ThemenKritik der Bibelkritik, Zeitgeist und Bibel

Freude in Gefahr

„Die modern-rationalistische Kritik wider die Heilige Schrift trübt und verschüttet den Freudenquell des Christen im Worte Gottes.“ So erklärt es das frühere Bibelbund-Mitglied Prof. Dr. Friedrich Hashagen (1841-1925). Seine Theologie ist gleichermaßen von der Treue zu Gottes Wort geprägt, wie von einem seelsorgerlichen Blick für den Menschen. Das kommt in seinen „Seelsorgerlichen Kreuzfahrten im Kampf wider kräftige Irrtümer“ zum Ausdruck, wie auch in seinen anderen Schriften. Er lehnte die Bibelkritik nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen ab, sondern zeigte auch, welche negativen Auswirkungen sie auf das „Seelenleben“ des Christen haben muss. Deswegen nennt er seinen Beitrag auch „einen Schrei aus tiefer Not“.

Jeremia 15,16: Dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost.

Die Folgen des alten und neuen Rationalismus

Unter allen Seelenerkrankungen ist Kälte eine der tödlichsten. Sie tritt ein und gewinnt Macht, wenn Gottes vollkommene Gaben der Seele zweifelhaft, ungewiss werden, vor ihrer Wahrnehmung Wesen, Kraft, Wärme, Freudencharakter verlieren und zuletzt ganz verschwinden. In der Gegenwart bringt die modern-rationalistische Kritik wider die Gottesgabe der Heiligen Schrift, den Freudenquell des Christen, geradezu eine Eiszeit über viele Gemüter.

Schon der alte Rationalismus lag unter der Wucht der Vorstellung, dass, wie sonst in der Kirche, so in der Bibel nur unsichere, teilweise, relative Wahrheiten und Kräfte vorhanden sind und uns dargeboten werden. Ihm gilt ja überhaupt nur das als „Wahrheit“, was der natürlichen Vernunft als wahr erscheint und worin sie sich zur Ruhe geben kann. Damit ist er in Wirklichkeit zur Ruhelosigkeit und freudelosen Seelen­kälte verurteilt.

Ist sein Prinzip in Betreff der Wahrheit richtig, so gibt es keine allgemein geltende Wahrheit, im Besonderen keine ewige Heils-Wahrheit. Auch dass die Vernunft in dem beruhen kann, was ihr augenblick­lich als wahr erscheint, erwies sich tatsächlich sehr bald und unwiderstehlich als eine unhaltbare Selbsttäuschung. Der alte Rationalismus musste daran zugrunde gehen. Selbst manche unter seinen begeisterten Vertretern wurden inne, dass das isolierte natürliche Denken nicht einmal die natürliche Wirklichkeit zu erreichen und zu durchdringen vermag. Das protestierende Gefühl wirkte explosiv in den Gemütern, wie an der Romantik zutage kommt.

Und wie sind wir doch in unserm natür­lichen Leben unentrinnbar auf das Über­natürliche angewiesen! In Wirklichkeit ist, wenn man weiter und tiefer nachsinnt, das „Übernatürliche“, das Über-Vernünftige uns ja das Allernatürlichste. Es ist uns für unser tatsächliches Leben so notwendig und unentbehrlich, wie die Luft, die wir atmen. Es ist uns so selbstverständlich, wie das Licht, in dem wir sehen, wie der Laut, den wir hören, wie das Brot, das wir essen. Wir vertrauen immer darauf, schöpfen immer daraus, kehren immer dahin zurück. Liebe, Kraft, Charakter brauchen nur genannt zu werden, um uns zu vergewissern, dass der alte Rationalismus an seiner Oberflächlichkeit und an sonst ihm anhaftenden schwerwiegenden Unzulänglich­keiten, im Besonderen an seinem kalten Herzen, untergehen musste.

Wir leiden schwer und bitterlich darunter, dass in Beziehung auf die Heilige Schrift eine gemeinsame persönliche Stellung uns immer unmöglicher wird, weil unsere Kultur sich keiner gegebenen Autorität unterwerfen will.

Solche Bestrebungen gehen indessen immer nur für eine Zeitlang unter. Wir erleben jetzt im Christentum, in der Kirche, in der Theologie das Wirken eines neuen Rationalismus auf Grund altrationalistischer Voraussetzungen und Prinzipien, wenn auch unter einer relativen Abschwächung derselben, der dann allerdings auch wieder eine gewisse Erweiterung und Vertiefung dieser Theorien zur Seite tritt. So wird das Christentum seinem Ursprung und Wesen nach in Abstrakto vielfach noch als übernatürlich anerkannt und zugegeben, dass es von unserer Vernunft nicht zu erreichen sei. Eine entsprechende Stellung wird zur Person und zum Werke Christi eingenommen, insofern eben in beiden etwas Abstraktes vorliegt, etwas, das der übervernünftigen, unsichtbaren, ungeschaffenen Welt angehört. Dagegen, sobald dies Ewige, nenne man es Kategorie, Idee oder Kraft, in die Wirklichkeit dieser Welt eintritt, unterzieht der neue Rationalismus es seiner Kritik, die im wesentlichen der des alten Rationalismus gleicht und nur philosophisch und philologisch weit besser ausgerüstet ist, als jene. Christus und das Christentum, geschichtlich bezeugt in der Heiligen Schrift und in der Kirche, werden nun den drei neueren Mächten, die souverän in der Gegenwart auftreten, dem Individualismus, dem Fortschritt und vor allem der Wissenschaft unterworfen. Mit welchem Erfolg dies durchgeführt wird, kann jeder wahrnehmen. Wir leiden schwer und bitterlich darunter, dass in Beziehung auf die Heilige Schrift und auf die Kirche eine allen gemeinsame persönliche Stellung uns immer unmöglicher wird, weil die Kulturstufe, der wir angehören, sich keiner gegebenen Autorität mehr unterwirft, sondern alles der kritischen Forschung ausliefert, die zuletzt jedem Einzelnen das Recht und Vermögen, aber auch die Freiheit einräumen muss, zu denken, was er will und wie er will, und dies auch hinsichtlich der Heiligen Schrift und der Kirche durchzuführen.

Wer die Gaben der Schrift und der Kirche noch festzuhalten bemüht ist, findet sich gegenüber diesen starken Zeitbewegungen oft in der Lage des Wanderers in der Nacht, der das Licht in seiner Hand nicht mehr hin und her zu bewegen wagt, aus Furcht es auszulöschen.

So sehr in dem Allen Gedanken und eine ganze Gedankenwelt sich die Herrschaft anmaßen, so würde es doch ein Missgriff sein und ohne entscheidende Erfolge bleiben, wenn man darin nur eine geistige Bewegung sehen und nur eine „Lehre“ bekämpfen wollte.

Wir haben vielmehr eine feindliche Gesinnung darin vor uns, einen wesentlich halbchristlichen oder unchristlichen Seelenstand. Daraus erwächst erst jene „Lehre“. Demnach können auch nicht bloße Argumentationen uns in diesem Kampfe den Sieg sichern. Wenn wir diese keineswegs unterschätzen, so muss uns doch die Statuierung [Aufrichtung] einer anderen Gesinnung die besten Waffen liefern. Ist der Herr und das Christentum, wie er es uns gibt, das Herz1 unsres persönlichen Lebens, so erkennen wir diese Anfeindungen in ihrem eigentlichen Wesen und überwinden sie weit um deswillen, der uns geliebet hat.

Jesus ist für das tiefste Seelenleben der Christen der Freudenmeister und die Bibel ist dem Christen das überragende Freudenbuch.

Nun ist der Herr für das innerste und tiefste Seelenleben des Christen der Freuden­meister, und die Bibel ist dem Christen in einem bestimmten, alles überragenden Sinne auch das Freudenbuch, weil sie ihm Christum offenbart, bringt und gibt in dem lebendigen, schriftgemäßen Zeugnis der Kirche Gottes. Diese Freude darf niemand und nichts uns trüben oder gar von uns nehmen.

Auch und vornehmlich aus diesem Grunde, der frohen Botschaft im Evangelium entsprechend, ist die Bibel „das Buch“. Ursprünglich bezeichnete „Bibel“ ja nur ein Buch, eins unter vielen Büchern. Unter Gottes Weltregierung und Gnade ist in seiner Kirche und außerhalb ihrer Grenzen diese Bezeichnung für ein Buch frühzeitig zu einer unbestrittenen Bezeichnung für das Buch geworden und geblieben. Der Eindruck, dass die Bibel das höchste und beste Buch ist, welches alle andern Bücher an Licht, Kraft und Trost unendlich weit überragt und auch dazu dient, alle andern Bücher zu erklären und ihnen den gebührenden Platz anzuweisen, – dieser Eindruck war in der Christenheit2 alter Zeiten so stark, dass man den Namen „Bibel“, „Buch“, allein der Heiligen Schrift beilegte. Die Bibel ist die Garbe Josephs, vor der sich alle andern Garben neigen (1Mo 37,7). Dieser sprachliche Stempel prägt sich in unserm Bewusstsein noch deutlicher ab, wenn wir von „der Schrift“ reden. An sich genommen ist „Schrift“ eben nur Bezeichnung für etwas Geschriebenes. Doch auch unsre Sprechweise, wie die im Neuen Testament, erkennt dem inspirierten Geschriebenen einen so hohen Rang zu, dass alles andere Geschriebene davor zurücktritt und wir die Bezeichnung „Schrift“ ausschließlich für die Bibel gebrauchen.

Wie sehr nun die Bibel das Freudenbuch ist, mag uns aus der Tatsache schon anleuchten, dass in der Bibel das Wort „Freude“, das „Sichfreuen“ so oft erscheint, wie es in keinem andern ursprünglichen Schriftwerke der Fall ist, dem eine welthistorische Bedeutung für das Gemütsleben der Menschen zukommt.

Die Bibel realisiert die Freude in so grenzenlosem Umfang, dass auch das schwerste zeitliche Leiden und Zittern sich ihr nicht entziehen darf, sondern von ihrer göttlichen Kraft durchdrungen wird.

Das Wesen und die Wirkung dieser Freude wird dann in der Bibel auch durchaus eigentümlich erfasst, bestimmt und auf stärkste betont. Sie entspringt in Gottes Seligkeit und tritt für uns in Wirksamkeit durch seine selige und seligmachende Heilsgabe. Daher ist sie göttlichen, ewigen Wesens und ihr Quell darf nie getrübt werden, kann nie versiegen. Ihr Inhalt ist Gottes eingeborener Sohn, unser Heiland; und in seiner Person und seinem Werke nach Maßgabe der Weissagung und Erfüllung, befasst sie das ganze Himmelreich in sich. Weil durch ihn, in ihm, zu ihm alles geschaffen ist, umfasst sie auch das ganze Weltreich. Ihre Einheit ist ebenso fest konzentriert und in sich abgeschlossen, wie ihrer Mannigfaltigkeit und Weitschaft keine Grenzen gesetzt werden können. Ihrer Energie und ihrem Einfluss ist nichts unzugänglich. Die Bibel realisiert diese Freude an solchen zentralen Stellen und in so grenzenlosem Umfange, auf solchen Höhen und in solchen Tiefen, dass, worauf für uns Elende viel ankommt, auch das schwerste zeitliche Leiden und Zittern sich ihr nicht entziehen darf, sondern von ihrer himmlischen Kraft göttlich durchdrungen und überwunden wird3.

Weil die Heilige Schrift diese Freude in sich birgt und darbietet, sagt der Herr: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!“ Dies Wort hat das stärkste Gewicht (Lk 11,28). Es begegnet uns an einer hoch bedeutsamen Stelle (im Zusammenhang von Kap. 11,14-28). Der Herr hat in einer seiner herrlichen Wundertaten die Werke des Teufels zerstört; und als Stimmen der Lästerung wider ihn laut werden und man in Verachtung seiner Gnadenwunder durch ein physisches Mirakel, ein Zeichen vom Himmel, zum Glauben gezwungen zu werden begehrt, hat er in seinem heiligen Worte seine Tat gerechtfertigt und in die Finsternis der Gemüter und Gedanken um ihn her seine erbarmende Liebe und ernste Warnung hineinleuchten lassen. Er ist nicht gekommen, um Böses mit Bösem zu vertreiben! Auch nicht, um durch bloße Machtausübung die Menschen zu Gott zurückzuzwingen!

Der Rückfall kommt unvermeidlich, wenn das Erlebnis von Gottes Eingreifen nicht durch das Wort Gottes am Menschen geistlich angeeignet wird, er sich bekehrt und die Bekehrung bewahrt.

Das Personleben des Menschen kann freilich durch bloße Machtausübung augenblicklich überwältigende Eindrücke empfangen und soll sie auch vom Herrn empfangen und von seinem Fall dadurch göttlich aufgerichtet werden. Aber der Rückfall kommt unvermeidlich, wenn das Wort des Herrn die Tat des Herrn nicht als eine Gottestat der Menschenseele geistlich aneignet, sie bekehrt und in der Bekehrung bewahrt. Jeder tiefere Eindruck von den Taten Christi ruft indes im natürlichen Menschen unheimliche Bewegungen ins Leben. Man fühlt sich in seiner bisherigen Gesinnung und Lebensführung gestört, wird aufgeschreckt. Dann regt sich sofort die Versuchung: „Kommt das, was mich so bewegt, auch wirklich von Gott? Sollte es nicht doch auf Lug und Trug beruhen?“ Zugleich oder im Anschluss an die Ablehnung dieser Gedanken will sich die Vorstellung hereindrängen: „Wenn hier Göttliches vorliegt und wirkt, dann tut Gott doch nicht genug, um mich wirklich für sich und sein Reich zu gewinnen und darin zu bewahren!“ Beide Versuchungen üben in der Gegenwart wieder eine furchtbare Gewalt in den Seelen aus. Das schließliche Ergebnis muss für viele Gemüter etwa darin sich zusammenfassen: „Wenn das Evangelium wahr ist, so ist es doch jedenfalls eine Last, eine unerträglich schwere Last für uns, auch weil es unsern Fragen nicht genügt.“

Nur eine Stimme wird in der Volksmenge, die den Herrn umgibt, dagegen laut (V.27): „Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, an denen du gesogen hast“. Und wir haben in dieser Stimme die Frucht einer Seelenbewegung vor uns, in welcher Natur und Geist wunderbar ursprünglich und gewaltig zusammenwirken. Während die Umwelt innerlich zerrissen, unbefriedigt, friedelos, freudelos verstummt, erlebt diese Frau etwas von hohem Frieden, von hoher Freude. Doch nicht dies spricht sie aus, sondern dem Herrn wendet sie ihr Wort zu, um dann doch nicht ihn, den Seligmacher, sondern seine Mutter seligzupreisen. Ist der Herr ihr zu groß und hoch, als dass sie direkt etwas von ihm aussagen könnte? Gedenkt sie, als Israelitin, der Freude, welche die Verheißung, Abraham gegeben, jeder israelitischen Mutter in der Geburt eines Sohnes schenkte, der Freude, die in Jesus eine Seligkeit war?

Der Herr bejaht ihre Selig­preisung und verwandelt sie zugleich. Allem Natürlichen gibt er sein gebührendes Recht, um es immer dem Geiste und feinen Wirkungen ein- und unterzuordnen und so immer Wasser in Wein zu verwandeln. Seiner Mutter, der Gebenedeiten unter den Frauen (Lk 1,28), ist die selige Gabe in ihrem natürlichen Leben geschenkt worden, weil sie geistlich Gottes Wort hörte und bewahrte (Lk 1,30.38.45; 2,19.51). Darin hat die Mutter des Sohnes Gottes ihn in ihrer Seele getragen und ist ein Vorbild und Typus für alle geworden, die im Hören und Bewahren des Wortes Gottes an ihn glauben und selig werden.

Dem Worte Gottes gibt der Herr an dieser Stelle eine alles überragende Bedeutung und Kraft, als dem Mittel zum Seligwerden, zum Seligsein und also zur höchsten Freude. Durch Hören und Bewahren des Wortes Gottes wird alles überwunden, was an Versuchungen und Hemmungen dem Himmelreich in unsrer Seele in den Weg tritt, und dadurch wird alles in uns verwirklicht, was dem Gnadenwillen Gottes entspricht. Unsre Freude wird darin vollkommen.

Das Gebot des Wortes Gottes, dass wir uns freuen sollen

Dem Apostel Paulus ist es gegeben, im Neuen Bunde das Hohelied dieser Freude in ihrem ewigen und zeitlichen Wesen, in ihren zeitlichen und ewigen Wirkungen anzustimmen.

„Wir unterscheiden zwischen Friede und Freude in der Gemeinschaft Gottes, unsres Heilandes. Denn Friede ist das innere Zeugnis dafür, daß die Versöhnung mit Gott in unserm Innern vollzogen ist, daß wir uns mit Gott haben versöhnen lassen, durch den Glauben bei ihm Heil und Gnade gefunden haben. Dagegen bedeutet Freude nicht allein, daß der Gegensatz aufgehoben, der innere Widerspruch gelöst ist, sondern auch, daß wir leben und weben in der neuen beseligenden Lebensfülle. Jemand kann Frieden mit Gott haben, ohne zugleich die Freude in Gott zu genießen.“4

Die Anstrengung des Willens sich zu freuen, ist nie in unserer Natur begründet, sondern in Gott, der das Wollen und Vollbringen schafft. Die Freude in Ihm ist wahre Herzensfreude, weil sie ewiger Natur ist.

Der Apostel gebietet daher die Freude im Herrn. Wenn diese Freude auch oft unwillkürlich die Seele des Christen begrüßt und durchglüht, so stehen ihr ebenso oft und öfter Hindernisse in unserm Seelenleben im Wege, die nur durch eine bewusste Willensanstrengung überwunden werden können. Diese Anstrengung unsres Willens muss dabei, mögen jene Hindernisse klein oder groß sein, nie in unsrer Natur, sondern in Gott begründet sein, der im Wege seiner Heilsordnung Wollen und Vollbringen in uns schafft nach seinem Wohlgefallen (Phil 2,13). Der Herr ist nicht nur das Element, die Sphäre, sondern auch der lebendige Brunnen, die Ermöglichung, der Antrieb dieser Freude. Wer Gemeinschaft mit ihm hat, fühlt immer, dass alle unsre Freude ohne ihn, außer ihm hohl und unwirklich ist. Dagegen ist unsre Freude in ihm, weil sie ewiger Natur ist, wahre Herzensfreude. Und er hat die Macht und den Willen, auch die schwere zeitliche Traurigkeit in Freude zu wandeln (Joh 16,20), ja mitten in der Traurigkeit sich als Freudenmeister zu erweisen.

Diese evangelische Gabe spiegelt sich, wie so viele evangelische Gaben, im menschlichen natürlichen Seelenleben vor und nach der Erscheinung des Herrn deutlich und beweglich ab. Noch jetzt nennen wir eine heitere Natur „jovial“. Einst besagte dies, woran jetzt kaum noch jemand denken wird, dass ein Mensch unter der Herrschaft des Planeten Jupiter, der von allen Planeten angeblich am meisten Glück brachte, das Licht dieser Welt erblickt habe und daher von seinem Gesicht immer Glück und Freude ausstrahlten.

Der Seele des Griechen ist das „Freue dich“ der liebste Gruß von dem Kommenden, sowohl wie von dem, der Abschied nimmt. Wir dürfen in der Verschiedenheit der Grußform bei den Griechen und Römern ein Zeichen erkennen, wie verschieden ihre Seelenbedürfnisse sind. Der hat eben, wie sein Gruß es abprägt, vornehmlich das Bedürfnis, stark zu sein und stärker zu werden. In ihm lebt der „Wille zur Macht“, welcher ihm zugleich das Heil sichern soll. Für beide Grundformen lässt sich viel geltend machen, für die Vereinigung beider am meisten. Die Heilige Schrift bringt schon im Alten Bunde diese Einigung zustande und zum Ausdruck, wenn der Prophet bezeugt: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10).

Nach dem ursprünglichen Sinne werden wir nicht übersehen dürfen, dass in diesem „Freuet euch in dem Herrn“ auch ein „Lebewohl“, ein Abschiedsgruß, mit enthalten sein kann, wenn auch das Hauptgewicht darin gewiss auf die Freude im Herrn, als solche, fällt. Wenn Philipper Kap. 3,1 der Apostel sich bereits zum Abschiednehmen wendet und Kap. 4, 4 sich darauf zurückbezieht, werden wir auch hier den nach zwei Seiten gerichteten Tiefsinn zu beachten haben. Im Abschiednehmen aller Art, seien wir dabei Subjekt oder Objekt, bedarf unsre Seele ganz besonders des festen Halts am Herrn und der trostreichen Freude in ihm.

„Allewege“ können und sollen Christen sich im Herrn freuen. Die Bestimmung bezieht sich nicht auf den Ort und besagt also nicht an allen Orten. Sie spricht vielmehr aus „zu allen Zeiten“5 und schließt damit dann freilich auch alle Umstände und so zu guter Letzt auch den Ort mit ein.

Wenn der Herr nicht der ist, den die Heilige Schrift verkündigt, wäre das evangelische Gebot, sich im Herrn immer zu freuen, sachlich unmöglich. Es wäre unmenschlich und grauenvoll.

Wenn der Herr nicht der ist, wie ihn die Heilige Schrift uns verkündigt, so würde nicht nur die Ausführung dieses evangelischen Gebotes sachlich unmöglich sein, sondern das Gebot hätte dann einen unsittlichen Inhalt. Es wäre ein unmenschliches, ein grauenvolles Gebot, weil es ohne genügenden Grund das Recht der menschlichen Trauer beseitigte und weil es eine der königlichen Eigenschaften der Menschenseele, der Christenseele, auf Sand und Lügen gründete. Die hohen Gaben im Himmelreich sind nicht nur äußerlich und im Worte an Christus gebunden, in ihm beschlossen, sondern ihr inneres Wesen, ihre Kraft und Berechtigung, ihr Gebiet steht und fällt mit Christus, wie die Schrift ihn bezeugt. Die Christenseele kann nicht umhin, unmittelbar neben den höchsten evangelischen Gaben auch den Abgrund wahrzunehmen, der die verschlingen muss, welche vom Evangelium abfallen.

Wer sich im Herrn freut, der freut sich „allewege“. Auch steht dies nicht im Widerspruch dagegen, dass der Herr die Leidtragenden seligpreist. Denn dies selige Leidtragen ist zugleich Freude im Herrn. Die Geschichte der Märtyrer beweist, dass wie am Anfang (Apg 5,41), so im Fortgang, überhaupt „allewege“ der, welcher im Herrn ist, auch unter Qualen sich in ihm freut.

Dieser Erinnerung, sich allewege im Herrn zu freuen, bedarf es immer wieder, unablässig. Das Manna will täglich von neuem aufgesammelt sein. Der Apostel wird daher nicht müde, zu dieser Freude zu erwecken. Auch hat er eben vorher Christen genannt, „deren Namen sind in dem Buche des Lebens“ (4,3). Und der Herr selber hat einst ausdrücklich geboten: „Freuet euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind“ (Luk 10,20). Hat Paulus diese Worte Jesu durch seinen Gefährten Lukas erfahren? Dann wird er auch daraus den heiligen Mut geschöpft haben, wie sonst aus den Offenbarungen Jesu ihm als Apostel ermöglicht war, den überschwänglichen Mut, ein Wort auszusprechen, wie es niemals so kühn in der Welt- und Seelengeschichte verlautet ist, und dies Wort nicht nur in einer augenblicklichen Erregung und Verzückung aufflammen zu lassen, sondern in beständigen Wiederholungen zu bekunden, dass es dem Feuer entstammt, das der Herr auf Erden entzündete und das nie wieder erlischt. Von seinem ersten Brief an (1Thess 5,16) bis zum Philipperbrief, einem seiner letzten, erscheint der Apostel als ein Freudenerbe des Herrn und als Zeuge der Freude in ihm, die nimmer aufhört.

In den folgenden Erinne­run­gen ist auch immer mit vorausgesetzt, dass diese Freude die Seelen der Gemeindeglieder in Philippi erfüllt und sie auch daraus das Vermögen schöpfen, bestimmten anderen christlichen Aufgaben zu entsprechen. Der sprachliche Ausdruck ist dabei zunächst fast militärisch kurz und knapp gehalten, bis dann auf diese bündigen Trompetenstöße ein langgezogener, heiliger, süßer Ton vom Frieden folgt:

„Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu!“

Die Freude im Herrn verpflanzt die Seele dessen, dem sie geschenkt ist, in den Herrn, der gestern und heute und derselbe ist in Ewigkeit.

Die Freude im Herrn, diese Höhe im Neuen Bunde, ist auch den Gläubigen im Alten Bunde bereits zugänglich. Um einige naheliegende Belege anzuführen, finden wir sie, nach dem Worte des Herrn (Joh 8,56), bei Abraham. Das Gesetz (5. Mose 28,47) droht das schwerste Gericht, wenn und weil Israel dem Herrn nie mit „Freude und Lust des Herzens dient“. Freudenklänge durchdringen den Psalter (z.B. Ps 5,12; 40,17; 46; 119), die Propheten (z.B. Jes 12; Jer 15,16), und nach dem Exil, in einem Tiefpunkt des alttestamentlichen religiösen Lebens, hat diese Freude einen Beruf und Ausdruck empfangen (Neh 8,10), die hinter der neutestamentlichen Gabe nicht zurückstehen. Wir werden diese Tatsache gegenüber der vorbereitenden Stufe der Heilsoffenbarung im Alten Testament richtiger erkennen und würdigen, wenn wir bedenken, dass auch jene Höhe im Neuen Testament nie dadurch erklommen wird, dass Christen sich in sich selber, sondern dadurch, dass sie sich im Herrn freuen. Ihre Freude beruht nicht in ihnen, als Empfängern, sondern in ihm, als dem Urheber. Gewiss dienen auch seine Gaben ihnen zur Freude; aber ihre eigentliche, höchste Freude ist der Geber, der Herr. Dem entspricht es ganz, wenn wir in dem uralten großen Gloria „Wir loben dich, wir preisen dich usw.“ nicht die empfangenen Gaben des Herrn als Beweggründe für dies Loben genannt finden, sondern es heißt: „Um deiner großen Ehre willen!“ Die Freude im Herrn verpflanzt die Seele dessen, dem sie gegeben ist, in den Herrn, der gestern und heute und derselbe ist in Ewigkeit. Obwohl nun der alttestamentliche Gläubige das Heil in Christus noch nie in der Erfüllung, sondern erst als ein verheißenes besitzt, steht er, auf Grund der göttlichen Offenbarung, in einer für sein Seelenleben ebenso direkten und wahren Gemeinschaft mit dem Herrn, wie der neutestamentliche Gläubige. Im Gesetz, in den Propheten und besonders in den Psalmen haben wir dies klar und deutlich vor Augen. Durch die persönliche Gemeinschaft mit Gott wird für ihn der Schleier gelüftet, der sonst die Auferstehung, das selige Leben im Jenseits, vor ihm verhüllt und dadurch seiner Freude irdische Grenzen setzt (Lk 20,38; Mat 9,24; 22,32; Röm 14,8; Heb 11,19.35). Dieselbe persönliche Gemeinschaft mit Gott durchbricht ebenfalls die für die alttestamentliche Stufe der Heilsökonomie sonst bestehenden nationalen Schranken, z.B. in den heidnischen Männern und Frauen, welche in allen Perioden der alttestamentlichen Geschichte in Israels Gemeinschaft aufgenommen werden (Röm 15,8-13). Und wenn es in der vollen Freude am Herrn von wesentlicher Bedeutung ist, dass man auch dessen gedenke, was man ohne den Herrn sein würde und gewesen wäre, so hatte Israel im Alten Testament ein so grauenvolles Heidentum und so satanischen Götzendienst rings um sich her6, dass dem Volke Gottes auch dadurch die unaussprechliche Freude an der Gemeinschaft mit dem wahren, lebendigen Gott zum Bewusstsein kommen musste (5. Mose 33,29; 4,7-8; Ps 33,12; 144,15).

Nur lebendiges Christenleben ist voll Freude

Die Freude am Herrn setzt voraus, dass er, der lebendige, ewige Gottessohn, als der menschgewordene Heiland, der Versöhner, der Verklärte, uns persönlich in seiner Liebe und Macht nahe und der Allernächste ist, damit unsre Seele in dankbarer Anbetung ohne Grenzen und in demütigem Dienen und Nachfolgen, ohne Aufhören in ihm lebe und der Sonnenschein feiner Seligkeit unser ganzes Wesen durchleuchte und uns hier im Glauben beselige. Schwer lastet auf der Kirche unsrer Zeit und auf uns persönlich, dass wir das immer wiederholte, beständige, große Gebot des Apostels „Freuet euch in dem Herrn ‚allewege‘“ nicht so in unsre Seele aufnehmen, darin heiligen, bewahren und pflegen, wie es sich für die Kirche und uns, als Christen, gebührt.

Wir neigen dazu, das Heil, das uns widerfahren ist, mehr nur als einen objektiven Vorgang anzusehen, dem wir uns in aller Dankbarkeit unterwerfen, ohne aber dieser an sich vollkommen berechtigten Passivität in voller seelischer Hingabe auch die unerlässliche Aktivität der beständigen, seligen Freudengemeinschaft mit dem Herrn zu entnehmen.

Unser Christentum trägt zu sehr historischen Charakter und ihm fehlt die Frische und Freude der persönlichen Gemeinschaft mit dem gegenwärtigen Herrn.

Unser Christentum trägt zu sehr historischen Charakter und ermangelt der Frische und Freude in der persönlichen Gemeinschaft mit dem gegenwärtigen Herrn. Wir gedenken seiner, wie er in ferner, himmlischer Herrlichkeit thront und regiert, doch nicht, wie er in seinen Gnadenmitteln uns persönlich nahe und eben der Allernächste ist (Phil 4,5). Daher mag es wohl sein, dass wir laufen und nicht müde, wandeln und nicht matt werden; aber wie selten können wir auffahren mit Flügeln, wie die Adler (Jes 40,31)! Das, was uns wirklich zur Freude dient, ist im besseren Falle eine gute Gabe des Herrn aus weltlichen, zeitlichen Gütern, im schlimmeren Falle Zweifelhaftes, Böses. Im ganzen belastet es unsre Flügel wie Blei.

Die Christenseele, welche sich der gebührenden Aktivität in der realisierten Freudengemeinschaft mit dem Herrn entzieht oder verschließt, verfällt dann einem Gericht, dass sie nun in anderen Dingen nach vielen Seiten hin aktiv werden muss und wird, die, ihrem Wesen nach, der Gemeinschaft, in welcher sie noch mit dem Herrn steht, Gefahr drohen oder dieselbe geradezu verderben.

Das Christsein der Freude am Herrn ist getragen von Gewissheit und nicht von zweifeldem Fragen.

Das Christentum der Freude am Herrn ist unter anderem etwas göttlich Gewisses und darin zugleich, dem Wesen der Seele entsprechend, etwas in sich selber vollkommen Einheitliches. Tritt aber die Freude am Herrn zurück oder ganz hinweg, wird sie in ihrer überschwänglichen Bedeutung nicht empfunden oder gar verachtet, so fehlt der Seele der Anker im Inwendigen des Vorhangs (Heb 6,19). Sie wird nun aus dem wilden Weltmeer hin und her geworfen und geängstigt in zahllosen brennenden Ungewissheiten, Zweifeln und Fragen. Sie büßt ihre Einheitlichkeit ein. Nicht mehr vermag sie sich selber, als Person, zu behaupten, sondern findet sich gezwungen, ihren einzelnen Funktionen im Denken, Fühlen und Wollen, die ihren eigenen, nur sachlich begründeten Gesetzen oder der bloßen Laune und Willkür folgen, die letzte Entscheidung auch in den wichtigsten persönlichen und Seelenangelegenheiten zu überlassen.

Solange die Jünger noch keine vollkommene Freude im Herrn hatten, erscheinen sie gewissermaßen als Unmündige, werden immer wieder stutzig auf dem Wege, den der Herr sie führt, und haben unablässig Fragen auf dem Herzen, die sie sich gegenseitig oder dem Herrn vorlegen müssen. Aber wenn der Herr von der vollkommenen Freude spricht, die sie in der Erfüllung seines Werkes, in der Verklärung seiner Person, die sie in ihm haben werden, charakterisiert er ihren dann eintretenden Seelenstand im Besonderen auch dadurch: „An demselbigen Tage werdet ihr mich nichts fragen“ (Joh 16,23-24). Er wird durch seinen Geist ihre Seele so mit Freude erfüllen, dass, soweit sie darin bleiben, kein Bedürfnis mehr in ihnen vorliegt, sie keinen Antrieb, auch kein Vermögen mehr in sich wahrnehmen, ihm Fragen vorzulegen, wie sie bisher zu tun pflegten.

In jener Nacht vor seinem Leiden haben wir bereits einen Typus davon vor uns, wie diese Verheißung Jesu sich später erfüllen wird: Angesichts der Einsetzung des heiligen Abendmahls fragen die Jünger den Herrn nichts! Von allem, was der Herr bisher vor ihnen und für sie getan hatte, war doch diese Einsetzung des heiligen Abendmahls unver­kennbar das Größte und zugleich Geheimnisvollste, denn hierin wird nicht nur eine ebenso wahre wie tiefe Verbindung eines gegenwärtigen anscheinend geringen Aktes mit der Großtat Gottes an Israel in der fernen Vergangenheit vollzogen, sondern was dieser Akt in sich birgt und darbietet, ist etwas, das erst in der Zukunft verwirklicht werden wird und doch schon für die Gegenwart als größte Gottestat vollkommen gilt und wirkt. Außerdem richtet der Herr, was er sonst nie getan hat, einen Bund zwischen Leiblichem und Geistlichem, zwischen leiblichem Essen und Trinken und geistlichem Aneignen seiner Versöhnung auf. Und er stiftet in persönlicher, sichtbarer Gegenwart ein sakramentliches Mahl, das von seinen Jüngern wiederholt, immer wieder zu seinem Gedächtnis gefeiert werden soll, während doch offenbar nach aller menschlichen Wahrnehmung dies jetzt gehaltene Mahl in sich abgeschlossen ist und in seiner charakteristischen Art nie wiederholt werden kann. Wie ist es möglich und vorstellbar, dass die Jünger ihn dabei nichts fragen?

Gibt es Seelenzustände, die wir realisieren können und die uns zu helfen vermögen, in aller Ehrfurcht der richtigen Würdigung der Vorgänge beim ersten Abendmahl etwas näherzukommen? Vor unsrer Seele muss stehen, dass der Herr, obwohl in dieser Nacht Betrübnis bis zum Tode ihn anficht, doch der Vollendung seines Werkes, obschon sie noch vor ihm liegt, bereits in der Gegenwart gewiss und dadurch auch göttlich erfreut ist. Wie seine letzten Reden bei Johannes von dieser ewigen Freude durchwaltet sind, so fehlt es nicht an dem Freudenton beim Osterlamm, dem letzten und beim ersten Abendmahl (Lk 22,15 -16; Mk 14,25). In diese Freude nimmt er seine Jünger mit hinein.

Obwohl ihr eigener See­len­stand in dieser Nacht als ein so schwacher offenbar werden wird, wie sonst nie geschehen war, und obwohl der Herr dies weiß, hat er aus lauter ewiger Gnade das Vermögen, diese Männer, die eben noch seine Jünger, ihm vom Vater gegeben sind, in seine eigene, ewige Freude mit hineinzunehmen und ihre sonst tief erschütterte Seele jetzt so mit dieser Freude zu erfüllen, dass nichts anderes mehr in ihnen Raum findet, Macht ausübt und sie also, im Empfangen seiner unaussprechlichen Gabe, nichts fragen.

Das beständig ungestillte intellektuelle Begehren nach verständlichen Erklärungen des göttlichen Geheimnisses hindert, beugt und erstickt die Freude an der Gabe des Heilands. Die Freude im Herrn erlaubt dem Intellekt nicht, das letzte Wort zu behalten.

Intellektuelles Begehren nach verständlichem Aufschluss, etwa über die Art und Weise wie das Sakrament des Leibes und Blutes Christi zustande kommen kann, hindert, beugt und erstickt die Freude an dieser Heilandsgabe. Die Christenseele, welche der Freude im Herrn an dieser Gabe voll ist, weilt in einer geistlichen Sphäre, die es ihr ganz und gar unmöglich macht, einer vereinzelten Funktion, d.h. dem forschenden und fragenden Intellekt, Raum zu lassen und das letzte Wort zu gestatten.

Ein genaueres Prüfen und Abwägen würde uns manche Vorgänge im Leben des Herrn zeigen, in denen wir relativ etwas Ähnliches konstatieren können. Wir heben daraus nur einen Vergleich hervor. Als das Volk (Joh 6,23.25) den Herrn auf der einen Seite des Sees Genezareth verlassen hat und, während es weiß, dass er zu Schiff nicht zur andern Seite hinüberfuhr, ihn doch dort findet, fragen sie ihn: Rabbi, wann bist du hergekommen? Sie sahen in Christus auf Grund seiner Wunder wohl etwas Übernatürliches; aber eine geistliche, innere Gemeinschaft mit ihm haben sie nicht. Liebe zu ihm, Freude in ihm erfüllt ihre Seele nicht. Daher sind sie innerlich frei, ihn zu fragen. Sie freuen sich nie, darum fragen sie. Als der Herr seinen Jüngern nach seiner Auferstehung (Joh 21) am See Tiberias erscheint, ist dies ja weit wunderbarer, als wenn das Volk ihn früher auf der Seite des Sees fand, wo es ihn nicht erwartete. Aber die Jünger stehen in der innigsten Geistes- und Liebesgemeinschaft mit dem Herrn. Er ist ihr Freudenquell. Sie freuen sich in ihm, darum fragen sie nicht. Wenn am Schluss von Johannes 21 Petrus im Zurückfinden auf einen früheren, niedrigeren, natürlichen Seelenstand eine Frage an den Herrn richtet, wird er ernst und scharf vom Herrn zur Ruhe verwiesen: „Was geht es dich an?“

Damit der Umgang mit der Bibelkritik die christliche Freude nicht erstickt

Wer keine Fragen an den Herrn richtet, kann selbstverständlich auch durch andere und nicht anzuerkennende Bewegungen und Zustände in seiner Seele dazu veranlasst werden. Große Trauer kann ihn erfüllen (Joh 16,5); oder die Majestät des Herrn kann ihm Schweigen gebieten (Mk 12,34); oder er hat Gottes gar vergessen (Röm 3,11) usw. Andererseits ist Fragen nach Gott oft ein Suchen, Hungern und Dürsten nach ihm, dem große Verheißungen gegeben sind; oder auch es liegt darin ein bloß intellektuelles Begehren vor (2Tim 3,7; 1Kor 1, 22), das sich keiner Verheißung getrösten kann usw.

Wir sind jedenfalls reich an Fragen, rühmen uns auch gern neuer Fragestellungen und erkennen darin das eigentliche Siegel, dass wir als Christen zugleich moderne Menschen sind, wirklich in der Gegenwart leben und eventuell durch Aufstellung neuer Fragen und Probleme, nebst versuchter Antwort und Lösung, unsre Gelehrsamkeit, unsern Scharfsinn, überhaupt unsre geistige Bedeutung in unsrer Zeit geltend machen.

Unser Denkvermögen kann alles in Frage stellen, ohne dabei irgendwie gezwungen zu sein, sich auch mit der besten Antwort zufrieden zu geben.

Unser Denkvermögen, isoliert angewendet, kann ohne Zweifel alles in Frage stellen, ohne dabei irgendwie genötigt werden zu können, dass es auch die beste gegebene Antwort als definitiv ansehe und nun dabei verharre. Im Gegenteil: Das isolierte Denkvermögen ist durch sein eigenes Wesen und durch die Erfahrungen, die es in seiner Welt gemacht hat, zur prinzipiellen Skepsis und dazu gezwungen, dass es keine Lösung irgendwelcher Fragen als abschließend zu würdigen vermag.

Wie viel wird nun in der Gegenwart in Frage gestellt hinsichtlich des Herrn, der Schrift, der Kirche, der Seele des einzelnen Christen? Dabei finden sich diese Fragen nicht etwa nur bei denen, die außerhalb des Evangeliums leben, sondern ebenso bei denen, die gläubige Christen sind oder es sein wollen. Und sieht man genauer zu, so handelt es sich hier nicht um Gewissensfragen, nicht um Seligkeitsfragen, sondern wesentlich um Dinge, mit denen der isoliert arbeitende Intellekt nicht fertig werden kann und nie fertig werden wird. Gegen die aufgestellten negativen Ergebnisse dieses Verfahrens ist dann freilich auch mit den intellektuellen Mitteln zu kämpfen; aber den eigentlichen Feind treffen wir damit nie. Der Grundschaden liegt, modern ausgedrückt, in der falschen Orientierung des natürlichen und des christlichen Seelenlebens. Alles Bestreiten falscher, unchristlicher Ansichten, Überzeugungen usw. mit bloß intellektuellen Waffen hat im besten Falle nur intellektuelle, also in sich selber fragliche Erfolge. Erst wenn das Seelenleben, das Personleben auf dem vom Herrn verordneten Wege, mit den von ihm gegebenen Mitteln, durch seinen Geist in Gott gegründet, von seiner Gnade mit Friede und Freude erfüllt ist und andauernd immer mehr erfüllt wird, – erst dann winkt uns der Sieg.

Die Heilige Schrift, von Gottes wegen das Freudenbuch seiner Kinder, ist unter den Händen des isoliert arbeitenden Intellekts zum Quell zahlloser Zwistigkeiten und Bitterkeiten geworden.

Uns bewegt hier im Besonderen der jetzt erregte modern-rationalistische Ansturm wider die Heilige Schrift. Sie wird immer mehr in Frage gestellt, zurückgedrängt, verschüttet, geleugnet. Von Gottes wegen das Freudenbuch seiner Kinder, ist sie unter den Händen des isoliert arbeitenden Intellekts zum Quell und Feld unablässiger, zahlloser Zwistigkeiten und Bitterkeiten geworden, ein allgemeiner Zankapfel im Leben der einzelnen, der Gemeinden, der Kirche, der Theologie. Einst erklärte ein Theologe, wie Joh. Chr. K. von Hofmann:

„Ich kenne das Abstraktum Wissenschaft nicht; ich kenne nur Bemühungen, welche der Ehre Gottes, und andere, welche der eigenen Ehre gewidmet sind.“

Inzwischen hat das „Abstra­k­tum Wissenschaft“ auch in Sachen der Heiligen Schrift gewaltige Fortschritte unter uns gemacht und zwar ganz besonders mit dem Erfolg, dass eine Schädigung der christlichen Stellung zur Bibel von abgründiger Tiefe bei uns vorliegt.

Gibt es keine Hilfe dagegen aus Gott und in Gott? Wer an den Herrn glaubt, der flieht nicht. Wer sich im Herrn freut, der fragt nicht, hat keine rationalistischen Fragen. Was dem Christen überhaupt um Heil und, wie hier betont werden muss, als ewige Freudengabe dienen soll, muss die Einheit seines aus Gott geborenen Personlebens und dessen einheitliche, zielmäßige Entwicklung stärken und fördern. Es muss seinem Wesen blutsverwandt, in seiner nächsten Beziehung ihm sympathisch, muss gut, wahr und gewiss, in sich selber etwas Vollkommenes sein. Jene intellektualistische Schriftkritik dagegen steht prinzipiell unter dem Gericht, dass das Wichtigste in der Schrift ihr nicht mehr das Wichtigste ist. Sie ist daher bemüht und muss bemüht sein, die Schrift auf das Niveau herabzuziehen, dem sie selber angehört, auf das zeitlich, irdisch, sündlich bestimmte Niveau.

Die Erforschung der Seelen­bewegungen führt hier zu einem Ergebnis besonderer Art, das längst nicht genug beachtet, längst nicht genug gewürdigt wird. Wir können einerseits immer konstatieren, dass, wer physisch klein ist, naturgemäß die physischen Phänomene in seiner Umgebung durchweg groß, beziehungsweise größer, als er selber ist, sieht und einschätzt, sie auch in diesem Werte stehen lässt.

Andrerseits aber begegnet uns auf sittlichem und religiösem Gebiete eine gegensätzliche Bewegung. Der moralisch Kleine ist seiner Natur entsprechend, wenn er sich auf seine moralische Kleinheit festlegt, immer darauf aus, das moralisch Große in seiner Umgebung wenigstens eben so klein, wie er ist, möglichst noch kleiner anzusehen, als sein eigenes Maß an die Hand gibt. Der religiös Kleine, dem diese Kleinheit genügt, muss die entsprechenden Missgriffe ebenfalls begehen, ja, weil es sich hier um noch größere Güter handelt, sich noch schwerere Verschuldungen aufladen. Die moralische und religiöse Kleinheit, die Inferiorität unsrer bezüglichen Gesinnung, die uns gegenüber der göttlichen Heilsgabe und Heilswirkung in und aus der Heiligen Schrift immer anhaftet, kann, wenn wir uns an ihr genügen lassen, nicht anders verfahren, als dass sie religiöse und moralische Gaben, die jenseits unseres persönlichen Horizonts liegen, weil wir sie uns nicht anzueignen versuchten, nunmehr in die eigene niedere Sphäre herabzieht und unter die eigene Inferiorität hinabdrückt. Dabei können wir recht wohl in unsrem Geiste und unsrer Phantasie hohen religiösen und moralischen Ideen nachgehen und uns bemühen, eigene Formeln zu finden, in die wir Gottes Gaben zu fassen suchen. Gelingt dies nicht – o kann ja nie gelingen –, stellt sich heraus, dass diese Formel und jene Gabe unvereinbar sind, so sind wir, nachdem wir diesen Weg einschlugen, dazu gezwungen, das Ungenügende, Fehlsame, Falsche nicht etwa in unsrer Unterlegenheit, sondern in der göttlichen Gabe zu suchen und nachzuweisen. Nun entgeht uns das Vollkommene in der Heiligen Schrift, weil wir davon absahen, es uns persönlich anzueignen. Dagegen müssen wir nun Irdisches, Vergängliches, Gewissheiten, Unwahrheiten, Schlechtes, Böses in der Schrift vor uns sehen. Auf solchen kritischen Wegen kommen dann rationalistische Beweisgründe und Beweismethoden zur Anwendung, die uns, als Christen, ganz fernliegen, die vielen Christen fremd, oft unzugänglich sind. Die konstitutiven Faktoren des christlichen Personlebens werden ignoriert und außer Dienst gestellt. Die christliche Person wird gestört und immer tiefer zerstört. Die einheitliche Entwicklung dem gegebenen Ziele entgegen wird undurchführbar, unmöglich. In dem allen ist jener Kampf wider die Heilige Schrift in erschreckender Weise und mit erschreckenden Wirkungen ein Freudenstörer und Freudenverderber.

Ist dann nicht unbedingt notwendig, diese Angriffe überhaupt zu ignorieren und sich so zu verhalten, als wären sie nicht vorhanden? Wir haben uns doch dem Herm gegenüber so zu verhalten, als sähen wir ihn, obwohl wir ihn nicht sehen; und wie vielen Dingen gegenüber, die wir sehen, müssen wir uns so verhalten, als sähen wir sie nicht! Sind wir nun nicht auch gezwungen oder doch berechtigt, diesen Angriffen gegenüber, die wir sehen, uns so zu verhalten, als sähen wir sie nicht?

Wer nicht geistlich und geistig genügend gerüstet ist, der bleibe der Schriftkritik besser fern. Sie ist Gift für ihn und führt zu schwerer Verwundung.

Bei der Beantwortung dieser Frage haben selbstverständlich Lebensführung und Bildungs­stand des einzelnen Christen mitzusprechen. Wer nicht geistlich und geistig genügend gerüstet ist und durch seinen Beruf dazu hingeführt wird, bleibe der Schriftkritik fern. Sie ist für ihn Gift. Die bezügliche allgemeine Warnung des Apostels vor „der Philosophie und losen Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen“ (Kol 2,8) wird nur zu oft in den Wind geschlagen zur schweren Verwundung und Vereiterung vieler Christengemüter.

Wir haben hier indessen mit denen zu tun, welche die Schriftkritik nicht unberufen und neugierig aufsuchen, sondern sie tatsächlich auf ihrem Lebenswege, in ihrem Berufe, vor sich finden. Auch bei ihnen kann ein Nichtbeachten derselben sittlich ermöglicht, nahegelegt sein und durchgeführt werden. Ein Christ kann durch Gottes Gnade persönlich in einer so innigen, festen und hohen Gemeinschaft mit dem Herrn durch sein Wort verbunden sein, dass er diese Angriffe nicht wahrnimmt, obwohl sie ihm vorliegen und er sie sieht. Auch ist es möglich, dass er unter großen Nöten und schweren Anfechtungen im Leben und Sterben leidet und Gott vor seiner Seele diese Angriffe verbirgt, wenngleich er sie äußerlich vor Augen hat.

Indessen in der Regel wird jenes Igno­rieren nicht objektiven, sondern nur subjektiven Grund haben. Man will diese Angriffe nicht sehen, um nicht in seinem Frieden gestört zu werden, und beruhigt sich in diesem Verfahren etwa damit, dass diese Schriftkritik ausschließlich auf menschliche Willkür zurückgehe, die zuletzt in Feindschaft wider Gott beruhe und vom Christen nicht beachtet zu werden brauche, ja nicht beachtet werden dürfe (Offb 2,24). Uns fehlt die Berechtigung, diesem Argument jede Wahrheit und Kraft abzusprechen.

Nur die Schriftkritik ist als feindselig zu behandeln, welche sich in halb- oder geteilt-christlicher Haltung ein absolutes Wesen und Vermögen beilegen will.

Aber zunächst gibt es auf Grund des wissenschaftlichen Triebes und Vermögens, die uns auch von Gott eingepflanzt sind, ebenfalls eine „Schriftkritik“, die im christlichen Geiste vollzogen wird, Großes, Wertvolles geleistet hat und noch immer leistet im rechten Dienen an der Heiligen Schrift. Nur die Schriftkritik ist als feindselig zu behandeln, welche in unchristlicher oder geteilt-christlicher, halb-christlicher Gesinnung sich absolutes Wesen und Vermögen beilegt oder beizulegen bemüht ist. Selbst auf diesem Gebiete dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass wir nach Gottes Fügung Kinder unsrer Zeit sind und, wie die Kirche Gottes zu allen Zeiten, nicht dadurch, da wir die jeweiligen Angriffe übersehen, sondern dadurch, dass wir sie bekämpfen, uns als Gottes Kinder zu erweisen haben. Außerdem stehen wir als Christen nicht außerhalb jeder Beziehung zu den geistigen Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart, die sich in diesen Angriffen verkörpern. Wir tragen mit an einer Gemeinschuld wie in anderen Dingen, so auch auf diesem Gebiete. Der moderne Christengeist, der auch in uns vorhanden ist, hat sich in einen Bund mit der sogenannten voraussetzungslosen Kritik eingelassen, und der weitere Verlauf dieser Verbindung, die tatsächlich vollzogen ist, führt dann zu ganz ähnlich schweren Alternativen, wie eine unglückliche Ehe sie aufnötigt. Eine solche Ehe ist etwa unbesonnen geschlossen, und bald zeigt sich, dass die Eheleute nicht zueinander passen und sich gegenseitig sehr unglücklich machen. Kann dies Unheil ignoriert werden? Soll dies Unglück immer weiter mitgeschleppt werden? Oder soll eine Scheidung erfolgen und man auf den falschen, bösen Schritt des Eingehens dieser Ehe den anderen ebenso falschn und ärgeren Schritt der Scheidung tun? Oder endlich soll man sich zu Gott wenden, der, was Menschen böse machten, gut machen kann, und in ihm den Trost, die Heilmittel, die Kraft zum Ertragen des Unglücks, als eines Kreuzes, suchen, um dazu, das Böse mit Gutem zu überwinden?

Jenes Ignorieren der feindseligen Angriffe wider die Schrift ist unzulässig. Es entspricht nicht unserm christlichen Berufe, wenn wir uns den Kämpfen entziehen, die uns verordnet sind (Jud 3; 1Tim 1,18; 6,12). Aus diesem Suchen nach bloß negativem Frieden erwachsen schwere Schädigungen des christlichen Seelenlebens. Wer diese Feindseligkeiten nie berücksichtigt, nur weil er sie nicht in Erwägung ziehen will, kann bald genug erfahren, dass sein geistliches Leben unwahr wird und versumpft. Freilich kann auch niemand in wahrem christlichen Frieden leben, wenn der Brand zwischen seinem kritischen Intellekt gegenüber der Bibel und seiner gläubigen Hingabe an die Heilige Schrift beständig in ihm aufflammt und bald hier, bald dort liebe Heimstätten seines Geistes und seiner Seele in Asche legt, die er doch nicht zu entbehren vermag.

Uns bleibt eben nur ein Weg offen, dass wir uns zu Gott wenden und in ihm Trost und Heilung suchen, auch die Kraft zum gesegneten Ertragen des Unheils, als eines Kreuzes, und die Kraft, das Böse mit Gutem zu überwinden. — Dabei ist diese Not so groß, dass alle geistlichen, wie alle natürlichen Mittel, die uns zu Gebote stehen, aufgerufen und angewendet sein wollen, damit wir weder zur Rechten noch zur Linken abweichen, sondern auf gerechtem, geradem Wege verharren, einem Ziele entgegen, das wir freilich erst dann erreichen, wenn dies Sterbliche verschlungen sein wird von dem Leben. Doch immer gilt es, diesem Ziele nachzujagen und ihm näherkommen.

Wenn in der Gegenwart die unbedingte christliche Stellung zur Heiligen Schrift Feinde ringsum hat und vom isolierten Intellekt auf allen Seiten heftig bestritten wird, bietet uns die Gegenwart nicht auch zugleich neue christliche, neue wissenschaftliche Mittel, um diese neuen Angriffe zurückzuschlagen? Die intellektualistische Kritik trägt den Stempel der Einseitigkeit an der Stirn, als ob das Wissen uns selig mache. Sie beruhte in der Überschätzung eines einzelnen Faktors im Personleben. Gibt es denn dagegen keine natürlichen Waffen mehr, die uns von dem Alpdruck dieser in sich selber unhaltbaren Einseitigkeit befreien und neben die Reflexion die Intuition, neben das mittelbare Berühren des Objekts das unmittelbare, neben das partielle das universale Verfahren als gleichberechtigt, als wahrer und gesegneter hinzustellen und aufrechtzuerhalten vermögen? Hat unser Christentum die ihm von Gott verliehene Kraft verloren, „die Anschläge und alle Höhe zu zerstören, die sich wider die Erkenntnis Gottes erhebt und alle Vernunft gefangen zu nehmen unter den Gehorsam Christi“ (2Kor 10,5)?

Unser christliches und natürliches Leben ist nicht ein enger, seichter, sandiger Teich, sondern ein unabsehbar weites, unergründlich tiefes Meer. Wir müssen auf die Höhe fahren, um einen Zug zu tun7. Oft ergriff es uns, wie die Dichtung und alle Kunst aus dem großen Meer des Seins und Wesens der geschaffenen Welt immer neues gewaltiges Pathos und immer neue siegreiche Kraft, leuchtende Schönheit in sich aufnimmt und zur Geltung bringt. Alles ist unser, nicht nur die geschaffene, auch die erlöste Welt und die lebendige Hoffnung auf die verklärte und vollendete Welt. In der persönlichen Berührung mit der Kreatur und dem Himmelreich ist uns der Weg zu einem unerschöpflichen Arsenal gebaut, den uns keine Niederung verbauen soll.

Die Freude am Herrn in und aus seinem Worte ist unsre Stärke.


  1. Diese Bestimmtheit des christlichen Per­son­enlebens ergibt sich aus der Stellung und Bedeutung, welche die Heilige Schrift dem „Herzen“ beilegte. 

  2. Das Neue Testament spricht oft von „der“ Schrift, he graphe. Ta biblia, als Bezeichnung für die Heiligen Schriften der Christen, lässt sich wohl zuerst im 5. Jahrhundert bei Chrysostomos nachweisen. Dass 2Tim 4,13 „ta biblia“ denselben Sinn habe, ist kaum wahrscheinlich. 

  3. Die Herzenskälte, welche von dieser Freude nichts weiß und nichts wissen will, wappnet sich dagegen mit der falschen Selbstliebe, der Selbstsucht. Man ist dann weich, hingebend gegen alles Eigene, als solches, hart gegen alles Nichteigene, im Besonderen gegen alles Göttliche. Die Alten verglichen solche Menschen mit dem zusammengerollten Igel, der nach außen nur Stacheln hat. 

  4. Hans Lassen Martensen, Ethik, Gotha 1878, Bd. 2, 462-464. 

  5. Das englische „always“ hat die Bedeutung „immer“ ohne weiteres bewahrt. 

  6. Die Frage „Was wär ich ohne dich gewesen?“ kann eine große pädagogische Bedeutung für den bekehrten Christen auch hinsichtlich der Freude im Herrn haben. 

  7. Nächst der Unempfindlichkeit und Kälte der Seele ist die Oberflächlichkeit, auch die Un­wissenheit, einer unserer gefährlichsten Feinde. Oft bin ich erschrocken, wenn unter Anderem junge Theologen schwere Angriffe wider die Heilige Schrift geltend machten, die nur bei grober Unkenntnis der Schrift möglich waren und bei grober Unkenntnis z.B. der altkirchlichen und reformatorischen Theologie.