ThemenGlaube und Wissen(schaft)

Der Kampf um die Bibel in der Wissenschaft

Mit diesem Aufsatz, der auf der Grundlage eines Vortrags von 1973 entstand, erinnern wir nicht nur an den kürzlich verstorbenen Autor. Der Aufsatz zeigt auch heute hilfreich, wie intellektuelle Redlichkeit und ein festes Vertrauen auf Gottes Wort miteinander verbunden sein können. Hier sind wir in der gegenwärtigen Zeit wieder stark herausgefordert, weil auch in der evangelikalen Welt immer mehr das von Schröter benannte Doppeldenken Einzug hält, in dem Glaube und Wissen voneinander geschieden werden. Dabei kann aber der Glaube schnell „zerbröseln“. In einer Thesenreihe zeigt Schröter, dass eine solche Trennung nicht notwendig ist. Die Zuverlässigkeit der Bibel kann in Frage stehen, aber wer ernsthaft sucht, kann auch tragfähige Antworten finden.

Wieder einmal soll es um das Verhältnis zwischen Bibel und Wissenschaft gehen. Wenn wir die Formulierung »Kampf« mit in die Überschrift aufnehmen, so deshalb, weil es sich um eine seit Jahrhunderten ereignende Auseinandersetzung handelt. Zwar glaubt man heute vielfach, Bibel und Wissenschaft, insbesondere Naturwissenschaft, hätten Frieden geschlossen, doch bei näherem Zusehen handelt es sich nur um den Scheinfrieden der Abgrenzung. Man kann diesen Frieden kurz auf die Formel bringen: Wenn die Theologie verspricht, die Texte der Bibel nicht als naturwissenschaftlich relevant anzusehen, wenn sie bereit ist, die Aussagen biblischer Texte nicht als wirklich, sondern nur als wahr zu bezeichnen, dann verzichtet die Naturwissenschaft ihrerseits darauf, sich in die inneren Angelegenheiten der Theologie, insbesondere in die von ihr vertretene Ethik und Dogmatik einzumischen. Hier (in der Naturwissenschaft) die Beschreibung dessen, was tatsächlich ist und war, dort (in der Kirche) Hilfen, ein guter Mensch zu werden und seinen religiösen Bedürfnissen zu entsprechen.

Dieser Scheinfriede lässt ein Gefühl des Unbehagens zurück. Er verführt zu einer Art Doppeldenken. Als naturwissenschaftlich interessierter Mensch spricht man so, und als Christ gebraucht man ein zweites Vokabular. Ich kenne Christen, die jenes zweistufige Denken in sich zu harmonisieren vermögen und, soweit ich es beurteilen kann, ihren Wandel vor Gott und in Verbindung mit Christus führen. Es gibt andere, die das Doppeldenken nicht aushielten. Ihre Glaubenssubstanz zer­­­bröselte oder wurde von einer selbst konstruierten wissenschaftsdominanten Christlichkeit ohne Verbindung zum lebendigen Christus abgelöst. Wieder andere verteufelten die Wissenschaft, weil sie ihren inneren Frieden störte.

In einigen Thesen möchte ich zu dieser Auseinandersetzung zwischen Bibel und Wissenschaft Stellung nehmen:

These 1:

Durch die Konfrontation zwischen Bibel und Wissenschaft sind Christen gezwungen, sich der Basis ihres Glaubens und Denkens immer wieder neu zu vergewissern.

Die ständige Konfrontation zwischen der Bibel und den Wissenschaften ist gut, weil sie den Christen zwingt, sich immer wieder der Basis seines Glaubens und Denkens zu vergewissern, und weil sie auch viele Naturwissen­schaftler zu einem Nachdenken bringt, das Einseitigkeit verhindern kann.

Dabei ist diese Auseinander­set­zung so neu nicht. Eigentlich hat es sie in allen Jahrhunderten seit Christi Geburt gegeben. Schon die Gnostiker des 2. Jahrhunderts stießen sich z. B. daran, dass »der ewige Logos in Wirklichkeit in einem Menschenleib Wohnung genommen hat«.1 Marcion zum Beispiel strich aus der Bibel das ganze Alte Testament und seine Zitate im Neuen Testament, weil er es als Denker seiner Zeit nicht akzeptieren konnte und wollte. Wir sollten weder traurig noch verzagt sein, wenn uns Anfechtungen bei der Ausübung der Funktionen Glauben und Denken behelligen. Sie erhalten frisch, verhindern Schläfrigkeit und zwingen, wach zu bleiben. Sie treiben ins Gebet und veranlassen, sich in die Bibel zu vertiefen und im Gespräch mit anderen Christen Hilfen zu erbitten oder zu geben. Wie Gott um die Denknöte eines Hiob wusste und sie lange unbeantwortet ließ, so sind ihm unsere intellektuellen Schwierigkeiten nicht unbekannt. Sie haben ihren Zweck und ihr Ziel. Die Waffen des Geistes aus Epheser 6, 14 ff. – übrigens alles nur Verteidigungs- und keine An­griffs­waffen (auch das dort genannte Schwert war nur ein Kurzschwert, das der Verteidigung diente) — können eine gute Hilfe sein, unbesiegt zu bleiben. In der nächsten These soll es um das Selbstverständnis der Wissenschaft gehen:

These 2:

Wissenschaft stellt in ihrer Gesamtheit das geordnete Wissen und davon abhängige Können der Menschheit auf der Höhe ihrer Zeit dar. Sie versucht, es zu erweitern, die Einzelgebiete in Beziehung zueinander zu setzen und jene Bereiche zu eliminieren, die der strengen Methodik des Systems ihrer Folgerichtigkeit widersprechen.

Wenn wir sagen »auf der Höhe ihrer Zeit«, deuten wir damit ihre Relativität an, denn die Substanz der Wissenschaft, wie sie etwa vor 100 Jahren vorzufinden war, ist unterschieden von der heutigen Wissensgesamtheit. Und in 100 Jahren wird voraussichtlich wiederum eine andere Schau der Dinge zu verzeichnen sein. Auch Grundaussagen der Wissenschaft, Fragen der Methodik und die Art des Schlussfolgerns bleiben nicht unberührt von den Veränderungen des Fortschritts. Über Sonderfragen der Axiomatik habe ich an anderer Stelle gesprochen.

These 3:

Die Bibel bietet Wissen, das nach ewigen Gesichts­punkten geordnet ist und das in seiner Bedeutung für Menschen und Welt, und besonders für das Leben und Sterben des Glaubenden fruchtbar wird.

Die Bibel stellt in ihrer Vielfältigkeit jenes nach höheren Gesichtspunkten geordnete Wissen über Menschheit und Weltall dar, das uns vor allem Auskunft über das Woher, Wohin und Warum der Menschheit gibt. Theologie als eine Wissenschaft, in deren Mittelpunkt Ewigkeitsforschung zu stehen hat, wird bestrebt sein, mit kritischen Mitteln jene durch Offenbarung vorgegebene Wissens­konzentration zu untersuchen, ihre gelegentlichen verschlüsselten Zusammenhänge zu ergründen, sie in ihrer Bedeutung für Menschheit und Weltall zu bedenken und für das Leben und Sterben des einzelnen Christen fruchtbar zu machen.

Die Bibel tritt mit dem Anspruch auf, durch eine Wirkung des von Gott ausgehenden Heiligen Geistes als eine Stimme Gottes autorisiert zu sein. Jesus, die Jünger und alle Gott gehorsamen Zeitgenossen Jesu haben das Alte Testament wie selbstverständlich als geoffenbartes verbindliches Gotteswort angesehen, und die Jünger leiten in ähnlicher Weise die Autorität der von ihnen als an sie nur weitergegeben empfundenen Worte ab.

Als eines für manche anderen Bibelworte sei hier 2. Petrus 1, 18-21 zitiert:

»Gottes Stimme haben wir vom Himmel kommen hören, als wir mit Jesus auf dem heiligen Berge waren, und so ist uns das prophetische Wort, das wir haben, fester geworden, und ihr [gemeint sind die Leser des 2. Petrusbriefes] tut gut, darauf zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen, indem ihr dies zuerst erkennt, dass, keine Weissagung der Schrift durch des Propheten eigene Deutung zustande kommt. Denn niemals ist eine Weissagung durch menschlichen Willen hervorgebracht worden, sondern -durch den Heiligen Geist getrieben, haben Menschen von Gott aus geredet. Es traten aber auch falsche Propheten unter dem Volk auf, wie es auch unter euch falsche Lehrer geben wird, die heimlich verderbliche Ketzereien einführen werden, indem sie sogar den Herrn, der sie erkauft hat, verleugnen, wodurch sie rasches Verderben über sich bringen.«

Dass die Bibel Gottes Wort ist (und nicht nur enthält), ist weder beweisbar noch widerlegbar. Wer dies aber mit allen Konsequenzen für sein Leben akzeptiert, demütig und gehorsam, erhält im Vollzug des Gehorchens die Bestätigung, dass dies so ist.

Dabei handelt es sich keinesfalls um einen erniedrigenden, unredlichen, feigen Gehorsam, sondern um die Vorgabe eines Vertrauens auf Zeit durch den angesprochenen Menschen. Es ist in der Regel die Voraussetzung dafür, dass Gott hörbar wird.

These 4:

Auch die herkömmliche Wissenschaft ist, oft ohne dass ihre Vertreter es wissen, integriert in jenen größeren Seinsbereich, den – wie in These 3 beschrieben – die biblische Theologie zum Gegenstand ihrer Forschung macht. Die Wissenschaft zeigt lediglich einen Ausschnitt aus den in toto (= in Ganzheit) vorhandenen Wissens- und Könnensmöglichkeiten, wobei – wie bereits angedeutet – viele ihrer Aussagen keinen endgültigen Charakter haben. Die Vorläufigkeit zeigt sich in dem Prozess des Entstehens, Bestätigt-oder Verworfenwerdens vieler als wissenschaftlich apostrophierter Lehrsätze eines Jahrhunderts, summiert im Wandel der Lehrmeinungen. Dies gilt auch für die Gesellschaftswissenschaften wie auch für den gelegentlich wissenschaftlich genannten Marxismus.

Die Geschichte der Wissenschaften legt die Vermutung nahe, dass es außerhalb der gegenwärtig der Wissenschaft zugänglichen Seinsbereichen noch ein große Anzahl weiterer geben kann, die man sich bisher nicht erträumte.

Das heißt: Wissenschaftsbereiche außerhalb von Theologie (die an Maßstäben der Ewigkeit orientiert ist) können notwendigerweise nur Gebiete sein, die für die Sinne des Menschen in irgendeiner Weise (und zumeist unter Anwendung intelligent erdachter Hilfen) zugänglich sind. Die Tatsache, dass gerade im letzten Jahrhundert viele Bereiche des Seins neu erschlossen und für die Sinne fassbar gemacht wurden (z.B. die Vielfalt elektrischer Wellen, die Funk und Fernsehen erst ermöglichten), sollte die Vermutung nahe legen, dass es außerhalb des der Wissenschaft zur Zeit zugänglichen möglicherweise eine große Anzahl von Seinsbereichen gibt, von deren Existenz wir uns nichts träumen lassen und die mit Mitteln erdgebundener Erkenntnis niemals aufgedeckt werden können. Ich halte es für eine geradezu verwegene Denkhaltung, zu meinen, man habe bis auf kleine Randgebiete alle Welträtsel gelöst. Auch im gesellschafts­wis­sen­schaftlichen Bereich zeigt sich im Wettkampf der (von ihren Anhängern als wis­senschaftlich be­zeichneten) Sys­­teme die Vor­läufigkeit des Er­ken­nens. Sie werden immer mehr zu irdisch-gerichteten Heilslehren, die nicht selten mit geradezu religiös anmutendem Eifer verteidigt und verehrt werden. Die nächste These befasst sich mit der Kreativität, dem angeblich schöpferischen Denken in der Wissenschaft:

These 5:

Ergebnisse der Forschung, Denkakte genialer Wissenschaftler, selbst die sogenannten Triumphe des menschlichen Geistes, können bestenfalls vorletzt schöpferisch sein. Wirkliche Schöpfungskraft wohnt ihnen nicht inne. Sie können nur enthüllen und den Sinnen zugänglich und der Menschheit verfügbar machen, was bereits vorhanden, aber noch unerreichbar war. Letztlich sind alle wissenschaftlichen Aussagen deskriptiv, denn sie können nur nachzeichnen und vorgebende Möglichkeiten ausnützen.

Sir Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, das 1929 gefunden und 1939 als erstes Antibiotikum in die Heilkunde eingeführt wurde, hat dieses Stoffwechselprodukt des Pinsel­schim­mels nicht geschaffen, sondern eben nur entdeckt, wie die Astronomen neue Sterne entdecken und Gegebenheiten im stellaren Raum ent­schlüsseln, aber nicht schaffen. Und sollte einmal ein Heilmittel gegen den Krebs zusammengestellt werden, so können wir sagen, dass die Möglichkeiten bereits heute vorhanden, aber eben noch nicht entdeckt, das heißt aufgedeckt sind.

Von der Bibel her gesehen gilt auch das für Naturwissenschaftler, was Römer 1, 20 steht:

»Gottes unsichtbare Züge werden an der Schöpfung der Welt ersehen, indem sie an den Tatwerken begreiflich werden wie auch seine unwahrnehmbare Kraft und Göttlichkeit« .

Der Wissenschaftler sollte sich bewusst sein, dass er nichts Neues erschafft, sondern ein Nachspürender, Nachzeichnender, die Hüllen Wegziehender ist. Ehrfurcht vor dem, der das Enthüllte erschuf, ist angebracht.

Das Wissen darum, nur ein Nachspürender, Nachzeichnender, Be­schrei­ber, Hüllen Wegziehender zu sein, sollte eigentlich bereit machen zur Ehr­furcht vor dem, der das nunmehr Enthüllte schuf und der die Fähigkeit zur Entdeckung gab. Hochmut und das Gefühl verstärkter Unabhängigkeit von Gott sind jedoch genau entgegengesetzte und daher von Satan gewirkte Reaktionen bei einigen jener Menschen, denen das Glück des Entdeckens beschieden ist.

These 6:

Wie bestimmte Bereiche der Wissenschaft sich nur dem erschließen, der die notwendigen Denkvoraussetzungen und die Fähigkeit zur Anstrengung des Begriffs für gerade dieses Gebiet mitbringt, ebenso erschließt sich der in der Bibel vorzugsweise dargestellte Wirklichkeitsbereich nur dem, der sich die notwendigen Denkvoraussetzungen erwirbt und sich einer auch dazu notwendigen Anstrengung des Begriffs, aber auch des Handelns unterwirft.

Hier geht es um die Voraussetzungen des Glauben­könnens. Es ist nicht einzusehen, weshalb Glauben ohne Voraussetzung jedem möglich sein soll, da sich ja auch kein Wissenschaftsbereich in seiner Tiefe für jeden offenhält, der sich nicht um ihn bemüht. Bei der Wissenschaft sind meist bestimmte Denkvoraussetzungen erforderlich, bei der Kunst liegen die Voraussetzungen nicht im kognitiven, sondern im ästhetischen Bereich. Der Zugang zum Glauben ist unabhängig von kognitiven und ästhetischen Fähigkeiten. Voraussetzungen sind hier: Einsicht, dass Gott ist2, und in die Tatsache des Abstandes von Gott in Können und Verhalten, das Wissen um die eigene Schuld, Unkorrektheit, Sünde ihm gegenüber, die Annahme des einzigen Weges zum Heil, das in Jesus Christus jedem offensteht, und Leben vor ihm. »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe, ein Neues ist geworden« heißt es 2. Korinther 5, 17. In Christus — glauben können; außerhalb von Christus — nicht glauben können. Hier liegt die eigentliche Ursache der Fähigkeit zum Glauben. Auch jener, der sein Leben einmal dem Herrn übergab, kann wieder aus Christus hinausgehen. Doch sogleich beginnen die Schwierigkeiten des Glaubens. Der einzige dauerhafte Weg, frei von Zweifeln aller Art zu werden, heißt: in ihm bleiben. Dazu gehört auch das ernsthafte beständige Gebet. Wer Christ ist und dieses geistliche Gesetz überprüft, wird seine Richtigkeit in seinem Leben bestätigt finden: Zweifel traten selten dann auf, wenn er in permanentem Kontakt zum Herrn lebte. Wurde er aber lässig und lau, abgewendet vom Herrn, ihn nicht die Freuden des Tages teilen lassend, kamen wie Wolken jene Bedenken, Unsicherheiten, Zweifel, die Gott zu verbergen scheinen.

These 7:

Weder in der Wissenschaft noch in Theologie kann ein Mensch ein totales Verständnis der Wahrheit erlangen. Trotzdem ist er mit Recht Wissenschaftler oder kann Gott recht erkennen.

Keinem Menschen ist ein Durchblick durch die Gesamtwissenschaft gegeben. Trotzdem darf er sich mit Recht Wissenschaftler nennen, wenn er in einem Wissenschaftsbereich auf der Höhe der gegenwärtigen Erkenntnis und Diskussion steht. Ebenso erschließt sich keinem Menschen das Totalverständnis der in der Bibel manifestierten Wahrheits­substanz. Doch da auch hier pro toto (= ein Teil für das Ganze) gilt, darf er sich als Christ und von Gott Gelehrter, also als Theologe im Sinn der Bibel verstehen, wenn er jene gerade ihm erschlossenen Bereich göttlicher Aussagen mit Ernst durchdenkt und Folgerungen für die Praxis seines Lebens zieht.

Es kommt also nicht auf Vollständigkeit an. Die Bibel weist häufig darauf hin, dass jedem sein Teil an Erkenntnis und Vermögen zugemessen sei, so zum Beispiel in dem Bild des Körpers von 1. Korinther 12, das verdeutlichen soll, dass nur die Summe aller Organfunktionen den Körper ausmacht. Gemeinsam ist allen Organen die Steuerung durch das gemeinsame Haupt als verbindendes und »regierendes« Organ. In gleicher Weise verbindet den einzelnen Christen, der sich im Sinne dieses Bildes in einer Teilfunktion weiß, vor allem das Haupt mit dem Mitchristen.

Es kommt darauf an, seinen Könnens- und Aufgabenbereich zu erkennen und keine Scheu oder gar Minderwertigkeitsgefühle zu bekommen, wenn man beim Mitchristen eine andere Zubereitungsweise durch den vom Haupt ausgehenden Heiligen Geist erkennt. Alle Glieder, die nicht krank sind, sollten zwar nicht gleichartig, aber doch gleichwertig in Bezug auf das Haupt angesehen werden.

Jedem Christen erschließt sich daher auch die Bibel in anderer Weise. Es gibt Bezirke, die uns besonders deutlich, besonders bedeutsam, besonders aussagekräftig erscheinen, und andere, um die wir uns vielleicht auch mühen, die aber einen anderen Direktadressat zu haben scheinen. Oft ist dies schon äußerlich deutlich: Was den Männern gesagt wird, zum Beispiel: »Liebet eure Frauen!«, das geht eigentlich nur die Männer etwas an, und wenn in einer ganz bestimmten (für Nichtchristen leicht misszuverstehenden) Weise von der Unterordnung der Frau gesprochen wird, so geht das in erster Linie die Frau etwas an. Geradezu gefährlich wird es, wenn hier die Adressanten vertauscht werden und die Frau stets darauf achtet, dass der Mann die Frau liebt, und der Mann mit Ernst bedacht ist, dass sich seine Frau ihm unterordnet. Manche christliche Ehe krankt daran, dass man nicht zuerst das hört, was für einen selbst bestimmt ist!

Für unterschiedliche Christen und unterschiedliche Zeiten können auch unterschiedliche Aussagen der Bibel besonders bedeutsam sein.

Manche Denominationen, also christliche Gruppierungen verdanken sicher ihre Entstehung der Tatsache, dass sich Christen enger zusammenschlossen, denen eine bestimmte Aussagenkette der Heiligen Schrift in Sonderheit existenziell wichtig wurde. So hatten die ersten Baptisten durch die Aussagen zur Taufe eine besondere Prägung erhalten, die Darbisten, vor allem die der ersten Stunde, hatten einen besonderen Bezug zum allgemeinen Priestertum aller Gläubigen und zum Abendmahl, die Heilsarmee zur evangelistischen Aufgabe und der Bibelbund zur unteilbaren Anerkennung der Tatsache, dass die Bibel irrtumsfrei ist. Wir sollten diese Vielfalt in der Einheit respektieren und uns darüber freuen, statt zu versuchen, den anderen, vielleicht in anderer Weise vom Haupt Gesteuerten in unser Bild umzuformen. Wir sollten Gott vielmehr bitten, das Werk an ihm so zu führen, wie es gerade für ihn richtig ist.

These 8:

In Christus sind verborgen alle Schätze der Weisheit.

Ich möchte hier die Betonung auf das Wort »verborgen« legen. Man muss sich anstrengen, um Verborgenes zu entdecken. Kinder spielen sehr gern Verstecken, weil sie die Freude, etwas gefunden zu haben, als etwas besonders Ansprechendes empfinden. In allen Teilen der Bibel ist Christus verborgen, und in ihm sind alle Schätze der Weisheit verborgen. Bodenschätze sind nur mit Anstrengung zu heben, Goldsuche und Goldwäscherei waren und sind ein anstrengendes Geschäft. Auch die Schätze der Bibel erwarten, dass man sich um sie müht, ehe sie fassbar werden. Mühe allein aber genügt nicht. Manche Ergebnisse universitätstheologischer Forschungen verraten viel Mühe und Anstrengung. Das Ergebnis aber enttäuscht. Nur als ein unter und nicht über dem Wort Stehender gelingt christlich-theologische Forschung. Wir sagten an anderer Stelle, dass religions­wissenschaftliche Forschung im Gegensatz dazu an eine haltungsmäßige Vorentscheidung gebunden ist. Fehlt bei theologischer Forschung das Kalkül des Heiligen Geistes, muss ihr Ertrag notwendigerweise dürr bleiben.

These 9:

Wenn die Bibel in toto ( =im Ganzen) richtig und genau in ihren Aussagen ist, muss sie es auch in allen ihren Teilen sein.

Hier kommen wir zu einer These, die wir etwas eingehender betrachten wollen. Es wird gelegentlich eingeräumt, die Bibel sei zwar in ihrer Ganzheit als Gottes Wort, als Heilige Schrift anzusehen und zu respektieren. Ihre einzelnen Teile jedoch dürften nicht so betrachtet werden. Der Gesamtakkord stimme zwar, aber einzelne Stimmen dieses Akkords seien falsch.

Damit hängt eng die Frage nach der Wertigkeit der einzelnen Teile der Bibel zusammen. Ist das Neue Testament mehr wert als das Alte Testament? Ist das 3. Buch Mose weniger wert als der Epheserbrief? In einer Diskussion im Kreise überzeugter Christen zu dieser Frage gab es unterschiedliche Antworten, und einige wollten doch keine Gleichwertigkeit der einzelnen Bibelteile akzeptieren. Ich kann dies verstehen; auch mir sagt der Epheserbrief mehr als das 4. Buch Mose, der 1. Petrusbrief mehr als die Offenbarung. Die Frage nach der Wertigkeit ist jedoch so zu schnell beantwortet. Sie hätte eine Parallele in der Frage, welcher Fahrplan mehr wert sei, der von Bayern oder der von Schleswig-Holstein, der von Finnland oder der von Spanien. Die Antwort ist klar: An sich sind die Fahrpläne von gleichem Wert. In ihrer Bedeutsamkeit unterscheiden sie sich jedoch je nach der Position, in der der Beurteilende lebt. Ein Bayer ist auf den bayerischen Fahrplan fixiert, ein Schleswig-Holsteiner auf den von Schleswig-Holstein.

Das 4. Buch Mose war für Israel hochaktuell und seine Einzelheiten von brennendem Interesse. Für die Gläubigen aus den Nationen, die heute leben, ist dieses Buch zwar nützlich zur Ermahnung, Zurechtweisung, zur Einsicht in den Weg Gottes mit seinem Volk. Lehrhaft, gesetzmäßig jedoch sind für uns andere Teile der Bibel verbindlich. Niemand soll heute zum Beispiel deshalb gesteinigt werden, weil er am Sabbat Holz sammelt, wie es in 4. Mose 15 angeordnet wird, und seit Christus als das Lamm Gottes ein für alle mal am Kreuze geopfert wurde, haben für uns die vielen detaillierten Opferanordnungen keinen direkten Aufforderungs­charakter. Ich bin auch der Überzeugung, das viele Teile der Offenbarung, die wir heute noch nicht verstehen, jenen Menschen einmal klar und hell erscheinen werden, die in der Zeit der dort beschriebenen Ereignisse leben werden.

Die Bibel ist als Ganze Gottes Wort, auch wenn die Bedeutsamkeit ihrer Teile für unterschiedliche Leser und bestimmte Zeiten unterschiedlich sein kann.

Halten wir fest: Die Bibel ist in allen ihren Teilen von dem gleichen Rang, in dem auch alle Teile eines Körpers ihre unvertauschbare Aufgabe haben. Die Bedeutsamkeit für den einzelnen Leser oder bestimmte Zeit- oder Menschengruppen, ist innerhalb ihrer einzelnen Teile unterschiedlich. Dennoch bleibt die Bibel in toto (= im ganzen) Gottes Wort.

Ist die Bibel im ganzen Gottes Wort, dann ist sie es auch in den einzelnen Büchern; ist sie es in den einzelnen Büchern, dann auch in den einzelnen Abschnitten der Bücher; wenn in den einzelnen Abschnitten, die wir Kapitel nennen, dann auch in den kleineren Teilen, den Versen.

Auch die gängigen Thesen zur Genese, das heißt Entstehung, der einzelnen biblischen Bücher sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Es heißt, die Inhalte des Neuen Testaments seien zunächst nur mündlich weitergegeben worden. Man habe in ihnen den Glauben bezeugen wollen und sei mit der Realität recht großzügig umgegangen. Man habe zum Beispiel Wunder und große Taten dazu erfunden, die Botschaft von Christus eindrucksvoller, glaubwürdiger zu machen.

Mir scheint dies eine geradezu kuriose Unterstellung zu sein, die Wahrheit mittels der Erfindung verbreiten zu wollen, sich intelligente Geschichten auszudenken, Wunder zu erfinden und, sagen wir es hart, Lügenmärchen zu konstruieren, um der Wahrheit Gottes den Weg zu bereiten. Wäre dies so, sollte man bald zeitgemäßere Märchen erfinden oder vorhandene, wie etwa das »Vom Fischer und seiner Frau« (das ja einen durchaus religiösen Gehalt hat), verwenden, um Stoff für »religiöse« Meditation zu haben.

Die These, die Bücher des Neuen Testaments seien erst im 2. oder gar erst im 3. Jahrhundert nach Christi Geburt schriftlich fixiert worden3, ist in diesen Tagen ins Wanken gekommen. So berichtet die Presse dieser Tage (z. B. die »Kieler Nachrichten« am 19. 4 1972):

»Professor Jos O’Callaghan, Papyrologe am Vatikan, bezeichnete nach langwierigen Untersuchungen Fragmente von Papyrusrollen, die aus den Höhlen am Toten Meer stammen, als die älteste (bekannte) Niederschrift des Markus-Evangeliums. Sie sollen zehn bis fünfzehn Jahre nach dem Kreuzestod Jesu entstanden und deshalb vermutlich von Zeitgenossen Christi aufgezeichnet worden sein.«

Und die »Frankfurter Allgemeine« bemerkt zu diesen Funden:

»Als ältester Fund eines Teils des Neuen Testaments galt bisher ein Stück aus dem Evangelium nach Johannes. Es stammt aus dem Jahr 135 und ist in Ägypten entdeckt worden.«

Ich vermag der Gedanken­reihe einiger Theologen nicht zu folgen, die davon überzeugt sind, dass die Bibel lediglich eine Urkundensammlung über das religiöse Denken in verschiedenen Zeiten darstellt, eine Urkundensammlung, die natürlich Irrtümer in der Aussage über nichtreligiöse Gegenstände enthalten müsse, weil das Wissen der früheren Zeiten recht lückenhaft war. Man sagt etwa: »So hat man sich damals die Entstehung der Welt, ihre Begründungs-Zusammenhänge, die Ur­sachen der Erscheinungen eben gedacht, und um die Glaub­würdigkeit zu erhöhen, hat man prägnante Geschichten erfunden, die diese Auffassungen unterstützen. Es war nicht Lüge, sondern Dichtung.« So ähnlich hört man es in Vorlesungen, Büchern und Religionsstunden.

Es ist mir ein Rätsel, wie man auf der Basis Theologie betreiben kann, dass die Bibel nur eine Urkunden­sammlung über religiöses Denken in der Vergangenheit darstellen soll.

Es ist mir ein Rätsel, wie man auf dieser Basis Theologie oder Religionsunterricht betreiben kann. Ich könnte es nicht, einfach wegen der Missachtung der Gesetze intellektueller Redlichkeit. Sind es Sagen, Mythen, ausgedachte Geschichten, selbstgebraute Philosophismen, dann könnten sie für mich nicht die Basis des Glaubenslebens darstellen.

Man kann nicht im zweiten Stockwerk wohnen und die Existenz von Fundament und Erdgeschoß leugnen wollen! Ich kann wohl verstehen, daß man den Aussagen der Bibel nicht glaubt, da ja der Glaube ein Geschenk ist, das der Heilige Geist vermittelt. Wie man aber bei dieser Grundhaltung evangelische, christliche Theologien betreiben kann, ist mir ein Rätsel.

These 10:

Es gibt keine Widersprüche in der Bibel, wohl aber Verständnisschwierigkeiten. Viele Aussagen müssen dialektisch verstanden werden.

Es hat Gott gefallen, uns sein Wort nicht in der Form eines für jedermann ohne Mühe einsichtigen Lehrbuches zu vermitteln, sondern in einer Büchersammlung, deren Ecken und Kanten, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten uns immer wieder zur Auseinandersetzung mit ihm zwingen. Wäre alles glatt, eindimensional wie ein üblicher Roman oder eine Lernschrittabfolge (wie im Lehrbuch) geordnet, könnte man die Bibel ja auslegen und weglegen, denn man hätte ihren Inhalt bewältigt.

Der Zwang, sich immer wieder arbeitend, betend und ringend mit der Bibel auseinander­zusetzen, bewirkt am Ende Segen, wie nach dem Kampf Jakob mit dem Engel am Jabok.

Gerade der Zwang, sich immer wieder mit der Bibel arbeitend, betend, ringend auseinanderzusetzen, ja sich geradezu mit ihr herumzuschlagen, um ihr die Einsicht und persönliche Ansprache abzuringen, bewirkt ähnliches wie der Ringkampf zwischen Jakob und dem Engel, der die ganze Nacht andauerte und mit dem trotzigen Ruf kommentiert wurde: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!« Es bleiben Denklücken übrig, und es soll wohl so sein. In der Motivations­psychologie erfahren wir, dass gerade die noch unausgefüllte Lücke einen gro­ßen Moti­va­tionseffekt besitzt. So auch hier: Das Anders­artige, sich in kein menschliches Sche­ma nahtlos Ein­fügende, das An­dere reizt dazu, sich immer und immer wieder mit Gottes Wort auseinander­zu­­setzen. Und er­staun­licherweise sind seine Detail­wir­kun­gen auf jeden Men­schen anders.

  • Antworten auf einige Anfragen an die Bibel

Aber es gibt einige oft angeführte Denkschwierigkeiten, die verhältnismäßig einfach überwunden werden können. Hier einige Beispiele:

1. Die verschiedenen Reden Jesu werden in den Evangelien nicht immer im gleichen Wortlaut wiedergegeben.

Entgegnung: Wahr­schein­lich hat Jesus ähnliche Dinge an mehreren Orten und dann nicht immer im gleichen Wortlaut gesagt. Wer öfters Vorträge zu halten hat, wird wissen, dass selbst bei gleicher Themenstellung nie ein Vortrag im Wortlaut dem anderen gleicht. Außerdem ist es denkbar, dass es sich gelegentlich um konzentrierte Darstellungen oder auszugsweise Schilderungen handelt. Kein Mensch, der heute einen Bericht in der Zeitung über eine Rede liest, erwartet eine ungekürzte Darstellung, sondern ist froh, ein Konzentrat zu erhalten.

2. Die Schilderung gleicher Ereignisse durch verschiedene Bericht­erstatter sind manchmal so kontrovers, dass sie nicht in Übereinstimmung gebracht werden können. Ein Beispiel dafür sind die Auf­erstehungsgeschichten.

Entgegnung: Als ich zwanzig Jahre alt war, lebte ich kurz nach dem Krieg mit meinen fünf älteren Geschwistern noch einmal für ein Jahr in einem hessischen Dorf. Angenommen, jemand wollte den damaligen Tages-, Monats- und Jahresablauf meines Erlebens nur auf Grund meiner Briefe und der Briefe meiner Geschwister konstruieren, so ist zu vermuten, dass er auch scheinbare »Widersprüche« und vermeintliche »Unrichtig­keiten« entdecken würde. Sie rührten aber daher, dass der fremde Leser späterer Zeiten bestimmte Informationslücken aufweist, die bei dem Zeitgenossen nicht auftraten. Es gab Selbstverständlichkeiten, die in den Briefen auszudrücken damals für niemanden notwendig war! Die Briefschreiber interessierten sich nicht für einen späteren Historiker. Ähnlich bei den Verfassern der biblischen Bücher: Sie hatten ganz bestimmte Adressaten im Auge, denen sie ganz bestimmte Dinge weitersagen wollten. Alles, was sie schrieben, war wahr und wirklich; aber sie fühlten sich nicht dazu aufgerufen, alles, was wahr ist und war, nun auch schriftlich festzuhalten. So hielt der eine dies, der andere jenes für bedeutsam. Und wenn wir heute die verschiedenen Aussagen für widersprüchlich halten, so liegt das eben an unseren Informationslücken, die wir, die wir auf Vollständigkeit aus sind, einfach nicht einkalkulieren wollen!

Selbst Skeptiker können herausfinden, dass die Berichte vom Auferstehungs­morgen sich harmonisch ineinander fügen.

Was die Auferstehungsbe­richte anbelangt, so ist in diesem Zusammenhang ein Buch sehr interessant. Der Amerikaner Frank Morison, ein Nichttheologe, untersuchte in seinem Buch »Wer wälzte den Stein …«, das in den 50er Jahren im Hamburger Chr. Wegner-Verlag erschienen ist, mit der Akribie eines Detektivs die verschiedenen biblischen Aus­sagen zum Auf­er­stehungs­mor­gen. Er kam zu dem Er­gebnis, und er hat es auch logisch sehr einleuchtend dargestellt, dass alle Berichte zusammen eine Auferstehungs-Harmonie bilden, in der es keine Unstimmigkeit gibt.

3. Die Bibel ist in der zeitlichen Abfolge nicht genau. Sie sieht zum Beispiel (in Dan 12,2) die Auferstehung am Beginn des Tausend­jahrreiches und an seinem Ende in einem. Im Alten Testament wird Christi erstes und zweites Kommen manchmal wie eine Einheit gesehen, ohne daß der zeitliche Zwischenraum verdeutlicht wird.

Entgegnung: Hier gilt es, das Gesetz der prophetischen Schau zu berücksichtigen. Die Dimension »Zeit« spielt in den Aussagen der Bibel eine andere Rolle als in unserem Denken. Vor Gott sind ja 1000 Jahre wie ein Tag, und unter anderen Umständen kann bei ihm ein Tag wie tausend Jahre sein (2Pet 3,8). An einem Bild kann man die Schau des Propheten verdeutlichen: Wenn man auf einer Anhöhe steht und vor sich die hintereinander-liegenden Bergketten eines Gebirges sieht, dann erscheinen in der Ferne liegende Bergspitzen gelegentlich wie ein Berg. Erst wenn man nahe herankommt, entdeckt man, dass zwischen den in eins gesehenen Kuppen noch tiefe Täler liegen. So ähnlich sehen Propheten gelegentlich in der Ferne liegende Ereignisse, die in ihrer Bedeutung viele Gemeinsamkeiten haben, als eins. Erst bei näherem Herankommen werden die dazwischenliegenden »Zeit-Täler« entdeckt.

4. Die in der Bibel dargestellte Ur­geschichte findet sich auch in Anklängen in den Urgeschichten mancher anderer Religionen wieder. Außerdem ist es naturwissenschaftlich nicht haltbar.

Entgegnung: Dass sich in den Urgeschichten anderer Religionen An­klänge4 an biblische Berichte finden, ist nicht verwunderlich, weil sicher die in einer Rück-Offenbarung berichteten Geschehnisse von den Empfängern der Offenbarung nicht für sich behalten, sondern weitererzählt wurden, auch an Menschen, die auswanderten und sie an andere Völker tradierten. Warum sollen ausgerechnet die Schreiber biblischer Schriften abgeschrieben haben? Ich vermute, dass es umgekehrt war.

Im übrigen ist die Urgeschichte schon einer jener Blöcke, die dem Glauben unverbindliche Leichtigkeit verstellen. Doch bleiben wir den Gegengründen gegenüber skeptisch: Die von der Wissenschaft behaupteten Aussagen über das Urgeschehen beruhen auf Hypothesen, die nicht bewiesen werden können, weil bei der Erschaffung und den vermuteten Vorgängen niemand dabei war. Ihre Erklärungen beruhen auf Schluss­folgerungen aus bestimmten natürlichen Gege­benheiten. Da urkundliche Aussagen nicht vorliegen, handelt es sich zumeist um archäologische oder geologische und um chemische Ge­ge­benheiten, von denen aus man ein anderes Schö­p­fungs­bild, als das der Bibel ableiten zu müssen glaubt.

Nun gab es auf dem Gebiet der Archäologie schon immer unterschiedliche Schu­len, deren Lehren nicht übereinstimmten. Ein besonders spektakulärer Fehlgriff war seiner Zeit eine Ablehnung der Annahme, Ilias und Odyssee hätten einen realgeschichtlichen Hintergrund. Erst Heinrich Schliemann wies nach, dass die beiden Bücher nicht reine Märchen und nur Erfundenes wiedergaben. Er grub Troja aus und bewies auf seine Weise das tatsächliche Geschehen5.

Die Urgeschichte gibt einige Denkschwierig­keiten auf. Aber die Bibel nennt hier einfach ihre Fakten und weigert sich, eine Beweiskette zu bringen.

Wir sollten die Aussagen der Archäologie als das ansehen, was sie sind: Hypothesen, Schluss­folgerungen, Vermutungen, die vieles für sich haben. Ähnliches gilt für andere hypothetische Beweisreihen. Im Übrigen lässt auch der Schöpfungsbericht meines Erachtens zwischen Vers eins und Vers zwei in Kapitel eins des ersten Mosebuches durchaus Raum für manches Geschehen. Ich sehe weiterhin auch nicht den abschließenden Beleg dafür erbracht, dass die Schöpfungstage in allem den uns bekannten Menschentagen gleich sein müssen. Aber die Bibel nennt uns einfach ihre Fakten und weigert sich, eine Beweiskette zu bringen. Aus den weiter oben dargestellten Gründen ist das gut so.

5. Die Bibel ist kein Naturkundebuch, daher ist es unerheblich, ob sie naturwissenschaftliche Irrtümer enthält.

Die Bibel ist zwar kein wissenschaft­liches Buch. Aber wenn sie etwas naturwissen­schaftliches aussagt, muss es auch stimmen, auch wenn sie damit rechnet, dass Gott auch die Naturgesetze überwinden kann.

Entgegnung: Ich weiß, dass es nicht wenige Gläubige gibt, die mit Hilfe dieser These einer klaren Abgrenzung jede Aus­einandersetzung, wie wir sie hier führen, vermeiden, ja, die sie sogar als überflüssig ansehen. In unseren Ausgangs-Aussagen hatten wir einiges dazu erklärt, möchten dies aber hier erweitern: Das bedeutet dasselbe, wie wenn ich sage: Ein Erdkundebuch hat über Geographie zu berichten, und deshalb dürfen ihm auch auf dem Gebiet der Biologie Irrtümer unterlaufen; es kann also zum Beispiel berichten, dass Bananen auch in Norwegen wachsen und fleischfressende Pflanzen Füchse verzehren. Nein: Natürlich ist ein Erdkundebuch ein Erdkundebuch, aber wenn es schon biologische Tatsachen berichtet, müssen sie zutreffend sein. Genauso ist es mit der Bibel: Sie ist zwar kein wissenschaftliches Buch. Aber wenn sie etwas über Naturwissenschaften aussagt, dann muss es zutreffend sein. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Bibel mit dem jederzeit möglichen souveränen Eingreifen Gottes rechnet, das alle vorgegebenen Naturgesetzlichkeit zu überwinden vermag.

6. Es gibt aber doch widersprüchliche Aussagen biblischer Bücher zu gleichen Ereignissen. So werden zum Beispiel nach 2. Samuel 24, 9 bei der Volkszählung Davids 800.000 Wehrfähige in Israel und 500.000 in Juda gezählt, nach 1. Chronik 21, 5 sind es 1.110.000 Krieger in Israel und 470.000 in Juda.

Entgegnung: Vielleicht wird man eines Tages das verbindende Informationsstück finden, das beide Nachrichten stimmig werden lässt. Eines sollten wir jedoch den Kritikern zugestehen, dass nämlich Abschreibfehler durchaus möglich sind. Wir behaupten nur, dass der Urtext irrtumsfrei ist. Es zeigt sich zwar, dass bei den verschiedenen Abschreibvarianten keine wesentlichen Substanzunterschiede zu finden sind. Aber mögliche Abschreibirrtümer können vorhanden sein. Sie erhöhen zwar ein wenig das Glaubensrisiko für den, der auf Exaktheit in allen Dingen aus ist, aber gewichtiger sind sie meines Erachtens auch nicht. Es würde ja nur beanstandet, dass der inspirierte Urtext unzureichend weitergegeben worden ist. Hier sollte man Findigkeit und Intelligenz darauf verwenden, eine der Urfassung möglichst nahekommenden Version vorlegen zu können.

These 11:

Textkritik sollte darauf gerichtet sein, den möglichst genauen Urtext zu ergründen und historische Bibelforschung die noch fehlende Informations-Zwischenstücke zu erkunden. Die Erklärung dafür haben wir eben gegeben.

Soweit einige Thesen zur Aus­ein­an­der­setzung zwischen dem Glauben an die Wahrheit und Wirklichkeit der biblischen Aussagen und den Angriffen, die sich auf die Wissenschaft berufen.

Fazit

Wir haben gesehen, dass man gelegentlich doch etwas eilfertig mit der Ablehnung der Bibel und ihren Aussagen umgeht.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, wir wollten mit unseren Überlegungen versuchen, dem Menschen einen rein intellektuell begehbaren Weg zum Glauben zu weisen. Nein, es ging uns nur darum, die wissenschaftlichen oder sich wissenschaftlich gebenden Versuche, die Bibel zu einer bloßen zeitbedingten ehrwürdigen Berichts- und Urkundensammlung zu relativieren, zurückzuweisen. Wir wollen mit unseren Überlegungen jenen Mut machen, die eigentlich gerne glauben möchten, es aber aus ihrer intellektuellen Redlichkeit heraus nicht tun zu können meinen. Sie sollten ermutigt werden, die Bibel als das anzusehen, was sie ist: ein für sie verbindliches Wort Gottes. Sie sollten in ihrem Leben dem Heiligen Geist Platz machen, damit er viele biblische Aussagen für sie aktualisiert und ihnen zu einem ganz speziell für sie gültigen Worte Gottes umformt.

Ein Für-Wahr-Halten bedeutet noch nicht Glauben, andererseits ist es nicht leicht, im Glaubensgehorsam zu leben, ohne die Heilige Schrift für ganz wahr und real zu halten.

Existenzielle Glaubens­hin­der­nisse sind gra­vie­render. Intellektuelle Fassens­schwie­rig­keiten werden oft nur (bewusst oder unbewusst) vorgeschoben, damit der Angesprochene ein Alibi vorweisen kann, das ihn berechtigt, im Ungehorsam zu verharren.

Man kann zwar die Gegenargumente gegen die Glaubwürdigkeit der Bibel zurückweisen und als nicht stichhaltig bezeichnen; das allein reicht nicht aus, gläubig zu werden. Wer dies möchte, der setze sich dem Wirken Gottes aus. Er lese nun die Bibel so, als sei sie ein Brief gerade für ihn. Bald wird er merken, dass er so, wie er ist, nicht vor Gott zu stehen vermag. Schuld und Sünde bilden von ihm, dem Menschen aus, unüberwindliche Hindernisse. Er vergleiche seine Lebensführung, seine Gedanken und sein Verhalten mit den biblischen Forderungen. Dann wird er seine Heilsbedürftigkeit und Heilsnotwendigkeit verspüren und so bereit werden, Jesus, den Retter, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, zu bitten, sein eigener Heiland zu werden. Und der Heilige Geist wird ihn dann in jene Wahrheit leiten, die für sein Leben wichtig ist. Und das Gebet wird die immer wiederkehrende bewusste Ausrichtung auf Gott und seinen Sohn sein.


  1. Theodor Brandt, Die Kirche im Wandel der Zeit, 3. Auflage, Bad Salzuflen 1947, S. 66. 

  2. vgl. Hebr. 11, 6: »Wer sich Gott nahen will, muss glauben, dass es einen Gott gibt und dass er denen, die ihn suchen, ihren Lohn zukommen lässt« (Menge). 

  3. G. Schröter bezieht sich hier auf den Fund des Fragments P52, das einige Forscher für das älteste Teil eines Markusevangeliums halten. Weil das Stück aber sehr klein ist, ist diese These nicht sicher. Tatsächlich spricht aber viel mehr für eine frühe Entstehung der Evangelien vor 70 n.Chr. und der Zerstörung Jerusalems als für die Annahme einer späten Entstehung. 

  4. Es sind tatsächlich auch nicht mehr als Anklänge zu finden. Die Ähnlichkeiten sind viel geringer als die Verschiedenheiten. 

  5. Auch wenn es bis heute keinen Beweis dafür gibt, dass Schliemann tatsächlich den Ort ausgegraben hat, der Homer als Vorbild für seinen Trojanischen Krieg diente, ist das in der Archäologie heute weitgehend unbestritten.