John Nelson Darby (1800 – 1882) springt als junger, gebildeter Mann auf die sich entwickelnde Brüderbewegung auf und prägt ihre Theologie wie kaum ein anderer. Seine Theologie breitete er durch Verkündigungsdienste, Reisen, Schriften und Bibelübersetzungen in ganz Europa und darüber hinaus aus. Dabei war und bleibt er umstritten. Berthold Schwarz zeichnet in seiner Dissertation ein umfassendes Bild von Darbys Theologie. Dabei steigt er mit einem Bericht über die wissenschaftliche Literatur zur Darby-Forschung ein, er geht über zum historisch-theologischen Erbe des 19. Jahrhunderts auf den britischen Inseln, er beschreibt Aspekte des puritanischen Glaubens und verschiedene Endzeiterwartungen Anfang des 19. Jahrhunderts.
Der Leser wird umfassend mit dem theologischen Umfeld, in dem sich Darby bewegte, vertraut gemacht. Schwarz beschreibt über fast 50 Seiten Darbys Hermeneutik. Darby vertritt eine Auslegung im heilsgeschichtlichen Kontext der jeweiligen Epoche. Er teilt dabei die biblische Geschichte sehr scharf in heilsgeschichtliche Epochen ein, sieht aber genauso allgemeingültige Wahrheiten, die die einzelnen Epochen übergreifen.
Nach fast 200 Seiten dringt Schwarz zum Kernanliegen seiner Dissertation vor, Gesetz und Gnade bei Darby. Darbys Soteriologie ist von seiner heilsgeschichtlichen Sicht aus zu verstehen. Israel und Gemeinde werden bei ihm konsequent getrennt verstanden. Demnach gibt es keine Verbindung zwischen Gesetz und Gemeinde. Und wenn es die gäbe, so müsste man doch das Gesetz als Ganzes halten, eine Trennung von Zeremonial- und Moralgesetz sieht Darby nicht. Für ihn gehört das Gesetz zu Israel. Und weil Darby scharf zwischen Israel und Gemeinde trennt ist es für den Christen kein Weg zum Heil. Das Gesetz beginnt beim Gehorsam des Menschen, das Evangelium beim Gehorsam Christi. Gesetz und Evangelium schließen sich grundlegend aus. Für die Heiligung eines Christen ist die Gnade entscheidend, nicht das Gesetz. Christus betrachten ist der Weg der Heiligung.
Hier erklärt sich z.B. die stille Frömmigkeit der konservativen Brüderbewegung. Christus betrachten schließt die Sünde aus. Obwohl Darby das Gesetz für den Christen ablehnte, vertrat er trotzdem eine biblische Ethik. Heiligung ist für Darby keine äußerliche Verbesserung des Menschen, sondern meint eine neue Stellung in Christus. Der Heilige Geist hilft in dieser Stellung zu leben. Dabei ist die Identität eines Christen nicht die eines zerknirschten Sünders sondern die eines Gerechten, eines Heiligen, wobei Darby keinen Perfektionismus lehrte. Der Christ ruht im inneren Frieden mit Gott und tut gleichzeitig engagiert den Willen Gottes.
Berthold Schwarz. Leben im Sieg Christi. Die Bedeutung von Gesetz und Gnade für das Leben des Christen bei John Nelson Darby. Gießen: Brunnenverlag 2008. 652 S. Paperback. ISBN 978-3-7655-9550-9
Darbys Blickrichtung ist christuszentriert, doxologisch. Seine Kreuzestheologie „trägt zugleich um Christi und Gottes Willen gewissermaßen den Charakter einer [irdisch noch unvollendeten] theologiea gloriae…“ Die Gnade Gottes ist entscheidend. Aber genau hier gibt es einen Knackpunkt. Warum hat sich die Brüderbewegung oft durch einen Hang zur Gesetzlichkeit ausgezeichnet? Oder die Einheit der Gläubigen: Sie war für Darby ein wichtiger Wert. Sein Grundsatz lautete: Einheit durch Trennung vom Bösen. Wo aber beginnt das Böse? Hier hat Darby zu weit ausgeholt. Oft waren es Kleinigkeiten, manchmal auch bei Freunden, die zum Bruch führten. Allem voran ist der „Bethesdastreit“ zu nennen, der einen tiefen Riss bis in die heutige Brüderbewegung brachte. Hätte Darby nicht die Einheit der Gläubigen von der christologischen Seite her beleuchten sollen? Es ist tragisch, dass ein Mann einerseits so hingabevoll den geistlichen Reichtum in Christus an das Licht bringt und auf der anderen Seite sich so scharf distanziert, sobald andere Christen oft nur in Einzelfragen einen anderen Standpunkt beziehen.
Berthold Schwarz ordnet Darbys Theologie in ihre Zeit ein und zieht Verbindungen zu anderen theologischen Entwürfen. Er wirft dabei ein neues Licht auf einen auch in der Brüderbewegung umstrittenen Mann. Darby ist nicht nur der Hardliner, als der er gerne gesehen wird. Er ist nicht einfach der Dispensationalist, der von der Soteriologie keine Ahnung hätte. Er verbindet Heilsgeschichte und Heilslehre. Er ähnelt manchen Ansätzen der Reformatoren, setzt aber auch eigene Akzente. Leider hat er durch seine Absonderungslehre den Dialog mit anderen Christen verhindert, der so fruchtbar hätte sein können. Weite Teile der Brüderbewegung haben sich in eine Abseitsstellung manövriert, die eine gesunde Diskussion verhinderten. Vorliegende Dissertation ist mit 652 Seiten sehr umfangreich, vielleicht manchmal etwas langatmig. Sie verlangt Übung im Lesen theologischer Fachliteratur.