ThemenKultur und Gesellschaft, Mission und Evangelisation, Zeitgeist und Bibel

Herausforderungen für die Verkündigung des Evangeliums heute

Die Angriffe auf das Evangelium und die Werte der Christen hat viele mutlos gemacht. Wir sollten darauf reagieren, indem wir die Freude am Evangelium und die Freude am Auftrag, es zu verkündigen, zurückgewinnen. Die Freude und Gewissheit kann nur aus der Botschaft selbst kommen, darum schauen wir auf sie.

Viele Christen sehen sich einer allgemeinen Verdrängung christlicher Grund­werte in der westlichen Gesell­schaft gegenüber. Sie reagieren darauf unterschiedlich. Manche passen die „christlichen“ Werte so an, dass sie weniger anstößig wirken, oder machen sogar fremde Werte zu den eigenen. Andere wollen den alten Werten treu bleiben und suchen eine neue Vergewisserung. Die Strategien dabei sind unterschiedlich.

Einer davon ist die Emigration, also die Suche nach einem Ort, an dem man als Christ unbehelligt von der umgebenden Welt einigermaßen sicher seinen Glauben mit seinen Werten leben kann, und die Auswanderung dahin. Selten ist das auch eine äußere Auswanderung, meist eher eine innere Abkapselung. Dabei wird ein Element einer gesunden christlichen Lebenshaltung gegenüber anderen Aspekten stark betont, wobei die Zuwendung zur Welt des Unglaubens mit der Botschaft des Evangeliums dabei regelmäßig zu kurz kommt. Zudem ist die Gefahr ziemlich groß, ein in Zügen seltsames Eigenleben zu entwickeln, das sektiererisch wirken kann und es manchmal auch wird.

Der Christ lebt als Fremder in dieser Welt und sieht sich doch auch als Botschafter Gottes und Repräsentant für das Evangelium.

Andererseits gehört das Leben als Fremder und manchmal auch seltsam wirkender Mitmensch zum Christsein. Allerdings ist das in der Bibel offenbar nicht als Rückzug gemeint, sondern als Haltung, die verbunden ist mit dem Bewusstsein, als Botschafter Gottes und Repräsentant für das Evangelium mitten in der Auseinandersetzung mit der Welt des Unglaubens zu stehen. Als Jesus seinen Jüngern sagt (Lk 10,16): „Wer euch hört, hört mich; und wer euch verwirft, verwirft mich; wer aber mich verwirft, verwirft den, der mich gesandt hat.“, da verbindet er die Reaktion der Ablehnung, die er erlebt, mit der Aussendung seiner Jünger. Als Gesandte soll sie zuerst die Freude an ihrer eigenen Rettung erfüllen und dann die Freude daran, teilzuhaben an Gottes Handeln, wenn sie das Evangelium weitertragen, ob es nun angenommen wird oder nicht.

Meines Erachtens werden wir unserer Ver­­­ant­wortung als Nachfolger von Jesus nur dann gerecht, wenn wir für Christus und seine Botschaft einstehen wollen. Das heißt aber auch, dass es in unserem Auftrag nicht in erster Linie um die Verteidigung von Freiheitsrechten geht, die uns die Erklärung der Menschenrechte zugesteht, oder um den Versuch, mit dem Kampf für christliche Werte eine gute und gerechte Gesellschaft aufzubauen. Christen sollen sich auf das Evangelium konzentrieren und davon ausgehen, dass sie damit das Reich Gottes an die erste Stelle setzen (Mt 6,33) und dann erwarten, dass ihnen anderes zufällt, was Gott ihnen geben will.

In vielen Diskussionen scheint es nur um ethische Herausforderungen zu gehen, zumal sie auch von einem oft extremen Moralismus begleitet sind. Es erscheint mir aber wichtig, dass wir auch in den Ausein­an­­der­setzungen darauf achten, inwiefern es im Einzelfall nicht allein um eine ethische Diskussion oder eine moralische Neujustierung geht, sondern ob nicht viel­­mehr ein Angriff auf das Evangelium von der Rettung durch den Tod und die Auf­erstehung von Jesus Christus stattfindet.

Man mag Manches vielleicht für eine Fortsetzung der Auseinandersetzung um sexuelle Befreiung in den 1960er und 70er Jahren halten oder um eine Fortsetzung des Kampfes des Feminismus. Bleibt man aber dabei stehen, würde man verkennen, dass die aktuellen Herausforderungen nicht nur an vielen ethischen Werten rütteln, sondern an den Grundfesten des Evangeliums. Wie die Psychoanalyse Sigmund Freuds nicht nur ein therapeutisches Angebot für bestimmte Neurosen sein wollte, sondern religiöse Züge annahm, indem sie eine komplette Welterklärung aus der Erklärung des Wesens des Menschen anbot, so erkennt man die Züge eines umfassenden Religionsersatzes auch in den gegenwärtigen Diskussionen. Dabei wird Zug um Zug eine Art von Ersatz-Evangelium entfaltet. Das ist wohl meist kein bewusstes Vorgehen. Aber wie das biblische Evangelium eine Antwort auf die Grundfragen des Menschen gibt, so will es auch ein modernes neues „Evangelium“. Es verspricht, dem Menschen Hoffnung und Gewissheit zu vermitteln. Es will eine klare Orientierung mit einem gewissen Wertekanon anbieten. Weil das nicht ohne eine Berufung auf eine höhere Instanz geht, wird dafür statt Gott und sein Wort meist „die Wissenschaft“ oder wenigstens die Mehrheit der Wissenschaftler bemüht. Das neue „Evangelium“ versucht, eine Antwort auf das Fragen nach dem Bösen und der Schuld zu geben, und will den Menschen sogar irgendwie rechtfertigen. Meist geschieht das recht billig dadurch, dass der Einzelne mit seiner Stimme in den Chor der Empörten oder Aktivisten einstimmt: „Du bist richtig, wenn Du zustimmst, aber ungerecht und verachtenswert, wenn Du kritische Fragen stellst.“

Man hat Gottes Richtersein durch die unerbittlichen Instanzen der veröffentlichten Meinung, dem Erfolg der Selbstdarstellung und dem Selbsturteil ersetzt.

Angesichts dieses anderen Evangeliums ist vielen Christen ihr eigener Glaube in die Krise geraten. Sie erleben, dass das biblische Evangelium scheinbar nicht mehr relevant ist, weil der heutige Mensch sich nicht vor einem richtenden Gott sieht, dessen Gnade und Vergebung er erhofft. Man hat Gottes Richtersein durch die unerbittlichen Instanzen der veröffentlichten Meinung, des Erfolgs der Selbstdarstellung und des Selbsturteils ersetzt. Die Bibel scheint unter dem Dauerbeschuss der Bibelkritik nur noch beschränkt glaubwürdig. Manche Inhalte der Bibel halten selbst viele Christen inzwischen für lächerlich, wirklichkeitsfremd und sogar für schädlich. Viele christliche Werte, die lange Zeit von einem großen Teil der Gesellschaft wenigstens für wertvoll, wenn auch nicht für lebbar gehalten wurden, sind so in der Kritik, dass sie teilweise für unmoralisch und menschenverachtend angesehen werden. Weil Christen jederzeit bereit sein sollen, Rechenschaft über ihren Glauben, ihre Hoffnung und den Grund ihrer Liebe zu geben, braucht es m.E. Antworten für Christen und Nichtchristen. Sie werden eine apologetische Prägung haben müssen. Sie müssen dabei insbesondere in der Lage sein, zu verdeutlichen, inwiefern das biblische Evangelium weiter relevant ist. Daraus könnte im besten Fall eine neue Freude am Evangelium bei Christen wachsen, die in ein fröhliches Bekennen ihres Glaubens mündet.

Betrachtet man den post-evangelikalen Trend hin zu einer Loslösung von den biblischen Glaubensgrundlagen und einer biblischen Ethik genauer, lässt er sich auch am besten als apologetische Antwort verstehen. Der christliche Glaube wird angegriffen (durch Bibelkritik, Wissenschaft als Religionsersatz, Verunsicherung des christlichen Verständnisses von Familie, Ehe, Sexualität etc.) und die Antworten der Post-Evangelikalen sind ein Zugehen auf diese Kritik, verbunden mit dem Versuch, eine christliche Färbung zu bewahren (Bibel­kritik soweit die Bibel sie selbst rechtfertige, Glaube als mystische Innerlichkeit, Bejahung homosexuellen Lebens unter christlichen Vorzeichen etwa mit einer gesegneten „Homo-Ehe“ etc.).

Es reicht zum Beispiel nicht, vor den Angriffen zu kapitulieren und zu versuchen, den Verlust an Botschaft durch liebevolle Taten wettzumachen.

Richtig daran ist, dass es wohl keine Alter­native zu einem solchen apologetischen Weg gibt. Es reicht zum Beispiel nicht, vor den Angriffen zu kapitulieren und zu versuchen, den Verlust an Botschaft durch liebevolle Taten wettzumachen. Die Botschaft vom Evangelium der Liebe Gottes und das gelebte Evangelium der Glaubenden gehört untrennbar zusammen. Eines kann das andere nicht ersetzen. Wir brauchen jedoch Antworten, die die Bindung an Gottes Wort nicht aufgeben. Denn der Kampf dreht sich nicht nur um Themen der Sexualethik, Glaube und Wissenschaft oder den Grenzen der Bibelkritik, bei denen es unter Christen unterschiedliche Meinungen geben kann. Es steht viel mehr auf dem Spiel: An den Antworten zeigt sich, wie Christen die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft, des Evangeliums von Jesus Christus, dem Erlöser, selber einschätzen und ob sie das biblische Evangelium noch an eine verlorene Welt verkündigen wollen oder es auch durch ein anderes Evangelium ersetzen.

1. Gewissheit des Glaubens oder verzweifelte Selbstvergewisserung

Der moderne Glaube will sich immer weniger an die offenbarten Glaubensinhalte binden. Es scheint, als ob der christliche Glaube zunehmend im Sinne des Kirchenvaters der Moderne, Friedrich Schleiermacher, ein mehr oder weniger starkes Gefühl der Abhängigkeit von Gott wird. Offen wird ein mystischer Glaube beworben. Die biblische Rede von Gott wird als symbolisches Reden oder als reiner Ausdruck des menschlichen Glaubens gedeutet, weil man über Gott selbst nicht so konkret reden könne.

Evangelisation wird zunehmend zu einer Werbung, mit seinen religiösen Gefühlen zu einer angenehmen Gemeinschaft zu gehören und sich einem gemeinsamen Projekt anzuschließen. Der Inhalt des Evangeliums bekommt eine unter­geordnete Be­deu­tung. Fragt man dann, woher die Gewissheit des Glaubens kommen soll, so ist das nicht mehr die Botschaft von Christus, seinem Tod und seiner Auferstehung, und die unbedingten Zusagen Gottes, sondern es ist das eigene Gefühl des Angenommenseins und damit der eigene Glaube, der schließlich geglaubt wird. Das führt bei vielen Christen zu einer Sucht nach Selbstverge­wis­serung. Aus­druck davon sind z.B. Tendenzen in der sogenannten Lobpreismusik, die wenig auf die Vermittlung von Glau­bens­inhalten setzt, dafür umso mehr auf die Stärkung des Gefühls, dass Gott bei uns ist und uns beisteht (Allerdings muss man sagen, dass nach einer Zeit der Vereinseitigung wieder Lieder mit Glaubensinhalten eine gewisse Rolle spielen.)

Es ist auffällig, dass alles, was die Selbstvergewisserung des Menschen in Frage stellen könnte, aus der modernen Verkündigung entfernt werden soll. Vom Sündersein oder dem Gericht Gottes redet man lieber nicht.

Es ist auffällig, dass alles, was die Selbstvergewisserung des Menschen in Frage stellen könnte, aus der modernen Verkündigung entfernt werden soll. Dem Menschen zu sagen, dass er in seinem ganzen Wesen Sünder ist, könnte sein Selbstbewusstsein zerstören und ihm schaden. Demgegenüber soll das „Evangelium“ die Selbstgewissheit stärken. Elemente der biblischen Verkündigung, die diesem Zweck nicht zu dienen scheinen, werden als überflüssig angesehen und verschwinden aus der gemeindlichen Verkündigung.

Die Verkündigung des Evange­liums betont deswegen:

• Der Glaube muss auf den Tatsachen des Heils in Christus gründen und kann besonders in der Anfechtung seine Gewissheit nur daher erlangen. Diese Tatsachen sind der Inhalt des Evangeliums und müssen auch der Inhalt der Verkündigung sein, nicht aber Methoden zur Stärkung der Selbstgewissheit.

• Die Verkündigung zielt nicht auf das mystisch-religiöse Gefühl. Sie muss es – um des Evangeliums willen – sogar als menschliches Werk angreifen. Der Glaube enthält zwar ohne Zweifel auch ein mystisches Element im Sinne einer vom Heiligen Geist gewirkten inneren Gewissheit. Das aber muss von den Tatsachen des Evangeliums getragen sein.

• Zum ganzen Ratschluss Gottes gehören auch Elemente, die nicht direkt der Selbstver­gewisserung dienen. Auch sie müssen Teil der Verkündigung bleiben. Gottes Ziel ist es, einen Glauben zu wirken, der mehr ist als positives Selbstbewusstsein. Der Zorn Gottes und sein Gericht können den Menschen durchaus verstören, dürfen aber nicht verschwiegen werden.

2. Identität von Gott oder Versinken in der ewigen Identitätskrise

Es ist für den Menschen nicht möglich, allein auf dem Wege der Selbstbetrachtung sein Wesen und seine Identität, auch nicht seine individuelle Identität, zu bestimmen. Wer und was der Mensch ist, kann er nicht ohne seine Bezogenheit auf Gott und nur durch Offenbarung wissen.

In der gesellschaftlichen Diskussion um die Identität des Menschen wird allerdings genau dieser Versuch unternommen. Das spiegelt sich in der Definition von sexueller Identität als Festlegung auf ein bestimmtes Begehren und Verhalten wieder. Und es kommt in der Verunsicherung von geschlechtlicher Identität im Sinne des Frauseins und Mannseins zum Ausdruck. Auch der gesamte Weg, der in einer intersektionalen Identitätspolitik zum Ausdruck kommt, bei der Identität vielfach aus dem Erleben von Unrecht und Diskriminierung abgeleitet wird, ist aus der Perspektive des Evange­liums ein Irrweg.

Die Identität des Menschen wird in der Bibel gleichermaßen in seiner leiblichen und seiner geistigen Dimension bestimmt.

Menschen bestimmen ihre Identität oft aufgrund von veränderbaren Eigenschaften oder Verhalten. Das „moderne“ Evangelium erweitert das nur um den Aspekt, dass diese Eigenschaften von Gott gewollt seien und deswegen vom Selbst und der (christlichen) Umwelt angenommen werden sollen. Die Bibel geht dagegen von einer vom ewigen Gott gewollten Identität aus, deren hervorragende Aspekte sein Schöpfungshandeln und sein Erlösungshandeln sind. Der Christ sieht deswegen, wenn es um ihn selbst und den Nächsten geht, nicht nur auf das, was vor Augen ist, sondern auch auf das Unsichtbare (2Kor 4,12-18). Die Identität des Menschen wird in der Bibel gleichermaßen in seiner leiblichen und seiner geistigen Dimension bestimmt. Die aktuellen Identitätvorstellungen betonen dagegen die geistige Ebene so sehr, dass die materielle Seite des Menschseins höchstens eine untergeordnete Bedeutung bekommen darf. Das Sein soll ganz vom Denken bestimmt sein.In der Bibel ist der Mensch Materie (Erde), die vom Lebensgeist Gottes belebt ist.

Darüber hinaus soll der Mensch auch von sich selbst absehen und gerade nicht durch Selbsterforschung zu sich finden. Am besten lebt er sein Leben im Dienst und Dasein für Gott und andere. Er findet sich, wenn er sich genau dabei selbst verliert. Er wird der Größte, wenn er zum niedrigsten Dienst bereit ist und sich für andere opfert in einem hingebungsvollen Leben.

Wegen der Sünde hat er das leibliche Leben aber nicht bleibend in sich, es ist eine Leihgabe Gottes, die Gott jederzeit nehmen kann. Das bleibende Leben erhält der Mensch nur aufgrund der Erlösung durch Christus, die er glaubend als Geschenk empfängt. Sünde ist ihrem Wesen nach Gegnerschaft zu Gott und nicht nur Defizit auf dem Weg zu einer gedachten idealen Menschlichkeit. Die Sündhaftigkeit bestimmt deswegen die zeitliche Identität des Menschen und würde ohne die Erlösung durch Sterben und Auferstehen Jesu auch seine ewige Identität bestimmen.

Die Verkündigung des Evangeliums betont deswegen:

• Die eigene Identität kann der Mensch nicht auf dem Weg der Selbstbetrachtung erkennen. Er muss dazu Gottes Sicht über sich selbst kennen und glaubend anerkennen.

• Er hört, dass er Geschöpf Gottes ist und Gott ihm geschöpfliche Gaben und Grenzen gegeben hat. Nur das Leben innerhalb der Grenzen mit der Erkenntnis der Gaben als Reichtum führen zu einem glücklichen Leben.

• Er hört Gottes Urteil über sein Leben, insbesondere die Verletzung von Gottes Ordnung und Gebot, und erfährt, dass das tief in seinem Herzen verwurzelt ist. Er ist in allem, was er denkt, tut und redet Sünder. Das ist ein Element seiner Identität.

• Er hört und sieht Gottes Urteil über sich an der Person Jesus Christus. Der Sohn Gottes und wahre Mensch wurde zur Sünde gemacht, damit er an unserer Stelle für die Sünde bestraft werden konnte. Gott hat das Opfer von Jesus angenommen und als Sühne für die Sünden der Menschen hingestellt.

• Er hört, dass ihm die Vergebung durch den Glauben an Jesus Christus zuteil wird und er in der engen Verbindung zu Jesus ein neuer Mensch werden kann. Die neue Identität als Erlöster hat er in Jesus Christus, d.h. in dem Einssein mit ihm durch den Glauben, aber nicht als Eigenbesitz.

• Er hört, dass aus dieser neuen Verbindung gute Früchte eines neuen Lebens wachsen. Das sind gute Werke aus Glauben, die sich der Mensch nicht selbst zurechnet, sondern als Werke Gottes ansieht, die für ihn vorbereitet wurden.

• Indem sich der Mensch im Glauben so ganz an Jesus Christus verliert, findet er sich und lebt in Übereinstimmung mit der Identität, die Gott ihm geschenkt hat.

3. Verkün­digung des Evangeliums als fremde Botschaft oder Suche der Annahme bei sich selbst

Auch wenn die Verkündigung eine Brücke zum säkularen Menschen bauen will, darf sie das Element der „Torheit“ nicht übergehen oder aus Rücksicht auslassen.

Das Evangelium von der Erlösung ist wesentlich eine für den Menschen fremde Botschaft, die nicht aus ihm selbst kommen kann. Sie ist darum auch nicht einfach die Erfüllung seiner Sehnsüchte oder der Ausgleich der bei sich festgestellten Defizite. Auch wenn die Verkündigung eine Brücke zum säkularen Menschen bauen will, darf sie das Element der „Torheit“ nicht übergehen oder aus Rücksicht auslassen. Das Evangelium ist in seiner Tiefe deswegen auch dem Menschen nicht einfach plausibel und darf auch nicht durch das Sieb der Plausibilität gepresst werden.

Zu den wesentlichen Elemen­ten der Tor­heit des Evangeliums gehört die geschichtliche Dimension, nach der Gott bereits vor Grundlegung der Welt die Erlösung durch Christus geplant hatte. Die Welt und der Mensch sind so auf Christus hin erschaffen, dass Christus in ihr wahrer Mensch und Gott sein konnte, um die Erlösung zu wirken. Außerdem bindet Gott die Offenbarung an geschichtliche Elemente, so dass das Evangelium keine philosophische Erkenntnis oder einfach Theorie ist. Der Glaube an das Evangelium führt darum auch zu einer Teilnahme an der Geschichte Gottes, wie sie etwa in der Zugehörigkeit zum Leib Christi, der Gemeinde der Glaubenden, zum Ausdruck kommt. Die Elemente der Geschichte, wie Sprache, Kultur und Erei­g­nisse, sind nicht zufällig und austauschbar, sondern gottgewollt und wesentlich für den Glauben.

Zur Torheit des Evangeliums gehört das Ver­ständnis des Todes von Jesus Christus als Sühnopfer, das der Zorn Gottes über die Sünde forderte. Es darf nicht mit dem Argument des Lie­bes­willens Gottes beseitigt werden. Das führt zu wesentlichen Um­deu­tungen des Sterbens Jesu, wie z.B. zu einem Startpunkt für den Bau des Reiches Gottes als Transformation einer bösen Welt zum Guten (Wright, Faix u.a.). Wie Gott Liebe ist und zornig über die Sünde, barmherzig und gerecht, heilend und strafend zugleich, kann und darf nicht aufgelöst werden, ohne das Wesen des Evangeliums zu verlieren.

Zur Fremdheit der Botschaft gehört auch die bleibende Feindschaft der Welt gegen das Evangelium und darum auch gegen die Glaubenden und die Kirche.

Zur Fremdheit der Botschaft gehört auch die bleibende Feind­schaft der Welt gegen das Evangelium und darum auch gegen die Glaubenden und die Kirche. Dieses Element beseitigen zu wollen, indem man alles, was einer humanistischen Weltsicht entgegensteht, anpasst, beschädigt das Evangelium selbst.

Wenn das Evangelium zur Botschaft wird, dass der Mensch sich selber bejahen soll, weil Gott ihn liebt und bejaht, wie er ist, dann wird ihm die Fremdheit der Botschaft geraubt und es geht in den Besitz des Menschen über, der einerseits darüber zu verfügen scheint und deswegen auch beliebige Konsequenzen formuliert. Beispiele dafür: „Der Mensch darf nicht pauschal als Sünder bezeichnet werden, um ihm nicht seinen Selbstwert zu rauben.“ „Ein liebender Gott kann nicht den Tod seines eigenen Sohnes wollen, um die Menschen lieben zu können.“ „Ziel des Evangeliums ist die Versöhnung mit sich selbst und die Selbstannahme, die zu einem besseren Menschen macht.“ Usw.

Die Verkündigung des Evangeliums betont deswegen:

• Das Evangelium ist Botschaft von Gott und wir müssen darauf achten, dass wir sie durch den Glauben als Geschenk annehmen, uns ihrer aber nicht bemächtigen.

• Das Evangelium wird, weil es Botschaft von Gott ist, immer fremde Elemente enthalten. Gott ist Mensch geworden und hat auch seine Botschaft an das beschränkte Erkennen des Menschen angepasst, aber das heißt nicht, dass alles in unseren Kategorien plausibel ist.

• Das Evangelium bleibt die Botschaft von Christus, der mit seinem Sterben und Auferstehen von der Schuld der Sünde errettet, indem er Frieden mit Gott macht und so ewiges Leben schenkt.

4. Moralisches Leben nach Gottes Maßstäben oder heuchlerischer Moralismus

Der Mensch ist offenbar ein moralisches Wesen. Er muss zwischen richtig und falsch, gut und böse unterscheiden. Sein Gewissen klagt ihn an oder verteidigt ihn gegenüber einer übergeordneten Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit hat der Mensch oder die Gesellschaft nicht selbst bestimmt, auch wenn das für einzelne Werte gelten mag. Einige Werte lassen sich zwar aus dem Naturrecht ableiten, aber auch diese brauchen einen übergeordneten Maßstab, den der Mensch nur aus der Offenbarung Gottes bekommen kann. Dass z.B. auch das Leben des Schwachen einen Wert hat und deswegen nicht genommen werden darf, lässt sich nicht aus der Natur ableiten.

Nach der Bibel gehört von Anfang an noch vor der ersten Sünde zur Beziehung zwischen Gott und Mensch auch das Gebot.

Nach der Bibel gehört von Anfang an – noch vor der ersten Sünde – zur Beziehung zwischen Gott und Mensch auch das Gebot. Gott sagt, was der Mensch tun soll und was ihm verboten ist. Die Unterscheidung zwischen dem verbotenen Baum der Erkenntnis und den vielen erlaubten Früchten trifft Gott und offenbart dem Menschen seinen Willen. Wenn der Mensch sich selbst die Maßstäbe wählt, macht er sich damit zum Feind Gottes. Allerdings machen ihn die Maßstäbe Gottes nicht unmündig, sondern geben ihm den Freiraum, in dem er Gottes Werte auf die Vielfalt seines Lebens anwenden kann und soll. Freiheit ist bei Gott die Würde, die er dem Menschen in der engen Bindung an ihn verleiht.

Weil ein gerechter Gott kein unmoralischer Gott sein kann, wird der Wegfall von biblischen Geboten mit menschlichen Geboten kompensiert.

Die in der Bibel vermittelte Bindung an Gott wird korrumpiert, wenn das Gebot, das Teil der Selbstmitteilung Gottes ist, zum Instrument der Beziehung zu Gott wird. Das geschieht immer da, wo die Beziehung durch den Gesetzesgehorsam definiert wird, statt dass sie im Glauben und Vertrauen auf Gott gelebt wird. Das geschieht in der modernen Theologie regelmäßig so, dass man unter der Maßgabe der Abwehr von Gesetzlichkeit und Moralismus zuerst eine ungeformte Liebe oder Zuwendung Gottes definiert. „Gott nimmt dich an, so wie du bist.“ Weil aber Gott auch kein Gott der Unmoral sein kann, bildet schnell eine neue „christliche“ Moral jenseits der biblischen Offenbarung die Grundlage für das, was ein Christ sein soll. Wie bereits zur hochmoralischen Zeit der Aufklärung liegt auch heute eine Gefahr darin, sich dem Moralismus der gegenwärtigen Gesellschaft anzuschließen oder ihn sogar noch christlich überbieten zu wollen.

Die Verkündigung des Evangeliums betont dagegen:

• Das Evangelium ist der Freispruch vom gerechten Urteil Gott, das er gemäß dem fällt, was er den Menschen an Willen und Forderungen offenbart hat. Es ist nicht ohne Gesetz, aber betont, dass der Glaube die Beziehung zu Gott bestimmt, dem Gott Christus und das von ihm gewirkte Heil zum Inhalt gegeben hat. Wir glauben an Christus und die Errettung.

• Das Evangelium ermutigt, im Glauben nicht auf das eigene Christsein zu sehen, sondern auf Christus. Er lebt die guten Werke Gottes, ohne auf sie zu schauen, so dass hier gilt: Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut.

• Die Verkündigung des Evangeliums achtet darauf, vom Christen keine anderen Dinge zu fordern, als die, die ausdrücklich im Neuen Testament benannt sind.

5. Von Offenbarung geleitete Vernunft oder Vernunft an Gottes Stelle

Nicht Wissenschafts- oder Technikfeindlichkeit erwachsen aus dem gesunden Glauben, wohl aber eine Skepsis gegen eine Wissenschaft, die zur Religion wird und eine Technik, die den Menschen beherrscht.

Der moderne Glaube will vor allem ein vernünftiger Glaube sein, der gewissermaßen jedem vernünftigen Menschen einsichtig gemacht werden kann. Wenn aber der Maßstab der Vernünftigkeit zu einem Filter wird, dann verdrängt er die Offenbarung. Die Vernunft ist aber – um mit Luther zu sprechen – eine Hure, die sich auch jeder Unvernunft hingeben kann. Darum braucht sie die Leitung durch die Offenbarung Gottes, wie wir sie in der Bibel finden. Wir können die Welt und uns selbst nicht richtig verstehen ohne die Brille der Heiligen Schrift (Calvin). Deswegen war das Christentum kein Feind von Vernunft und Wissenschaft, aber hat sich immer bemüht, die Grenzen der Erkenntnis und den Rahmen aller Erkenntnis zu betonen. Gottesfurcht ist nicht das Ende der Weisheit, sondern ihr Anfang. Nicht Wissenschafts- oder Technikfeindlichkeit erwachsen aus dem gesunden Glauben, wohl aber eine Skepsis gegen eine Wissenschaft, die zur Religion wird, und eine Technik, die dem Menschen nicht dient, sondern ihn beherrscht. Der Mensch kann der Wissenschaft auch nicht folgen, weil diese keine moralischen Maßstäbe bieten kann, die für richtiges Handeln notwendig sind.

Die Verkündigung des Evangeliums betont deswegen:

• Das Evangelium wurde von Gott offenbart. Wir finden es nicht in uns selbst oder der Welt, sondern es kommt aus den Gedanken Gottes, die viel höher sind als unsere Gedanken. Es übersteigt alle unsere Vernunft, ohne dabei unvernünftig zu werden. Wir dürfen es aber auch nicht durch das Sieb unserer Vernunft pressen, sondern müssen die Priorität der Offenbarung achten.

• Die Verkündigung muss darum immer wieder auf ihre Quelle verweisen und Verkündigung des Wortes Gottes bleiben, sonst ist sie kein Evan­gelium. Die Auslegung des Bibel­textes muss der Anfang und die Mitte jeder Predigt sein. Das kann durch weisheitliche Inhalte nur ergänzt werden.

• Das offenbarte Evangelium zeigt dem Menschen auch die Grenzen seiner Vernunft auf, ohne selber unvernünftig zu sein. Die Grenzen seiner Vernunft erkennt der Mensch auch bei der Erforschung der geschaffenen Welt im Kleinen wie im Großen.

• Das Evangelium will einen Glauben wirken, der mit der Vernunft der Weisheit Gottes nachfolgt und seine Gedanken unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen lässt.

• Wer dem Evangelium glaubt, wird gern die allgemeine Offenbarung in der Schöpfung betrachten. Er will so den Schöpfer ehren, dass er mit Alltagsbeobachtung und genauer wissenschaftlicher Untersuchung das Geschaffene erforscht, ohne es dem Schöpfer gleichzusetzen.