Richard P. Moore beschreibt in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch „Entwurzelt – aktuelle christliche Irrtümer“ drei pfingstlich-charismatische Bewegungen: die „Dritte Welle“ (DW), die „Wort des Glaubens“-Bewegung (WDG) und die „Neue Apostolische Reformation“ (NAR), wobei der Schwerpunkt auf letzterer liegt. Der Autor stellt ihre Lehren, Theologien und Praktiken dar und möchte den Leser in die Lage versetzen, zwischen biblischer Wahrheit und falscher, „entwurzelter“ Theologie zu unterscheiden. Er zeigt, wie in den letzten Jahren Gnostizismus, Mystik, New Age und Okkultismus Einzug in christliche Gemeinden im englischsprachigen Raum gehalten haben. Einen breiten Raum nehmen Irrlehren in Bezug auf die Person und das Werk von Jesus Christus ein. Des Weiteren werden außerbiblische Offenbarungen und die Strömung des Dominionismus (Dominion Theology) beschrieben. Im Anhang finden sich Quellenverweise und viele Zitate von Bill Johnson, dem leitenden Pastor der Bethel Church in Redding/Kalifornien, auf den im Buch häufig Bezug genommen wird. In seiner gründlichen Analyse stellt Moore fest, dass bei diesen Bewegungen unter prophetischem und apostolischem Anspruch uralte Irrlehren der Kirchengeschichte in neuem Gewand auftauchen.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Im Zuge der von Martin Luther angestoßenen Reformation schwärmten im 16. Jahrhundert die „Zwickauer Propheten“ nach Wittenberg aus und sorgten für Unruhe. Sie bildeten sich ein, besondere Offenbarungen vom Himmel erhalten zu haben und erhoben den Anspruch, Gott habe sie beauftragt, das Werk der Reformation zu vollenden. An die Stelle der Heiligen Schrift setzten sie ihre eigenen Gefühle und Eindrücke. Die Anführer dieser Bewegung behaupteten: „Wir sind von Gott gesandt, das Volk zu unterweisen. Wir haben vertrauliche Gespräche mit Gott und sehen in die Zukunft, wir sind Apostel und Propheten und berufen uns auf den Doktor Luther.“
Eine ähnlich auftretende Reformationsbewegung unterwandert seit Jahren die evangelikale Christenheit: die „Neue Apostolische Reformation“. Der amerikanische Pastor und Missionar Richard P. Moore beleuchtet die Hintergründe dieser Bewegung, unter deren Einfluss schätzungsweise etwa 369 Millionen Menschen weltweit geraten seien.
Kennzeichen aller christlichen Schwärmerei war und ist der Versuch, den Himmel auf die Erde zu holen und das Reich Gottes schon auf Erden aufzurichten. Die im Kielwasser der NAR schwimmenden neuen „Apostel und Propheten“ haben die Losung „Kingdom Now“ ausgerufen und berufen sich dabei auf die Bitte im Vaterunser „…wie im Himmel, so auf Erden“. Die Realität des Himmels müsse sich auf Erden manifestieren – durch Gesundheit, Wohlstand und Erfolg. „Im Himmel gibt es keine Tumore, und der Glaube holt diese Realität zu uns herunter“, schreibt Bill Johnson in seinem Buch „Und der Himmel bricht herein“ (S. 178). Seine charismatische Mega-Gemeinde Bethel Church, die 8.700 Besucher pro Woche aufweist und einen beträchtlichen Einfluss über ihre kalifornische Heimat hinaus entfaltet, wirbt mit bizarr anmutenden Zeichen und Wundern: Goldstaub, fallende Engelfedern, Herrlichkeitswolken, plötzlich erscheinende Edelsteine, Engel-Lichtkugeln, Aufwecken von Engeln, Vibrationen des Himmels und Totenauferweckungen. Bei der Lektüre des Buches kann man den Eindruck gewinnen, dass hier vieles wie ein Virus außer Kontrolle geraten ist. Dies betrifft insbesondere das von Johnson und seinen Mitarbeitern praktizierte „Grab-Saugen“ (Grave Soaking), bei dem man sich auf die Gräber berühmter Christen legt und auf diese Weise versucht, etwas von deren Salbung „aufzusaugen“. Die von Richard P. Moore beschriebenen Praktiken sind deshalb so zerstörerisch, weil sie Heidnisches mit dem christlichen Glauben vermischen. Man will sich, koste was es wolle, Zutritt zur übernatürlichen Welt verschaffen und öffnet sich für Mächte, die nicht von Gott sind.
Der Autor widmet Bill Johnson viel Raum in seinem Buch. Der Pastor, der sich mannigfacher Zusatzoffenbarungen über die Heilige Schrift hinaus rühmt, bezeichnet sich selbst als eine Art „Rasensprenger des Heiligen Geistes“, der einen ganzen Ort bewässert. Zu den Privilegien der von ihm gelehrten christlichen Elite gehöre es, den Heiligen Geist „freizusetzen“. Er leugnet die Göttlichkeit des Menschen Jesu, um behaupten zu können, Jesus habe als Mensch seine Zeichen und Wunder nur mit Hilfe des Heiligen Geistes tun können. Aus dieser Irrlehre konstruiert Johnson die nächste Häresie, wonach jeder Christ in der Lage sei, dasselbe wie Jesus zu tun.
Richard P. Moore. Entwurzelt. Aktuelle christliche Irrtümer. Dillenburg: CV 2020 198 S. Taschenbuch: 14,90 €. ISBN: 978-3-386353-108-9
Als weitere problematische außerbiblische Offenbarung nennt Richard P. Moore die Herausgabe einer neuen, von der NAR geförderten Bibelübersetzung. Der Sprachwissenschaftler Brian Simmons erstellte mit „The Passion Translation“ eine Übertragung mit vielen Zusätzen, Übertreibungen und Ungenauigkeiten. Wozu normalerweise ein ganzes Team hochqualifizierter Bibelübersetzer benötigt wird, das schaffte Simmons alleine, der über keine umfassenden Fachkenntnisse verfügt. Er habe eine Erscheinung gehabt, bei der er von Jesus berufen wurde, die Bibel neu zu übersetzen. Zusätzlich ermutigt durch Engelserscheinungen und Träume, machte er sich an die Arbeit und kommentiert diese im Nachhinein so, wie man auf der Website von livenet.ch lesen kann: „Wir versuchen also, in unserer Übersetzung mehr Emotionen einfließen zu lassen. So haben uns Leute schon die Rückmeldung gegeben: ‚Jetzt verstehe ich die Bibel nicht nur, jetzt genieße ich es, die Bibel zu lesen, weil es mich emotional packt.‘“ Diese auf Gefühle fokussierte Bibel passt zu den unbiblischen Praktiken, vor denen Richard P. Moore als „emotionsgesteuertes Experimentieren“ warnt.
Wie gesagt: Es geschieht nichts Neues unter der Sonne. So urteilte damals Martin Luther über die schwarmgeistigen Apostel und Propheten: „Die Heilige Schrift war für sie nichts als ein toter Buchstabe, und alle schrien: Geist! Geist! Aber wahrlich, ich gehe nicht mit ihnen, wohin ihr Geist sie führt. Der barmherzige Gott behüte mich ja vor der christlichen Kirche, darin lauter Heilige sind. Ich will dableiben, wo es Schwache, Niedrige, Kranke gibt, welche ihre Sünde kennen und empfinden, welche unablässig nach Gott seufzen und schreien aus Herzensgrund, um seinen Trost und Beistand zu erlangen.“
Der Autor möchte den evangelikalen Christen mit diesem Buch helfen, wieder zurück zu geistlichem Urteilsvermögen und zu einer in Christus verwurzelten Theologie zu finden. Ich wünsche ihm viele Leser, auch wenn ihm etwas mehr Differenzierung und die Erläuterung sachlicher Hintergründe gutgetan hätten. Auch vermisse ich Hinweise auf deutsche Organisationen und Personen, die mit der NAR-Bewegung verbunden sind – beispielsweise die „Schule der Erweckung“ in Füssen –, zumal der Autor in Deutschland lebt.