Andreas Hahn ist Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen. Wie von seinem beruflichen Hintergrund zu erwarten, zeigt er sich in seinem Buch als Kenner der gegenwärtigen weltanschaulichen Szene in Deutschland. In drei großen Kapiteln setzt sich Hahn mit seinem Thema auseinander:
1. Fakes, Facts, Fiction – Was man über Verschwörungstheorien wissen sollte (9-92). Hier werden sachkundig einige der bekanntesten Verschwörungstheorien vorgestellt. Außerdem liefert Hahn Einblick in die gegenwärtige Diskussion zum Thema, nennt systematische und psychologische Kriterien, die für Verschwörungstheorien typisch sind und skizziert Risikogruppen, die hier besonders anfällig scheinen. Außerdem weist er auf die gefährlichen gesellschaftlichen und psychischen Folgen von Verschwörungstheorien hin und zeigt auf, warum sie für manche Menschen trotzdem attraktiv sind.
2. Warum Gott nicht einfach ein guter Verschwörer ist – Christlicher Glaube im Licht von Verschwörungstheorien (93-121). In diesem Kapitel macht Hahn deutlich, weshalb man den christlichen Glauben nicht als religiös motivierte Verschwörungstheorie verstehen sollte, obwohl Gläubige Gottes unsichtbare, universale Herrschaft behaupten. Außerdem zeigt er auf, warum Christen Verschwörungstheorien generell skeptisch begegnen sollten.
3. Was können wir tun? – Entschwörungstraining und Entschwörungskonzepte (123-173). An dieser Stelle gibt der Autor praktische Hinweise für den Umgang mit Menschen, die an Verschwörungstheorien interessiert sind und für Personen, die sich ideologisch schon weitgehend festgelegt haben. Dabei setzt er vor allem auf emotionales Verständnis und die Korrektur falscher Teilaussagen. Wichtig sei es, den Menschen zu gewinnen und eine Konfrontation möglichst zu vermeiden, weil diese oftmals lediglich zu einer weiteren Festigung der vorliegenden Weltanschauung führt.
Hahn, Andreas: Entschwörung. Was man über Verschwörungstheorien wissen sollte und wie uns der Glaube Orientierung gibt. Holzgerlingen: SCM Hänssler 2022, 204 S. Paperback: 17,00 €. ISBN 978-3775161633
Hilfreich sind bei diesem Buch der, trotz manch überflüssiger Fachbegriffe, flüssige Schreibstil, die zahlreichen praktischen Beispiele und die konkreten Hinweise für die Begegnung mit Verschwörungstheoretikern. Ziemlich problematisch hingegen ist die deutlich zutage tretende weltanschauliche Festlegung des Autors. Obwohl er fordert, Verschwörungstheoretiker ernst zu nehmen, macht er sich unterschwellig über sie lustig (37f). Diese Leute seien in großer Zahl psychisch krank und suchten aufgrund persönlicher Probleme oder mangelnder Bildung nach einfachen Lösungen zur Erklärung der Welt (45, 72f., 84; 156f.). Das sind altbekennte Stereotypen für weltanschauliche Sondergruppen. Hahns Beispiele betreffen vor allem politisch Konservative, Esoteriker und evangelikale Christen, die er für besonders anfällig hält (53f., 60f., 95, 99). Schon allein wer die offizielle Gender- oder Klima-Politik kritisiert, ist für ihn verdächtig (56f.). Aus seinem eigenen kirchlichen Hintergrund oder aus einem politisch linken Milieu finden sich in Hahns Buch fast keine Beispiele für Verschwörungstheorien, obwohl es diese durchaus gibt.
Russlanddeutsche hält Hahn einfach schon deshalb für besonders anfällig Verschwörungstheorien gegenüber, weil sie teilweise dem Staat skeptisch gegenüberstehen und weil sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in Ostwestfalen, wo viele Spätaussiedler zuhause sind, viele Menschen mit Corona infiziert hatten (100f.). Das offenbart weltanschauliche Vorurteile und ist fachlich deutlich zu oberflächlich. Für evangelikale Christen problematisch sind darüber hinaus Hahns Ausführungen zu einem vorgeblich gesunden Christsein, das gegen Verschwörungstheorien helfen soll. Dieses Christsein zeichne sich vor allem durch eine theologische Indifferenz aus, nichts sicher wissen und sagen zu können (101f.; 108f.), sowie durch den Glauben an eine letztlich gute Schöpfung, wobei er den Sündenfall ausblendet.
Für Verschwörungstheorien sind Hahns Meinung zufolge Christen gefährdet, die meinen, Gott würde auch durch Seuchen strafen, obwohl gerade das in der Bibel immer wieder behauptet wird (96f.). Probleme hat der Autor außerdem mit Christen, die von festen Wahrheiten oder einer klaren Zuordnung von Gut und Böse, Richtig und Falsch ausgehen (110f., 115). Diesen Verdächtigungen und Verurteilungen evangelikaler Frömmigkeit gegenüber muss natürlich deutlich widersprochen werden.