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Geschichte und Gott

Im geschichtsträchtigen Jahr 2015, in dem das 25jährige Jubiläum der Wiedervereinigung Deutschlands gefeiert wird, erschien auf dem deutschen Buchmarkt ein bemerkenswertes, historisches Werk mit dem anspruchsvollen Titel: „Geschichte und Gott.

Dies ist ein sehr mutiges Unter­­fan­gen, gerade in unserer Zeit, die in der Wis­sen­­­schaft von einer geschichts­theo­logi­schen Absti­nenz geprägt ist. Ein theologisches Denken, das den Versuch unternimmt, Gottes Handeln in der Geschichte aufzuzeigen und zu verorten, gerät heute sofort unter Ideologieverdacht. Wer dies versucht, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, Gott für seine eigenen Interessen zu ins­tru­mentalisieren.

Umso höher ist es zu schätzen, dass sich ein ausgewiesener Historiker und Politologe (kein Fach­theologe!) der herausfordernden Auf­gabe stellt, Gott und die Geschichte zusammen zu denken und darzustellen. Dabei geht es dem Autor nicht darum, einzelne exemplarische Geschichtsphänomene herauszuarbeiten, um an ihnen Gottes Handeln zu verifizieren, sondern um eine ganzheitliche Entfaltung der Weltgeschichte von den Anfängen der Menschheit bis zu ihrem prophezeiten Ende.

Schwaiger unternimmt in seiner Darstellung nicht den Versuch, einen Theorierahmen für eine Entwick­lungsgeschichte zu entwerfen, in der die Menschheit durch die in ihr wirkende göttliche Vernunft schließlich zu ihrem höheren Ziel in Freiheit und Harmonie gelangt. Um es deutlicher zu sagen: Er zieht die Weltgeschichte nicht über den Leisten einer, wie immer gearteten, christlich-religiösen Idee. Seine Ausgangsposition „ist das Bekenntnis zum biblischen Gott, der sich selbst als Geschichte machender Gott definiert und offenbart hat.“ (S. 11)

Methodisch folgt er dem scholastischen Ansatz des Anselm von Canterbury: „Credo ut intelligam – ich glaube, damit ich verstehe.“ Und er präzisiert: „Es wird (glaubend) davon ausgegangen, dass der biblische Text mit seinen Darstellungen, seinen Genealogien und seinen vielen Jahres- und Zeitangaben die Geschehnisse tatsächlich so erzählt, wie sie wirklich waren.“ (S. 12)

Das Gottesbild, das seiner Dar­stellung zu Grunde liegt, ist keine metaphy­sische Spekulation, sondern es ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi. Mit diesem spezifischen Ansatz macht Schwaiger deutlich, dass es ihm nicht darum geht, den vielen philosophischen und kulturprotestantischen Geschichtsentwürfen eine neue Variante hinzuzufügen. Es geht um keine neue Universalhistorie im Sinne Schillers oder Burckhardts.

Schwaiger, Axel. Geschichte und Gott. Eine Deutung aus christlicher Sicht. Dillenburg: CV 2015. 731 S. Hardcover: 29,90 €. ISBN: 978-3-86353-034-1.

Sein offenbarungsbegründeter Glau­­­­bens­ansatz (S. 707) bewahrt ihn davor, sich bei der Beschreibung von Gottes Han­deln in der Geschichte im Unpräzisen oder Spekula­tiven zu verlieren. Stattdessen macht er Zusammenhänge deutlich, die in der profanen und wissenschaftlichen Geschichtsschreibung fehlen: So zum Beispiel der Zusammenhang zwischen dem Purimfest und den Nürnberger Prozes­sen (S. 581f). Die Geschichte Israels wird in seinem Werk von ihren Anfängen bis zu den heutigen weltpolit­ischen Zusammenhängen präzis und klar dargestellt. Das Ineinander von Weltgeschichte und Heilsgeschichte wird darin überzeugend sichtbar.

Von seinem schriftgebun­denen Glaubensansatz her kann Schwaigers Darstellung der Menschheitsgeschichte logischerweise nicht im Jahr 2015 enden. Daher weitet er seine historische Perspektive auf die prophezeiten Ereignisse bis zur Wiederkunft Christi aus. „Die Welthistorie, so wie wir sie kennen, endet an einem bestimmten Tag mit dem Einbruch (d. h. Offenbarwerden) des Reiches Gottes in der Welt (vor aller Augen). Dies geschieht durch die Wiederkunft Christi. Dieser Parusie gehen bestimmte, in der Schrift vorhergesagte Entwicklungen und Geschehnisse voraus.“ (S. 679)

Diese Sichtweise mag für die meisten Historiker befremdlich sein, da es bei der Historiographie nur um bisher Geschehenes geht. Weil Schwaiger aber den biblisch offenbarten Gott in seinem Handeln ernst nimmt, ist die Darstellung der Vollendung der Weltgeschichte nicht spekulativ, sondern sachgemäß.

Schwaigers Buch ist ein faszinierendes und gut gegliedertes Geschichtswerk, das eine ungeheure Fülle von Material anschaulich verarbeitet, ohne den Leser zu überfordern. Es eröffnet neue Perspektiven und stellt bekannte historische Ereignisse in neue Zusammenhänge, die spannende Fragestellungen herausfordern. Es ist jedem historisch interessierten Leser zu empfehlen und eignet sich in besonderer Weise als Lehrbuch und Quellentext für Lehrkräfte, die ihren Schülerinnen und Schülern im Geschichtsunterricht mehr beibringen wollen als nur historische Abläufe und ihre menschlichen Deutungsversuche. So gesehen ist Axel Schwaigers Werk das richtige Buch zur richtigen Zeit. Ein besonderer Dank gilt den Herausgebern für ihren verlegerischen Mut.