ThemenBibelstudien, Wort- und Themenstudien

Kann die Bibel jemals irren? Ein Geständnis und Bekenntnis

Der Autor, Fritz Rienicker, übernahm 1953 den Vorsitz des Bibelbundes und wurde als neuer Schriftleiter damit beauftragt, die Zeitschrift des Bibelbundes, die seit 1938 nicht mehr hatte erscheinen dürfen und 1950 mit einer kleinen Ausgabe wieder gedruckt worden war, als Stimme der Bibeltreue neu zu beleben. Er stand vor der Frage, ob das Bekenntnis zur Bibeltreue mit dem Vertrauen auf ihre Irrtumslosigkeit verbunden sein soll oder nicht. Er hielt das für notwendig und der Bibel entsprechend. Gleichzeitig versuchte er, falsche Vorstellungen zu korrigieren.

Einleitend sei festgestellt: Wir sind rückhaltlos von der „Knechtsgestalt“ der Heiligen Schrift überzeugt. „Knechts­gestalt“ heißt: Vom ersten Wort der Bibel bis zum letzten Wort der Bibel tritt uns die Menschlichkeit des Gotteswortes in ihrer vollen Realität entgegen. Wir respektieren diese Menschlichkeit so ernst wie nur irgend möglich und sprechen darum ganz bewusst und ganz absichtlich von der „Niedrigkeitsgestalt“ der Schrift.

Wir nehmen die Bibel „so wie sie ist“, d. h. nicht als ein vom Himmel direkt auf die Erde „heruntergefallenes“ Buch, sondern als ein auf Erden im Laufe der Jahrtausende nach und nach entstandenes, von Glaubensmenschen verschiedener Prägung und Herkunft und Lebensführung geschriebenes Schriftwerk. Andrerseits bekennen wir uns rückhaltlos, bedingungslos und freudig zur Herrlichkeitsgestalt der Heiligen Schrift!

„Herrlichkeitsgestalt“ bezeichnet diese Tatsache: Vom ersten Wort der Bibel bis zum letzten Wort der Bibel enthüllt sich uns weit über alles menschliche Denken und Verstehen erhaben und in einzigartiger Fülle und Heiligkeit die „Göttlichkeit“ des Bibelwortes, und zwar total und absolut in jedem Wort, auch im kleinsten und scheinbar unwichtigsten Wort der Bibel. Die beiden Worte: Das Wort von der „Knechtsgestalt“ und das Wort von der „Herrlichkeitsgestalt“ zusammengefaßt, lauten: In der radikalen und totalen Knechtsgestalt offen­bart sich lückenlos und fehlerlos die Kraft und Herrlich­keitserscheinung des göttlichen Wortes, und zwar immer und immer wieder als das fort und fort anbetungswürdige, auf die Knie zwingende Wunder und Geheimnis des ewigen Gottes.

Und wenn man nun uns vielleicht fragt: Wenn das so ist, nämlich, dass die Bibel „Wort für Wort“ Gottes Wort ist, warum betont ihr dann überhaupt erst und dazu noch so absichtlich die „Knechtsgestalt“ des Gotteswortes? Liegt nicht in diesem Betonen und Hervorheben der Niedrigkeitserscheinung des Gotteswortes die große Gefahr der Entwertung der Göttlichkeit der Heiligen Schrift? Antwort: „Nein!“.

Den Gottmensch­lich­keits­charakter der Bibel nicht bejahen, bedeutet „Unwahr­haftigkeit“ der Schrift gegenüber. Die Knechtsgestalt der Bibel nicht anerkennen, bedeutet „Nichterfassung“ derjenigen Weisheit und Herrlichkeit Gottes, die gerade im menschlich Geringen und Einfältigen die göttliche Klugheit in himmlischer Glorie aufleuchten lassen will. Dieses Aufleuchten kann aber nur der Heilige Geist dem schenken, der darum demütig bittet.

Das Bekenntnis zur Schrift­inspiration will weiter nichts sein als ein erfurchts­voller Anbetungs­hymnus auf die unaussprechliche und kostbare Gnadengabe des Wortes Gottes.

Der wahren Menschlichkeit der Heiligen Schrift nicht beipflichten wollen – und andererseits die wahre Göttlichkeit der Bibel nicht annehmen wollen, birgt Gefahr und Missbrauch der Schrift in sich. Die These von der Knechtsgestalt und Herrlichkeitsgestalt der Heiligen Schrift will in keiner Weise irgendwie das Wunder der biblischen Inspiration erklären oder stützen; denn solch einer Erklärung oder solch einer Stütze bedarf die Heilige Schrift nicht, weil sie sich selbst als das Wunder Gottes immer wieder kräftig und herrlich bestätigt, – sondern das vorliegende Bekenntnis zur Schriftinspiration will weiter nichts sein als ein ehrfurchtsvoller Anbetungshymnus auf die unaussprechliche und kostbare Gnadengabe des Wortes Gottes.

Dass Gott in Seiner unbegreiflichen Liebe Sich soweit herabließ, Seine ewigen und über alle irdische Vernunft weit hinaustragenden Gottesgedanken im Gewande menschlicher Worte, durch Menschen gleich wie wir, uns nahe zu bringen Sich bemüht, ist immer wieder Grund zum Lob und Dank. Dass der Dreimal-Heilige Gott sein Wort durch Menschen-Mund aussprechen und durch Menschen-Hand sogar niederschreiben ließ, ist über alles menschliche Verstehen und Begreifen erhaben und Anlass zum Niedersinken in den Staub, ja noch tiefer als in den Staub, vor Dem, der solches den Menschenkindern geschenkt hat.

Es bleibt dabei: Die Heilige Schrift ist ein abgrundtiefes Meer. Es ist unmöglich zu sagen, wie tief dieses Meer ist. Es ist aber ebenso unmöglich zu sagen, wie dieses abgrundtiefe Meer in dem Wasserpfützlein des menschlichen Wortes eingefangen werden konnte. Es ist weiter unmöglich, zu sagen, wie für den, der in diesem Wasserpfützlein des menschlichen Wortes betend forscht, selbst das Pfützlein menschlichen Wortes sich mehr und mehr ausweitet, dass man die unergründlichen Tiefen des Gotteswortes im Menschenwort nicht ermessen kann.

So abgrundtief ist das Gotteswort im Menschenwort. Denn die Heilige Schrift „enthält“ nicht Gotteswort, ist auch nicht Gotteswort „und“ Menschenwort, sondern die Heilige Schrift „ist“ Gotteswort „im“ Menschenwort. Das aber ist das kostbare, weltüberwindende Geheimnis der Schrift.

Professor Fritz Bettex schreibt (in „Die Bibel Gotteswort“ Stuttgart 1903 S. 43 ff.)

Die Bibel! Wahrlich kein gewöhnliches Buch, gehasst und verfolgt wie kein anderes und doch unzerstörbar; verachtet und verehrt, verspottet und hochangesehen, totgesprochen und doch lebendig. Mächtige Kaiser und Könige und Priester haben keine Mühe und keine Schuld gescheut, um es zu vertilgen. Ungläubige Weise und weltliche Gelehrte haben es im Schweiße ihres Angesichts gründlich widerlegt, und nun, da die bibelfeindliche Wissenschaft damit aufgeräumt und die Kritik es bemeistert, verbreitet es sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in Hunderten von Sprachen, jetzt in über Tausend, in vielen Millionen von Exemplaren über die ganze Welt, wird von einem Pol zum anderen gepredigt und gelesen; und in seiner Kraft im Glauben daran lassen sich Neger lebendig verbrennen und Armenier und Chinesen zu Tode martern.

„Ei, ihr weltlichen Gelehrten und Kritiker, schreibt doch einmal solch ein Buch, so wollen wir an euch glauben!“

„Ei, ihr weltlichen Gelehrten und Kritiker alle, schreibt doch einmal so ein Buch, so wollen wir an euch glauben!“ In sich abgeschlossen „verflucht ist, wer dazu oder davon tut“. Unverändert und unveränderlich steht diese Bibel Jahrhunderte hindurch und fragt nichts nach Menschenlob und -tadel, bequemt sich nicht zum Fortschritt, nimmt nicht ein Wörtchen zurück, bleibt großartig einfältig und göttlich überwältigend, und vor ihr sind alle Menschen gleich und fühlen ihre Ohnmacht. Mit erhabener Freiheit schreitet sie durch die Geschichte der Menschheit, fertigt ganze Völker mit einem Blick, mit einem Wort ab, um lang bei den Taten eines Hirten zu verweilen. Dieses Buch erzählt uns von einem bunten Rock, den ein Vater seinem Lieblingssohn gemacht, und schweigt vom Leben und Sterben eines Jesaja oder eines Johannes oder vom Märtyrertod eines Paulus.

„Von diesem Buch haben Tausende der größten und begabtesten Männer bezeugt, dass sie des Lesens und Forschens darin nicht müde wurden und es ihnen dabei immer großartiger, reicher und unergründlicher wurde.“

Es wirft wie spielend die tiefsten Fragen auf: „Wo warst du, als Ich die Erde gründete?“ Es fasst eine ganze Weltanschau­ung zusammen: „Das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ewig.“ Es offenbart die aller­größten Rat­schlüsse Gottes, wie Er einen neuen Himmel und eine neue Erde erschaffen wird! Usw. Unbe­greif­liches! Unausdenkbares! Wo in aller Welt ist solch ein Buch diesem Buche gleich? Von diesem Buche haben Tausende der wirklich größten und begabtesten Männer bezeugt, nicht nur, dass sie des Lesens und Forschens darin nicht müde wurden, sondern dass es ihnen immer großartiger, reicher und unergründlicher wurde. Wie leuchtet oft plötzlich daraus ein unscheinbares, schon hundertmal gelesenes Wörtchen auf, und erstaunt erkennt man ganz neu den tiefen Sinn! Wäre wohl jemals ein Satz, wohl jemals ein einziges Wörtlein, das nicht bald dieser, bald jener Seele wichtig geworden wäre, das ihr nicht etwas gegeben hätte, und fände sich darin wohl auch nur ein einziges Wörtlein, das nutzlos und zwecklos geschrieben wäre, das keine Frucht getragen hatte? Ich glaube nicht!!!

Soweit Fritz Bettex. Und wie Professor Bettex, so glauben wir es auch aufs allergewisseste: Kein einziges Wörtlein in der Schrift ist nutzlos und zwecklos geschrieben worden. Auch kleinste Wörter der Schrift sind wichtigste.

Diesen Glauben an die ganze Schrift, vom ersten bis zum letzten Wort neu zu festigen und zu gründen, dazu wollen auch die nachfolgenden Stichworte mithelfen.

Die Stellung von Jesus und den Aposteln zum Alten Testament ist für unsere Bibelhaltung maßgebend.

1. Stichwort: Die Stellung Jesu zum AT ist auch für uns maßgebend.

2. Stichwort: Die Stellung der Apostel zum AT und zu ihrem geschriebenen Wort (später NT genannt) ist maßgebend.

3. Stichwort: Der Heilige Geist hat die Schreiber der Bibel bei ihrer Niederschrift nach Inhalt und Form des Ausdrucks geleitet.

4. Stichwort: In dem Wunder der Inhalt- und Formgestaltung des Bibelwortes durch den Heiligen Geist ist auch das Geheimnis der Personalinspiration mit eingeschlossen.

5. Stichwort: Die Schriftinspirationsgnade ist das einzigartige, einmalige und unwiederholbare Charisma der AT- und NT-Männer gewesen.

6. Stichwort: Das „Wie“ jenes einzigartigen und einmaligen und unwiederholbaren Inspirations-Vorganges ist dem menschlichen Verstand verborgen.

7. Stichwort: Auf die Bedeutung und Wichtigkeit auch des Einzelwortes der Schrift kommt es in jeder Beziehung an.

8. Stichwort: Es besteht eine Analogie (Entsprechung) zwischen der göttlich-menschlichen Wesensart Jesu und der göttlich-menschlichen Wesensart der Bibel.

Die Entäußerung des Gotteswortes in die Knechtsgestalt des biblischen Verfassers und des biblischen Wortes hat nicht ein unzuverlässiges, unsicheres und irrendes Gotteswort bewirkt.

9. Stichwort: Wie bei der Entäußerung Jesu in die Knechtsgestalt des Menschseins der Herr Jesus nie und nimmer in das Irren und Fehlen und Sündigen der gefallenen Menschen eingegangen ist, ebenso hat auch die Entäußerung des Gottes­wortes in die Knechtsgestalt des biblischen Verfassers und des biblischen Wortes nicht ein unzuverlässiges, unsicheres und irrendes Gotteswort bewirkt, sondern die anbetungswürdige Tatsache bewerkstelligt, dass gerade in einer der gefallenen Menschheit verhafteten Denk- und Aus­drucks­weise sich immer wieder die ewiges Leben erweckende und erhaltende, nie irrende Heilswahrheit Gottes offenbart.