Kürzlich las ich ein Interview mit einem Ukrainer, der versucht hatte, seinem in Russland lebenden Vater am Telefon vom Krieg in der Ukraine zu berichten. Sein Vater konnte ihm nicht glauben. Es gebe keinen Krieg, sondern ein paar Operationen gegen Nazis. Der Bevölkerung in der Ukraine würden Decken und warme Kleidung gebracht. Das wisse er aus den Medien in Russland. Der Sohn beschreibt seinen Vater als überzeugten Christen, der Krieg und Gewalt verabscheut. Aber glauben wollte er trotzdem nicht, dass seine Schwiegertochter und die Enkelkinder vor dem Krieg aus Kiew nach Ungarn fliehen mussten. In dem Interview benutzt der Ukrainer einen Vergleich:
„Es war so, als ob man meinem Vater über 20 Jahre gesagt hätte, dass der Baum, der hinter ihm wächst, rot sei. Und nun komme ich und sage ihm, dass ich genau sehe, dass er grün ist.“ Es brauchte eine Reihe von Gesprächen, bis der Vater wenigstens zugab, dass der Sohn vielleicht die Wahrheit sagen könnte. Mir hat sehr zu denken gegeben, was der Sohn in den Gesprächen beobachtet hat: „Ich glaube, der einzige Weg, in einer solchen Lage die Tür in Richtung eines gelingenden Gesprächs aufzustoßen, liegt darin, die eigene Liebe zu zeigen. Wenn ich gleich zu predigen beginne und darauf beharre, den anderen über seinen Irrglauben zu belehren, wenn ich ihm erkläre, wo er falsch liegt und was die Fakten sind, … dann beginnt der Streit. Das bringt nichts. Also fange ich anders an: ‚Vater ich bin dein Sohn. Und ich liebe dich in jeder nur denkbaren Weise, in der ein Sohn seinen Vater liebt. Ich werde mich bemühen, all deine Fragen zu beantworten.‘ … Das bedeutet: Es braucht Liebe, jede Menge Geduld und Faktenbelege.“
Inzwischen ermutigt der Mann andere Ukrainer – von denen es mehrere Millionen gibt –, ihre Verwandten in Russland anzurufen, damit sie umdenken und sie dann zu bitten, sich in Russland friedlich für ein Ende des Krieges einzusetzen.
Der Kampf um die Wahrheit tobt fast seit Anbeginn der Welt. Die Bibel erzählt uns, wie die Schlange Adam und Eva im Paradies eine „andere“ Wahrheit erzählte. Nicht die Wahrheit von dem wunderbaren Schöpfergott, der seine Geschöpfe liebt, beschenkt und versorgt, sondern die „Wahrheit“ von dem Gott, der seinen Geschöpfen das Schönste und Größte vorenthalten wolle, dass sie nämlich selber Götter sein könnten. Jesus nennt deswegen den Teufel den Lügner von Anfang an und den Vater der Lüge (Joh 8,44). Seinen Zuhörern macht er die Konsequenzen deutlich, die sich daraus ergeben, dass sie in Lügen gefangen sind:
„Weil ich aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht. Wer von euch überführt mich einer Sünde? Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; ihr hört nicht, weil ihr nicht aus Gott seid“ (45-47 ZUB).
Nimmt man die biblische Perspektive ein, dann ist der moderne Informationskrieg mit seinen Lügen oder Fakenews über viele Themen und Ereignisse letztlich auch ein Kampf gegen die Wahrheit Gottes. Der funktioniert auf ganz verschiedene Weise. Eine davon ist, dass ständig so viele Informationen produziert werden, unter denen Lügen und Irrtümer gemischt sind, dass praktisch niemand in der Lage ist, immer unterscheiden zu können, was dabei denn nun die Wahrheit ist. Und weil das in unserer Erfahrung jeden Tag so ist, soll es angeblich mit der Information aus dem Wort Gottes auch nicht anders sein. Ein paar Lügen und Irrtümer hätten sich darin versteckt.
Taktiken der Lüge
Eine Taktik der Lüge ist die ständige Wiederholung, ohne dass es für die vermeintliche Wahrheit Belege oder gute Argumente gibt. Hört der Mensch die gleiche Unwahrheit nur oft genug, scheint dadurch die Wahrheit verdrängt oder unterdrückt zu werden. Aus der Erfahrung ist jedem klar, dass das nur eine begrenzte Zeit funktionieren kann, weil irgendwann die Wahrheit ans Licht kommt. Aber leider ist es nicht so, dass alle Lügen kurze Beine haben. Die Behauptung, dass die Bibel historische Fehler enthalte, lebt auch davon, dass sie einfach ständig wiederholt und dann irgendwann als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Ich erinnere mich daran, dass behauptet wurde, die Römer hätten niemanden ans Kreuz genagelt, sondern die Verurteilten nur angebunden. Die Schreiber der Bibel hätten sich geirrt. Jahre später fand man in Israel einen durchnagelten Fersenknochen aus römischer Zeit, der den biblischen Bericht unterstreicht. Heute liegt er in Jerusalem im Museum. Auch die Geschichte von der gestohlenen Leiche von Jesus, die schon Matthäus als Lüge entlarvt (28,11-15), wurde über die Jahrhunderte einfach ständig wiederholt. Bis heute taucht sie gelegentlich als Gegenargument gegen die Auferstehung von Jesus auf.
Der Kampf gegen die Wahrheit wird auch mit einer Informationsflut geführt, in der Irrtümer und Lügen gemischt sind, so dass praktisch niemand in der Lage ist, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.
Eine andere Strategie funktioniert so, dass man uns sagt, dass es keine Wahrheit geben könne, sondern immer sei jede „Wahrheit“ nur die Ansichtssache der jeweiligen Person. Das führte für einen alten Freund dazu, dass er mir sagte, er wolle nun in jedem Gespräch mit einem Atheisten mit einer Haltung argumentieren, dass vielleicht auch der die Wahrheit haben könnte und es somit gar keinen Gott gebe. Offenbar gibt es unterschiedliche Meinungen und es darf sie auch nach biblischen Maßstäben geben. Jedoch gibt es offensichtlich eine Grenze, ob wir über eine unterschiedliche Perspektive und Interpretation sprechen oder ob etwas tatsächlich wahr ist – so geschehen und eine Tatsache – oder nicht. Paulus argumentiert in 1Kor 15 darüber, dass es Leute gibt, die der Ansicht sind, dass es gar keine Auferstehung der Toten gebe. Aber er hält dem entgegen, dass die leibliche Auferstehung eine unverrückbare und gut bezeugte Tatsache ist. Er zeigt dann auch auf, dass die Annahme, es gebe keine Auferstehung, so erhebliche Konsequenzen hat (Der christliche Glaube ist inhaltsleer, sinnlos und elend.), dass man sie nicht einfach als eine mögliche Erwägung im Raum stehen lassen kann. An dieser Stelle kann man nicht unentschieden oder gleichgültig bleiben oder sagen, dass man das alles nicht so genau wissen könne.
Unentschiedenheit ist nur manchmal ein Ausweg
Jesus hatte den Menschen auch solche Unentschiedenheit vorgehalten, die seine Taten gesehen hatten und seine Lehre gehört (Mt 11,20-23): „Dann begann Jesus den Städten, in denen er die meisten Wunder getan hatte, vorzuwerfen, dass sie ihre Einstellung nicht geändert hatten: ‚Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die unter euch geschehen sind, sie hätten längst ihre Einstellung geändert, einen Trauersack angezogen und sich Asche auf den Kopf gestreut. Doch Tyrus und Sidon wird es im Gericht erträglicher ergehen als euch. Und du, Kafarnaum, meinst du etwa, du wirst zum Himmel erhoben werden? Nein, in die Hölle musst du hinunter. Wenn in Sodom die Wunder geschehen wären, die in dir geschehen sind, es würde heute noch stehen.‘“ Die Menschen konnten alles wahrnehmen, sie konnten Zeugen befragen, wenn sie nicht selber dabei waren, wie Jesus unheilbare Krankheiten heilte und sich den Menschen zuwandte. Aber ähnlich wie bei der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) hatte es die Wahrheit schwer. So fürchteten selbst die Eltern des geheilten Mannes, die Wahrheit auszusprechen, weil das mit Strafe bedroht war (Joh 9,22). Weil die Zeugen auch Sünder waren, wurde ihnen abgesprochen, in diesem Fall die Wahrheit zu sagen (34). Was das für sie selbst und ihre Glaubwürdigkeit bedeuten würde, wenn es nicht mehr möglich ist, dass ein Mensch, der schon gelogen hat, die Wahrheit sagen kann, bedenken sie nicht.
Blind für die Wahrheit
Tatsächlich beschreibt die Bibel das Problem der Verblendung, in der ein Mensch die Wahrheit Gottes nicht sieht, obwohl sie ihm eigentlich klar vor Augen liegt, ausführlich. Paulus spricht davon, dass die Menschen „die Wahrheit Gottes gegen die Lüge getauscht“ haben (Röm 1,25). Als Folge hat Gott sie ihren eigenen „Wahrheiten“ überlassen. Dabei meinen die Menschen sogar, besonders klug und weise zu sein. Paulus erlebte Ablehnung, obwohl „wir die Wahrheit Gottes offenbar machen und uns einem jeden menschlichen Gewissen vor Gott empfehlen“. Denn „der Gott dieser Weltzeit hat die Gedanken verfinstert, dass sie das Licht nicht sehen, das aufleuchtet durch die Verkündigung des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, der das Ebenbild Gottes ist“ (2Kor 4,2-4). Paulus will damit den Auftrag ausführen, den Jesus ihm bei seiner Bekehrung selbst gegeben hat: „Du sollst ihnen die Augen öffnen, dass sie sich von der Finsternis zum Licht, von der Gewalt des Satans zu Gott hinwenden und dass sie die Vergebung der Sünden und ihr Erbe in der Schar der Geheiligten empfangen durch den Glauben an mich“ (Apg 26,18).
Wie aber kann der verblendete Mensch aus dieser Blindheit herauskommen? Die Antwort auf diese Frage wird uns klarer, wenn wir uns eine Grundwahrheit bewusst machen. Gelegentlich hört man den Vorwurf: „Du hast die Wahrheit nicht gepachtet!“ Das kann uns daran erinnern, dass wir die Wahrheit tatsächlich niemals besitzen können. In den vergangenen Wochen hieß es bei der Berichterstattung vom Krieg in der Ukraine: „Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.“ Ich kann zwar verstehen, dass Zeitungen und andere Medien so verhindern wollen, dass sie nur Propaganda verbreiten. Aber je öfter ich den Spruch hörte oder las, desto mehr ärgerte er mich. Es ist doch tatsächlich so, dass dieser Zusatz für beinahe alle Nachrichten gilt. Sie stammen aus bestimmten Quellen, denen man vertraut oder nicht. Aber meistens ist man kaum in der Lage, alles selber zu prüfen. Das gilt erst recht für die meisten von uns. Wir müssen uns entscheiden, ob die Quelle vertrauenswürdig erscheint. Aber wir können die allermeisten Dinge nicht selber prüfen, weil das entweder prinzipiell unmöglich ist oder weil es so aufwendig ist, dass wir es uns höchstens vereinzelt leisten können. Es ist also schon im Alltag normal, dass wir auf vertrauenswürdige Quellen angewiesen sind. Für die Wahrheit von Gott gilt ganz genau das Gleiche: Wir besitzen sie nicht, sondern glauben sie, weil sie glaubwürdig ist.
Jesus, der Garant für die Wahrheit
Im Kampf um die Wahrheit hat Gott deshalb seinen Sohn gesandt, der selber die Wahrheit ist (Joh 14,6) und auch die Wahrheit spricht. Dass es darum bis zum Kreuzestod geht, macht das kurze Gespräch zwischen Jesus und Pilatus deutlich (Joh 18,37-38): „Also bist du doch ein König“, sagte Pilatus. „Du hast Recht“, erwiderte Jesus, „ich bin ein König, ich bin dazu geboren. Und ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit einzustehen. Wem es um die Wahrheit geht, der hört auf mich.“ „Wahrheit?“, meinte Pilatus. „Was ist das schon?“ Dann ging er wieder zu den Juden hinaus und erklärte: „Ich kann keine Schuld an ihm finden.“ Das alles hat Pilatus nicht davon abgehalten, gegen die Wahrheit zu handeln.
An Pfingsten aber hat Gott den Heiligen Geist gesandt, der wiederholt der „Geist der Wahrheit“ heißt (Joh 14,17; 15,26; 16,13; 1Joh 5,6). Und nun wirbt Gott liebevoll darum, dass wir ihm glauben und uns von den Lügen abwenden. Auch Gott versucht es mit Liebe, Geduld und Fakten. In Liebe wendet er sich den Menschen zu. Jesus hat diese Liebe gelebt und damit um Vertrauen geworben. In erstaunlicher Geduld beantwortet er unsere Fragen. Mit großer Klarheit stellt er uns die Fakten vor die Augen. Jesus ist offenbar nicht nur irgendein Prophet, sondern der Sohn Gottes. Wenn aber der Sohn Gottes sich ans Kreuz schlagen lässt und aufersteht, dann muss darin eine besondere Bedeutung liegen. Damit wir nicht auf die Idee kommen, dass es sich dabei um geschichtliche Zufälle handelt, die am Ende zu einer großen Story geformt wurden, hatte Gott alles angekündigt. Das Leiden, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus geschieht gemäß den Schriften (1Kor 15,1-8), also dem, was in Jahrhunderten vorher für den Retter beschrieben wurde. Außerdem ist es auch vielfach von glaubwürdigen Zeugen bezeugt. Wie Gott selbst müssen auch wir damit leben, dass der Wahrheit trotzdem nicht geglaubt wird.
Als Zeuge der Wahrheit in einer Welt der Lüge
Aber doch gilt: Was Gott getan hat, ist heute auch unsere Aufgabe an unserem Nächsten. Mit Liebe, Geduld und gut begründeten Fakten sollen wir Zeugen für die Wahrheit des Evangeliums sein. Jesus fragte seine Zuhörer, ob sie ihn denn schon dabei erwischt hätten, dass er je die Unwahrheit gesagt hat. Sie mussten, obwohl sie noch so suchten, verneinen. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns als Zeugen des Evangeliums nicht irgendwo in die Lügengebäude dieser Welt verstricken. Wofür wir wirklich eintreten können, ist die Wahrheit Gottes, die in seinem Wort bezeugt wird. Das ist das Evangelium für die Welt von dem Sohn Gottes, der uns mit Gott versöhnt und uns zu wahren Kindern Gottes macht. Bei vielen anderen Dingen, wozu wir auch eine Meinung haben können und dürfen, sollten wir deutlich machen, dass es sich nur um eine Meinung handelt, die auch einem Irrtum unterliegen kann. Was aber Gott sagt, ist Wahrheit. Die Wahrheit, die Jesus Christus selber verkörpert und gelebt hat. Die Wahrheit, die seit Pfingsten das Thema des Heiligen Geistes ist.