William Chatterton Dix (1837-98) hat zur beliebten Melodie von „Greensleeves“ ein häufig gesungenes Weihnachtslied mit dem Titel „What Child is this?“ gedichtet.1 Die Worte dieses Liedes führen uns zum Herz der Weihnachtsgeschichte.
Dabei hat das Lied eine ganz einfache Struktur. Der erste Vers beginnt mit einer Frage nach dem, wer Jesus ist. Die Antworten münden dann in eine Aufforderung, unser Leben ganz Jesus hinzugeben. Die Fragen, die das Lied stellt, sind sehr wichtig: Wer ist Jesus? Warum ist er gekommen? Denn seine Identität und seine Sendung dominieren die ganze Bibel.
Wer ist das Kind?
Diese Frage ergibt sich in verschiedenen Variationen im Laufe des Dienstes von Jesus. „Wer ist der, der Sünden vergibt?“ „Wer ist der, dem selbst Wind und Meer gehorsam sind?“ „Wer bist du? Bist du der Christus?“ „Bist du der König Israels?“
Das bringt uns zu zwei Elementen der biblischen Antworten. Erstens ist das Kind „Christus, der König“, ein Punkt, den Matthäus am Anfang seines Evangeliums herausstellt: Jesus ist der „Sohn Davids“, der lange verheißene Messias, der auf seinem Thron sitzen wird. Doch sein Königtum wird ohne Ende sein. Er ist der „König der Könige“. Darum haben die Engel seine Geburt mit Lobgesängen begrüßt und ebenso die Hüter der Schafherden auf dem Feld. Auf der anderen Seite, so erzählt uns Matthäus, steht ein anderer König, Herodes, der eifersüchtig auf die Krone von Jesus ist und bald versuchen wird, ihn zu töten (Mt 2,13).
Aber das Baby ist zweitens auch „das Wort“, das Wort, das Fleisch wurde. Er ist der Ewige, der „bei Gott“ war (Joh 1,1). Derjenige, der von Angesicht zu Angesicht mit Gott war, wurde Fleisch, um mit uns von Angesicht zu Angesicht zu sein. Nur der eine, der wahrhaftig Gott ist, kann uns mit Gott versöhnen. Nur der, der Fleisch wurde, konnte an unsere Stelle treten. Wunder aller Wunder: der mit Gott ganz vertraut ist, wurde ganz Mensch, wahrer Gott und wahrer Mensch, und ist gekommen, um uns zu retten. Kann es uns da überraschen, dass wir mit Ehrfurcht dem Wunder begegnen sollen, das kein Mensch je ermisst?
Warum liegt das Kind so ärmlich da?
Das Lied von Dix erinnert uns daran, dass das Baby Jesus in Windel liegt, wo sonst Ochse und Esel gefüttert werden. Er liegt in einer Futterkrippe – wahrscheinlich aus Holz. Man könnte das als prophetisch auffassen, denn er wird später auf ein Kreuz aus Holz genagelt, um als König allen die Rettung zu bringen.
Wir werden in der Weihnachtszeit zum Zentrum des Evangeliums geführt: Christus starb für uns. Johannes Sebastian Bach hatte das in seinem Weihnachtsoratorium so gemacht, dass er den Text von „Wie soll ich dich empfangen und wie begegnen dir?“ mit der Melodie von „O Haupt voll Blut und Wunden“ verband. Der Stall weist schon auf Golgatha, die Schädelstätte. Ihren Sinn erhält die Krippe erst durch das Kreuz.
Darum will William Dix in seinem Lied, dass wir Jesus in unserem Herzen auf dem Thron sitzen lassen. Wir sollen ihm die Gaben geben, die einem König gebühren und ihm bis zu seinem Wiederkommen Lob singen.
Dieses Weihnachtslied hat wie viele andere eine auffällige Auslassung. Es gibt keine Erwähnung von Josef, dem Mann, dem Gott den Schutz, die Ernährung und die Erziehung dessen anvertraut hat, der das fleischgewordene Wort ist. Aber Josef wird nicht mit den Weisen, den Hirten und Maria im Lied genannt. William Dix mag bei dieser Entscheidung davon beeinflusst gewesen sein, dass sein Vater, ein Arzt, leider alkoholabhängig war. Er verließ seine Familie, als Dix noch jung war und hinterließ bei dem Heranwachsenden emotionale Narben. Umso wichtiger erscheint, dass das Lied mit einer Erinnerung daran endet, dass es wirkliche Hoffnung gibt. Denn für alle, die ihm vertrauen, bringt der König aller Könige die Rettung mit sich. Der Christus des Christfestes gibt sich selbst hin, als der wahre Retter für alle, die Not haben, Mangel leiden und ohne Hoffnung sind. Im Glauben an Jesus können sie auch singen: „Seht, das ist Gottes Sohn, dem Engel Lieder singen. Seht, das ist Christus der König, will allen Rettung bringen.“
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries
Das Lied gehört zu den zahlreichen Dichtungen, die im 19. Jahrhundert die Geburt von Christus besingen. Es wurde erst 1993 von Jochen Rieger ins Deutsche übersetzt, wobei er sich weitgehend am Originaltext orientierte. ↩