Am 25. Mai 2019 warnte der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, Juden in Deutschland davor, sich in der Öffentlichkeit mit Kippa zu zeigen: „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit und überall in Deutschland die Kippa zu tragen.“ Unter anderem gingen derzeit vermehrt Übergriffe von islamischen Gruppen aus. Muslime schauten oft arabische Sender, „in denen ein fatales und vollkommen einseitiges Bild von Israel und Juden vermittelt wird“, so der Politiker. Klein begründete die Entwicklung auch mit einer „zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung“1.
Es ist zutiefst erschreckend, dass im Land des Holocausts Juden empfohlen wird, sich in der Öffentlichkeit nicht als Juden zu erkennen zu geben, um keinen Angriffen ausgesetzt zu werden. Doch leider schüren gegenwärtig vor allem Rechtsradikale, Linksextremisten und arabische Muslime den Hass auf Juden. In persönlichen Gesprächen und auf sozialen Netzwerken werden Schmähungen und offensichtliche Falschmeldungen weitergegeben, die eine Diffamierung von Juden zum Ziel haben, und offene Ohren finden.
Als Folge einer in Europa massiv zunehmenden Judenfeindschaft wurden beispielsweise 2018 in Frankreich 70% mehr antisemitische Delikte registriert. Im vergangenen Jahr gab es dort nach offiziellen Angaben 311 eindeutig judenfeindliche Straftaten.2 Auch als Reaktion sind in den vergangenen fünf Jahren rund 30 000 französische Juden nach Israel ausgewandert. Probleme mit dem Antisemitismus gestand jüngst auch der französische Premierminister Édouard Philippe ein. Demnach gäbe es in Frankreich eine bisher unbekannte „gewaltsame und brutale Form der Judenfeindschaft“. „Wir sind sehr weit davon entfernt, mit dem Antisemitismus abgeschlossen zu haben.“3
Regelmäßig werden jüdische Schulkinder in Frankreich mit Worten und Taten angegriffen, bzw. gefährdet. 2017 wurde die jüdische Rentnerin Sarah Halimi in Paris von einem Nachbarn misshandelt und dann vom Balkon geworfen. Der Mann habe die Jüdin als „Sheitan“ (Teufel) bezeichnet und auf Arabisch „Gott ist groß“ gerufen, berichteten Augenzeugen.4
Bei dem überregional bekannten Karnevalsumzug in der belgischen Stadt Aalst waren 2019 auf einem Wagen Figuren orthodoxer Juden – mit Hakennasen und Beuteln voll Geld zu ihren Füßen – zu sehen. Ganz ähnliche klischeehafte Darstellungen waren schon in der Zeit des Nationalsozialismus gang und gäbe. „Schockierend“ nannte der niederländische Oberrabbiner Binyomin Jacobs diese Präsentation. Das erinnere ihn an „typische, antisemitische Karikaturen aus dem Jahr 1939“. Schon 2013 marschierten in der belgischen Stadt als SS-Soldaten verkleidete Karnevalisten neben einem als Viehwagon dekorierten Wagen, ähnlich solchen, in denen Juden ehemals zu Konzentrationslagern transportiert wurden.
Die tragische Realität nationalistischer Judenfeindschaft ist in Deutschland hinlänglich bekannt. Doch auch in spezifisch linken Kreisen wird ein fataler Antisemitismus gepflegt, der „die Juden“ und Israel pauschal für alle Gewalt im Nahen Osten verantwortlich macht und dabei tausende islamische Terroranschläge einfach ausblendet. Momentan zeigt sich dieser linke Antisemitismus beispielsweise in öffentlichen Boykott- Aufrufen gegen Waren, Dienstleistungen, Künstler und Wissenschaftler aus Israel (BDS-Bewegung / Boycott, Divestment, Sanctions). Eine beängstigende Parallele zur Forderung der nationalsozialistischen „Kauft nicht bei Juden!“ – Kampagne liegt auf der Hand. Zumeist einseitig aus der arabischen Welt übernommene Stellungnahmen vergiften zunehmend den Blick vieler Deutscher auf Juden und auf Israel. Häufig finden sich in den verbreiteten Behauptungen auffällige Bezüge zu verschwörungstheoretischen Behauptungen früherer Nazi-Propaganda. Nur unter großen Vorbehalten konnten sich linke Abgeordnete des Deutschen Bundestages im Mai 2019 zu einer Verurteilung antisemitischer Boykottaufrufe gegen in Israel produzierte Waren entschließen.5
Der politisch linke Antisemitismus hat in Deutschland allerdings schon eine längere Tradition. Eine aktuelle Ausstellung in der Frankfurter Anne-Frank-Bildungsstätte hat sich ein Zitat von Jean Améry zum Motto genommen: „Fest steht: der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wieder salonfähig geworden.“ Die Ausstellung dokumentiert den politisch verkappten Antisemitismus der linksgerichteten Studentenbewegung von 1968. „Die Juden“ diffamierte man nach der Gründung des Staates Israels pauschal als „Faschisten“ im Dienst des „amerikanischen Kapitals“. Linke Studenten verübten deshalb 1969 einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus von Berlin und ähnliche Einrichtungen. In der linksorientierten Frankfurter Hausbesetzer-Szene der frühen 1970er Jahre polemisierte man regelmäßig gegen die vorgeblich „jüdischen Spekulanten“. 1975 griff Rainer Werner Fassbinder in seinem Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ dieses antijüdische Klischee auf, indem er einen Immobilienmakler als „den reichen Juden“ auftreten ließ.6
Die in Deutschland lebende, säkulare Jüdin Margarita Junowitsch äußerte kürzlich: „Vor unterschwelligem Antisemitismus habe ich mehr Angst als vor den Rechtsradikalen.“ Zunehmend werden Juden auch in Deutschland beschimpft und diffamiert, wenn sie öffentlich in Erscheinung treten. Sachlich vollkommen unzutreffend wird das Judentum mit der aktuellen Politik des Staates Israel gleichgesetzt.7
Wie schon zu Zeiten des Nationalsozialismus werden Juden wieder bestimmte körperliche Stereotype, wie die vorgeblich typische Hakennase, zugesprochen. Außerdem sollen Juden demnach ausnehmend intelligent, machtgierig, rücksichtslos und reich sein. Insgeheim würden Juden sowohl die Wirtschaft als auch die Weltpolitik steuern; wie es schon in den zu Propagandazwecken um 1903 frei erfundenen Protokollen der Weisen von Zion hieß. Diese Protokolle schildern eine vorgeblich geheime Zusammenkunft von Vertretern des „internationalen Judentums“ zur „jüdischen Weltverschwörung“. Führende Juden hätten demnach darüber beraten, wie sie die Herrschaft über die Menschheit erlangen wollten – nämlich indem sie nach und nach die Kontrolle über Wirtschaft, Finanzen, Medien und Kultur übernähmen. Obwohl die Fälschung dieses Propagandatextes schon 1923 eindeutig nachgewiesen werden konnte, wird das Pamphlet bis heute in der arabischen Welt nachgedruckt und verbreitet. Über arabische Zuwanderer kommen die Protokolle der Weisen von Zion und ähnliche antisemitische Hetzschriften derzeit wieder zurück nach Deutschland und entwickeln ihre zerstörerische Potenz.8
Der amtierende Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (geb. 1935) hat in der Vergangenheit immer wieder öffentlich geäußert, der Holocaust sei „nicht so schlimm gewesen“ wie oft behauptet. Die Zahl der Opfer sei von Juden massiv aufgebauscht worden, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Die Juden seien aufgrund vorgeblich „unsozialen Verhaltens“ mitschuldig an ihrer Verfolgung im Nationalsozialismus. Bereits in seiner Doktorarbeit von 1982 hatte der heutige Palästinenserpräsident die Auflösung des Staates Israel gefordert. Außerdem spekuliert er hier über eine vorgeblich enge Verflechtung zwischen Nationalsozialismus und jüdischem Zionismus, ohne diese Behauptungen allerdings belegen zu können. Zionisten hätten Hitler damals sogar ermutigt, Juden noch konsequenter zu verfolgen, um sie dadurch zur Auswanderung nach Israel zu bewegen. Auch behauptet Abbas, nie in der ganzen Geschichte hätten Juden im Nahen Osten gelebt. Alle archäologischen Funde, die auf eine historische Existenz eines jüdischen Staates hinweisen, seien von Zionisten gefälscht worden.9 Der Antisemitismus des Palästinenserführers hat schon eine lange Geschichte. Bereits 1972 war Abbas mitbeteiligt am Terroranschlag gegen das israelische Olympiateam, bei dem 11 jüdische Sportler ermordet wurden. Bei den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern in Camp David (Sommer 2000) lehnte Abbas im Gegensatz zu Jassir Arafat (1929-2004) jede Einigung über einen eigenen Palästinenserstaat rundheraus ab. Seiner Auffassung nach gäbe es nur ein Verhandlungsziel, die Auflösung des Staates Israel und die Vertreibung aller Juden: „Arafat war in Camp David viel nachgiebiger als ich. Ich fühle keinerlei Bedauern. Was wir taten, war richtig.“ Nach Arafats Aussage ging es Abbas darum, Israel schrittweise politisch und militärisch „zurückzuerobern“.10
Während des sogenannten „Al-Quds-Tages“ rufen jährlich überwiegend arabische Demonstranten in Berlin zur Vertreibung aller Juden aus Israel auf. Auch in diesem Jahr (1.6.2019) zogen wieder rund 2000 Demonstranten quer durch Berlin und diffamierten Juden pauschal als „Mörder“ und „Ausbeuter“. In Parolen, die denen der Nationalsozialisten gleichen, werden offen Hass und Vorurteile gegen die in Deutschland lebenden Juden und gegen den Staat Israel geschürt. Organisatorisch und ideologisch unterstützt wird diese antijüdische Demonstration durch islamistisch-extremistische Gruppen vor allem aus dem Iran.
Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner, äußerte sich jüngst sehr besorgt über die kontinuierliche Zunahme des Antisemitismus in der Region. Die Zahl der in Europa lebenden Juden sei in den vergangenen zehn Jahren deutlich von rund 2 auf 1,6 Millionen Menschen zurückgegangen. Seit 2012 wird in einem als politische Diskussion verschleierten Antisemitismus beispielsweise massiv Stimmung gegen die jüdische Beschneidung und die jüdische Schlachtpraxis (schächten) gemacht11, während diese bei Muslimen genauso üblich ist, aber meist stillschweigend toleriert wird.
Verantwortliche Bürger können einem zunehmenden Antisemitismus nicht tatenlos zusehen. Wahrheitsliebende Menschen müssen bei grob verzerrter und verschwörungstheoretischer Propaganda gegen Juden hörbar Einspruch erheben. Christen sind verpflichtet, für Gerechtigkeit einzutreten und keinerlei Judenhass zu tolerieren, selbst wenn sie politische Entscheidungen des Staates Israel nicht gutheißen. Antisemitismus ist immer auch ein Zeichen der Feindschaft des Menschen gegen Gott, weil es dem Menschen schwerfällt, zu akzeptieren, dass Gott sich ein Volk erwählt hat, um das Heil durch seinen Sohn in die Welt zu bringen.
„Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat.“ (Römer 11,2)
Vgl. Regierung warnt vor Tragen der Kippa, Tageschau 25.5.2019, https://www.tagesschau.de/inland/antisemitismus-kippa-101.html. ↩
Vgl. Fast 70 Prozent mehr antisemitische Übergriffe, FAZ 9.11.2018, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/antisemitismus-in-frankreich-fast-70-prozent-mehr-uebergriffe-15882247.html. ↩
Vgl. Sebastian Kunigkeit: Neuer, brutaler Antisemitismus alarmiert jüdische Gemeinden, Berliner Zeitung 19.2.2018, https://www.berliner-zeitung.de/politik/frankreich-neuer–brutaler-antisemitismus-alarmiert-juedische-gemeinden-29726110. ↩
Vgl. Stefan Brändle, Tagblatt 28.3.2018, https://www.tagblatt.ch/international/frankreich-mord-an-einer-juedin-in-paris-der-antisemitismus-grassiert-in-den-banlieues-ld.928232. ↩
Vgl. Zähneknirschend einig, Tagesschau, 17.5,2019, https://www.tagesschau.de/inland/antisemitismus-bundestag-101.html. ↩
Vgl. Helmut Mayer: Fatale Kippfiguren, FAZ 28.3.2019, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/frankfurter-ausstellung-ueber-antisemitismus-von-links-16108814.html. ↩
Vgl. Laura Cwiertnia u.a.: Wie antisemitisch ist Deutschland?, ZEIT online 31.1.2018, https://www.zeit.de/2018/06/antisemitismus-deutschland-juden-berichte/seite-5. ↩
Vgl. Wolfgang Benz: Die mächtigste aller Lügen, ZEIT online 22.8.2017, https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/03/protokolle-weisen-zion-antisemitismus-faelschung. ↩
Vgl. Abbas gibt Juden Schuld am Holocaust, SPIEGEL online 1.5.2018, https://www.spiegel.de/politik/ausland/mahmoud-abbas-gibt-juden-schuld-am-holocaust-a-1205676.html. ↩
Vgl. Wer ist Abbas wirklich?, Cicero, https://www.cicero.de/weltb%C3%BChne/wer-ist-abbas-wirklich/36947, abgerufen 30.5.2019. ↩
Vgl. Carlotta Roch: „Antisemitismus ist wieder salonfähig geworden“, FAZ 13.5.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/oberrabbiner-goldschmidt-antisemitismus-wieder-salonfaehig-16185096.html. ↩