Die Septuaginta war die erste uns bekannte Übersetzung des hebräischen Alten Testaments in eine andere Sprache. Es gibt in der Weltgeschichte kein literarisches Werk von vergleichbarem Umfang, das früher übersetzt worden wäre.1 Schon dadurch setzte sie einen Meilenstein in der menschlichen Kultur. Aber noch viel wichtiger ist, dass die Botschaft des Alten Testaments durch die Septuaginta in eine neue, ganz andersartige Sprach-, Denk- und Lebenswelt eindringen konnte. Für das Judentum in der Diaspora wurde es damit nicht nur leichter, Proselyten zu gewinnen, sondern auch den eigenen Glauben zu verstehen. Entscheidende Bedeutung aber gewann die Septuaginta im Christentum. Im ersten Jahrhundert war sie die Bibel für die Christen schlechthin, die dann durch die Schriften der Apostel ergänzt wurde.
1. Wie es zur Septuaginta kam
Die Originale des Alten Testaments wurden in hebräischer Sprache, der Sprache des Volkes Israel, verfasst. Nur einige kurze Abschnitte sind auf Aramäisch2 niedergeschrieben worden, das sich schon in der Zeit Jesajas3 um 700 v.Chr. zur Sprache der Händler und Diplomaten entwickelt hatte und später Reichssprache im Perserreich wurde. Beide Sprachen sind als semitische Sprachen eng miteinander verwandt.
Seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezzar (586 v.Chr.) lebten viele Juden in Babylon4 und in Ägypten5. Nachdem Alexander der Große den ganzen Nahen Osten erobert hatte, kamen nach 332 v.Chr. auch Judäa und Ägypten unter den Einfluss der hellenistischen Sprache und Kultur. Im Jahr 331 v.Chr. gründete Alexander die Hafenstadt Alexandria im Nildelta. Die Stadt entwickelte sich rasch zur größten und einer der berühmtesten Städte der ganzen griechischen Welt. In ihrer Blütezeit hatte Alexandria in Ägypten 700 000 Einwohner, 100 000 davon sollen Juden gewesen sein.6 Der nach 21-jähriger Bauzeit 279 v.Chr. fertiggestellte Leuchtturm zählte zu den sieben Weltwundern der Antike. Die Bibliothek der Stadt war mit einem Schatz von 900 000 Schriftrollen die größte der Welt. Die jüdische Synagoge in Alexandria soll so riesig gewesen sein, dass man das „Amen!“ mit Fahnen signalisieren musste. Die Stadt war das intellektuelle und literarische Zentrum der jüdischen Diaspora.7
Nach dem Tod Alexanders des Großen 323 v.Chr. hatten seine vier Generäle das Riesenreich unter sich aufgeteilt. Ptolemaios erhielt Ägypten, Antigonos Syrien. Damit wurde Israel schon durch seine geografische Lage zum Schlachtfeld und zur Beute dieser beiden Generäle bzw. ihrer Nachkommen. Um das Machtgleichgewicht zu erhalten, suchten aber sowohl die syrischen als auch die ägyptischen Herrscher die Gunst der Juden, sobald sie Israel wieder einmal erobert hatten. Das hatte zur Folge, dass diejenigen Juden, die sich auf die Seite des Gegners geschlagen hatten, aus Israel in dessen Gebiet abwanderten. Für die Juden in Ägypten waren die Arbeitsbedingungen und Handelsmöglichkeiten so gut, dass in wenigen Jahren eine große Kolonie entstand. Offenbar waren die Juden mit ihrer Tatkraft und ihrem Fleiß in den neu gegründeten griechischen Städten gern gesehen.8
Die Muttersprache der Diaspora-Juden wurde das Griechische.
So ergab sich die Notwendigkeit einer Übersetzung des Alten Testaments in die griechische Sprache, denn die Muttersprache dieser Diaspora-Juden wurde das Griechische. Es handelte sich dabei nicht mehr um das klassische Griechisch der Philosophen aus dem Athen des fünften Jahrhunderts vor Christus, sondern um die sogenannte Koine, die aus einer Vermischung der griechischen Dialekte entstanden war und sich nach den Feldzügen Alexanders des Großen im ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet hatte.
2. Der Name Septuaginta
Der Name der Septuaginta hängt mit dem Bericht eines gewissen Aristeas über ihre Entstehung zusammen. Aristeas war ein jüdischer Autor aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus. Er gibt vor, bei den Ereignissen dabei gewesen zu sein und berichtet in legendarischer Weise von der Entstehung einer griechischen Übersetzung der fünf Bücher Mose zur Zeit des ägyptischen Königs Ptolemaios II. Philadelphos (282-246 v.Chr.). Heute ist man sich einig, dass die fünf Bücher des Pentateuch tatsächlich schon im 3. Jh. v.Chr. übersetzt wurden.
Zweiundsiebzig gelehrte Übersetzer (aus jedem Stamm Israels sechs) seien Aristeas von Jerusalem aus nach Alexandria gefolgt und dort vom König festlich empfangen worden. Für ihre Arbeit seien sie in einem geräumigen Gebäude auf der Insel Pharos einquartiert worden, die unmittelbar vor dem Hafen von Alexandria liegt. Dort hätten sie in 72 Tagen ihre Übersetzung vollendet und seien durch Vergleich zu einem einheitlichen Text gekommen, der dann von einem gewissen Demetrios aufgezeichnet wurde. Der jüdischen Gemeinde zu Alexandria wird die Übersetzung vorgelesen; sie billigt sie und erklärt sie für unveränderlich.
Die göttliche Inspiriertheit der Übersetzung sei dadurch zum Ausdruck gekommen, dass die 70 Übersetzungen nicht in einem einzigen Wort voneinander abgewichen wären.
Dieser Bericht des Aristeasbriefes wird zuerst von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus (38 n.Chr. bis nach 100 n.Chr.) in seinem Werk Jüdische Altertümer verwendet. Philo von Alexandria (15 v.Chr. bis etwa 50 n.Chr.) behauptet in seinem Werk Leben des Mose die völlige Gleichheit jeder einzelnen Übersetzung durch „göttliche Eingebung“ wie durch ein „unsichtbares Diktat“. Spätere christliche Autoren nennen außerdem noch 70 Zellen, in denen die Übersetzer in strenger Klausur gearbeitet hätten. Die Übersetzungen seien nicht in einem einzigen Wort voneinander abgewichen. Damit sollte die göttliche Inspiriertheit der griechischen Fassung zum Ausdruck gebracht, so dass die Septuaginta der hebräischen Bibel in nichts nachsteht.
Die gerundete Zahl der 72 Übersetzer führte zur Bezeichnung „Septuaginta“ = Siebzig (LXX). Der christliche Apologet Justin, der 165 n.Chr. den Märtyrertod starb, verwendete den Begriff Septuaginta das erste Mal in seinem Werk „Dialog mit Trypho“. Trypho war ein gebildeter Jude, der den Christen vorwarf, das Gesetz zu brechen und einen Menschen zu verehren. Justin antwortet mit Respekt und Höflichkeit und argumentiert von der Schrift aus, die beide anerkannten. Dabei gebraucht er den Begriff Septuaginta für die gesamte Übersetzung von Tora und Propheten.9
3. Die Übersetzung der Septuaginta
Die Übersetzer waren grundsätzlich bestrebt, jüdische Dinge auf Griechisch so zum Ausdruck zu bringen, dass sie jüdisch bleiben und dennoch von Griechen verstanden werden. Oftmals mussten sie vom Wortlaut abweichen, weil das Hebräische grammatische Konstruktionen hat, die es im Griechischen überhaupt nicht gibt, zum Beispiel ein ganz anderes Tempussystem.
Manchmal geben sie aber auch den gleichen hebräischen Begriff, zum Beispiel10 dabar, mit ganz verschiedenen Begriffen wieder: mit „Botschaft“ (Spr 12,25), „Brief“ (Est 4,3), „Werk“ (1Kö 18,36), „Rechtsentscheid“ (Ex 18,22), „Wort“ (Gen 34,18), „Tat“ (Ex 1,18), mit „Brauch“ (Num 18,7) oder „Stimme“ (Gen 15,4). Die Übersetzer wollten den Begriff je nach Zusammenhang präzisieren.
Andererseits konnte ein Übersetzer verschiedene Arten von Sünde, die mit unterschiedlichen hebräischen Wörtern bezeichnet werden, allesamt durch den gleichen Begriff Gesetzlosigkeit wiedergegeben, zum Beispiel: „Falschheit“ (Ps 5,6), „Nichtsnützigkeit“ (Ps 18,5), „Sünde der Unzucht“ (Ps 26,10), „Kränkung“ (Ps 139,24), „Gewalttat“ (Ps 55,10), „Verkehrtheit“ (Ps 49,6), „Ungerechtigkeit“ (Ps 37,1), „Frechheit“ (Ps 31,19), „Lüge“ (Ps 7,15). Er verstand sämtliche Sünden als Verstoß gegen das Gesetz Gottes, die Tora.
Die Unterschiede zum hebräischen Text hängen also einerseits von der Übersetzungsmethode ab, wobei auch die einzelnen Übersetzer sich nicht konsequent an eine einzige Methode halten. So gibt es schon im ersten Buch Mose Passagen, die sehr wörtlich ihrer hebräischen Vorlage folgen und andere mit einer weitaus freieren Beziehung zwischen Vorlage und Übersetzung. Auch das zweite Buch Mose ist deutlich freier und sprachlich eleganter übersetzt als etwa das vierte Buch Mose.11 Als nach Fertigstellung der fünf Bücher Mose die Übersetzung der anderen Bücher begann, hielten sich die Übersetzer im Allgemeinen enger an ihre Vorlagen.
Andererseits kann man viele Unterschiede zwischen der LXX und dem Masoretischen Text12 (MT) nicht ausreichend mit verschiedenen Übersetzungsmethoden erklären. Sie gehen offenbar auf hebräische Vorlagen zurück, die uns heute aber nicht mehr zugänglich sind. Dazu kam, dass diese Vorlagen wie alle hebräischen und aramäischen Texte aus früh- und vorchristlicher Zeit ohne Vokalzeichen waren, sodass auch von daher Verständnisdifferenzen möglich waren. So kann der zweite Satzteil aus 1Mo 15,11: „Da stießen die Raubvögel auf die toten Tiere herab; aber Abram verscheuchte sie“ bei anderer Vokalisation verstanden werden: „aber Abram setzte sich neben sie“. Ähnlich ist es mit 1Mo 47,31: „Dann verneigte sich Israel ehrfürchtig zum Kopfende seines Bettes hin.“ Die hebräischen Konsonanten mth können als matteh = „Stab“ oder als mittah = „Bett“ verstanden werden. Der Übersetzer der LXX verstand das Wort als „Stab“ und so übernahm es auch der Hebräerbrief (11,21).
Heutige Übersetzungen halten sich meist an den MT, nur in Ausnahmefällen richten sie sich nach der LXX.
Die Tatsache, dass die LXX teilweise von hebräischen Texten übersetzt wurde, die nicht mit dem MT identisch sind, den wir heute verwenden, könnte zu Versuchen führen, den früheren hebräischen Text zu rekonstruieren, was in der Praxis aber mit erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden ist. Deshalb halten sich heutige Übersetzungen meist an den Masoretischen Text und verwenden den Wortlaut der LXX nur in Ausnahmefällen.
4. Der Umfang der Septuaginta
Üblicherweise werden alle Bücher des hebräischen Alten Testaments zur LXX gerechnet und dazu die Schriften, die Martin Luther „Apokrypha“, die „Verborgenen“, nannte und von denen er sagte: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind“. Dazu gehören die Bücher Judit, die Weisheit Salomos, Tobit, Sirach, Baruch, der Brief des Jeremias, 1.+2. Makkabäer, Stücke zu Ester und Zusätze zu Daniel.
Luther fügte in seiner Übersetzung von 1545 noch das Gebet Manasses bei, das er als Muster eines Buß- und Beichtgebets besonders schätzte, das aber nur in wenigen griechischen Bibelhandschriften überliefert ist.
Der Umfang der LXX ist aber nicht einheitlich gewesen. Schon die drei großen Majuskelhandschriften, die uns erhalten geblieben sind, enthalten außer den Büchern des hebräischen und des neutestamentlichen Kanon (wobei in den uns vorliegenden Exemplaren nicht alle biblischen Bücher erhalten geblieben sind) verschiedene apokryphe Schriften.
Der Codex Sinaiticus überliefert zum Beispiel das zweite Buch Esra, die Bücher Tobit und Judith, das erste und vierte Buch der Makkabäer, die „Weisheit Salomos“ und „Jesus Sirach“. Im Zusammenhang mit dem Neuen Testament überliefert er auch den Barnabasbrief und den „Hirt des Hermas“.
Der Codex Alexandrinus enthält den katholischen Kanon einschließlich der deuterokanonischen Bücher und darüber hinaus das dritte und vierte Makkabäerbuch. Zum Neuen Testament sind der Klemensbrief und der sogenannte zweite Klemensbrief (übrigens die einzige bekannte Kopie davon) beigefügt.
Der Codex Vaticanus enthält die Bücher Judit und Tobit, das Buch Baruch, den Brief des Jeremia, allerdings nicht das Gebet des Manasse oder die Makkabäerbücher. Es ist möglich, dass der erste Klemensbrief einmal dazugehörte.
5. Die apokryphen Schriften in der Septuaginta
Die apokryphen Schriften in der LXX sind für unser Thema deshalb wichtig, weil diese Schriften zusammen mit denen des Alten und des Neuen Testaments von Christen überliefert und zumindest eine Zeitlang für kanonisch gehalten wurden.
Einige der folgenden apokryphen Schriften wurden seit dem Jahr 1442 und endgültig 1546 von der Katholischen Kirche als deuterokanonische Bücher, also als Heilige Schriften zweiter Ordnung, anerkannt (K+). Auch die griechisch-orthodoxe Kirche erkennt einige apokryphe Schriften seit dem Jahr 1672 offiziell als kanonisch an (G+).
Judit (K+, G+)
Das Buch erzählt von einer jüdischen Witwe, die den assyrischen Feldherrn Holofernes verführt, um ihn dann zu töten. Sie war jung, reich, schön und gottesfürchtig. Damit rettet sie die Stadt Bethulia (Jerusalem) vor dem assyrischen Heer. Das Buch enthält eine ganze Reihe grober historischer Fehler. Es geht auf ein hebräisches Original zurück und entstand vielleicht schon am Ende der Perserzeit (350 v.Chr.), wahrscheinlicher aber erst Ende des 2. Jh. v.Chr. Man sollte es eher als lehrhaften Roman verstehen.
Weisheit Salomos (K+,G+)
Das Buch will als Lobrede Salomos auf die Weisheit gelten und zu einem frommen, von der Tora als göttlicher Weisheit bestimmten, Leben anleiten. Es verarbeitete sehr viel griechisches Gedankengut und wollte die jüdische Weisheitslehre mit der griechischen Tugendlehre verbinden. Das Buch entstand im 1. Jahrhundert v.Chr. in griechischer Sprache in Alexandria.
Tobit (K+, G+)
In dem Buch wird erzählt, wie ein gerechter, aber leidgeprüfter Jude von seiner Blindheit geheilt und sein Sohn aus Todesgefahr gerettet wurde. Den Lesern soll ein vorbildliches jüdisches Leben vor Augen geführt werden. Das ursprünglich aramäisch verfasste Buch wird um 200 v.Chr. entstanden sein und trägt zum Teil märchenhafte Züge. Es war in der frühen Christenheit sehr beliebt und wurde außer ins Griechische und Lateinische auch ins Armenische, Syrische und Äthiopische übersetzt.
Jesus Sirach (K+, G+)
Jesus Sirach ist ein Sprichwörterbuch mit Ratschlägen zu einem gottgefälligen Leben in Beruf, Familie und Gottesdienst. Die Weisheit Israels soll allen lernbereiten Menschen weitergegeben werden. Das Buch wurde etwa um 190 v.Chr. in Hebräisch geschrieben. Es war in der Alten Kirche sehr beliebt. Im Vorwort des Übersetzers ins Griechische werden alle drei Teile des Alten Testaments erwähnt: Tora, Propheten, Schriften. Das lässt im Zusammenhang mit den in Sir 44-49 erwähnten Namen im Lob der Väter darauf schließen, dass der Kanon der hebräischen Bibel zu dieser Zeit bereits abgeschlossen war.
Baruch (K+, G+)
Das Buch Baruch wird wie die Weisheit Salomos einer bekannten alttestamentlichen Gestalt zugeschrieben, hier dem Sekretär des Propheten Jeremia (Jer 36). Es enthält ein Bußgebet, ein Loblied auf die Weisheit und verschiedene tröstende Lieder. Der erste Teil war ursprünglich in Hebräisch geschrieben und könnte aus vormakkabäischer Zeit stammen, für den Rest nimmt man eher eine griechische Urschrift aus dem 1. Jh. v.Chr. an.
Brief Jeremias (K+, G+)
Die Schrift ist eine Warnung vor dem törichten und sinnlosen Götzendienst, die als Brief an die Gefangenen im Exil verfasst ist. Das hebräische Original könnte aus dem 2. Jh. v.Chr. stammen.
Das erste Buch der Makkabäer (K+, G+)
Der Bericht umfasst die Ereignisse zwischen 175 und 134 v.Chr. Er schildert den heldenhaften Kampf der judäischen Juden, gegen die hellenistischen Herrscher und den Aufstieg des hasmonäischen Königtums bis zum Tod des Makkabäerbruders Simon. Der Bericht ist im Wesentlichen zuverlässig und wurde um 100 v.Chr. in Hebräisch geschrieben.
Das zweite Buch der Makkabäer (K+, G+)
Das Buch berichtet über dieselben Ereignisse wie das erste Makkabäerbuch, ist aber keine so zuverlässige Quelle. Die ursprünglich griechische Schrift enthält zwei Briefe der Jerusalemer Juden und einen Auszug aus einem fünfbändigen Werk. Es ist wohl Mitte des 2. Jahrhundert v.Chr. entstanden. 2Makk 2,13-15 scheint anzudeuten, dass der Kanon der hebräischen Bibel zu seiner Zeit bereits abgeschlossen war.
Das dritte Buch der Makkabäer (G+)
Es erzählt die wunderbare Errettung der Juden in Alexandrien vor einem ptolemäischen König und wurde vermutlich im 1. Jahrhundert v.Chr. von einem orthodoxen Juden in Alexandria auf Griechisch verfasst. Seine historische Glaubwürdigkeit wird bezweifelt.
Das vierte Buch der Makkabäer
Das Buch ist als philosophisch-ethische Rede von der Herrschaft der Vernunft konzipiert und hat die religiöse Erziehung zum Ziel. Es will zeigen, wie die fromme Vernunft Affekte und Triebe beherrscht. Es wurde auf Griechisch zwischen 90 und 100 n.Chr. verfasst und ist nur als Anhang in orthodoxen Bibeln abgedruckt.
Das erste Buch Esdras13
In der Vulgata wird es 3. Buch Esra genannt. Es ist eine eigenständige Erzählung auf der Basis des hebräischen Textes von 2.Chr 35-36, Esra und Nehemia mit Zusätzen (und Weglassungen), die den Wert der Weisheit betont.
Die Zusätze zu Ester (K+,G+)
Es handelt sich um volkstümliche Ausschmückungen der biblischen Geschichte. Ihr Sinn besteht wohl darin, dem Buch eine stärkere religiöse Färbung zu geben.14 Die Zusätze kommen vermutlich aus einer Bearbeitung der griechischen Übersetzung des Esterbuches. Man nimmt ihre Entstehung zwischen 130 und 77 v.Chr. an.
Die Zusätze zu Daniel (K+; G+)
Gebet des Asarja
Das Klagelied ist an Dan 3,23 angeschlossen und entstammt einem hebräischen Original.
Gebet der drei Männer im Feuerofen
Dieser Hymnus schließt sich an das Gebet Asarjas an und entstammt ebenfalls einem hebräischen Original.
Susanna
Die Legende erzählt von der schönen und frommen Susanna, die von zwei Ältesten verführt werden soll. Als sie sich weigert, wird sie des Ehebruchs angeklagt. Daniel als weiser Richter überführt die Ältesten.
Bel und der Drache
Die Erzählung hat das Ziel, den Götzendienst lächerlich zu machen. Die Speisen, die dem Gott Bel dargebracht werden, wurden von den Priestern verzehrt, was wiederum von Daniel nachgewiesen wird.
6. Die Septuaginta und das Neue Testament
Lukas berichtet von der Arbeit des Paulus und Silas in Beröa:
Als die beiden dort angekommen waren, suchten sie als Erstes wieder die Synagoge auf. Die Juden in Beröa aber waren unvoreingenommener als die in Thessalonich. Sie nahmen die Botschaft bereitwillig auf und studierten täglich die Heiligen Schriften, um zu sehen, ob das, was Paulus lehrte, wirklich zutraf. Viele von ihnen kamen daraufhin zum Glauben, auch nicht wenige prominente griechische Frauen und Männer. (Apg 17,10-12)
Die Juden in Beröa untersuchten also die Heiligen Schriften, um die Botschaft des Paulus zu überprüfen. Dazu mussten sie in die Synagoge kommen, weil nur dort die Schriftrollen aufbewahrt wurden. Ob die Synagoge dort eine hebräisch geschriebene Torarolle besaß, ist nicht sicher. Auf jeden Fall aber besaß sie Schriftrollen mit der griechischen Übersetzung der einzelnen alttestamentlichen Bücher, die auch von Proselyten verstanden werden konnten, die sich der Synagoge angeschlossen hatten.
In allen Synagogen der Diaspora gab es in neutestamentlicher Zeit eine Septuaginta.
In allen Synagogen der Diaspora gab es in neutestamentlicher Zeit eine aus mehreren Schriftrollen bestehende Septuaginta, an deren Kenntnis die Apostel in ihrer Mission anknüpfen konnten. Viele ihrer alttestamentlichen Zitate stammten direkt aus der LXX, was sich auch in ihren Schriften niederschlägt und manchmal sogar zu kleinen Bedeutungsunterschieden in Bezug auf den hebräischen Text führen kann, wie er uns von den Masoreten überliefert wurde.
Jes 1,9 MT: Hätte Jahwe Zebaoth uns nicht einen ganz kleinen Rest gelassen, wie Sodom wären wir, Gomorra wären wir gleich.
Jes 1,9 LXX: Und wenn der Herr Sabaoth uns nicht einen Samen (= Nachkommenschaft) übrig gelassen hätte, wären wir wie Sodom und wären wir Gomorra gleich geworden.
Röm 9,29: Und wie Jesaja vorher gesagt hat: „Wenn nicht der Herr Zebaoth uns Nachkommenschaft (= Samen) übrig gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich geworden.“
Das „ganz klein“ ist in der LXX und dem NT weggelassen. Aus dem „Rest“ wird Same (Nachkommenschaft). Der Sinn wurde dadurch nicht geändert, denn der Same ist durchaus ein Bild für etwas sehr Kleines. Der Text aus dem Römerbrief beweist aber, dass Paulus aus der LXX zitierte. Auch Jakobus und Petrus zitieren aus der LXX:
Spr 3,34 MT: Den Spöttern gegenüber spottet er, den Demütigen aber gibt er Gnade.
Spr 3,34 LXX: Der Herr widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.
Jak 4,6: Deshalb spricht er: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.“
1Petr 5,5: „Denn Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.“
Nicht immer ist es in unseren Übersetzungen so deutlich zu erkennen, wo die Apostel aus der LXX zitieren. Das liegt einmal daran, dass die Übersetzung der Septuaginta sich manchmal sehr eng an den Wortlaut des Hebräischen hält. Höchstens die Wortreihenfolge und einige unwesentliche Dinge sind verändert, was man aber nur durch exakten Vergleich der griechischen Handschriften mit dem hebräischen Text erkennen kann. Daraus ergibt sich nach Archer/Chirichigno15 folgendes:
268 Zitate im Neuen Testament geben uns einen LXX-Text wieder, der sich sehr eng an den Wortlaut des Hebräischen hält.
50 Zitate zeigen einen Text, bei denen sich die Autoren sehr eng den Wortlaut der LXX halten, die LXX jedoch vom überlieferten hebräischen Wortlaut abweicht, d.h. wo sie ziemlich frei übersetzt. Diese freie Übersetzung ist also an 50 Stellen als inspirierter Text ins Neue Testament hineingekommen.
33 Zitate geben einen Text wieder, bei denen sich die Autoren des Neuen Testaments enger an den MT des AT halten als an die LXX.
22 Zitate zeigen einen Text, bei denen sich die Autoren ziemlich eng an die Lesart der LXX halten, obwohl diese vom MT abweicht.
13 Zitate machen den Eindruck, sich große Freiheiten gegenüber dem alttestamentlichen Text herauszunehmen, wenn man sie in ihrem ursprünglichen Zusammenhang betrachtet. Dennoch kann man in jedem Fall zeigen, dass der jeweilige Autor unter der Leitung des Geistes Gottes einen verbindlichen Kommentar zur Botschaft und Lehre des Alten Testaments abgibt, und zwar ohne den Originaltext auseinanderzureißen oder zu verdrehen.
Fazit:
Es gibt also nur 33 Zitate im Neuen Testament, bei denen sich die Autoren auf den hebräischen Wortlaut gestützt haben. Fast immer also zitierten alle Autoren des Neuen Testaments unter der Leitung des Heiligen Geistes aus den Schriftrollen der Septuaginta, und zwar auch dann, wenn diese nahezu wörtlich mit dem MT übereinstimmte. Und sie zitierten die Septuaginta als Heilige Schrift mit den üblichen Zitationsformeln wie zum Beispiel: die Schriften (Mt 21,42), dass die Schrift erfüllt würde (Jo 19,24), die Schrift sagt (Rö 10,11), der Heilige Geist sagte durch den Mund Davids (Apg 1,16-20) o.ä.
Alle inspirierten Autoren verwendeten die Septuaginta also genauso wie wir heute, wenn wir einen Schriftbeweis führen und dazu etwa die Elberfelder Übersetzung benutzen. Die meisten – wenn nicht sogar alle – Autoren des Neuen Testaments konnten zwar die hebräische Bibel lesen und Aramäisch sprechen, aber eben auch das Griechisch der Septuaginta.
Auffällig ist allerdings, dass das Matthäusevangelium und der Hebräerbrief, die das Alte Testament besonders häufig zitieren, dies oft (aber nicht immer) in einer Form tun, die enger am hebräischen Wortlaut ist, als die Septuaginta. Das ist verständlich, denn ihre ursprünglichen Leser hatte ja Zugang zum hebräischen Alten Testament.
Die meisten Menschen in der jüdischen Diaspora konnten das Griechisch des Neuen Testaments ohne Weiteres verstehen. Durch die Predigten der Apostel, die sich auf die Septuaginta als Heilige Schrift stützten, wurden auch die bekehrten Nichtjuden an diese Schrift als Autorität verwiesen.
Bemerkenswert ist allerdings, dass keiner der neutestamentlichen Autoren etwas aus den oben erwähnten apokryphen Texten der Septuaginta zitiert, denn dass sie diese kannten, steht außer Frage.16
7. Die Bedeutung der Septuaginta für die Christen
Keine Bibelübersetzung hat die Christenheit so beeinflusst, wie die Septuaginta. So heißen in allen europäischen Sprachen die ersten Menschen nicht Adâm und Chawwâ, sondern Adam und Eva. Der Nachfolger Moses heißt nicht Jehoschua, sondern Josua, und die Propheten heißen nicht Jeschajahu und Jirmejahu, sondern Jesaja und Jeremia. Alle diese Namen sind also in der griechischen Form auf uns gekommen.
Die neutestamentlichen Verfasser übernahmen aus der Septuaginta auch Begriffe, die in der griechischen Sprache sonst nicht üblich waren, wie sabbatôn (Sabbat) oder pasa sarx (alles Fleisch). Solche Begriffe, die sonst nur von griechisch sprechenden Juden im Israel des 1. Jahrhunderts gebraucht wurden, sollten die Leser bewusst an alttestamentliche Formulierungen erinnern, die sie schon aus der Septuaginta kannten.
7.1 Die Abschriften der Septuaginta
In den ersten Jahrzehnten der Gemeinde waren also die Schriftrollen der Septuaginta die einzige Bibel der nichtjüdischen Christen. Wegen dieser altertümlichen Überlieferungsmethode durch Schriftrollen ist nicht sicher, welche der apokryphen Schriften des Alten Testaments eine Gemeinde (oder Synagoge) besaß. Es gab ja keine Instanz, die den Umfang der Septuaginta festlegte.
Die Christen überließen es nicht mehr nur den Juden, die Septuaginta zu überliefern.
Die Schriften, die wir heute zum Neuen Testament zählen, waren zunächst nur an bestimmte Gemeindegruppen, einzelne Gemeinden oder sogar Einzelpersonen gerichtet. Doch schon gegen Ende des ersten Jahrhunderts entstanden Schriftsammlungen mit den Paulusbriefen und den Evangelien. Spätestens in dieser Zeit17 begann die Gemeinde, ihre Schriften auf einzelnen Blättern zu überliefern, die wie die heutigen Bücher an einer Seite zu Kodizes zusammengeheftet wurden. Diese moderne Form verwendeten die Christen auch, als sie es nicht mehr den Juden überließen, sondern selbst begannen, das Alte Testament der Septuaginta zu überliefern.
Die christlichen Abschriften der Septuaginta waren also einerseits durch die Verwendung des Kodex anstelle von Schriftrollen gekennzeichnet, andererseits, so wird angenommen, durch die Wiedergabe des Gottesnamens mit KYRIOS (Herr), während in den Rollen der Septuaginta, die Juden benutzten, der Gottesname mit JHWH (Jahwe) wiedergegeben wurde. Die christliche Septuaginta war besonders in Ägypten stark verbreitet.18
Die ältesten, heute noch vorhandenen Kodizes, die zumindest teilweise das Alte und das Neue Testament enthalten, sind der Vaticanus, der vielleicht schon zu den 50 Bibeln gehörte, die Kaiser Konstantin im Jahr 330 n.Chr. bei Eusebius von Cäsarea in Auftrag gab, der Sinaiticus aus dem 4. Jahrhundert, der Alexandrinus und der Codex Ephraemi, die beide aus dem 5. Jahrhundert stammen.
Vom griechischen Alten Testament sind uns mehr Manuskripte erhalten, als von jedem anderen antiken griechischen Text, außer dem Neuen Testament. Wenn man die vollständig erhaltenen Abschriften und die Fragmente zusammenzählt, kommt man etwa auf 2000 Handschriften.19
7.2 Die Kirchenväter und die Septuaginta
Erst allmählich verbreitete sich unter den Christen das Verständnis für den hebräischen Kanon, von dem doch die LXX erst abstammt.
Im Gegensatz zum Neuen Testament finden wir bei den Kirchenvätern die Septuaginta mit den Apokryphen im allgemeinen Gebrauch. Erst allmählich verbreitete sich unter den Christen das Verständnis für den hebräischen Kanon, von dem doch die Septuaginta erst abstammt.
Als Beispiel für selbstlose Hingabe und weiblichen Heldenmut führt Klemens von Rom (um 96 n.Chr.) als geschichtliche Beispiele neben Ester auch Judit an.20 Eine Aussage des Barnabasbriefs (um 130 n.Chr.) scheint auf Sirach zurückzugehen: „Sei nicht so, dass du deine Hand zum Nehmen ausstreckst, zum Geben sie aber zuhältst!“21 Polykarp schreibt um 135 n.Chr. an die Gemeinde Philippi: „Wenn ihr Gutes tun könnt, schiebt es nicht auf, weil Almosen vom Tod befreit!“22 Er nimmt also als Tatsache an, was das Buch Tobit behauptet: „Denn Almosen rettet vom Tod und lässt nicht in die Finsternis eingehen.“23
Irenäus (135-202 n.Chr.) zitiert „Worte des Propheten Daniel“ aus der Geschichte von Susanna.24 Klemens von Alexandria (150-215 n.Chr.) zitiert häufig aus Sirach und zwar mit Formeln wie zum Beispiel: „Die Schrift, die göttliche Schrift, die Weisheit sagt.“ Hyppolyts (170-235 n.Chr.) Kommentar zu Daniel behandelt die Zusätze des griechischen Textes ebenso wie die des hebräischen Kanons. Offenbar haben die Christen der ersten Jahrhunderte keinen wesentlichen Unterschied zwischen apokryphen und kanonischen Schriften gemacht.25
Vereinzelt allerdings begegnet uns schon die Beschränkung auf den hebräischen Kanon, was im Lauf der Zeit immer deutlicher wird. So reist Bischof Melito von Sardes um 170 n.Chr. extra nach Palästina, um den Inhalt des hebräischen Alten Testaments zu untersuchen. Als kanonisch zählt der nur die Bücher des hebräischen Alten Testaments auf. Origenes (185-254 n.Chr.) vertrat und besaß einen Kanon ohne Apokryphen. Julius Afrikanus (170 bis nach 240 n.Chr.) übte deutlich Kritik an den griechischen Zusätzen zu dem Buch Daniel und wollte sie als unecht beseitigen.
Hieronymus weigerte sich, die Apokryphen in seine lateinische Übersetzung aufzunehmen.
Im vierten Jahrhundert haben wir dann eine ganze Reihe von Kanonverzeichnissen, die sich auf den Inhalt des hebräischen Kanon beschränken oder die Apokryphen als Schriften zweiter Ordnung einstufen. Das Konzil von Laodizea (um 360 n.Chr.) schließlich bestimmte den Kanon ohne die Apokryphen als den maßgeblichen Kanon des Alten Testaments. Ganz deutlich gegen die Apokryphen trat Hieronymus (347-419 n.Chr.) auf und nahm sie nicht in seine lateinische Übersetzung auf, die seit dem 13. Jahrhundert den Namen Vulgata, d.h. die allgemein verbreitete, erhielt. Erst nach Hieronymus wurden die griechischen apokryphen Texte als lateinische Übersetzung der Vulgata beigefügt.
7.3 Revisionen und Neuübersetzungen
Seit die Christen die Septuaginta verwendeten, entfremdeten sich die Juden immer mehr von ihr. Denn die Christen beriefen sich in ihren Disputationen mit den Juden immer auf Stellen in der Septuaginta, was die Juden aber nicht als beweiskräftig anerkennen konnten. Deshalb gab es auf Seiten der Juden eine neue griechische Übersetzung des Alten Testaments von einem gewissen Aquila und auf Seiten der Christen Revisionen der Septuaginta, die sich mehr dem hebräischen Text annäherten.
Um das Jahr 220 n. Chr. hielt Origenes (185-253 n. Chr.) es für nötig, eine Riesenarbeit in Angriff zu nehmen, die zuletzt 50 Bände mit 6000 Blättern umfasst haben soll. Er wollte den gebräuchlichen griechischen Text des Alten Testaments mit der von den Juden verwendeten hebräischen Textform in Übereinstimmung bringen. Dazu fertigte er in Cäsarea am Meer die sogenannte Hexapla an. In sechs parallelen Spalten wurde der Text des Alten Testaments in verschiedenen Übersetzungen neben dem hebräischen Text niedergeschrieben.
Spalte 1: Der hebräische Konsonantentext.26
Spalte 2: Der hebräische Text in griechischer Umschrift einschließlich der auszusprechenden Vokale (wahrscheinlich, um die Aussprache zu sichern).
Spalte 3: Die sehr wörtliche (konkordante) Übersetzung des Juden Aquila. Streckenweise kaum lesbar (ähnlich wie die Dabhar-Übersetzung heute). Aquila schreckte vor den ärgsten Verstößen gegen die griechische Sprache nicht zurück. Trotzdem fand seine Übersetzung in den Synagogen der Juden bis ins 6. Jahrhundert eine breite Verwendung, weil sie einerseits nicht mehr Hebräisch konnten und andererseits die Septuaginta nicht mehr verwenden wollten, weil dies die Bibel der Christen geworden war.
Spalte 4: Die Übersetzung des Juden27 Symmachus, die sich um ein akzeptables Griechisch bemüht.
Spalte 5: Die sorgfältigen Verbesserungen des Origenes an der Septuaginta, die er aber nur als Anmerkungen einfügte. Den ursprünglichen Text selbst tastete er nicht an. Dieser Text, aber mit den eingearbeiteten Anmerkungen, entwickelte sich bald zum autoritativen Standardtext der Kirchen des Ostens.
Spalte 6: Die Version des Theodotion, der im späten zweiten Jahrhundert in Ephesus lebte und zum Judentum übergetreten sei, war eine Überarbeitung eines älteren griechischen Bibeltextes.
Von dem Riesenwerk, an dem Origenes 30 Jahre gearbeitet hat, sind heute nur noch Fragmente erhalten.
7.4 Die Septuaginta als „einzig inspirierte Übersetzung“ des AT
Schon der jüdische Philosoph Philo von Alexandria (15 v.Chr. bis 40 n.Chr.) glaubte, dass die griechische Übersetzung genauso göttlich inspiriert war wie das hebräische Alte Testament selbst.28
Aber auch viele Christen der ersten drei Jahrhunderte waren damals überzeugt, die Übersetzer der Septuaginta hätten „die heilbringende Erscheinung unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus als künftig eintretend vorausgesehen“29 Manche Christen meinten sogar, die Wörtlichkeit des hebräischen Bibeltextes verberge das Evangelium von Jesus Christus. Also nur die Septuaginta sei das wahre Alte Testament.30
Origenes war von der Inspiration der Septuaginta überzeugt.
Origenes war von der Inspiration der Septuaginta überzeugt. Die Autorität der Kirche würde dafür bürgen, dass sich keine unechten Schriften eindrängen. Was in den Gemeinden unbezweifelt als Heilige Schrift in Gebrauch ist, hat göttliche Autorität.31
Bis ins 3. Jahrhundert war die Kirchensprache in Rom Griechisch.32 Man konnte die Abschriften der biblischen Texte also noch lesen. Doch vor allem in den westlichen Teilen des Römischen Reiches entstanden schon seit dem 2. Jahrhundert altlateinischen Übersetzungen. In der wachsenden Christenheit des Westens in Südgallien und Nordafrika, wo zum größten Teil Latein gesprochen wurde, war das Bedürfnis entstanden, Übersetzungen der Septuaginta in Latein für den Gottesdienst und das persönliche Bibellesen zu besitzen. 40 solcher Handschriften sind uns bis heute überliefert.
Doch wegen der großen Verschiedenheit der umlaufenden Texte beauftragte Papst Damasus im Jahr 382 den sprachkundigsten Bibelgelehrten des Abendlands, Hieronymus, mit der Herstellung eines einheitlichen Textes. Im 13. Jahrhundert erhielt dieser dann den Namen Vulgata, d.h. die allgemein verbreitete.
Hieronymus begann mit den Evangelien, wo er an 3500 Stellen die ihm vorliegenden Texte verbesserte. Von 386 n.Chr. an lebte er in Bethlehem. Er hatte in Caesarea die Hexapla des Origenes eingesehen und für seine Arbeit verwendet. Zunächst bearbeitete er die neutestamentlichen Bücher. Ab 390 arbeitete er dann am Alten Testament. Zunächst vereinheitlichte er die Psalmen nach einem griechischen Text, ging dann aber dazu über, alle Texte neu direkt aus dem Hebräischen zu übersetzen. 23 Jahre bis 405 arbeitet er an der Übersetzung. Sie setzte sich aber erst seit dem 9. Jahrhundert durch.
Viele benutzten die LXX als Quelle für ihre Übersetzung des Alten Testaments in andere Sprachen.
So, wie es Hieronymus am Anfang seiner Arbeit machte, taten es damals und noch Jahrhunderte später viele: Sie übersetzten das Alte Testament in andere Sprachen. Als Quelle benutzten sie aber nicht das hebräische Alte Testament, sondern die Septuaginta. So war Syrisch Jahrhunderte lang die Sprache für einen großen Teil der Christenheit. Zwischen 613 und 617 n.Chr. wurde die fünfte Spalte der Hexapla des Origenes, die sogenannte Quinta, ins Syrische übersetzt (Syro-Hexapla).33 Übersetzungen der Septuaginta ins Koptische sind im sahidischen und bohairischen Dialekt erhalten geblieben.34 Weiterhin wurde die Septuaginta ins Arabische, Äthiopische, Armenische, Slawische, Georgische und Gotische übersetzt.35
Augustinus (354-430 n.Chr.) stellte sich gegen die Vulgata und forderte den ausschließlichen Gebrauch der Septuaginta. Er sah sie als einzig inspirierte Bibelübersetzung an. Sie würde ja seit der Zeit der Apostel tradiert.36 Darum nahm er die Übersetzungslegende der griechischen Bibel auf und modifizierte sie. Er wollte ihre unbedingte Autorität als göttliche Schrift begründen.37 Er zählte auch die Apokryphen mitten unter den Schriften des hebräischen Kanon als kanonisch auf.38
Die Septuaginta und nicht der hebräische Text war die Bibel, die von den frühen Kirchenvätern und den Konzilien verwendet wurden. Gerade als es um die Lehre der Trinität und die Natur unseres Herrn ging, verwendete man das griechische Alte Testament. So nahm zum Beispiel Sprüche 8,22-31 einen wichtigen Platz in den Diskussionen um die Natur unseres Herrn und seine Stellung in der Trinität ein. So argumentierte Arius (260-336 n.Chr.) auf der Grundlage der griechischen Übersetzung von Sprüche 8, dass der Sohn geschaffen sein musste und nicht ewig neben dem Vater existierte. Bestimmte Unterschiede zwischen dem Hebräischen und Griechischen stützten die Argumentation des Arius.
Der Text der Septuaginta war das Wort Gottes für die Kirche in den ersten drei Jahrhunderten. Die griechisch-orthodoxe Kirche, die russisch-orthodoxe und die syrisch-orthodoxe betrachten den griechischen Text als ihre Bibel und ziehen sie in Bezug auf das Alte Testament bis heute dem hebräischen Text vor, obwohl das derzeit von ihren Gelehrten diskutiert wird.
Gewiss bleibt das hebräische Alte Testament die beste Grundlage für unsere modernen Übersetzungen, doch sollten wir nicht vergessen, dass die Septuaginta die Bibel der frühen Christen in den ersten drei Jahrhunderten, ja dass sie sogar die Bibel der Apostel war.
Für wertvolle sprachliche und sachliche Hinweise bedanke ich mich herzlich bei Peter Streitenberger aus Ingolstadt, Carsten Ziegert aus dem Tschad, Dr. Heinrich von Siebenthal von der FTH Gießen.
Jobes, Karen H./Silva, Moisés: Invitation to the Septuagint. Grand Rapids: Baker Publishing Group 2005. ↩
Esra 4,8 – 6,18; 7,12-26; Dan 2,4b – 7,28; Jer 10,11 und zwei Worte in 1Mo 31,47. ↩
Vgl. Jes 36,11-14. ↩
Nur ein Teil von ihnen (etwa 50 000) kehrte nach dem Exil nach Judäa zurück, vgl. Esra 2,64-68. ↩
Siehe Jeremia 42,1-43,7. ↩
Nach anderen sogar 300 000. ↩
Grünzweig/Laubach/Maier (Hrsg.). Das große Bibellexikon. Wuppertal/Gießen: 1987 Band 1 S. 44. Die Synagoge in Alexandria war das größte jüdische Bauwerk des antiken Judentums nach dem Tempel. ↩
Merrill C.Tenney. Die Welt des Neuen Testaments. Marburg: 19944. ↩
Die jüdischen Legenden zur Entstehung dieses Werks bezogen den Begriff hoi hepdomêkonta (die Siebzig), lateinisch: Septuaginta[1] allerdings immer nur auf die Übersetzung der Tora, der fünf Bücher Mose. ↩
Michael Tilly, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, S. 71. ↩
Wolfgang Kraus/Martin Karrer (Hrsg.) Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. Stuttgart 2009. ↩
Besonders nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 wuchs das Bedürfnis nach einem autoritativen Text des Alten Testaments. Bereits um 100 n.Chr. muss der Konsonantentext mithilfe der in Gebrauch befindlichen Bibelhandschriften fixiert worden sein. Einige Jahrhunderte später begannen jüdische Gelehrte, die Masoreten („Überlieferer“) diesen Standardtext mit Vokalzeichen und anderen Lesezeichen zu versehen, um die überlieferte Aussprache und den Textvortrag möglichst präzise festzulegen. Zugleich trafen sie pedantische Vorkehrungen gegen neue Abschreibfehler: Verse, Worte, ja selbst Buchstaben wurden gezählt. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist der sogenannte „Masoretische Text“ (MT), der etwa im 9. Jh. n.Chr. fertig vorlag und seitdem nicht mehr verändert wurde. ↩
Das zweite Buch Esdras entspricht den biblischen Büchern Esra und Nehemia. ↩
Im griechischen Esterbuch wird im Gegensatz zum hebräischen, wo sich nur ein indirekter Gottesbezug in 4,14 nachweisen lässt (passivum divinum) direkt von Gott gesprochen. ↩
Gleason L. Archer/Gregory Chirichigno, Old Testament Quotations in the New Testament. Eugene, Oregon 1983. ↩
Es wird immer wieder behauptet, dass sich zahlreiche Zitate aus den Apokryphen im Neuen Testament finden würden. Tilly (S. 23) gibt als Beispiele für Zitate und Bezugnahmen an: Mk 10,19 vgl. Sirach 4,1; Mt 9,36 vgl. Judit 11,19; 2Tim 2,19 vgl. Sirach 17,26. Wenn man aber die Texte vergleicht, findet man kein einziges Zitat, sondern allenfalls Anklänge, die höchstens zeigen würden, dass die neutestamentlichen Verfasser die Apokryphen kannten. Es ist nicht einmal eindeutig beweisbar, dass sie ihre Formulierungen aus den apokryphen Schriften genommen hätten. Im Gegensatz zu den Kirchenvätern haben sie die Apokryphen nie direkt, oder gar als Heilige Schrift, zitiert. ↩
Nach C.P. Thiede begann das schon nach dem Tod des Jakobus 62 n.Chr. ↩
Martin Hegel, Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum. Tübingen 1994. ↩
Jobes/Silva S. 20. ↩
1. Klemens 55,4-6. ↩
Barnabas 19,9 = Sirach 4,31. ↩
Polykarp an die Philipper 10,2. ↩
Tobit 4,10; ähnlich 12,9. ↩
Justin gegen die Häresien IV 26,3; vgl. Susanna V. 52 (in anderen Bibeln Dan 13,52). ↩
Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Leipzig 1896, Bd. 1 S. 626. ↩
Erst 600 Jahre später (um 800 n.Chr.) haben die so genannten Masoreten angefangen, diesen Text mit Vokalzeichen zu versehen. ↩
Manche nehmen an, es sei ein ebionitischer Judenchrist gewesen, der diese Übersetzung um das Jahr 170 n.Chr. schuf. ↩
Jobes/Silva S. 36. ↩
Tilly S. 114. ↩
Ähnliche Argumente kennen wir für die Verteidigung der nichtrevidierten Elberfelder Übersetzung. ↩
Sierszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte. Band 1. Holzgerlingen 2000. S. 178. ↩
In Nordafrika war Griechisch noch bis ins 5. Jahrhundert Kirchensprache und in Byzanz blieb sie es. ↩
Das sollte nicht verwechselt werden mit der sogenannten Peschitta (syrisch: die Einfache), die schon im zweiten Jahrhundert aus dem Hebräischen ins Syrische übersetzt wurde. ↩
Das sind wichtige Zeugen für den frühen griechischen Text, der in Ägypten verwendet wurde. ↩
Jobes/Silva S. 67. ↩
Tilly S. 98. ↩
Tilly S. 110. ↩
Realencyklopädie S. 627. ↩