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Seit wann meint das Wort Palästina das Land Israel?

Bis in die jüngste Zeit gibt es Streit um die Frage, was eigentlich mit dem Wort Palästina gemeint ist. Manche benutzen es demonstrativ, um damit die Landesbezeichnung Israel zu ersetzen und den Anspruch der sogenannten Palästinenser zu unterstreichen. Da es die Bezeichnung Palästina für Israel allerdings schon mindestens seit dem 5. Jhdt. v.Chr. gibt, erscheint es naheliegend, dass es sich um eine Übersetzung des Namens Israel handelt und „Streiter“ oder „Gegenspieler“ bedeutet.

Seit wann gibt es das Wort „Palästina” und seit wann bezeichnet es wenigstens ungefähr das Land Israel von „Dan bis Beerscheba”?

Antwort:

Auf den ersten Blick scheint dies keine Frage zur Bibel zu sein, denn das Wort „Palästina” findet sich in der Bibel nicht. Wenn aber die Untersuchungen von David Jacobson stimmen, die er 2001 im Biblical Archaeological Review (27, S. 43-47) veröffentlicht hat, dann stammt der Name „Palästina” auf Umwegen doch aus der Bibel. Aber der Reihe nach.

Das Wort „Palästina” gibt es schon lange. Es war schon dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot bekannt, der um 425 vChr gestorben ist und es in seinen berühmten Historien verwendet. Man geht im allgemeinen davon aus, dass „Palästina” nicht das Gebiet zwischen Dan und Beerscheba, also das Land Israel, bezeichnet hat, sondern den Küstenstreifen am Mittelmeer von Syrien nach Süden, der das Siedlungsgebiet der Philister einschließt. Der Name „Palästina“ wäre dann eine Abkürzung des von Herodot verwendeten „Palaistine Syria“, was soviel wie „das Syrien der Philister“ bedeuten soll. Allerdings wird es in den meisten übersetzten Herodotausgaben nicht so wiedergegeben, sondern als „palästinisches Syrien” (Horneffer) oder als „Palästina, das zu Syrien gehörte” (Ley-Hutton). Josephus, der zwischen 90 und 100 nChr schrieb, nennt die Philister regelmäßig Palästinier, worauf sich z.T. heute Palästinenser berufen und sich als Nachfahren der Philister verstehen1. Philologisch wird „Palästina” deswegen meist als eine griechische Transkription des hebräischen Wortes „peleschet“, die Bezeichnung für die Philister im AT, verstanden. Aber erst der römische Kaiser Hadrian (117-138) hatte Judäa nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes (135/36) in Palästina umbenannt. Das Volk der Philister allerdings, das ungefähr zur Zeit oder kurz vor der Einwanderung des Volkes Israel aus Ägypten, als Mischvolk von den Inseln des Mittelmeers nach Kanaan gekommen war, scheint irgendwann untergegangen zu sein, wie es Jeremia 47 ankündigt. Es bestand jedenfalls zur Zeit Hadrians nicht mehr als Volk.

Nun hat David Jacobson von der Universität London diese alte Erklärung teilweise in Frage gestellt. Er nennt eine Reihe von Argumenten, die ein Umdenken erforderlich machten. Zuerst ist ihm aufgefallen, dass bei genauer Betrachtung Herodot und spätere Schreiber die Bezeichnung „Palästina” nicht nur auf den Küstenstreifen beziehen, sondern auch auf das ganze Gebiet Israels, wenn auch die Grenzen nicht ganz genau bestimmt werden können (Historien III,5). Weiter sieht er, dass es das Volk der Philister schon zur Zeit Herodots nicht mehr gegeben hat. Die Spuren der Philister verlieren sich bereits im späten 7. Jahrhundert v. Chr. Herodot bezeichnet die Einwohner Palästinas dann auch als „Beschnittene”, was für das Volk Israel passt, für die Philister aber eindeutig nicht (Historien II,104).

„Palästina” beschreibt das Gebiet, in dem das jüdische Volk lebte. Es ist nicht sicher, dass der Begriff von „Philister” abgeleitet werden muss.

Dies führt Jacobson zu der These, dass sich die Bezeichnung „Palästina” ursprünglich gar nicht von den Philistern (heb. peleschet) ableitet. Auch die griechische Übersetzung des AT, die Septuaginta, benutzt für die Philister eben nicht „palaistinoi”, sondern „philistiim”, obwohl man davon ausgehen muss, dass den damaligen Übersetzern beide Begriffe zur Verfügung standen. Wenn aber „Palästina” soviel wie „Israel” bedeutet, wie ist dann dieser Name zustande gekommen? Jacobson stellt folgende Überlegung an: Das griechische „palestine“ weist eine große Ähnlichkeit zu „palaistes“, dem griechischen Wort für „Ringkämpfer“ oder „Gegenspieler“ auf. Das entspricht der ursprünglichen Bedeutung des Namens „Israel”, den Gott dem Stammvater Jakob nach seinem Ringkampf am Jabbok gegeben hatte: „Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel [Streiter Gottes]; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen” (1Mo 32,29). Auf die antiken Griechen, deren Begeisterung für  Ringkämpfe in Erzählungen und auf vielen Abbildungen bezeugt ist, könnte der biblische Bericht so gewirkt haben, dass sie „Israel” auch dem Sinn nach übersetzten und nicht nur in griechischen Buchstaben wiedergaben. Wenn diese Vermutung stimmt, dann wäre die Verwendung des Begriffes bei Josephus für die Philister eine Änderung des Gebrauches und man müsste fragen, warum er nicht dem Sprachgebrauch der Septuaginta gefolgt ist.

Ich persönlich halte die Thesen von David Jacobson für durchaus denkbar und selbst wenn „Palästina” ursprünglich keine Übersetzung von „Israel” ist, so ist es unbestreitbar, dass schon bei Herodot und auch später das Wort „Palästina” das Gebiet beschreibt, indem das jüdische Volk lebte.


  1. Allerdings wurden die Angehörigen arabischer Länder, die teilweise zusammen mit anderen Völkern schon während der osmanischen Herrschaft dort lebten, wohl erst in den 1960er Jahren als Palästinenser bezeichnet