 wörtlich auch der Grund für sein Treueversprechen nach der Flut:
„Der HERR sprach in seinem Herzen: Nicht noch einmal will ich den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht noch einmal will ich alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe.“
Das zeigt uns, dass der Aspekt der Änderung eines früheren Beschlusses zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Reue Gottes den Vorrang hat. Gott hatte den Menschen geschaffen, von Anfang an nicht mit Unsterblichkeit, sondern mit der Möglichkeit zu sterben und der Möglichkeit leiblich immer mit Gott zu leben. Gott wurde dann vom „Dichten und Trachten“ des menschlichen Herzens nicht überrascht, weil er sich irrtümlich andere Vorstellungen gemacht hätte. Als Gott die Entscheidung zur Sintflut trifft, ändert sich allerdings etwas. Er hatte dem Wasser Schranken gesetzt, damit der Mensch auf der Erde gut leben kann. Die Menschen hatten bis dahin offenbar auch keine See-Schifffahrt entwickelt. Jetzt aber gibt Jahwe dem Wasser die Möglichkeit, die Menschheit zu ertränken. Gott hatte im anderen Beispiel Saul zum König gemacht. Dann trifft er die Entscheidung, dass Saul abgesetzt werden soll, damit David an seiner Stelle König nach Gottes Willen ist.
Die Septuaginta – die griechische Übersetzung des AT aus dem 2. Jahrhundert vor Christus – hat deswegen nicham in solchen Zusammenhängen öfter mit metanoein im Sinne von „umkehren, den Sinn ändern“ übersetzt.
Der Aspekt des barmherzigen Bedauerns spielt aber bei Gott auch eine Rolle. Gott ist nicht kalt oder teilnahmslos. Er trifft Beschlüsse, die nicht nur dem Menschen wehtun. Es schmerzt ihn selber, dass er die Menschen so straft. Das Bedauern bzw. Bereuen ist also nicht die Einsicht in einen vergangenen Fehler, sondern ist die Hervorhebung der Güte und Barmherzigkeit Gottes in seinem Gericht, das er verordnet hat. Gott schmerzt also nicht etwa ein Fehler, den er gemacht hätte, sondern ihn schmerzt, dass die Sünden der Menschen Strafen nach sich ziehen müssen, die Er selbst verhängt. Das Wort „bereuen“ im Zusammenhang mit Gott weist also auf das Zueinander seiner Gerechtigkeit als Richter und seiner Barmherzigkeit als Retter.