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Lasset uns Einheit machen? Eine Antwort an Ulrich Eggers

Die Evangelikale Bewegung ist in einer Identitätskrise, in der ihre Fundamente in Zweifel gezogen werden.
Auf die Diskussion darüber reagiert auch die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) als Dachorganisation der Evangelikalen.
Die Veröffentlichungen der führenden Vertreter zeigen aber Mutlosigkeit und Orientierungslosigkeit, die am deutlichsten im ausführlichen Ruf zur Einheit von Ulrich Eggers deutlich werden.

Ulrich Eggers Artikel im Magazin der Evangelischen Allianz ist eine Reaktion auf die anhaltende Diskussion um die Krise der Evangelikalen. Als Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und Geschäftsführer der SCM Verlagsgruppe vertritt er an prominenter Stelle mehr als eine zufällige Privatmeinung, sondern will ein Signal der DEA in die wachsende Unzufriedenheit innerhalb der evangelikalen Bewegung senden, um das Auseinanderdriften aufzuhalten und die Polarisierung einzugrenzen. Es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen, wie Ulrich Eggers das tut, nicht deswegen, weil er eine überzeugende Lösung anbieten könnte, sondern als Zeugnis für die traurige Hilf- und Ratlosigkeit, die zur lähmenden Krise der Evangelikalen gehört.

 

1. Totschweigen ist kein christlicher Weg

Eggers vermeidet auffällig, auch nur einen einzigen Streitpunkt der gegenwärtigen Debatten anzusprechen.

Bevor es um den Vorschlag von Eggers geht, ist bemerkenswert, was er nicht tut. Er vermeidet nämlich auffällig, auch nur einen einzigen Streitpunkt der gegenwärtigen Debatten anzusprechen. Er redet nicht von dem einen Pol einer fast naiven Akzeptanz bibelkritischer Positionen und dem Eintreten für die Irrtumslosigkeit der Schrift als Gegenpol. Er spricht nicht darüber, dass auf der einen Seite der Bewegung früher unantastbare Glaubensinhalte zur Diskussion stehen, um nur die Lehre vom Sühnopfertod Jesu oder die Errettung allein für an Jesus Glaubende zu nennen, während andere bis in die Formulierungen hinein an klassischen Positionen festhalten wollen. Er verliert kein Wort über das Ringen um die Sexualethik mit der völligen Rechtfertigung homosexueller Lebensweise als biblisch und christlich und der strikten Ablehnung jeglicher Kompromisse in dieser Frage als gegenüberliegendem Pol. Dass er sich dieser und anderer Streitpunkte durchaus bewusst ist, kann man zwar in manchen Äußerungen im Artikel erkennen, aber sie werden nicht thematisiert. Meint Eggers also, dass wir die Krise der Evangelikalen unter Aussparung inhaltlicher Klärungen überwinden können? Man kann kaum zu einem anderen Schluss kommen.

Es kann auch nicht am beschränkten Platz liegen, dass das Ringen um die Wahrheit des Glaubens totgeschwiegen wird. Denn Eggers nimmt sich Raum, um „die Zutaten unserer Verunsicherung“, die „dicke Dossiers“ füllen würden, aufzuzählen. Aber da findet sich nur eine Gesellschaftsanalyse mit den Stichworten Säkularisierung, Globalisierung, Flüchtlingskrise, AfD, Genderthematik, Debattenkultur etc. (9). Es ist sicher richtig beobachtet, dass das alles auch zu Herausforderungen für einen bibelgebundenen Glauben gehören kann. Aber das sind alles politische und soziologische Themen, während sämtliche Fragen des Glaubens und christlichen Lebens nicht einmal Erwähnung finden.

Der ganze Text schreit die Botschaft: „Es geht nicht um die Wahrheit. Es geht darum, dass alle, die sich zu den Evangelikalen zählen, egal, was sie glauben, freundlich zueinander sind.“

Eggers ruft zwar am Schluss auf zum „Nein sagen zu Polarisierungen“ (11), aber auch hier geht es nicht etwa darum, dass er die Vertreter der Positionen vor Extremismus warnt, sondern nur um Werbung dafür, extremistischen Positionen mit Milde zu begegnen, die Haltung des Anderen verstehen zu wollen, irgendwie Brücken zu bauen und freundlich und ohne „spitze Bemerkungen“ zu bleiben. Der ganze Text schreit, ohne es direkt auszusprechen, die Botschaft: „Es geht nicht um die Wahrheit. Es geht darum, dass alle, die sich zu den Evangelikalen zählen, egal, was sie glauben, freundlich zueinander sind.“ Wenn Eggers am Ende dazu mahnt, sich von der „klugen Frage“ „What would Jesus do?“ beraten zu lassen, dann ist für ihn die Antwort klar. Jesus hätte nicht die Wahrheit Gottes gegen die Irrtümer der Menschen und die Lügen des Teufels verkündet und dafür Kritik, Missachtung und Feindschaft in Kauf genommen. Jesus hätte für Gottgläubigkeit geworben, diese in jeder beliebigen Färbung respektiert und wäre vor allem und zu allen immer nett gewesen.

Dazu passt, dass der Allianzvorsitzende Ekkehart Vetter in einem Kasten innerhalb des Artikels unter der Überschrift „Streit in der Bibel“ keine einzige inhaltliche Auseinandersetzung um Fragen des Glaubens gefunden hat. Er sieht nur unnötigen Streit oder im Anschluss an Römer 14 und 15 die Aufforderung, sich mit unterschiedlichen Positionen stehen zu lassen. Gab es keinen Streit um die Frage, unter welchen Voraussetzungen zum Glauben gekommene Nicht-Juden zur Kirche gehören könnten? Hatte Paulus keine Auseinandersetzungen um zahlreiche Fragen christlichen Lebens und sein Evangelium in Korinth, an denen sich entschied, ob der Glaube rettet oder so falsch ist, dass er leer und vergeblich genannt werden muss? Hat nicht Jesus seine Jünger ein Verfahren gelehrt, wie sie Differenzen angehen sollten, die bis zum Gemeindeausschluss führen können, ohne dass damit die Vergebungsbereitschaft und Liebe in Frage gestellt ist?

Es gibt innerhalb der DEA auch – meist vertrauliche – Gespräche über unterschiedliche inhaltliche Positionen. Aber so etwas steht offenbar nicht auf der Agenda, wenn man den Gläubigen in den Gemeinden einen Weg aus der Krise weisen will. Es besteht anscheinend wenig Interesse an der gesunden Balance, die wir aus der Bibel erlernen, wo man geduldig unterschiedliche Meinungen miteinander tragen und ertragen muss und an welcher Stelle man um jedes Detail der göttlichen Wahrheit ringen soll, weil es um den rettenden Glauben und die Ehre Gottes geht. Die Hoffnung richtet sich allein auf die Kraft des gläubigen Menschen, der „neue Paradigmen von Gemeinsamkeit … entwickeln“ (11) soll, statt auf die biblischen Kriterien christlicher Einheit zu vertrauen.

 

2. Einheit ist Christi Werk und nicht unser Auftrag

Es ist ein typischer menschlicher Irrtum, dass er verwechselt, was Gottes Werk und was sein Auftrag ist. Das ist ein Ausdruck der Sündhaftigkeit des Menschen, dass er wie Gott sein will und sich deswegen gern anmaßt, was nur Gott zusteht. In Hinsicht auf die Einheit ist der Auftrag klar: Wir sollen die Einheit bewahren (Eph 4,3), aber wir können sie nicht schaffen. Sie liegt nicht in unserer Hand. Ulrich Eggers macht die Einheit mit dem Hinweis auf Joh 17,21 aber zum christlichen „Arbeitsauftrag“ (9). Der Zusammenhang von Joh 17,20-22 macht allerdings ganz klar, dass das „sollen“ aus der Lutherübersetzung in Vers 21 keinen Auftrag bezeichnet. Die von Christus kommende Herrlichkeit, die wir durch den Glauben haben, ist es, die die wahre Einheit nach Vers 22 wirkt. Wenn wir schon aus dem Gebet von Jesus zu seinem Vater „Aufträge“ für uns ableiten wollen, dann müssten wir uns fragen, wie wir Anteil an dieser Herrlichkeit haben.

Die Einheit der Christen ist ein Zeichen Gottes für die Welt. Sie ist es aber gerade deswegen, weil diese Einheit keine Schöpfung des Menschen und auch nicht der DEA ist.

Der in den ersten Sätzen von Eggers nahegelegte Zusammenhang, Christen sollten Einheit untereinander schaffen und fördern, damit das missionarische Ziel, dass „die Welt glaube“ erreicht werden kann, besteht in der Bibel nicht. Die Einheit der Christen ist ein Zeichen Gottes für die Welt. Sie ist es aber gerade deswegen, weil diese Einheit keine Schöpfung des Menschen und auch nicht der DEA ist. Die Welt glaubt nicht, weil wir stets Geschlossenheit demonstrieren, sondern weil sie eine Ahnung davon bekommt, dass es da eine Einheit gibt, die gar kein Mensch machen oder auch nur fördern kann. Der Kurzschluss des Ulrich Eggers ist ein typischer Kurzschluss des Unglaubens. Statt dem Wunder zu vertrauen, dass Christus im gemeinsamen Glauben an ihn und im Bewahren seines Wortes die wunderbare Einheit trotz aller Verschiedenheit schafft und erhält, schiebt Eggers alles auf den Willen des Menschen: Wer sich für Jesus entschieden hat, hat sich auch für die Einheit mit anderen Christen entschieden.

Ja: „Nachfolge Jesu bindet uns an das, was Jesus wichtig ist.“ (9) Aber die Frage ist, wie wir daran gebunden sind. Jesus war die Einheit der Kirche als Leib Christi aller Glaubenden wichtig. Sie ist mir auch wichtig. Wie aber würde das Bemühen um die Bewahrung der Einheit dann aussehen? 1Kor 1,10 ermahnt Paulus doch im Namen Jesu zu einmütigem Reden, demselben Sinn und derselben Meinung, damit keine Spaltungen unter den Christen seien. Wollen wir dem Wort Gottes hier gehorsam sein, dann müssten wir doch genau untersuchen, wie Paulus nun den unnötigen Streit angeht, wie er auf Einmütigkeit hinarbeitet und Spaltung bekämpft. Paulus hatte keinen Blackout, als er im selben Kapitel die besserwisserischen „Erkenntnisse“ der Klugen unvermittelt mit der Erinnerung an die Predigt es Evangeliums von Christus bekämpft. Er verwies in Kapitel 2 auf die tiefe Weisheit, die nur durch den Heiligen Geist geschenkt werden kann, nicht aber durch die Klugheit der Weltweisen. Und in Kapitel 3 bekämpft er die Parteiungen sowohl mit der Erinnerung, dass es nur das eine Fundament des Glaubens an Jesus gibt, als auch mit der Beschränktheit jedes menschlichen Dienstes, weil nur Gott das Gedeihen geben kann, so viel auch sonst gepflanzt und begossen wird.

Wir bewahren nicht die Einheit, wenn wir eine christliche Interessengemeinschaft vor notwendigem Streit schützen. Die Einheit besteht im einen Glauben an den einen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist, der einen Leib aller Glaubenden gemacht hat, die durch das Band der Liebe verbunden sind. Im Blick auf die Einheit zählen also Glaube und Liebe. Ulrich Eggers scheint nicht zu bemerken, dass er mit seiner Botschaft, alle Glaubensfragen auszusparen, die Einheit angreift. Mit seinem Ruf zur Geschlossenheit und Akzeptanz stellt er an die Stelle der Liebe andere Werte und zerstört so die Einheit, die er fördern will. Es liegt eine Tragik darin, dass um die eiternden Wunden der evangelikalen Bewegung herum, manche die Hoffnung verloren haben, anderen, die einen schmerzhaften Heilungsprozess für notwendig halten, Lieblosigkeit unterstellt wird, während die, die alles unter hübschen Verbänden verstecken wollen, nicht bemerken, dass es so immer schlimmer wird.

 

3. Mit welchen Differenzen kann die gottgewirkte Einheit gelebt werden

Mit seinen Beispielen der historischen „Streitthemen“ innerhalb der evangelikalen Christenheit zeigt Eggers ein beachtliches Spaltungspotenzial auf. Er behauptet, es habe deswegen nicht zur Spaltung geführt, weil die Christen es nicht wollten. „Man hatte sich unausgesprochen oder bewusst darauf geeinigt, viele dieser Gebiete für nicht wichtig genug zu halten, um Jesu Wunsch zur Einheit zu behindern“. (9) Darin liegen gleich zwei Irrtümer. Erstens haben die genannten Streitthemen tatsächlich zu zahlreichen Spaltungen geführt. Das liegt schon daran, dass man eben nicht in der gleichen Gemeinde die Taufe von Säuglingen strikt ablehnen und praktizieren kann. Man kann nicht zugleich einen im Bereich der Leitung eingeschränkten Dienst von Frauen vertreten und Frauen in allen Diensten gleichberechtigt einsetzen. Es gibt also Meinungsunterschiede in Glaubensfragen, die in einer Gemeinde gut nebeneinander bestehen können, andere aber nicht.

Bisher einte uns die Übereinstimmung in der Überzeugung, dass Gott geredet hat und die Bibel sein Wort ist. Wer das bestritt, stand draußen.

Zweitens können offenbar in einem losen Bund von Geschwistern wie der Evangelischen Allianz einige Streitthemen ertragen werden. „Du bist mein Bruder, auch wenn Ihr in Eurer Gemeinde Unmündige tauft.“ Man kann zusammen beten und sich auch gegenseitig zu Predigtdiensten besuchen. Die Höflichkeit des Baptisten führt dazu, dass er auf der Kanzel seiner landeskirchlichen Geschwister nicht gerade verkündet, dass er ihre Taufe für ungültig hält, weil sie sich erst Jahre danach zu Christus bekehrten. Die Höflichkeit des Landeskirchlers verhindert, dass er seine Geschwister als „Wiedertäufer“ beschimpft. Allerdings gibt es auch Themen, die früher sogar den losen Bund der DEA sprengen konnten. Bisher einte uns z.B. die Übereinstimmung in der Überzeugung, dass Gott geredet hat und die Bibel sein Wort ist. Wer das bestritt, stand draußen. Heute kann Thorsten Dietz als „Allianzbruder“ schreiben, dass Gott eigentlich gar nicht rede und die Bibel auch nicht Gottes Wort ist und wird anschließend in den Evangeliumsrundfunks (ERF) berufen. Muss es nicht notwendig spalten, wenn der Vorgänger von Ekkehart Vetter im Allianzvorsitz, Michael Diener, wo er nur kann, öffentlich verkündet, dass die Ablehnung homosexueller Lebensweise eine Sünde der evangelikalen Bewegung ist, die sie nicht länger tolerieren darf und ihm Thorsten Dietz beipflichtet? Ist es kein Thema, das polarisieren muss, wenn ein bekannter Evangelist der evangelikalen Bewegung sich öffentlich vom Glauben an Jesus distanziert und eine Art deistische Frömmigkeit vertritt und die einen das als Abfall vom rettenden Glauben deuten und die anderen als Höherentwicklung zu einem erwachsenen Glauben?

Ulrich Eggers. Einheit, Freiheit und Polarisierung? Was können wir tun angesichts wachsender Fremdheit und auseinanderdriftender Positionen? In EINS – das Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland 1 (2021): 8-11 https://eins-magazin.ead.de/

Eggers scheint nicht in der Lage oder willens zu sein, genauer zu differenzieren. Weil die historischen Streitthemen keine „Peanuts“ waren, kommt es ihm auf die eine oder andere zusätzliche Erdnuss oder Kokosnuss auch nicht an. Warum sollen wir uns gerade jetzt zertrennen? Die Sühnopfertheologie oder die Frage, ob der Bau des Reiches Gottes eigentlich der Kampf für soziale Gerechtigkeit ist, erscheinen doch nur als weitere Themen innerhalb all der anderen Themen. Vielleicht gilt das für die leibliche Auferstehung auch? Jedenfalls sehe ich diesen Glaubensinhalt erodieren, nachdem die Jungfrauengeburt schon in die Liste der vielen Themen aufgerückt ist, die uns nicht trennen dürfen. Wer so wie Eggers argumentiert, der muss beantworten, welches Thema oder welche Meinungsverschiedenheit uns dann noch trennen kann. Ich kann eine Antwort bei Eggers nicht finden. Steht also alles zur freien Verfügung des Glaubens? Wer sagt „Ich bin ein Nachfolger von Jesus“ kann dann glauben, was er will, und ich muss die christliche Einheit mit ihm fördern? Mir scheint kein Bewusstsein dafür vorhanden, dass man damit auch ein Urteil über das Ringen der christlichen Kirche nach der Erkenntnis des rechten Glaubens fällt. Ob Christus nun wahrer Mensch und Gott ist oder nur eine Art höchster Engel, hat die Kirche gespalten. Ob wir allein aus Glauben ohne eigene Werke gerettet werden oder es doch eigentlich mit Gottes Hilfe selbst schaffen, hat sein Spaltungspotenzial gleich mehrfach bewiesen. Mancher Streit wurde sicher unchristlich geführt, aber ein Christentum ohne das beständige Ringen, bei der offenbarten Wahrheit zu bleiben, hat es nie gegeben und kann es auch nicht geben.

Es ist die Bibel, die letztlich bestimmt, welche Glaubensinhalte Differenzen zulassen und wo das Band der Einheit gar nicht besteht, weil Menschen nicht an den gleichen Christus glauben.

Tatsächlich ist es aber die Bibel, die letztlich bestimmt, welche Glaubensinhalte Differenzen zulassen und wo das Band der Einheit gar nicht besteht, weil Menschen nicht an den gleichen Christus glauben. Das war übrigens auch früher mit den von Eggers aufgezählten Themen so. Man glaubte den Glauben des Anderen, weil man sah, dass es ihm ernsthaft um die Auslegung von Gottes Wort ging und die Liebe zu Christus. Nur deswegen konnten die erheblichen Differenzen ertragen werden. Wer Gottes Wort missachtete und z.B. nur auf seine Erfahrung baute, hatte lange in der Allianz keinen Platz. Aber Eggers will sich die Maßstäbe nicht in der Bibel suchen oder von ihr vorgeben lassen. Und dann passiert etwas, was man in den vergangenen Jahren deutlich sehen konnte: Den Takt und die Marschrichtung bei vielen Themen, die jetzt die Einheit in Frage stellen (z.B. Dialog der Religionen; Ehe und Familie; Verständnis von Mannsein und Frausein) haben nicht die Bibel und auch nicht die Probleme der Gemeinden vorgegeben, sondern die Gesellschaft, die sich in Deutschland mit großer Geschwindigkeit von christlichen Maßstäben entfernt.

 

4. Eine falsche Diagnose kann nicht zur richtigen Therapie führen

Ulrich Eggers sieht die gegenwärtigen Probleme in gesellschaftlichen Entwicklungen begründet, bei denen die Christen irgendwie mit der Verarbeitung nicht nach- oder zurechtkommen. Als Brandbeschleuniger angesichts der Hilflosigkeit im Hinblick auf Säkularisierung, Klimakrise, Pandemie, Genderpolitik usw. wirke die Digitalisierung oder genauer die mediale Verarbeitung und der unfreundliche Ton der sozialen Medien.

Seine Aufzählung der Probleme ist wirklich beachtlich und man muss ehrlich zugeben, dass weder die Gesellschaft noch die Christenheit eine Antwort auf diese Herausforderungen hat. Aber ist das der Grund für die Krise der Evangelikalen und den Verlust der Einheit? Wäre das so, dann hätte es nie eine Einheit der Christen gegeben. Problemen von diesem Kaliber sah sich die christliche Kirche in der Weltgeschichte fast ständig gegenüber. Das ist der Lauf der Welt, über den uns die Bibel nirgendwo im Ungewissen lässt.

Das Problem können nicht die Probleme sein und auch nicht die Polarisierung der Gesellschaft, die doch in Deutschland immer noch viel homogener ist, als in den meisten Teilen dieser Erde. Die evangelikale Bewegung bricht deswegen auseinander, weil sie es nicht mehr versteht, sich auf ihr Fundament zu besinnen und auf dem Fundament stehend auch ihre Hilflosigkeit in aktuellen Fragen zu bekennen und dann geduldig nach Antworten zu suchen. Wer das Glaubensfundament verlässt und sich eins macht mit der Ratlosigkeit des Unglaubens, der wird auch die Früchte des Unglaubens ernten. Unser Problem sind nicht die Internet-Trolle, die Öl in evangelikale Brandherde gießen. Solche Leute hat es immer gegeben und man verstand meist ganz gut, damit umzugehen. Die Trolle haben heute die Chance, so viel Verwirrung anzurichten, weil diejenigen, die eigentlich mit Autorität antworten sollten, sich wie Ulrich Eggers auf sehr durchsichtige und zweifelhafte Argumente berufen.

Das NT macht sehr deutlich, dass es Grenzen gibt: Christen sollen gar nicht mit jedem irgendeine Gemeinschaft oder Einheit wollen.

Aufgrund seiner Diagnose appelliert Eggers nur an den guten Willen. „Wer etwas will, der findet Wege.“ (11) Es ginge wie in der Ehe darum, dem „Ja-Wort“ treu zu bleiben. Haben wir uns für die Einheit entschieden, halten wir durch unseren Willen zueinander. Auch die „Liebe ist eine Entscheidung und verlangt Arbeit“ (10). Dass auch die christliche Ehe nicht einfach auf einer Entscheidung beruht, sondern auf der Grundlage eines von Gott geschaffenen Bundes geschlossen wird, scheint Eggers zu vergessen. Für die Einheit der Christen gilt das Gleiche. Selbst das Bewahren der Einheit ist kein reiner Willensakt, sondern der Wille macht nur Sinn, wenn er etwas will, was auch Gott will. Das NT macht aber sehr deutlich, dass es Grenzen gibt: Christen sollen gar nicht mit jedem irgendeine Gemeinschaft oder Einheit wollen. Sie sollen sich bewusst von gesellschaftlichen Verhaltensweisen, die Gottes Wort und Wille verbietet, fernhalten und auch keine Bruderschaft mit Menschen eingehen, die den biblisch offenbarten Gott verachten, irgendetwas an seine Stelle stellen oder ihn in falscher Weise verehren wollen. Nur die von Jesus geschaffene Einheit im gemeinsamen Glauben an ihn und seine Wahrheit sollen sie durch Parteiungen, den Kampf für theologische Lieblingsideen oder Lieblosigkeit gefährden.

Ich traue es großen Teilen der evangelikalen Bewegung in Deutschland zu, dass sie sich zusammenreißen und man nett und tolerierend miteinander umgeht. Ich befürchte nur, dass das auch an Stellen geschehen wird, wo der Ruf zur Umkehr angebracht wäre. Es hängt nun einmal von der richtigen Diagnose ab, ob man zu Recht zum geduldigen Warten auf Besserung rät oder besser zum sofortigen Handeln, auch wenn es schmerzhaft ist. Jesus wird seine Gemeinde nicht untergehen lassen, aber er fordert uns mit der gegenwärtigen Krise zur Bewährungsprobe heraus. Der richtige Weg kann nur die Hinwendung zu seinem Wort und Evangelium sein. Lasst uns umkehren und unseren Herrn miteinander bitten, dass er den schweren Schaden an der geschwisterlichen Einheit heilen möge, der durch Unglauben und Verletzung der Liebe entstanden ist!

Ulrich Eggers hat für uns nur eine Reihe guter Tipps. Man kann eigentlich gar nichts dagegen haben. Sie sollten alle beachtet werden. Aber es ist schon auffällig, dass es ihm nur um methodische Tipps geht, die man in jeder psychologischen Konfliktberatung hören könnte. Eggers ist offensichtlich entweder ratlos, zu den inhaltlichen Fragen irgendetwas Substantielles zu sagen, oder er meint vielleicht wirklich, dass mit gutem Willen und ein paar Kommunikationsweisheiten echte Probleme christlicher Gemeinschaft gelöst werden könnten. Beides wäre für das Mitglied im Hauptvorstand sehr traurig.

Wir werden nur da zueinanderfinden und die Einheit bewahren können, wo sie im gemeinsamen Glauben besteht. Wollen wir etwas dafür tun, so müssen wir uns der Mitte unserer Einheit, dem Kopf des Körpers zuwenden. Wir müssen die Lösung für unsere Fragen bei Christus und in seinem Wort suchen. Nur wenn es wahr und falsch nicht mehr gibt, braucht niemand umzukehren. Dann brauchen wir keine Buße. Doch nur bei Christus und im Licht seiner Wahrheit gibt es Hoffnung auf Heilung. Allerdings wird dort auch die Trennschärfe viel deutlicher sichtbarer als wir es vielleicht wünschen. Aber wenn es kein Draußen gibt, gibt es auch kein Drinnen. Das ist zwar schmerzlich, aber als Alternative bleibt wohl nur genau die Orientierungslosigkeit, die Ulrich Eggers vermittelt.