ThemenFrage & Antwort

Gilt der Missionsbefehl uns?

Ich höre von Zeit zu Zeit das Argument bzgl. des Missionsbefehls Jesu, er würde für die neutestamentliche Gemeinde nicht gelten, da die Aufforderung nicht zur ekklesia gesprochen sei, sondern ausschließlich zu Jesu Jüngern. Das ist zweifelsohne richtig, aber haben wir nicht heute noch ebenso Jesu Worten zu gehorchen?

 

Zu dieser Frage haben wir drei Antworten erhalten, die alle zum selben Ergebnis kommen: der Missionsbefehl ist ein Befehl für alle Christen und gilt uns heute auch. Die Argumentation unserer Leser betont jedoch jeweils unterschiedliche Aspekte, so dass wir alle Antworten abdrucken.

 

Antwort von Tabea Kunz:

Ich gehe davon aus, dass wir den Anweisungen Jesu auch heute gehorchen müssen, es sei denn, sie selbst enthalten eine Beschränkung oder aus dem weiteren biblischen Zusammenhang ergibt sich eine. Das geht z.B. aus 1Joh 2,3 hervor, wo es von Jesu Geboten heißt: „Und hieran erkennen wir, dass wir ihn erkannt haben: wenn wir seine Gebote halten.” Die Johannesbriefe gelten ja der Ekklesia, also der neutestamentlichen Gemeinde aus Juden und Heiden. Nun gibt es in den Evangelien auch Anweisungen Jesu, die tatsächlich nur den Zwölfen für eine begrenzte Zeit galten. Denken wir an den Auftrag in Mt 10,5, wo es heißt: „Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samariter; geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.” Da der Missionsbefehl in Mt 28,18-20 den Auftrag in Mt 10,5 überholt, sowohl was die zeitliche als auch die ethnische Ausdehnung betrifft, gilt jetzt Mt 28. Ich sehe keine Beschränkung. Das ergibt sich auch aus der genauen Betrachtung des Wortlautes in Mt 28,18-20.

  1. Der Befehl Jesu ist von der nachfolgenden Verheißung nicht zu trennen, wonach Jesus alle Tage bei denen sein wird, die seinen Missionsbefehl ausführen. Bezieht man den Missionsbefehl nur auf die 12 Jünger, muss man das auch mit der Verheißung tun. Welch schreckliche Konsequenz! Dabei rechnen wir doch jeden Tag mit der Gegenwart Jesu, und nicht nur dann, wenn wir missionieren. Da Befehl und Verheißung zusammengehören, gilt für die Dauer der Gültigkeit des Missionsbefehls das Gleiche wie für die Verheißung: „bis zur Vollendung des Zeitalters“, was wohl dem Ende dieser Welt entspricht. Für eine andere zeitliche Begrenzung müsste man behaupten, mit der Vollendung des Zeitalters sei das Ableben der Apostel gemeint. Dafür gibt es aber keinen biblischen Hinweis. Vielmehr heißt es in Mt 24,14 von der letzten Zeit: „Und dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen.“
  2. Laut Apostelgeschichte entstand an Pfingsten die Ekklesia. Auch der Missionsbefehl bezog sich offenbar auf die nach-pfingstliche Zeit (siehe Apg 1,8) und wurde erst dann umgesetzt. Somit gilt er für die ganze neutestamentliche Gemeinde, zu der die Jünger Jesu gehörten. Nirgendwo gibt es einen Hinweis, dass sich ein Apostel nicht zu dieser Gemeinde zählte. Daher macht es keinen Sinn, in den Jüngern Jesu und der Ekklesia zwei verschiedene Adressaten zu sehen und nach dem Motto zu unterscheiden: „Was Jesus den Zwölfen sagte, kann der Gemeinde nicht gelten.”
  3. Paulus, der in Sachen Mission am stärksten in Erscheinung trat (Rö 15,20f), war zwar nicht anwesend, als Jesus den Missionsbefehl aussprach. Dasselbe gilt auch für die Mitarbeiter des Paulus, aber er bekam eine besondere Berufung als Heidenapostel. Auch lehrte seine Schüler, dass sie das Evangelium predigen sollen (z.B. 2Tim 4). Sie alle gehorchten als Glieder der neutestamentlichen Gemeinde dem Missionsbefehl Jesu.
  4. In den neutestamentlichen Briefen an örtliche Gemeinden finden wir durchaus den Aufruf zum Missionieren im Sinne des Missionsbefehls. Nach Eph 6,15 sollen wir beschuht sein mit der Bereitschaft zur Verkündigung des Evangeliums und laut Römer 11,25 gilt das „bis die Vollzahl der Nationen hineingekommen sein wird“. So weit sind wir aber noch nicht, denn Israel ist nach wie vor verstockt. Und da laut Röm 10,17 der Glaube aus der Verkündigung kommt, hat auch die heutige Gemeinde bis zum Zeitpunkt der „Vollzahl der Nationen“ logischerweise einen Verkündigungsauftrag in der ganzen Welt.

Wer den Missionsbefehl für ungültig erklärt, verstößt gegen Gottes Wort.

Fazit: Die Auffassung, dass der Missionsbefehl heute keine Gültigkeit mehr habe, entstammt meines Erachtens nicht einer seriösen Exegese, sondern überzogenen Lehrsystemen wie sie in extremen Ausprägungen des Dispensationalismus zu finden sind. Wer den Missionsbefehl für ungültig erklärt, verstößt gegen Gottes Wort, von dem wir nichts wegnehmen und nichts hinzufügen sollen. Wer ihn aber befolgt, egal, ob im Inland oder Ausland, wird eines Tages hören: „Recht so, du guter und treuer Knecht!“

 

Antwort von Christoph Renschler

Ich lege zugrunde, dass sich die Behauptung, der Missionsbefehl Jesu gelte nicht für die neutestamentliche Gemeinde, aus der genauen Betrachtung von Mt 28,18-20 und des Kontextes ergeben muss. Sie darf sich nicht allein auf ein der Bibel übergeordnetes Lehrgebäude stützen. Weder die genannten Verse noch der weitere Zusammenhang geben aber den leisesten Hinweis darauf, dass der Missionsbefehl nur für Jesu Jünger in der damaligen Situation gelten solle. Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein.

A. Die Voraussetzung für Jesu Auftrag in Mt 28,19 ist die unbegrenzt gültige Wahrheit von Mt 28,18: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“

B. Jesus gibt seinen Jüngern im Missionsbefehl die Anweisung: „Lehrt die Getauften alles zu halten, was ich euch befohlen habe!” Das bezieht sich auf alle Anweisungen Jesu, damit auch auf den Missionsbefehl selbst, es sei denn, er wäre ausdrücklich ausgenommen.

C. Als Jesus Mensch wurde, hat er sich unseretwegen erniedrigt und seine göttliche Eigenschaft der Allgegenwart (zeitlich wie räumlich) für eine Zeit aufgegeben. Somit ist klar, dass die Anweisungen Jesu in konkrete Situationen zu konkreten Menschen gesprochen wurden. Da uns aber ALLE SCHRIFT nütze ist zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit (2Tim 3,16), muss dies auch für Jesu Aufforderungen in den Evangelien gelten. Das schließt natürlich nicht aus, dass aufgrund sorgfältiger Exegese eine konkrete Aufforderung zeitbedingt gelten kann. Aber die Redesituation allein reicht dafür nicht aus. Um es noch plakativer zu formulieren: Wenn der Missionsbefehl nicht für die Gemeinde Jesu gilt, dann auch die Aufforderung Jesu, in ihm zu bleiben in Joh 15 nicht!

Wenn manche den Anfang der Gemeinde auf die Bekehrung des Kornelius verlegen, ist das nur eine Konstruktion um die eigene Ansicht zu retten.

D. Es ist aus dem NT nicht ersichtlich, dass die 12 Apostel nicht zur neutestamentlichen Gemeinde gezählt wurden. Man müsste eine Spaltung erst konstruieren. In Joh 17,20-21 bittet Jesus den Vater geradezu um die Einheit seiner damaligen Jünger mit denen, die durch ihr Wort an ihn glauben würden. Von einer Trennung in zwei Lager, an deren eines der Missionsbefehl alleine gerichtet ist, ist hier überhaupt nichts zu vernehmen. Wenn man den Anfang der Gemeinde wie üblich mit Pfingsten identifiziert, dann hatten die 12 außerdem gar keine Gelegenheit den Missionsbefehl zu befolgen. Jesus wies sie nach Apg 1,4 an, Jerusalem nicht zu verlassen bis sie die Verheißung des Vaters empfangen hätten. Wenn dann manche den Anfang der Gemeinde auf die Bekehrung des Kornelius verlegen, ist das nur eine Konstruktion um die eigene Ansicht zu retten.

E. Die Apostelgeschichte macht deutlich, wie sich unter der Führung des Geistes Gottes die Gemeinde Jesu aufmacht, alle Völker zu Jüngern zu machen. Ausgehend von Jerusalem über Judäa und Samaria bis an das Ende der (damals bekannten) Welt (vgl. Apg 1,8). Sollte der Heilige Geist die Gemeinde Jesu in ihrer Anfangszeit zu etwas getrieben haben, das zu erfüllen gar nicht ihre Aufgabe war?

 

Antwort von Dr. Carl Flesch

Das der Frage zugrunde liegende Problem hat seinen Ursprung in einem bestimmten Gemeindeverständnis, wie es in der dispensationalistischen Theologie zu finden ist. Dahinter steht die Frage nach dem Verhältnis des alttestamentlichen und des neutestamentlichen Gottesvolkes und die verschiedenen Antworten, die darauf gegeben wurden.

Nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden war, verbreitete sich eine Ersatztheologie, die behauptete, dass Israel, durch die Verwerfung des Messias, seine Rolle im Heilsplan Gottes verspielt habe und die Verheißungen, die von Gott im Bund mit Abraham, Isaak, Jakob und David gegeben wurden, jetzt vollständig auf die neutestamentliche Gemeinde übertragen wurden. Das Volk Israel hat in dieser Sicht auch in Zukunft oder am Ende der Zeit keine Bedeutung mehr. Der „christliche“ Antisemitismus der katholischen Kirche und Luthers hatte hier seine Wurzeln.

Anders im Dispensationalismus, der weitgehend auf Lehren von J. N. Darby (1800-1882) fußt und Israel-freundlich eingestellt ist. Dort gehen Christen nach Röm 11,25ff zu Recht von einer zukünftigen Wiederherstellung und Rettung Israels aus („…und so wird ganz Israel errettet werden”). Nur wollte man jetzt auf jeden Fall ausschließen, dass die Gemeinde das wahre Israel sei oder sich das Königreich Gottes, wie es in den Evangelien gelehrt wird, in der Kirche erfüllt. Um das sicherzustellen wurde ein starker Bruch zwischen der Israel-Linie und der Gemeinde-Linie im Heilsplan Gottes angenommen. Es wurde gelehrt, dass die Gemeinde eine „Intercollage“ im Heilsplan Gottes darstellt, d.h. sie unterbricht gewissermaßen Gottes Heilsplan bis Pfingsten, der dann erst nach der Entrückung der Gemeinde wieder aufgenommen wird. Der Dispensationalismus betont die Trennung von Zeitaltern im Heilsplan. Dabei werden auch einzelne Bibelstellen verschiedenen Zeitaltern zugeordnet. So gilt für manche Vertreter eines sogenannten Hyper-Dispensationalismus die Bergpredigt nur bis zu Golgatha und dann erst wieder nach dem „Gemeindezeitalter” im 1000jährigen Reich. Weil die „jüdische Linie” im Heilsplan Gottes durch das Gemeindezeitalter unterbrochen werde, bekomme auch der Missionsbefehl erst nach der Entrückung der Gemeinde für Israel wieder eine Bedeutung. Israel werde dann im 1000jährigen Reich die Nationen missionieren.

Die Jünger Jesu und die erste Gemeinde, die ja zuerst nur aus Juden bestand, können wir als den „Überrest”aus Israel ansehen.

Diese Lehre, die ich eine „partielle Ersatztheologie” nenne, missachtet, dass die „jüdische Linie” nie unterbrochen wurde. Die Jünger Jesu und die erste Gemeinde, die ja zuerst nur aus Juden bestand, können wir als den „Überrest” aus Israel ansehen und diesen Überrest gab es auch während den 2000 Jahren Kirchengeschichte. Im AT war die Zahl der Israeliten groß und die Zahl der gläubigen Heiden klein. Die Heiden mussten durch die Beschneidung erst zu Juden werden, um zum Volk Gottes gehören zu können. In den letzten 2000 Jahren war die Zahl der messiasgläubigen Juden klein und die Zahl der Christen aus den Nationen groß. Übrigens der Ölbaum Israel schlägt aus. Die Zahl der messianischen Gemeinden in Israel und weltweit nimmt zu!

Das lehrt uns Paulus in Römer 11. „So ist nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Auswahl der Gnade entstanden“ (Röm 11,5). Paulus warnt auch in Röm 11,18-20 den Christen aus den Nationen: „Rühme dich nicht gegen die Zweige! Wenn du dich aber gegen sie rühmst – du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel dich. Du wirst nun sagen: Die Zweige sind herausgebrochen worden, damit ich eingepfropft würde. Richtig: sie sind herausgebrochen worden durch den Unglauben; du aber stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich!“ Gott hat nicht den alten Ölbaum umgehauen und einen neuen gepflanzt! Die Gemeinde ist in den Ölbaum Israels eingepfropft. Und: „Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren,…” (Röm 11,25). Keine Rede von einer totaler Verwerfung Israels im Zeitalter der Gemeinde!

Kommt man zu der gestellten Frage zurück, muss man sagen, die Jünger Jesu und die Menge, die sich zu Pfingsten bekehrt hat, war der Anfang der Gemeinde und es besteht eine Kontinuität zwischen den Heiligen des Alten und des Neuen Bundes. Es macht also gar keinen Sinn zwischen den Jüngern Jesu und der neutestamentlichen Gemeinde so zu unterscheiden, dass der Missionsbefehl Jesu nur den Jüngern gegolten haben soll. Die Jünger Jesu gehörten genau so zur neutestamentlichen Gemeinde wie wir heute. Wenn der Missionsbefehl nur den Jüngern gegeben wäre und diese nicht zur Ekklesia gehörten, hätten wir heute keinen Auftrag zu evangelisieren. Wären wir selber je zum Glauben an den Herrn Jesus Christus gekommen? Es besteht offensichtlich sowohl ein theologisches, als auch ein praktisches Problem, wenn wir einen so starken Bruch in der Heilsgeschichte annehmen würden.