Am 20. November 1981 starb Gerhard Bergmann (geb. 1914), der mit Abstand bekannteste deutschsprachige Evangelist und evangelikale Redner in den 1960er und 70er Jahren. Seine Bücher wurden in Millionenauflagen verkauft. Regelmäßig sprach er im öffentlichen Fernsehen und vor tausenden von interessierten Zuhörern auf Konferenzen und Tagungen. In jenen Jahren war Bergmann der Starredner der Deutschen Zeltmission und Förderer der Evangelischen Allianz.
Von vielen Menschen wird heute wahrscheinlich im Internet am intensivsten über den christlichen Glauben diskutiert. Hier gibt es tausende Texte, Videos und Gesprächsangebote, die lange schon nicht mehr nur von Christen genutzt werden, sondern von allen Menschen, die mehr über Jesus und die Bibel erfahren wollen oder die einfach auf der Suche sind nach echter Spiritualität. Außerdem gibt es natürlich noch christliche Großveranstaltungen, oft in Kongresszentren, zu denen auch gemeindefremde Menschen eingeladen werden.
Über die meiste Zeit des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland eine erfolgreiche Zeltmission. Auf irgendeinem öffentlichen Platz einer beliebigen kleineren oder größeren Stadt wurde für einige Tage oder sogar Wochen ein großes Zelt aufgebaut und vielfältig zu den dort stattfindenden Veranstaltungen eingeladen. An den Nachmittagen wurde dort oft auch ein ansprechendes Kinderprogramm angeboten. Abends gab es dann die Veranstaltungen mit Chor, persönlichen Lebensberichten und einer Ansprache, die auf direkte und allgemeinverständliche Art und Weise Grundlagen des christlichen Glaubens erklärte.
Von den zahlreichen christlichen Organisationen, die in Deutschland Zeltmission durchführten, war die Deutsche Zeltmission die älteste und bekannteste. Ihr bekanntester Redner in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war ohne Zweifel Gerhard Bergmann.
Obwohl Bergmann aus einem durchaus frommen Elternhaus stammte, begeisterte er sich in den 1920er Jahren für das Jugend-Programm der Nationalsozialisten. Hier engagierte er sich wie tausende andere Gleichalterige und wollte an einem neuen, vorgeblich besseren Deutschland mitarbeiten. Nach intensiven Gesprächen mit einem älteren gläubigen Handwerker entschied Bergmann sich, Christ zu werden – nicht nur als einfaches Kirchenmitglied, sondern mit ganzer Überzeugung und aktivem Einsatz. Seit dieser Zeit wurde Bergmann immer skeptischer gegenüber den ideologischen Aussagen der Nationalsozialisten und verabschiedete sich 1931 aus der späteren Hitlerjugend, obwohl man ihn gern als Leiter in der NS-Jugendarbeit behalten hätte.
Von 1934 bis 1938 besuchte Gerhard Bergmann das Predigerseminar St. Chrischona. Hier bekam er eine Begeisterung für die Bibel vermittelt, orientierte sich an christlichen Vorbildern und verliebte sich bis über beide Ohren – unglücklich allerdings. Nach seinem erfolgreichen Abschluss auf St.Chrischona ging Gerhard Bergmann nach Tübingen, wo er Vorlesungen über Theologie, Psychologie und Philosophie hörte. Besonders beeindruckten ihn hier die Professoren Karl Heim und Adolf Köberle. Sein Studium beendete Bergmann nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Promotion über den Begriff der Gerechtigkeit an der Universität Bonn. 1940 war Bergmann noch von der Wehrmacht eingezogen worden. Als Leutnant eines Panzer- und Infanterieregiments wurde er in Russland eingesetzt. Infolge der dort miterlebten Grausamkeiten stand Bergmann Krieg und Militär für den Rest seines Lebens sehr kritisch gegenüber.
Zu Beginn der 1950er Jahre wurde Gerhard Bergmann Pfarrer der evangelischen Kirche, erst in Delmenhorst und dann in Remscheid. Während dieser Zeit investierte er sich stark in der evangelistischen Jugendarbeit. Aber er sah auch die gesellschaftliche Herausforderung und engagierte sich gegen die damals politisch geplante Einheitsschule, sowie die starke Einflussnahme des Staates auf die Erziehung der Kinder. Demgegenüber wollte er die Verantwortung der Eltern und die christlichen Elemente öffentlicher Schule stärken. In seinen Predigten wies er wiederholt auf die negativen Folgen des schnell wachsenden Wohlstandes und der damit einhergehenden Orientierung an Konsum und Genuss hin. Zeitweilig warb die CDU in diesen Jahren um Gerhard Bergmann als Minister für die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Obwohl ihn auch diese Arbeit durchaus reizte, lehnte er schlussendlich doch ab, weil ihm die Verbreitung des christlichen Glaubens noch deutlich mehr bedeutete.
Evangelist im Zelt
In Zusammenarbeit mit Pfarrer Paul Deitenbeck aus Lüdenscheid entwickelte Bergmann ein erfolgreiches Programm für Fabrikmission. In enger Absprache mit interessierten Firmenleitungen wurden regelmäßig in Fabrikhallen kurze evangelistische Gottesdienste mit anschließenden Gesprächsmöglichkeiten durchgeführt.
1958 wurde Gerhard Bergmann zum hauptberuflichen Evangelisten der Deutschen Zeltmission berufen. In den folgenden 20 Jahren machte ihn diese Tätigkeit in ganz Deutschland und auch weit darüber hinaus bekannt. Für den bald auch als „deutschen Billy Graham“ bekannten Bergmann wurde eigens ein Zelt mit 2500 Sitzplätzen gekauft, das an vielen Orten noch immer nicht ausreichte; so groß war der Zulauf. Seine durchdachten, pointierten und praxisorientierten Predigten sprachen viele Menschen an. Oft griff er auch aktuelle gesellschaftliche Themen auf, um sie aus christlicher Sicht zu beleuchten. Gerne bezog Bergmann Gedanken und Zitate aus Kunst, Literatur oder Philosophie mit ein. Begleitet wurden die Veranstaltungen oft durch einen großen Chor und ein Posaunenorchester. Zu Beginn im Programm erzählten Menschen von ihren persönlichen Erfahrungen mit Gott oder über ihre Hinwendung zum Glauben. Unspektakulär aber deutlich rief Bergmann seine Zuhörer zu einem Leben mit Jesus Christus auf. Viele fanden durch diese Veranstaltungen einen persönlichen Zugang zum Glauben.
An den meisten Orten arbeitete Bergmann in der Vorbereitung mit der Evangelischen Allianz zusammen, sodass zahlreiche unterschiedliche Gemeinden als Organisatoren der jeweiligen Zeltmission gemeinsam an die Öffentlichkeit traten. Einem breiten Publikum wurde Bergmann als regelmäßiger Sprecher der ARD-Sendung „Das Wort zum Sonntag“ bekannt. In seinen Großveranstaltungen sprach er im Laufe der Jahre wohl zu insgesamt mehr als 10 Millionen Menschen.
Bergmanns Evangelisationen und Vorträge brachten ihn unter anderen auch in die DDR, in die meisten Länder Europas, sowie in die USA, nach Brasilien, Israel, Südafrika und Indien. Neben Gerhard Bergmann gehörten Anfang der 1980er Jahre Paul Walter Schäfer, Bärbel Wilde, Peter Hahne, Wilfried Reuter, Johannes Hansen, Ulrich Parzany und Peter Strauch zu den regelmäßigen Rednern der Deutschen Zeltmission. Von Anfang an engagierte sich Bergmann nicht nur für die Evangelische Allianz, sondern auch beim Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT), zeitweilig als dessen Vorsitzender (1977).
In den Wintermonaten übernahm er vor allem verschiedene Aufgaben bei der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland (EG). Häufiger verfasste er auch Artikel für deren Zeitschrift „Licht und Leben“. Zwischen den Veranstaltungen schrieb Bergmann zuhause in Halver an seinen Büchern, von denen einige zu Bestsellern wurden. Die meisten seiner Bücher erschienen im Schriftenmissions-Verlag / Gladbeck und im Hänssler Verlag / Stuttgart. Zu den bekanntesten gehören kurze evangelistische Bücher wie „Was habe ich vom Glauben?“ oder „Gibt es Gott wirklich?“. Umfangreichere Werke beschäftigten sich unter anderem mit der Welt des Übernatürlichen „… und es gibt doch ein Jenseits“ und mit der Ehe „Liebe. So und anders“. In weiteren Büchern setzte er sich konstruktiv-kritisch mit dem Sozialismus, dem Islam und der Friedensbewegung auseinander.
Alarm um die Bibel
Die größte Aufmerksamkeit erregte wahrscheinlich sein engagiertes Statement gegen die bibelkritische Theologie seiner Tage. „Alarm um die Bibel“ führte ab 1963 deutschlandweit zu heftigen Diskussionen, erlebte zahlreiche Auflagen und wurde in sechs weiteren Sprachen herausgegeben. Darin setzte sich Bergmann vor allem mit dem theologischen Konzept der Entmythologisierung des einflussreichen Theologieprofessors Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinander. Nach dessen bis heute in der akademischen Welt weit verbreiteten Annahme handle es sich bei den biblischen Wundern, einschließlich der Auferstehung Jesu, um Mythen, das heißt um fromme Geschichten der frühchristlichen Gemeinde. Das war für Bergmann ein gefährlicher Frontalangriff auf die Glaubwürdigkeit der ganzen Bibel und eine grundlegende Infragestellung des christlichen Glaubens.
Erst Gerhard Bergmann gelang es, großen Teilen der Christen in Deutschland die negativen geistlichen Folgen der Bibelkritik klarzumachen.
Schon in den Jahren zuvor hatten einige fromme Theologen ihre Skepsis an einer Theologie geäußert, die sich konsequent von Wundern, Jenseits und historischer Zuverlässigkeit verabschiedete. Es genügte ihnen nicht, den christlichen Glauben lediglich auf einige moralische Leitlinien und eine innerliche Besinnlichkeit zu reduzieren, ohne entsprechende historische Voraussetzungen der Heilsgeschichte. Zumeist wurden diese Theologen aber nur von wenigen Gläubigen wirklich wahrgenommen. Erst Gerhard Bergmann gelang es, der breiten Christenheit die geistlichen Auswirkungen von Bibelkritik und Entmythologisierung allgemeinverständlich vor Augen zu führen. In enger Zusammenarbeit mit der schon vorher entstandenen Bekenntnisbewegung: Kein anderes Evangelium wurde 1966 in der Dortmunder Westfalenhalle ein großangelegter Gemeindetag organisiert, den rund 21 000 Menschen besuchten. Offen wurde hier die Ablehnung jeder Bibelkritik in den örtlichen Gemeinden gefordert. Ausgehend von dieser Veranstaltung wurden überall in Deutschland regionale Bekenntnis-Vereinigungen gegründet. Christen sollten über die zerstörerischen Wirkungen moderner Theologie aufgeklärt und Widerstand gegen bibelkritische Pfarrer organisiert werden.
In den 1960er und 70er Jahren war Bergmann in vielen öffentlichen Diskussionen der Hauptvertreter im Kampf für die historische Zuverlässigkeit der Bibel und die Kritik relativierender Theologie. Er mahnte eine – aus seiner Sicht – bequem gewordene, konsumverwöhnte und materialistisch geprägte Christenheit, die Realität des Handelns Gottes, die Wichtigkeit des Todes Jesu und die Relevanz des Jenseits nicht zu vergessen. Diese Diskussionen wurden damals in einer großen Öffentlichkeit geführt. Als Reaktion auf „Alarm um die Bibel“ bekam Bergmann nicht nur Einladungen zu Pfarrkonventen, sondern auch an zahlreiche Universitäten und ins Fernsehen. Widerspruch ließ auch nicht lange auf sich warten. Einerseits meldeten sich die Schüler Bultmanns zu Wort, die ihren Ansatz historisch und sachlich relativierender Bibelkritik als wissenschaftlich notwendig verteidigten. Andererseits wurde Bergmann von konservativen Theologen wie Samuel R. Külling kritisiert, weil er Zweifel am göttlichen Ursprung mancher Bibeltexte, wie den Rachepsalmen, geäußert hatte. Tatsächlich wurde von Bergmann hier die Tür für einen „Kanon im Kanon“ geöffnet. In der Bibel wird demnach von Menschen einfach unterschieden zwischen dem, was ganz sicher auf Gottes Inspiration zurückgehen soll und anderen Passagen, die angeblich eher menschliche Überlegungen beinhalten.
Zwischen 1970 und 1980 war Gerhard Bergmann der wahrscheinlich bekannteste deutsche Prediger und Evangelist. Mitten in seinem erfolgreichen Dienst starb er am 20. November 1981 im Alter von 67 Jahren.
Viele Menschen erinnerten sich noch Jahre nach Bergmanns Tod an ihre persönlichen Begegnungen mit ihm. Obwohl er im Laufe der Zeit zu einer allgemein bekannten Persönlichkeit geworden war, suchte und pflegte er auch den Kontakt zu gewöhnlichen Menschen, denen er im Alltag begegnete. Bergmann schätzte den einzelnen Menschen und wusste von der absoluten Wichtigkeit der Arbeit engagierter Laien in christlichen Werken und Gemeinden.
Kürzlich erschien die erste Biographie über Gerhard Bergmann von Michael Kotsch unter dem Titel „Gerhard Bergmann – Der deutsche Billy Graham. Evangelist und Verteidiger der Bibel“. Verlag Esras.net 2021.