Der katholische Theologe und Professor für Altes Testament hat nach seinem ausführlichen Jeremia-Kommentar nun den ersten Teil des Genesis-Kommentars in der gleichnamigen Reihe Herders Theologischer Kommentar zum AT fertiggestellt (die weitere Kommentierung des Buches Genesis wird durch andere Autoren erfolgen). Die Kommentarreihe und insbesondere der Autor sind dafür bekannt, den Bibeltext ohne komplizierte Hypothesen der liberalen Theologie oder Methoden der Quellenscheidung auszulegen. Dabei wird der Bibeltext in seiner kanonischen Textgestalt ernst genommen und ausgelegt. Dass dies mit einer hohen Wertschätzung gegenüber dem Bibeltext einhergeht, macht der Autor bereits im Vorwort deutlich: „Gottes Offenbarung ist ein Geschenk an die Menschheit. Ihre Tiefe ist unauslotbar. Ihre Botschaft und Ausstrahlung bezeigen eine überirdische Kraft. Ihre Texte sind in einem Maße ‚rein‘ und ‚wahr‘, das über übliche Literatur hinausgeht und zum Staunen bringt. Das Buch Genesis als Beginn dieser Selbstmitteilung Gottes führt in die Welt seiner Wunder ein. Es ist ein Privileg, sich damit beschäftigen zu dürfen“ (11). Die folgende Kommentierung bestätigt häufig die so vorgenommene Grundausrichtung: Die Auslegung ist in ihrer Ausführlichkeit beeindruckend und beleuchtet den Text über strukturelle und grammatikalische Beobachtungen bis hin zu seiner theologischen Botschaft. Dabei wird der jeweils behandelte Textabschnitt immer wieder in den größeren Kontext der Bibel eingeordnet. Häufig zieht der Autor auch Vergleiche mit altorientalischen (z. B. babylonische oder assyrische) Darstellungen von Schöpfung und Urgeschichte an und zeigt, wie sich der biblische Bericht von diesen unterscheidet. Der Kommentar ist aktuell und interagiert an vielen Stellen mit der neueren Literatur. An vielen Stellen kann man damit von der Auslegung und ihrer Tiefe profitieren.
Dennoch hinterlässt der Kommentar einen zwiespältigen Eindruck: Obwohl der Verfasser eine mosaische Verfasserschaft als Möglichkeit nennt (699), verwirft er diese und datiert die Entstehung des Buches Genesis in die persische Zeit und damit zwischen das 6. und 4. Jh. v.Chr. (701). Obwohl er bei der Väter- und Urgeschichte mit deutlich älteren Traditionen rechnet (700), hat diese Datierung weitreichende Konsequenzen: Weite Teile der Urgeschichte werden – wenn auch selten explizit – in den Bereich der Mythologie verwiesen, so etwa bei der Beschreibung der Ströme im Garten Eden, in denen sich nach der Sichtweise des Autors „Reales und Phantastisches verbinden“ (201). Auch die Zahlenangaben der Genealogien seien „nicht ‚geschichtlich‘“ (363) und werden nur über komplizierte Rechenspiele und eine ausgefeilte Zahlensymbolik erschlossen (336-339). Bezüglich der Länge der Schöpfungstage weist der Autor 24-Stunden Tage zurück und empfindet diese „Zurückweisung fundamentalistischer Deutungen wichtig“ (130). Immer wieder wirken auch die angeführten altorientalischen Parallelen so, als sei der Genesistext lediglich von diesen abgeleitet. An manchen Stellen enttäuscht ferner die Auslegung durch unplausible Deutungen (so sei etwa die Bezeichnung „Söhne Gottes“ in Gen 6,1-4 eine Bezeichnung für Männer und der Ausdruck „ironisch … als Benennung der vermeintlichen Überlegenheit des männlichen Geschlechts über Frauen“ zu verstehen (372)).
Fischer, Georg: Genesis 1–11. Freiburg: Herder 2018. 752 S. Hardcover: 115,00 €. ISBN: 978-3-451-26801-4
Fazit: An manchen Stellen wird die Lektüre des Kommentars durch neue Einsichten belohnt. Umso unangenehmer fallen jedoch die Stellen auf, an denen der Autor unplausibel Deutungen vornimmt, die Annahme einer Spätdatierung des Buches Genesis deutliche Spuren hinterlässt oder die biblischen Aussagen ins Reich der Mythen verwiesen werden.