Wir wohnen ja in der Schweiz. Nun eine Frage dazu: Was ist weiß und rollt den Berg hinauf? Eine Lawine, die Heimweh hat. Das ist die humorvolle Seite der Lawine. Aus sicherer Entfernung konnte ich auch schon mehrmals Lawinenabgänge beobachten – ein gewaltiges Naturspektakel.
Aber die Lawine hat auch eine zerstörende bis hin zu einer todbringenden Seite. Sie kann scheinbar ganz harmlos beginnen. Durch den Tritt eines Bergsteigers, den Druck eines Ski- oder Snowboardfahrers entsteht ein unscheinbarer, fast nicht bemerkbarer Riss in der obersten Schneeschicht. Dadurch beginnt ein Schneebrett abzurutschen, welches immer mehr Schnee mitreißt und sich zu einer Staublawine entwickeln kann, die durch die vorausgehende Druckwelle und das tonnenschwere Gewicht alles zerstört, was sich ihr in den Weg stellt. Hat der Rutsch erst einmal begonnen, gibt es in vielen Fällen kein Entkommen mehr für Betroffene, die sich in der Nähe des Abgangs aufhalten.
Das Wort Lawine kommt vom lateinischen labina, was so viel wie „rutschen“ und „gleiten“ bedeutet. Es hat seinen Ursprung wohl in der Schweiz und ist von dort aus in die deutsche Sprache eingegangen. Zunächst noch ein harmloses Schneebrett, welches alles ins Rutschen bringt und sich dann zu einer furchtbaren Staublawine entwickeln kann.
Das können wir auf die Entwicklung der ökumenischen Bewegung anwenden. Im ersten Artikel1 habe ich den Ursprung der Weltmissionskonferenzen aufgezeigt. Das Schneebrett der Ökumene rutschte dann zunächst noch für sich, ohne die evangelikale Welt mit sich zu reißen. Es gab in der Vergangenheit klare Distanzierungen, auch wenn der ÖRK seinen Ursprung in der Missionsbewegung hatte. Mit dem Aufkommen der zweiten Welle, der charismatischen Bewegung und der damit zusammenhängenden katholisch-charismatischen Bewegung, wurde das Schneebrett der Ökumene zu einer Staublawine. Dadurch wurden anfangs noch Teile der evangelikalen Bewegung mitgerissen und erfasst. Mit der sogenannten dritten Welle – der Pfingstbewegung – gewann diese geistliche Lawine noch mehr Kraft und riss immer grössere Teile der evangelikalen Welt mit sich. Mit den Nachwirkungen der dritten Welle bzw. der vierten Welle ist inzwischen fast alles irgendwo erfasst und ins Rutschen gekommen.
Paulus warnt in Galater 1 ausdrücklich vor einem anderen Evangelium, wir können auch sagen, einem falschen Evangelium. Selbst wenn dies mit einem Engel vom Himmel scheinbar mit göttlichen Offenbarungen und Manifestationen verbunden sein sollte, ist es doch verderblich. Wie im ersten Artikel zitiert, spricht Paulus in 2. Korinther 11 von einem anderen Evangelium, einem andern Jesus und einem anderen Geist. Damit wir hier nicht mitgerissen werden, benötigen wir eine feste Verwurzelung in Gottes Wort. Nicht die Gefühle und Erlebnisse sind ausschlaggebend, sondern die Wahrheit von Gottes Wort. Geht es um den Jesus, wie wir ihn in der Bibel finden, oder um einen anderen Jesus, der faszinierend erscheint? Statt eines Gefühls- und Erlebnischristentums benötigen wir ein Beröa-Christentum, wie wir es in Apostelgeschichte 17,11 finden:
Diese aber waren edler als die in Thessalonich; sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf und untersuchten täglich die Schriften, ob sich dies so verhielte.
Nur das Wort Gottes kann uns Licht geben im geistlichen Nebel unserer Zeit, der alles einzuhüllen droht.
Nur das Wort Gottes kann uns Licht geben im geistlichen Nebel unserer Zeit, der alles einzuhüllen droht.
Allan Morrison zeigt in seinem Buch «Ökumene – Das Trojanische Pferd in der Gemeinde»2 drei Phasen der Ökumene auf. Dabei geht es nicht um die drei Wellen der Pfingstbewegung, sondern die drei Phasen der Ökumene:
In der ersten Phase wollte man eine echte Einheit unter denen schaffen, die sich auf der ganzen Welt zum Glauben an Jesus Christus bekannten. In der zweiten Phase verlagerte sich die Betonung dahingehend, dass jetzt auch all diejenigen miteingeschlossen wurden, die Mitglieder irgendeiner Denomination oder Religion waren. In der dritten und jüngsten Phase wurde das Konzept der Ökumene zu ihrer letzten Möglichkeit ausgeweitet, nämlich dass jedes menschliche Geschöpf, die ganze Welt in ihrer absoluten, universalen Bedeutung in das Konzept der Kirche einbezogen werden soll. Dabei geht es nicht mehr um die Möglichkeit der allumfassenden Evangeliumsverkündigung. Anders ausgedrückt beschränkt sich die ökumenische Bewegung in Phase eins auf die Gemeinde im Sinn einer weltweiten Bruderschaft christlichen Glaubens. Phase zwei stilisierte sie zu einer weltweiten Bruderschaft religiösen Glaubens, während in Phase drei, fast unbemerkt von der Mehrheit der Christen, eine weltweite Bruderschaft der gesamten Menschheit, unabhängig von religiösen Zugehörigkeiten, betont wird. Daher werden Synkretismus und humanistischer Universalismus in einer Bewegung gefunden, die vorgibt, die christliche Kirche und die Interessen von Christus zu repräsentieren.3
In diesen Zusammenhang passt die Videobotschaft von Papst Franziskus am 6. Januar 2016, in welcher er alle Menschen – ganz gleich welcher Religion – als Kinder Gottes bezeichnete.4 Um die Öffnung der Evangelikalen gegenüber der Ökumene besser zu verstehen, wollen wir uns zuerst noch mit einer einflussreichen Person beschäftigen.
1. Billy Graham und die Ökumene
Im dem Buch «Das verschleuderte Erbe» habe ich darauf hingewiesen, dass es ein Rätsel ist, wie ein Mann, der das Evangelium von Hölle, Gericht und Gnade so deutlich verkündigte, die Nähe zum Papst suchte. Michael Kotsch weist darauf hin, dass Billy Graham zeitlebens in keinen Skandal verwickelt war, im Gegensatz zu anderen bekannten christlichen Leitern in den USA.5 Das ist vorbildlich. Zweifelsohne war Graham auch der letzte große Evangelist mit weltweitem Einfluss.
Auf der anderen Seite steht aber auch Grahams nicht unumstrittenes Verhalten im Zusammenhang mit seinem Besuch in der Sowjetunion und in Begegnungen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Il Sung.
De Semlyen macht darauf aufmerksam, wie schon in den 1950er Jahren sich die Haltung Grahams gegenüber der katholischen Kirche zu verändern begann. Hielt Graham am Anfang seines Reisepredigtdienstes den Katholizismus noch für eine der drei größten Gefahren in der Welt (neben dem Islam und dem Kommunismus), veränderte sich das im Lauf der Jahre. So erhielt er nicht nur große Publicity durch den katholischen Medienfürsten William Randolph Hearst, sondern nahm auch die Ehrendoktorwürde eines jesuitischen Seminars an. Kardinal Cushing sagte schon 1964 in einer Fernsehdiskussion zu Graham:
Sie haben einen großen Beitrag zum ökumenischen Geist geleistet, weil Sie ein Banner für die Tatsache entrollt haben, dass die Christen mehr Gemeinsamkeiten haben als Uneinigkeiten.6
In seiner Autobiographie «So wie ich bin» schreibt Billy Graham von der wochenlangen Evangelisation in Los Angeles 1949. Graham und sein Mitarbeiter Cliff Barrows waren sich nicht sicher, ob sie die Evangelisation abschließen oder weiterführen sollten. Deshalb baten sie Gott um ein Zeichen. Daraufhin erfuhr Graham, dass der oben erwähnte William R. Hearst die Evangelisation in seine Blätter aufgenommen hatte und puschte. Graham ist Hearst wohl selbst nie begegnet und hat auch nicht mit ihm telefoniert.7 Trotzdem dürfte dieses «Zeichen» Auswirkungen auf seine weitere Evangelisationsmethodik im Zusammenhang mit der katholischen Kirche gehabt haben.
Für die Evangelisation 1957 in New York wurde ein unabhängiges Komitee aus Pfarrern und Laien vom Protestantischen Rat von New York gebildet. Nach Grahams eigenen Angaben war es ein Querschnitt der Kirchen und Institutionen in dieser Stadt (a.a.O., S. 287). Es gab von verschiedenen Seiten Widerstand – auch von bekannten protestantischen Fundamentalisten (S. 290). Hier waren warnende Stimmen von einem Teil der bibeltreuen Bewegung. Wegen des Widerstands von katholischer Seite sprang ihm dann Kardinal Cushing zur Seite. Dazu Graham:
Nach einem früheren Treffen hatte er (Kardinal Cushing, Anm. d. Verf.) trocken gegenüber der Presse bemerkt, wenn er ein halbes Dutzend Billy Grahams hätte, würde er sich keine Sorgen um die Zukunft seiner Kirche mehr machen! (a.a.O. S. 289)
New York war wohl eine weitere Station, die Grahams Haltung zur katholischen Kirche im Zeichen der Evangelisation veränderte. In diesem Zusammenhang erwähnt Graham auch das Zweite Vatikanische Konzil und die damit verbundene neue Qualität der Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken.
Nach eigenen Angaben unterstützte Graham Präsident Reagan auch in dessen Anliegen, einen offiziellen Botschafter der USA in den Vatikan zu entsenden (S. 504). Was aber noch verhängnisvoller ist, betrifft die Beziehung von Graham zu Papst Johannes Paul II. Was Graham über seine erste persönliche Begegnung mit ihm schreibt, mutet sehr seltsam an:
Als ich in das päpstliche Quartier geführt wurde, begrüßte mich Johannes Paul II. außerordentlich herzlich. Er war sehr interessiert an unserem Dienst, insbesondere dem in seiner Heimat. Schon nach wenigen Minuten hatte ich das Gefühl, als würden wir uns seit vielen Jahren kennen […] Das kleine Geschenk, das ich ihm mitgebracht hatte – eine Schnitzerei eines Künstlers aus North Carolina von einem Hirten mit seinen Schafen –, machte ihm sichtlich Freude. Gemeinsam erinnerten wir uns an Jesu Worte aus Johannes 10,14+16: «Ich aber bin der gute Hirte und kenne meine Schafe, und sie kennen mich … Zu meiner Herde gehören auch andere Schafe, die jetzt noch in anderen Ställen sind. Auch sie muss ich herführen.» (S. 454)
Graham hatte in Krakau von Kardinal Karol Wojtyla, kurz vor dessen Wahl zum Papst, die Erlaubnis erhalten, in der bekannten Annakirche zu predigen. Über seinen damaligen Polenbesuch macht Graham irritierende Aussagen:
Das christliche Engagement in diesem weitgehend katholischen Land beeindruckte mich. Wir besuchten verschiedene Kirchen und Wahlfahrtsorte, darunter auch Tschenstochau mit der Schwarzen Madonna […] Vom dortigen Abt wurden wir gastfreundlich aufgenommen. Er lud mich ein, doch einmal bei der jährlichen Wallfahrt zu predigen, bei der mehr als eine Million Menschen anwesend sein würden. (S. 449)
Nun hat Graham dieses Angebot nicht wahrgenommen. Aber seine ganze Haltung zeigt, wie weit er sich inzwischen gegenüber der katholischen Kirche geöffnet hatte. Auch bei seiner positiven Haltung zu Mutter Teresa reibt man sich verwundert die Augen (S. 277). Graham bezeichnete den Papst 1981 als den größten moralischen Führer der Welt und den weltweit größten Evangelisten. Auch sehr suspekte Personen wie den Mystiker Frank Laubach und Norman Vincent Peale, welcher für «Die Kraft des positiven Denkens» bekannt wurde, erwähnt Graham positiv.
Obwohl Graham selbst kein Charismatiker war, hatte er doch die Jesus-People-Bewegung stark unterstützt, die zur charismatischen Bewegung gehörte. Von der Jesus-People-Bewegung gibt es wiederum Verbindungen zur katholisch-charismatischen Bewegung. Solche Spuren finden sich im Buch von Johannes Hartl «In meinem Herzen Feuer»8.
Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang die Evangelisations-Initiative AD 2000 gewesen, die einerseits in einer Verbindung zur Lausanner Bewegung für Weltevangelisation stand, andererseits auch zur charismatischen Bewegung, was beispielsweise durch die Rolle von Jugend mit einer Mission in dieser Initiative deutlich wurde. AD 2000 koordinierte ein internationales Netzwerk, mit dem man bis zum Jahr 2000 jeden Menschen mit dem Evangelium erreichen wollte, natürlich über bestehende Abgrenzungen hinweg, beispielsweise zwischen Charismatikern und Nichtcharismatikern. Es ist das evangelikale Gegenstück zum katholischen Programm «Evangelisation 2000». Was hat nun das Ganze mit Billy Graham zu tun?
Billy Graham wird ja als ein Vater der Lausanner Bewegung gesehen. Wolfgang Bühne zeigt in seinem Buch «Die Propheten kommen!» auf, wie sich Graham schon längere Zeit vor AD 2000 für eine Zusammenarbeit mit Katholiken, Charismatikern, Adventisten usw. im Zeichen der Evangelisation einsetzte. Das war mit ein Grund, warum zu Pro Christ 1993 in Deutschland alle Kirchen eingeladen wurden. Interessanterweise verlief diese Entwicklung parallel zur Öffnung der Deutschen Evangelischen Allianz gegenüber den pfingstkirchlichen, charismatischen und katholischen Christen, wenn sie die Glaubensgrundlage der Allianz bewahren.9
Billy Graham hat dazu beigetragen, dass die Skepsis gegenüber dem Papst und der katholischen Kirche unter den Evangelikalen zu schwinden begann.
Wie erwähnt, war Billy Graham einerseits der letzte große Evangelist mit weltweitem Einfluss und einer klaren Verkündigung von Himmel und Hölle. Auf der anderen Seite wurde er ein Türöffner für die Ökumene und gegenüber der katholischen Kirche unter den Evangelikalen, alles im Zeichen der Evangelisation. Graham hat auch zweifelsohne dazu beigetragen, dass die berechtigte Skepsis gegenüber dem Papst unter den Evangelikalen zu schwinden begann.
2. Der ökumenische Turbo der charismatischen Bewegung
Wie im ersten Artikel erwähnt, führte die charismatische Bewegung nicht mehr in erster Linie zu Abspaltungen wie die Pfingstbewegung, sondern begann, sich innerhalb von Kirchen und Freikirchen auszubreiten. Die zweite Welle begann mit dem Anglikaner Dennis Bennett. Dazu gehörte auch der lutherische Pfarrer Larry Christenson. In Deutschland lief diese Welle auch in der evangelischen Kirche weiter, und zwar durch die Geistliche Gemeindeerneuerung, kurz GGE genannt. Die Tagungsstätte Schloss Craheim und Pfarrer Arnold Bittlinger seien in diesem Zusammenhang erwähnt. Ebenso rollte die charismatische Bewegung durch die katholisch-charismatische Erneuerung innerhalb der römischen Kirche wie auch durch einen Teil der Freikirchen (z. B. Baptisten). Der Theologe Hans-Diether Reimer, der als ein Vertreter der bibeltreuen Bewegung einzuordnen ist, hat dennoch gut den Unterschied der pfingstlich-charismatischen Bewegung zum bisherigen Protestantismus gekennzeichnet:
War früher diese Gottesbeziehung im evangelischen Raum vor allem persönlich-existenziell verstanden worden: als Begegnung mit Christus, als Übergabe an ihn, als tiefes Vertrauensverhältnis zu Gott – oder moralisch als Umkehr und Beginn eines besseren Lebens (Jesus-Nachfolge) –, so wird hier Glaube als Erfahrung von Geistwirkung erlebt.10
Die Erfahrung von Wirkungen des Heiligen Geistes rückten verbindend in den Vordergrund und bewirkten die Öffnung der Evangelikalen für die katholisch-charismatische Bewegung.
Diese angebliche Erfahrung und Geisteswirkung überwindet dann auch alle lehrmäßigen und konfessionellen Unterschiede. Natürlich gibt es innerhalb der charismatischen Bewegung auch unterschiedliche Akzente und Aussagen gegenüber der katholischen Kirche. Trotzdem steht die Erfahrung als verbindend im Vordergrund. Nur so kann die Öffnung der Evangelikalen für die Vertreter der katholisch-charismatischen Bewegung erklärt werden. Mit der dritten Welle und den nachfolgenden Bewegungen setzt sich dieser Trend fort.
Selbst Unterschiede im Bibelverständnis treten hinter die angebliche Geisteserfahrung zurück. Nur so ist es möglich, dass sowohl einst Bibeltreue wie auch bibelkritisch Geprägte im Sog dieser Bewegung in dieselbe Richtung schwimmen. Damit machen wir einen Sprung in die Gegenwart und kommen zu einigen Vertretern, die den charismatischen Turbo der ökumenischen Bewegung verkörpern.
a) Tony Palmer (4. Februar 1966 bis 20. Juli 2014)
Tony Palmer wurde in Südafrika geboren, war Charismatiker und mit einer katholischen Italienerin verheiratet. Er kam bei einem Motorradunfall im Juli 2014 ums Leben. Palmer hatte einige Jahre für den Extrem-Pfingstler Kenneth Copeland gearbeitet.11 Er war Bischof einer anglikanischen Gruppierung, wobei nicht klar ist, ob diese zur offiziellen Kirche von England gehört. Palmer war schon seit 2006 mit dem späteren Papst Franziskus befreundet und galt als ein wichtiger Brückenbauer zwischen Evangelikalen und Charismatikern auf der einen Seite und Rom auf der anderen Seite. Thomas Schirrmacher schrieb nach dem Tod Palmers Folgendes:
Ein sehr guter Freund ist völlig überraschend bei einem Unfall gestorben. Eben waren wir noch beim Papst und diskutierten, unter welchen Umständen wir mit dem Papst erneut die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung unterzeichnen könnten, da ist er bei dem Herrn und Erlöser, über den wir die ganze Zeit gesprochen haben. Anthony Palmer war im Herzen ein Missionar, der auf allen Kontinenten wirkte und auf dreien gelebt hat. Er war ein Brückenbauer zwischen den Konfessionen, nahm aber die tiefgreifenden theologischen Unterschiede dabei immer sehr ernst und blieb im Herzen immer ein Evangelikaler, der wahren Glauben nur in der persönlichen Begegnung mit Jesus und einem Leben mit ihm wiederfand. Das war es auch, was ihn mit dem Papst verband. Christliche Leiter in aller Welt werden einen Motor der Ökumene vermissen.12
Nach Schirrmachers Angaben war es Palmer, der ihn in den Freundeskreis des Papstes eingeführt hat (a.a.O. 207). Obwohl Palmer selbst kein Katholik war, wurde er auf Anordnung von Franziskus mit einem katholischen Bischofrequiem beigesetzt. Palmer trat im Februar 2014 bei einer Leiterkonferenz von Pfingstgemeinden in den USA auf, die unter der Leitung von Kenneth Copeland stand. Er überbrachte dort eine Grußbotschaft von Papst Franziskus, die er auf seinem iPhone aufgenommen hatte. In Bezug auf sich selbst sagte Palmer Folgendes:
Ich bin überzeugt davon, dass Gott mich im Geist des Elia zu dieser Konferenz geführt hat. Der Geist des Elia war auf Johannes dem Täufer, um die Herzen der Söhne ihren Vätern zuzuwenden und die Herzen der Söhne den Vätern, um so den Weg des Herrn zu bereiten (…) Der Geist des Elia ist der Geist der Versöhnung, der Geist, der Herzen einander zuwendet. Das ist sehr wichtig. In den ersten 1000 Jahren gab es nur eine Kirche. Nach der Trennung in Ost und West und der Reformation waren es drei Konfessionen. Seitdem sind 33.000 neue Konfessionen entstanden. Ich habe verstanden, dass Verschiedenheit göttlich ist, nur Trennung ist diabolisch.13
Von Demut ist hier bei Palmer nichts zu finden. Und er verwechselt den Geist des Elia offensichtlich mit dem Schwarmgeist der Ökumene. In seiner Videobotschaft, die von Copeland und den Anwesenden begeistert aufgenommen wurde, sagte Franziskus u. a. Folgendes:
Ich will weder Englisch noch Italienisch sprechen, sondern in der Sprache des Herzens, eine einfache und authentische Sprache. […] Es freut mich, dass ich euch einen Gruß senden kann, einen freudigen und sehnsüchtigen Gruß. Freudig, weil ihr euch versammelt, weil ihr Jesus Christus, den einzigen Herrn, loben wollt und weil ihr zum Vater beten und den Geist empfangen wollt […] Sehnsüchtig ist der Gruß, weil es Trennungen unter uns gibt (…) Wir sind getrennt, weil unsere Sünden uns getrennt haben, die Missverständnisse, die Geschichte, eine lange Straße gemeinsamer Sünden, auf der wir alle Schuld tragen. Wir alle sind Sünder (…) Ich habe die Sehnsucht, dass diese Trennung aufhöre und dass die Gemeinschaft entstehe, ich habe Sehnsucht nach der Umarmung […]
Ohne auch nur eine einzige widerbiblische römisch-katholische Lehre zu widerrufen, soll es nach dem Willen von Fransziskus zur Umarmung aller Christen kommen.
Ohne dass auch nur irgendeine widerbiblische Lehre Roms widerrufen wäre, spricht Franziskus einfach von Umarmung. Das entspricht ganz dem verhängnisvollen Motto: «Lehre trennt, Liebe eint.» In Bezug auf die charismatische Bewegung könnte man auch formulieren: «Lehre trennt, Erfahrung eint.» Mit dem Bruder, den wir suchen sollen, bezieht Franziskus sich dann auf die Josef-Geschichte. Die Brüder Josefs fanden in Ägypten ja nicht nur Essen, sondern ihren verlorenen Bruder wieder. Weiter sagt Franszikus:
Wir alle haben Geld: Geld der Kultur, Geld der Geschichten, die ganzen kulturellen und verschiedenen religiösen Reichtümer. Wir müssen uns aber aufmachen, den Bruder zu suchen […] Ich spreche zu euch als Bruder. Ganz einfach spreche ich zu euch, in Freude und Sehnsucht, denn diese beiden treiben uns an, uns zu suchen und zu umarmen und gemeinsam Jesus Christus zu loben, den einzigen Herrn […] Ich bitte euch: Betet für mich. Ich bete für euch, aber ich brauche auch euer Gebet. Geben wir uns geistlich die Umarmung und lassen wir zu, dass der Herr die Arbeit vollendet, die er begonnen hat, und Jesus beginnt kein Wunder, ohne es auch zu beenden, wie ein italienischer Autor sagt. Ich bitte euch, mich zu segnen und ich segne euch. Bruder zu Bruder, eine Umarmung. Danke.»
In einem Kommentar zu diesem Video bezeichnet Tony Palmer Franziskus als das Haupt von Millionen von Christen, der uns einlädt, um zur vollen Gemeinschaft zurückzufinden. Obwohl Palmer es nicht explizit erwähnt, lassen seine ganzen Ausführungen doch darauf schließen, dass er im Papst den verlorengegangenen Bruder Josef sieht, zu dem es gilt zurückzukehren. In meinem ersten Aufsatz habe ich Papst Johannes XXIII. erwähnt, der sich gegenüber den Juden als Josef, ihr Bruder, bezeichnete. Dasselbe sagte Franziskus indirekt gegenüber den Pfingstlern und Evangelikalen.
Thomas Schirrmacher nennt Tony Palmer einen sehr guten Freund und sieht die Tragödie der Ökumene nicht, wenn er diese Sätze über Palmer schreibt:
Er war ein Brückenbauer zwischen den Konfessionen, nahm aber die tiefgreifenden theologischen Unterschiede dabei immer sehr ernst und blieb im Herzen immer ein Evangelikaler, der wahren Glauben nur in der persönlichen Begegnung mit Jesus und einem Leben mit ihm wiederfand.14
b) Johannes Hartl und das Augsburger Gebetshaus
Der katholisch-charismatische Theologe Johannes Hartl wird mehr und mehr zu einem beliebten Sprecher unter den Evangelikalen. Er war schon beim Christustag in Stuttgart, im Forum-Wiedenest, bei verschiedenen Lesungen von SCM, wurde zum extrem charismatischen Gospel Forum nach Stuttgart eingeladen und auch zur Gebetskonferenz von G5Meine Kirche in Eimeldingen. G5Meine Kirche ist eine Gemeinde, die sich zum Bund FEG in Deutschland zählt. Auch auf der Explo 2017, die von Campus für Christus Schweiz in Luzern veranstaltet wurde, war er wieder als Redner eingeladen. Genauso ist er als gefragter Sprecher im katholisch-charismatischen Raum unterwegs.
Anfang Januar fand in mehreren Jahren hintereinander im Gebetshaus Augsburg die von ihm initiierten «Mehr»-Konferenzen statt. Dazu waren auch extreme Charismatiker wie Heidi Baker und andere eingeladen. Im Januar 2018 war Leo Bigger (ICF Zürich) als Sprecher anwesend. Dorthin pilgern immer mehr Jugendliche aus einem weiten Spektrum von Gemeinden aus der evangelikalen Bewegung.
Dass Hartl nach wie vor ein linientreuer katholischer Theologe ist, scheint niemanden zu stören. Es ist die charismatische Erfahrung, die angeblich erlebte Gegenwart Gottes, das Wirken des Heiligen Geistes und Jesus, die quer über alle Konfessionen hinweg vereint. Das Buch von Johannes Hartl «In meinem Herzen Feuer», erschienen bei SCM Brockhaus, kann man in diesem Zusammenhang auch als ein Handbuch der charismatischen Verirrungen und katholischen Mystik bezeichnen. Obwohl er viel von Jesus spricht und immer wieder die Bedeutung von Gottes Wort betont wird, findet sich dort die ganze Palette der katholisch-charismatischen Irrungen. Bei genauem Hinsehen hängen die entscheidenden Weichenstellungen im Leben von Hartl mit Erfahrungen, Erlebnissen, Gefühlen, Bildern und Visionen zusammen. Trotz aller Betonung scheint das Wort Gottes nicht über diesen Dingen zu stehen.
Johannes Hartl hat eine sehr turbulente Jugendzeit hinter sich, in der trotz Aussteigertum und Partys sich auch klare Spuren des Katholizismus finden. So hatte er nach eigenen Angaben bei einer charismatischen Veranstaltung durch Handauflegung ein Erlebnis mit dem Heiligen Geist, welches er dann so beschreibt, dass Gott ihn an diesem Abend geküsst hätte – eine Formulierung, die er noch oft für seine mystischen Gotteserfahrungen gebraucht. Dabei geht es um das Umspültsein von der größten Liebe, die er je gefühlt hat.15 Seine Entscheidung, Jesus nachzufolgen, hat er erst ein halbes Jahr nach diesem Erlebnis getroffen (a.a.O. S. 20). Schon das kann von der Bibel her nicht stimmen. Zuerst eine Art Geistestaufe und erst danach die Entscheidung für Jesus. Die Versiegelung mit dem Heiligen Geist ist nach Epheser 1,13 untrennbar mit der Bekehrung eines Menschen verbunden.
Johannes Hartl schätzt eine mystische Gebetsform der Versenkung, bei der das Wollen ausgeschaltet wird.
Johannes Hartl kann in seinem Buch dankbar eine ganze Palette von katholischen Mystikern zitieren. Das reicht von Ignatius von Loyola, dem Gründer der Jesuiten, über Thérèse von Lisieux, Johannes vom Kreuz bis hin zu Teresa von Ávila. Von daher verwundert es nicht, dass das kontemplative Gebet bei Hartl eine große Wertschätzung hat. Es geht um ein Gebet der Selbstversenkung, bei welchem das aktive Wollen ausgeschaltet wird und dadurch angeblich der Verstand und das Herz, das ganze Sein, für Gott geöffnet werden sollen. Diese mystische Gebetsform hat sehr viel mit fernöstlichen Meditationspraktiken gemein und steht im Gegensatz zu dem, was uns die Bibel über Nüchternheit, Wachsamkeit und eine aktive Einbeziehung des Willens und des Verstehens sagt.
So erlebte Hartl auch eine verändernde Erfahrung, als er nachts stundenlang in einer Kapelle vor einer Monstranz betete, in der nach katholischer Auffassung der Leib Christi in Form der gewandelten Brothostie aufbewahrt wird. Er wurde dort angeblich von dem Ozean der Liebe Gottes gepackt. An anderer Stelle ist es wieder der Lobpreis, der zu Erfahrungen führt. Interessanterweise stößt man bei seiner Begegnung mit der Mystikerin Barbara Busowietz und dem damit in Verbindung stehenden katholischen Pfarrer Gustav Krämer auf die Spuren der Jesus-People-Bewegung und der Querverbindung zur katholisch-charismatischen Bewegung (a.a.O. S. 46-47).
Hartl spricht auch von seinen Berührungen mit der Vineyard-Gemeinde in Toronto, der Charismatikerin Heidi Baker und anderen, ohne dass er sich selbst vom Katholizismus und dessen unbiblischen Lehren distanziert hätte. So finden sich in diesem Buch auch viele charismatische Erfahrungen von Zeichen und Wundern über angebliche Totenauferweckungen, innere Bilder, Visionen, Ruhen im Geist u. a. Damit wird einmal mehr der charismatische Turbo der Ökumene deutlich. Durch sein Buch wird ebenfalls sichtbar, welch treibende Kraft der Lobpreis und die Worship-Bewegung der Charismatiker in diesem ganzen Prozess sind, mit der damit verbundenen gefühls- und erfahrungsbetonten Ausrichtung.
Zur Gründung des Augsburger Gebetshauses kam es durch einen Besuch in Kansas City im IHOP (International House of Prayer), welches durch Mike Bickle gegründet wurde. Mike Bickle ist einer der führenden Köpfe der Kansas-Propheten-Bewegung, die der dritten bzw. vierten charismatischen Welle entstammten. Er hatte angeblich 1982 Gottes Stimme gehört, die zu ihm sagte:
Ich, der Herr, will das Aussehen und das Verständnis des Christentums in einer Generation auf der ganzen Welt verändern.16
Bickle vertritt unter anderem ein „Braut-Paradigma“, welches auf einer sehr allegorischen Auslegung des Hoheliedes beruht. Er sieht die sinnliche Beziehung zwischen Mann und Frau als Vorbild für eine „Intimität mit Jesus“. In seinem Paradigma vertritt er die Auffassung, dass nur diejenigen Christen, die ihren Bräutigam Jesus leidenschaftlich anbeten, in der rechten Nachfolge stehen, Zugang zu ihrem Erlöser haben und über geistliche Vollmacht verfügen können.17 Zwischen Bickles erotisierendem Mystizismus und Hartls Ansichten gibt es gewisse Parallelen. Hartl spricht auch allegorisch davon, „von Gott geküsst zu werden“.
Am 19. September 1999 wurde das IHOP in Kansas gegründet, welches das Vorbild der aktuellen Gebetshausbewegung ist. Seither wird dort eine ununterbrochene Anbetungs- und Fürbitteversammlung durchgeführt, die bis heute anhält. Man spricht vom Gebet 24/7.
Johannes Hartl erkannte den Auftrag zur Gründung des Gebetshauses in Augsburg durch ein inneres Bild und eine Vision.
In Kansas bekam also Johannes Hartl den Auftrag durch ein inneres Bild eines gewissen Andy, das Gebetshaus zu beginnen. Das Ganze war noch später mit einem inneren Film, einer Vision von Hartl verbunden.18 Was das Gebetshaus in Augsburg betrifft, schreibt Hartl Folgendes:
Bereits im Dezember 2005 haben mehrere im Gebet den Eindruck, Augsburg sei die richtige Stadt für das Gebetshaus. Mich bewegt besonders ihre ökumenische Bedeutung. Hier hatte Luther sich vor Kardinal Cajetan zu verantworten, hier geschah der eigentliche Bruch zwischen der lutherischen Bewegung und Rom. Doch wurden hier auch die ersten Religionsfrieden geschlossen und 1999 sogar die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung unterschrieben. Augsburg scheint also ein bedeutsames geistliches Erbe – im Schmerzvollen und im Herrlichen – zu haben. Dass Augsburg zuvor auch schon die Weltfinanzmetropole war, erfahre ich erst später.
Zunächst nehme ich mit dem Bistum Kontakt auf und frage an, ob wir erwünscht seien. Die Pfarrgemeinde Zwölf Apostel in Augsburg Hochzoll wird uns als idealer Punkt des Anschlusses genannt, und es wird uns signalisiert, dass wir willkommen sind. (a.a.O. S. 94)
Es gibt keine Erwähnung der grundlegenden Glaubensfragen, um die in der Reformation gerungen wurde. Kein Satz zu den widerbiblischen Lehren Roms. Stattdessen spricht Johannes Hartl von der ökumenischen Bedeutung Augsburgs und dem schmerzvollen und herrlichen Erbe. Als ob man sich nur aufgrund eines Streits über Kirchenfenster getrennt hätte und sich nun wieder versöhnt, weil man ja im Prinzip dasselbe meint.
Die Gebetshausbewegung ist von einer kommenden großen Erweckung im Zeichen der Einheit überzeugt, genauso wie das IHOP in Kansas. Die Bibel spricht dagegen am Ende vom großen Abfall und der Verführung (vgl. Mt 24, 2.Thess 2 u. a.).
Was persönlich beschämt und hinterfragt, ist die ungeheure Hingabe, mit welcher Johannes Hartl seine Arbeit wahrnimmt und vorantreibt. Das ändert aber nichts daran, dass Hartl zum charismatischen Turbo der ökumenischen Bewegung gehört.
c) Andreas Boppart
Andreas Boppart, «Boppi» genannt, kommt ursprünglich aus Grabs im Rheintal. Er war Mitbegründer des Gospelhauses Buchs und ist seit 2013 Leiter von Campus für Christus Schweiz.
«Boppi» war genauso wie Hartl schon als Sprecher zum Christustag in Stuttgart eingeladen. Auf dem Aidlinger Pfingstjugendtreffen trat er 2012, 2014 und 2017 als Referent auf. Von ihm gibt es ebenfalls Querverbindungen zum ICF. In einem Artikel der NZZ wird er als Event-Prediger bezeichnet und erwähnt, dass er auch in der katholischen und der reformierten Kirche das Wort Gottes verkündigt.19 Auch bei ihm geht es wieder um Erweckung und weltweite geistliche Bewegungen. Campus für Christus Schweiz veranstaltet außerdem alle paar Jahre die Explo, welche über den Jahreswechsel 2017/18 in Luzern stattfand. Als Hauptredner war unter anderen Johannes Hartl dazu eingeladen.
Padre Raniero Cantalamessa war als Redner an der Explo 2015. Cantalamessa ist seit 1980 Hofprediger des Papstes im Vatikan und hat nach eigenen Angaben seine Bekehrung 1977 bei einer pfingstlich-charismatischen Veranstaltung in Kansas erlebt. Er spricht von einer Geistestaufe. Das war ihm scheinbar kein Hindernis, auch schon unter dem glühenden Marienverehrer Johannes Paul II. als Hofprediger tätig zu sein. Padre Cantalamessa verfügt über eine sehr freundliche und sympathische Erscheinung.
Seit einigen Jahren verbindet Boppart eine Freundschaft mit Cantalamessa. Das führte zu einem Papstbesuch von Boppart im März 2016. Dazu schrieb «Boppi» auf seiner Facebook-Seite:
Ich hatte das Vorrecht, als Gast von Padre Raniero Cantalamessa dabei zu sein, als er die Predigt vor der Kurie und dem Papst zum Thema Einheit hielt. Dabei sprach Raniero weder von einer alles verschmelzenden noch von einer «Alle müssen katholisch werden» Einheit, sondern einer Einheit um Christus allein! Es geht weder um Institutionen noch um Kirche, sondern um den Wunsch von Christus selbst, den er in Joh 17,21 gebetet hat: Dass wir alle eins sind, damit die Welt «erkennt» und «glaubt»! Eine Einheit, die nur durch Christus und um Christus allein zu finden ist! Unterschiedliche Meinungen werden bleiben, aber nach den «Glaubenskriegen» der letzten Jahrhunderte ist sein Statement ein gewaltiger und wohltuender Weckruf: «Der Krieg ist vorbei!» Versöhnung und Miteinander zwischen Christen mit verschiedenem Hintergrund sind nötig und möglich, denn «am Kreuz riss Jesus die trennende Wand der Feindschaft nieder […]. Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater» (vgl. Eph 2,14+18). «Wir dürfen nicht versäumen, diesen Zugang auch zu nutzen; für die Freude des Herzens Christi und für das Wohl der Welt», ist das Schluss-Statement von Raniero. Ihr Lieben: Der Krieg ist vorbei, auch wenn das vielleicht noch nicht alle mitbekommen haben. Dieser Krieg ist vorbei!20
Andreas Boppart spricht von Einheit, ohne mit einem Wort auf die grundlegenden Unterschiede in den Glaubensfragen zwischen evangelisch und katholisch einzugehen.
Kein Wort von den ganzen grundlegenden Unterschieden in den Glaubensfragen, wie wir sie bisher durch die ganze Geschichte zwischen evangelisch und katholisch gesehen haben. Dass in Epheser 2,14.18 von Juden- und Heidenchristen die Rede ist, übergeht «Boppi» galant und wendet die Stelle mit der niedergerissenen Trennwand einfach im ökumenischen Sinn an.
Bei einer Bibelarbeit unter dem Thema „Shine“ beim Pfingstjugendtreffen 2017 in Aidlingen kam dann Folgendes. Ich zitiere aus der Abschrift der Predigt von Boppart:
Jesus sucht nach Menschen, die neu sagen: «Ich bin bereit, dass Du durch mich scheinen kannst.» Und das macht er im Moment in einer neuen Dimension, wie man‘s schon lang nicht mehr – schon Jahrzehnte wahrscheinlich – nicht mehr gesehen hat. An ganz vielen Orten der Erde in ganz unterschiedlichen Kirchen stehen Menschen auf und sagen: «Ich will ganz neu ein Licht sein für diesen Christus.» Ich durfte grad gestern im Vatikan sein in Rom und hab einen Freund von mir getroffen, das ist der Padre Raniero Cantalamessa. Nur schon der Name ist ein Lied, oder? Und das ist ein ganz spezieller Mann, ein unglaublich bescheidener Mann. Ein Mann, der Jesus liebt, wie ich ganz selten Menschen getroffen habe. Ein Mann, der aus der Kraft des Heiligen Geistes heraus lebt und der Jesus um jeden Preis nachfolgen will. Und ein Mann, der dafür kämpft, dass Christen aufhören sich zu bekämpfen. Und dieser Mann ist seit 37 Jahren der offizielle Prediger vom Vatikan, der Hofprediger vom Papst. Er predigt zum Papst und all den Menschen da vom Vatikan. Und ich war gestern da, hab ihn getroffen und hab ihm gesagt, ich bin morgen in Aidlingen mit 10 000 oder 8000 jungen Menschen. Und dann, dann beginnt er fast zu weinen, weil er eine solche Leidenschaft für junge Menschen hat. Und ich hab ihn gefragt: «Raniero, was möchtest du diesen Menschen sagen?» Ich hab was mitgebracht, ja. Ich hab ein kleines Video mitgebracht, 40, 50 Sekunden. Das ist Padre Raniero Cantalamessa, der spricht sonst zu Hunderttausenden über TV und überall auf der ganzen Welt und hat extra für euch einfach eine kurze Botschaft aufgenommen:
«Vater Raniero, danke vielmals für Ihre Zeit. Nur kurz eine Frage. Es sind viele Jugendliche hier, die dieses Video schauen. Wie können sie ein Licht sein für Jesus, wie können sie scheinen in ihrem Leben?» (Cantalamessa): «Sie sollten nur Jesus die Erlaubnis geben, durch sie zu scheinen. Bitte, gebt Jesus die Erlaubnis, zu scheinen durch eure Augen, durch euer Gesicht. Manchmal, wenn ich im Fernsehen gesprochen habe, haben die Menschen gesagt, dass sie mehr beeindruckt waren von meinem Lächeln, als von dem, was ich gesagt habe. Wenn der Herr das mit einem alten Gesicht mit Bart tun kann, stell dir vor, was der Herr mit dem Gesicht von so vielen jungen Leuten tun kann. Lasst die Freude am Evangelium in euren Augen sichtbar sein.»21
Vom Kern des Evangeliums, der einzigartigen Kraft von Gottes Wort und der Bedeutung des Kreuzes ist hier keine Rede. Es ist ein Teil der katholisch-mystischen Art, dass Gott wieder da ist, um den Menschen groß zu machen, der dann als strahlendes Gesicht auftritt. Padre Cantalamessa war also auf der Explo 2015 in Luzern, 2017 auf der «Mehr»-Konferenz von Johannes Hartl in Augsburg und dann ebenfalls durch einen kurzen Gruß-Videoclip auf dem Aidlinger Pfingstjugendtreffen 2017 präsent.
Hier werden die Verflechtungen und der charismatische Turbo der ökumenischen Bewegung offensichtlich. Wie sehr Boppart von einem kontemplativ-mystischen Gebetsverständnis geprägt ist, wurde durch einen «ideaSpektrum»-Bericht vom Gemeindefestival Spring im Frühjahr 2017 deutlich. Dort war über Bopparts Vortrag Folgendes zu lesen:
Vielen Christen fehlt das Bewusstsein für die Bedeutung der Stille […] Die Stimme des Heiligen Geistes sei aber oft nur in der Stille zu vernehmen. Er spreche ebenso durch Gedanken, Ideen und Gefühle. Die Bibel lehre, dass Christen «der Tempel sind, in dem der Geist Gottes wohnt» (1.Korinther 3,16). Deshalb dürften sie «lernen, in sich hineinzuhorchen».22
Boppart reißt die Bibelstelle über den Körper als Tempel des Heiligen Geistes völlig aus ihrem Zusammenhang heraus und füllt sie dann mit mystischen Elementen.
d) Komm, Heiliger Geist 2017
Unter diesem Motto fanden vom 18. bis 21. Juni 2017 Studientage an der katholischen Fakultät der Universität Fribourg statt. Das Ganze stand unter dem Thema «Theologie im Dialog». Als Redner waren unter anderen der Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Schönborn, und der anglikanische Theologieprofessor N. T. Wright eingeladen. Wright ist ja der Verfechter der Neuen Paulus-Perspektive.
Veranstalter war das Studienzentrum für Glauben und Gesellschaft, Institut für Ökumenische Studien (ISO). Als Mitveranstalter traten die Theologische Fakultät der Universität Fribourg auf, das IGW Zürich, das Theologische Seminar St. Chrischona, das Theologische Seminar Bienenberg und die Schweizerische Evangelische Allianz und andere.
Im Rahmen dieser Veranstaltung fand auch ein Gebetsgottesdienst statt. Auf dem Einladungsflyer für diesen Gottesdienst war zu lesen:
Komm, Heiliger Geist! – dieses uralte Gebet der Kirche drückt unsere Bedürftigkeit nach dem Heiligen Geist aus, der letztlich jedes Individuum, die Kirche sowie das Antlitz der Erde erneuern will (Ps. 104,30).
Als Christinnen und Christen aller Traditionen wollen wir in diesem Reformationsgedenkjahr gemeinsam in dieses Gebet um eine (Neu-)Ausgiessung des Heiligen Geistes einstimmen. Wir laden euch ein, für die Erneuerung der Kirche zu beten und am 20. Juni 2017 um 19.00 Uhr in der Kathedrale von Fribourg mit uns gemeinsam diesen Gottesdienst zu feiern.
Der ökumenische Gottesdienst wurde u. a. von Andreas Boppart von Campus für Christus, Max Schläpfer, dem Präsidenten der VFG Freikirchen Schweiz, sowie Wilf Gasser, dem Präsidenten der Schweizerischen Evangelischen Allianz, getragen. Daneben natürlich auch katholische Vertreter sowie von der reformierten Landeskirche.
Fazit
Es nimmt einem fast den Atem, in welchem Tempo der ökumenische Prozess voranschreitet. Praktisch an allen Stellen sind die Spuren des charismatischen Turbos sichtbar.
Doch die Worte aus Galater 1 mahnen uns: „Wenn aber auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium entgegen dem verkündigten, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: Er sei verflucht! Wie wir früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt entgegen dem, was ihr empfangen habt: Er sei verflucht!“ Paulus musste um die Galater ringen, die sich so schnell abbringen ließen von der Gnade Christi und sich einem anderen Evangelium zugewandt hatten. Durch Jahrhunderte hindurch war dieses Ringen um das wahre Evangelium ein Markenzeichen der evangelischen und evangelikalen Bewegung.
Die Tragik wird darin sichtbar, dass der Schulterschluss mit der römisch-katholischen Kirche im Zeichen von Einheit, Liebe und geistlicher Erneuerung immer stärker wird, ohne dass diese sich jemals von ihrem „anderen Evangelium“ distanziert hätte.
Und nun sehen wir diese Tragik, wie der Schulterschluss mit der katholischen Kirche im Zeichen von Einheit, Liebe und geistlicher Erneuerung immer größer wird, ohne dass diese sich jemals von ihrem anderen Evangelium distanziert hätte.
Es benötigt die Kraft der Gnade Gottes, unsere persönliche Abhängigkeit von Christus und die tiefe Verwurzelung in seinem Wort, dass wir uns nicht von diesem verhängnisvollen Sog mitreissen lassen. Ich schließe mit einem Wort aus 1.Thessalonicher 5,23–24:
Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und vollständig möge euer Geist und Seele und Leib untadelig bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus! Treu ist, der euch beruft; er wird es auch tun.
Der erste Artikel ist erschienen in Heft 3/2018. ↩
Allan Morrison, Ökumene – Das Trojanische Pferd in der Gemeinde, CV Dillenburg ↩
Ebd. S. 11-12. ↩
https://bibelbund.de/2016/03/urbi-et-orbi-franziskus-als-papst-aller-religionen/ ↩
vgl. Michael Kotsch, Helden des Glaubens – Band 1, S. 388 ↩
A. a. O., S. 179–180 ↩
vgl. Billy Graham, So wie ich bin, S. 171 ↩
Johannes Hartl, In meinem Herzen Feuer, S. 47. ↩
vgl. W. Bühne, Die Propheten kommen!, S. 163. ↩
H.-D. Reimer, Wenn der Geist in der Kirche wirken will, S. 15. ↩
http://www.katholisches.info/2014/08/privilegien-fuer-papst-freunde-bischofsrequiem-fuer-evangelikalen-bischof-tony-palmer/ ↩
Th. Schirrmacher; Kaffeepausen mit dem Papst, S. 210 ↩
http://de.radiovaticana.va/storico/2014/03/02/zungenrede_und_iphone-botschaft_des_papstes_die_%C3%B6kumene_von_seiten/ted-777899 ↩
Th. Schirrmacher; Kaffeepausen mit dem Papst, S. 210 ↩
J. Hartl, In meinem Herzen Feuer, S. 18–19. ↩
Die Propheten kommen!, a. a. O., S. 20. ↩
G. Walter, Evangelikale und die Mystik, S. 42. ↩
In meinem Herzen Feuer, a. a. O., S. 93–95. ↩
https://www.nzz.ch/panorama/der-stoerprediger-1.18252081 ↩
https://www.facebook.com/boppi.ch/photos/a.449369762040.241249.97922567040/10153334861697041/?type=3 ↩
https://www.jugendtreffen-aidlingen.de/archiv/predigten/307 ↩
http://www.idea.de/glaube/detail/evangelist-boppart-stille-ist-fuer-christen-wichtig-100692.html ↩