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Bürger eines besseren Reiches: Die Herrscher dieser Welt mit Nüchternheit sehen lernen

Dass die Mächtigen der Welt mit Gewalt und Lüge herrschen und sich andere mit Angst und Bestechung gefügig machen, ist keine neue Erscheinung. Jesus beschreibt es prägnant (Lukas 22:25): „In der Welt herrschen die Könige über ihre Völker, und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen.“ Gott hat solche Herrscher immer wieder gewarnt. Umgekehrt sind sich selten. Ein Blick ins alten Babylon kann trotzdem Mut machen, denn mit Christus gilt ein anderes System von Größe und Macht: „Wer der Größte sein will, der werde ein Diener aller.“

Eines der bemerkenswertesten Ereignisse aus dem Buch Daniel – das ja nicht wenige berichtet – ist das Gastmahl von Belsazar in Kapitel 5. Die Macht, Würde, die sexuelle Potenz und der Reichtum eines ganzen Reiches wird auf protzige Weise dargeboten, solange bis die Heiterkeit aller zu einem plötzlichen Ende kommt durch die Erscheinung der himmlischen Hand, die an die Wand schreibt. Reden wir über Unangenehmes.

Eine unangenehme Überraschung

Die Hand erscheint plötzlich und unterbricht die unglückselige und gewagte Darstellung, die der betrunkene König Belsazar angefangen hatte. Im Gegensatz zu manchen Auslegungen scheint die Sache wirklich und auch für jeden sichtbar gewesen zu sein. Das abgetrennte Körperteil wirkt so verstörend, dass es auch körperliche Auswirkungen auf den König hat: alle Farbe weicht aus seinem Gesicht und seine Knie fangen an zu zittern (5,4). Wir sollten auch beachten, dass niemand im Raum die Botschaft verstehen kann, die die Hand schreibt. Vielleicht war die Schrift nicht lesbar. Die Buchstaben selber mögen erkennbar gewesen sein, aber ihre Bedeutung ist es nicht. Wie es auch war, weder der König, die Fürsten oder die weisen Berater oder sonst jemand kann das Geschriebene deuten (Verse 7-8).

Systeme von Anerkennung und Bedeutung

Jeder Leser der vorangegangenen Kapitel des Buches Daniel mag sich vielleicht wundern, warum Belsazar nicht sofort nach Daniel ruft. Der junge jüdische Mann dürfte nach seiner Deutung von Nebukadnezars Träumen, so wie uns das berichtet wird, bekannt gewesen sein. Aber inzwischen sind es zwanzig Jahre her, seit Nebukadnezar Babylon regiert hatte. Es ist möglich, dass die Erinnerung an Daniels Ruhm am königlichen Hof in Vergessenheit geraten war. Was der König selbst über Daniel weiß, scheint nur das zu sein, was ihm dann berichtet wird.

Es ist die Königin, die Daniel bei Belsazar empfiehlt (10-12). Sie ist offenbar nicht bei der Party mit Belsazars Frauen und Konkubinen (Vers 2). Das zeigt, dass die Königin nicht seine Ehefrau, sondern vielleicht seine Mutter ist.

Daniels Abwesenheit in der ersten Gruppe der Berater, die aufgefordert werden, die Botschaft an der Wand zu deuten, ist auch ein Hinweis auf die Entwicklungen in Babylon nach den Ereignissen des vorangegangenen Kapitels. Hatte Daniel früher eine enge, mindestens von Respekt geprägte Beziehung zu Nebukadnezar, so scheint er von Belsazar ignoriert zu werden und ist von einer einflussreichen Position am königlichen Hof ausgeschlossen. Daniel ist ein Außenseiter geworden. Seine Antwort an den König legt seine Entfremdung von der Macht nahe. Als Belsazar Daniel mit den Symbolen von königlicher Autorität bekleidet, bietet er ihm die gleiche Ehre, die ihm schon von seinem Vorgänger Nebukadnezar angeboten wurde (2,48). Doch Daniel lehnt die Belohnung ab: „Behalte deine Geschenke oder gib sie einem anderen.“ (5,17) Daniel zeigt durch diese Ablehnung, dass er die Standards von Anerkennung und Bedeutung, wie sie in Babylon gelten, ablehnt. Er steht für ein anderes System von Bedeutung und Anerkennung, dem System des Reiches Gottes.

Nicht zu groß, um zu scheitern

Die Wörter an der Wand sind Aramäisch. Mene wird zweimal wiederholt, dann tekel und parsin. „Mene, Mene, Tekel, Parsin.“ Eigentlich sind das Maßeinheiten, die oft für Währungen benutzt wurden. Die Mine (mene) wird an anderer Stelle als Teil einer Geldwährung erwähnt (1Kön 10,17; Esra 2,69; Lk 19,13). Tekel steht in Zusammenhang mit dem hebräischen shekel und das Wort parsin bedeutet „halb, Hälfte“ im Sinne der Hälfte eines Maßes oder eines Geldwerts.

Daniels Deutung dreht sich um den wirtschaftlichen Gebrauch der drei Wörter. Aber anstelle des Messens oder Wiegens von Geldwerten wird das babylonische Reich und seine Führer mit ihren Werten von Gott gewogen und als zu leicht befunden. Als Folge davon soll Babylon geteilt werden unter einer Koalition von Medern und Persern.

Aus der historischen Distanz könnten wir die Bedeutung dieser Botschaft für Belsazar und für Daniel übersehen. Für Belsazar ist eine Verurteilung deutlich, aber er beantwortet sie nicht mit Reue und Umkehr. Stattdessen drängt er Daniel seine Belohnungen auf, indem er ihn mit Kleidern und Edelsteinen ausstattet.

Die Antwort des Königs legt nahe, dass er entweder nicht an das Urteil Gottes glaubt oder dass er in einer fatalistischen Haltung glaubt, dass sein Königtum sowieso untergehen wird (Die Party selbst deutet auch auf einen königlichen Fatalismus hin.).

Aber der Abschnitt betont einen weiteren Aspekt göttlicher Souveränität. Die Schrift an der Wand zeigt an, dass Gottes Gerechtigkeit auch durch die größte Macht nicht ignoriert werden darf. Keine Weltmacht ist zu groß, dass sie nicht scheitern und untergehen könnte. Das babylonische Weltreich war ein unterdrückender Sklavenstaat, dessen wirtschaftliche Kraft erblühte durch die Eroberung kleinerer Staaten und die Versklavung der Flüchtlinge. Das Weltreich herrschte für mehr als siebzig Jahre.

Mit der Ankündigung des Gerichtes über eines der mächtigsten Reiche der Weltgeschichte, bestätigt uns Daniel 5, dass die Unterdrückung nicht für immer bestehen wird und dass das menschliche Leiden enden soll.

Es ist nicht schwer für uns, uns mit Daniel und seinen Freunden im Exil zu verbinden. Der tatsächliche Untergang von Babel versichert ihnen ihre eigene Befreiung. Tatsächlich hat kurz nach dem Fall Babylons der persische Herrscher Kyros die Juden aus dem Exil zurück nach Jerusalem ziehen lassen, um ihre Stadt wieder aufzubauen. Das Ende Babylons bedeutet die Befreiung von Gottes Volk.

Was uns die Geschichte von Daniel sagen will

Die Gerechtigkeit und Befreiung, die in Daniel 5 sichtbar wird, ist ein Mikrokosmos einer viel größeren Erzählung. Das ist die Erzählung vom Kommen des Königreichs Gottes in Jesus Christus. Die übergreifende Erzählung des Propheten Daniel ist das Kommen eines allumgreifenden Sieges des Reiches Gottes.

Daniel 7:13-14 Da kam mit den Wolken des Himmels einer, der aussah wie ein Mensch. Man führte ihn zu dem, der uralt war, 14 und verlieh ihm Macht und Ehre und übergab ihm die Herrschaft. Die Menschen aller Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist ewig, sie wird nicht vergehen, sein Reich wird niemals zerstört.

Viele Leser des Buches Daniels mögen versucht sein, Daniel als Vorbild von Treue in einer Position mit Einfluss zu verstehen. Darin mag auch ein Wert liegen. Wir können die Berichte so verstehen, dass sie uns lehren, wie wir im Raum der Macht treu bleiben können. Sollten wir dabei allerdings stehen bleiben, dann übersehen wir den Hauptpunkt von Daniel. Wir verfehlen, was uns das Buch eigentlich sagen will.

Die Systeme und Strukturen dieser Welt sind korrupt und zerstörerisch. Nebukadnezar war ein rücksichtsloser und selbstgefälliger Herrscher, dem sich Gott entgegenstellte. Er änderte sich wenigstens etwas als Folge davon (4,34-37). Belsazar steht für den anderen Weg, wie sich die Sache entwickeln kann. Seine Begegnung mit Gott verhärtet ihn letztlich noch mehr.

Doch beim Mene, Mene, Tekel, Parsin geht es darum, dass kein unterdrückerisches Regime dem Messen und Wiegen und dem Urteil Gottes entgehen kann. Daniel sagt uns, dass Gottes Königsherrschaft kommen wird, um die Unterdrückung durch die menschliche Sünde ein für alle Mal zu beenden.

Gottes Herrschaft wird kommen, um die Unterdrückung durch die menschliche Sünde ein für alle Mal zu beenden. Darum setzen wir unsere Hoffnung auf Christus.

Diese Nachricht soll uns nicht nur zur Freude über das Ende von Unterdrückung führen, sondern auch zu Demut und Hoffnung. Auch wir müssen gemessen werden, unser Wider­stand, unsere Unterdrückung, und wir werden wie Belsazar als zu leicht gefunden. Aber wir setzen unsere Hoffnung auf Christus, damit wir gerettet werden von einem Niedergang, wie ihn Babylon verdient hatte.

Als Nachfolger von Christus sind wir wie Daniel berufen, die Königsherrschaft von Jesus Christus zu bezeugen. Es ist ein Königreich der Gnade, das Bedeutung und Anerkennung in der Person von Jesus Christus anbietet, der die Schuld unserer Ablehnung Gottes getragen hat, damit wir Bürger seines besseren Reiches werden können.

Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries