Psalm 119,105
Genau wie unsere Familie auch genießen wohl die meisten Menschen gern einen lauen Sommerabend auf der gemütlichen Terrasse. Wenn es eindunkelt, zündet meine liebe Frau eine große Kerze in unserer altertümlichen Stalllaterne an, die mit ihrem Leuchten die letzte Stunde eines gelungenen Tages mit ihrem warmen Licht bescheint.
Ein romantischer Nachtspaziergang im Mondenglanz oder im Schein der Lampe ist ebenso bei Jung und Alt beliebt. Licht in der Dunkelheit gibt unse- rem Herzen ein Gefühl von Sicherheit, vermittelt unserer Seele Geborgenheit und Orientierung für unseren Verstand.
Die Bibel sagt in Ps 119,105
Eine Leuchte für meinen Fuß ist dein Wort, ein Licht für meinen Pfad.
Oder mit der bekannten Luther-Übersetzung gesprochen:
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
Wenn wir uns jetzt mit diesem Vers aus dem 119. Psalm beschäftigen, so muss ich Ihre Gedanken gleich zu Beginn aus Träumerei und Pfadfinderromantik herausreißen. Nein, das Licht der Heiligen Schrift ist für unser Leben nicht beglückende Zugabe und leichtes Abenteuer. Ob das Licht der Bibel unser Leben erhellt, ist für unsere Zukunft eine Frage von Leben und Tod. Erst, wenn Gott in Ihrem Leben die Lampe Seines Wortes entzündet und auf den Leuchter gestellt hat, sind Sie überhaupt in der Lage, die Wahrheit über Gott, über Sie selbst, über Ihre Sünde und ewige Verdammnis zu erkennen – und dann auch die rettende Macht des Evangeliums. Nur in der ständigen Hege und Pflege durch die Hand des Allmächtigen leuchtet uns die Lampe des Wortes Gottes auf dem Weg gegen alle Widerwärtigkeiten und Gefahren. Nur dank der Hand Gottes halten wir die Lampe der Heiligen Schrift richtig in unseren Händen bis hin zum Ziel.
Der Psalm ist des glorreichen 119. Psalms weiß darüber Bescheid. Er verwendet darum seine erstaunliche Begabung darauf, ein Loblied auf das Wort Gottes zu komponieren. In jedem Vers, außer 122 und 132, gebraucht er dabei einen Namen oder eine Beschreibung für das Wort Gottes – ohne sich aber je in bloßen Wiederholungen zu verlieren. Vielmehr kann er die ganze Tiefe, Bedeutung und Vielfalt der göttlichen Offenbarung ausloten. Aurelius Augustinus bemerkt zur Auslegung dieses Psalms: „Je mehr er aufgeschlossen scheint, desto tiefer kommt er mir vor, so dass ich gar nicht zeigen kann, wie tief er ist.“1
Je acht Verse beginnen immer mit dem selben Anfangsbuchstaben, und das in alphabetischer Reihenfolge. Also Verse 1-8 mit a (Aleph/„A“), Verse 9-16 mit b (Beth/„B“) und so weiter. Das ergibt nach den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets dann 176 Verse. Unser Vers leitet den Abschnitt zum Buchstaben n (Nun / „N“) ein. Der Dichter will unter allen Umständen das Zeugnis Gottes bewahren, auch in Not, Lebensgefahr, Deprimiertheit, in den Fängen der Fallensteller. Das Wort Gottes bleibt sein Licht, seine Lebensquelle, sein Erbteil, seine Freude.
Kommen Sie nun mit mir in diesen einen Vers: Das Wort Gottes – einziges Licht für unseren Weg.
1. Gott entzündet die Lampe
Wir stehen am Anfang: Gott entzündet die Lampe. – Stellen Sie sich doch vor, wie es wäre, wenn wir die Bibel nicht hätten. Wir tappten im Dunkeln, weil wir nicht wüssten, woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen. Wir hätten keine Ahnung über den Schöpfer, Erhalter, Erlöser, Vollender. Über den Richter der Lebenden und Toten und den vollkommenen und liebenden Vater seiner Kinder. Es wäre schrecklich. Gott hat es gefallen, Sein Licht auf dieser Erde in Form von Worten und Sätzen anzuzünden, die uns verstehbar mit allem bekannt machen, was wir zum Leben und zur Gottseligkeit brauchen (2.Petr1,3).
Licht wird dort gebraucht, wo es finster ist. Lehrt die Bibel, dass es auf der Erde finster ist? Nun, ich gehöre nicht zu den traurigen Möchtegern-Bekennern, die mit ängstlich-frömmelnder Sauermiene hienieden durch das irdische Jammertal pilgern, hinter jedem Busch dämonische Weltverschwörung wähnen und einfach nur Angst vor dem Leben und schier kein Vertrauen in den Herrn Jesus haben. Von Freiheit in Christus (Joh 8,36) und Stärke in der Freude des Herrn (Neh 8,10) keine Spur. Aber dennoch: Ja, die Erde ist ein finsterer Ort. Ja, ich bin hier nur ein Pilger. Ich habe mich hier nicht für die Ewigkeit niedergelassen. Die Sünde hat uns zerstört. Wir leben weder im Paradies noch in der endzeitlich verheißenen glorreichen offenbarten Königsherrschaft. Wir brauchen auch weiterhin das prophetische Wort der Schrift, das an einem dunklen Ort leuchtet (2.Petr1,19). Wir warten darauf, dass der Tag anbricht (Röm 13,12). Wir warten darauf, dass Christus als der glänzende Morgenstern endlich aufgehe und die Nacht vertreibe (Offb 2,28). Unsere Herzensaugen brauchen Erleuchtung (Eph 1,18). Wir können immer nur mit dem Liederdichter singen: „In dir ist Freude in allem Leide.“ Darum brauchen wir es, dass Gott das Licht anzündet.
Wenn wir nun sprechen als solche, denen Licht in der Finsternis zuteil wurde, als Gemeinde Jesu: Woher haben wir denn das Licht des Evangeliums erhalten? Durch die Kraft des Wortes wie einst Timotheus. Der Apostel Paulus erinnert sein Kind im Glauben daran, dass du, Timotheus, dass du bereits von Kind auf die heiligen Schriften kennst, die Kraft haben, dich weise zu machen zur Rettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist (2.Tim 3,15). Die Schriften bezeugen nicht nur die Kraft Gottes, sie reden nicht nur darüber, sie tragen sie in sich. Gott hat sich des Wortes bedient, um unserem Fuß auf dem Weg des rettenden Glaubens zu leuchten. Bei aller Vielfalt des Wirkens Gottes des Heiligen Geistes, mit der Er unterwegs ist, um in Einheit mit Gott dem Sohn die Gemeinde Jesu zu sammeln; die Menschen von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht zu überzeugen (Joh 16,8) und geistliche Leichen zum Leben zu erwecken (Eph 2,1), auf dass sie glauben und gerettet werden – bei alledem geht es immer ohne das eine Wort Gottes nicht ab. Dieses ist das Schwert, das der Geist führt (Eph 6,17), mit dem er die Menschen ruft: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten!“ und der Christus wird dir aufleuchten (Eph 5,14). Dann beginnt das Licht auch meinem Fuß zu leuchten und als Licht für meinen Weg zuscheinen.
Es ist wahr, als Bibelbund wissen wir uns verbunden mit allen Christen, die auf die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes pochen. Das heißt auf seine Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit, auf seine Zuverlässigkeit und Wahrheit. Immer wieder hören wir, wir predigten den Glauben an ein Buch anstelle des Glau- bens an den Gott dieses Buches. Wir glaubten an die Bibel anstatt an Jesus. Liebe Geschwister, nein, das stimmt nicht. Auf der Haupttagung 2007 des Bibelbundes Schweiz sprachen wir ausführlich darüber: Bibeltreu oder Jesustreu? Nein, nein: wir dürfen nicht trennen, was zusammengehört. Die Qualität der Bibel ergibt sich aus dem Sprecher der Bibel. Wenn Gott Licht ist und keine Finsternis in Ihm (1.Joh 1,5), dann ist auch Sein Wort von derselben Qualität. Wir leugnen nicht, dass wir nicht alles gleich gut verstehen, was die Schrift sagt. Aber das tut ihrer Klarheit keinen Abbruch. Das Problem des Schriftverständnisses liegt nicht an ihrem Licht, sondern in unserer Finsternis. Das Problem jeder Ungewissheit über Gottes Offenbarung ist nicht ein Lob auf unsere Demut, sondern Tadel an unserem Kleinglauben. Lasst mich an dieser Stelle den Prediger John Mac Arthur zitieren:
Wenn wir die Klarheit der Schrift verleugnen, müssen wir auch Gewissheit über jegliche biblische Lehre zurückweisen, denn wir können nicht länger sicher sein, dass die Bibel wirklich das meint, was sie sagt … Denkt mal über diesen schockierenden Kommentar eines sogenannten konservativen Predigers nach: ‚Wenn es eine Grundlage für christliche Theologie gibt, und ich denke, es muss sie geben, dann ist sie nicht zu finden in der Gemeinde, Schrift, Tradition oder Kultur … Theologie muss ein demütiger Versuch des Menschen sein, ‚ihn zu hören’ – [Theologie ist] niemals eine verstandesmäßige Annäherung an Texte.’ Das ist eine erstaunliche, ja haarsträubende Aussage. Wie können wir wirklich „ihn hören,“ gemeint ist Gott, wenn wir nicht an den Ort gehen, wo er gesprochen hat – Sein Wort … Wir hören oft von der neuen … „Hermeneutik der Demut,“ die im Grundsatz sagt: „Ich bin viel zu demütig um zu behaupten, die Bibel meine das, was sie sage. Und jeder der beansprucht, zu wissen, was die Bibel meint, ist arrogant.“ Aber was ist arroganter als zu deklarieren, Gott habe nicht klar genug zu uns gesprochen, so dass wir ihn verstehen könnten?2
Die Gemeinde Jesu tut gut daran, sich ihres Herrn nicht berauben zu lassen, indem sie den Irrlichtern des Zweifels an Gottes unfehlbaren und irrtumslosen Wort folgt. Wir bleiben dabei und danken Gott für die Klarheit seines Lichts in der Bibel. Wir beugen uns vor diesem Wort, weil wir uns vor dem beugen, der es gesprochen hat. Mit der herzlichen Bitte, dass Er mit diesem Wort unsren Weg erleuchten möge.
2. Gott hegt und pflegt die Lampe
Gott verheißt durch den Psalmisten, dass Sein Wort die Leuchte für seinen Fuß ist. Wer einmal zum rettenden Glauben gekommen ist, den Anfang erlebt hat, braucht das Licht Gottes für seinen Weg. Sinngemäß (!) darf hierfür das ganze Wort Gottes gelten, was Calvin in seiner Institutio einführend über seine sogenannte „dritte Anwendung des Gesetzes“sagt:
Sie geschieht an den Gläubigen, in deren Herz Gottes Geist bereits zu Wirkung und Herrschaft gelangt ist. Ihnen ist zwar mit Gottes Finger das Gesetz ins Herz geschrieben, ja eingemeißelt; das bedeutet: Sie sind durch die Leitung des Geistes innerlich so gesinnt und gewillt, dass sie Gott gern gehorchen möchten. Aber trotzdem haben sie noch einen doppelten Nutzen vom Gesetz. Denn es ist 1. für sie das beste Werkzeug, durch das sie von Tag zu Tag besser lernen, was des Herrn Wille sei, nach dem sie ja auch verlangen und durch das sie auch zu solcher Erkenntnis gefestigt werden sollen … [Und] wir bedürfen … 2.der Ermahnung; und auch den Nutzen wird der Knecht Gottes aus dem Gesetze ziehen [Hervorhebung i. Orig.].3
Für die Anwendung der Heiligen Schrift in unserem Leben vertrauen wir auf die Wirkung Gottes. Nicht ohne unseren Willen, aber auch nicht durch unseren Willen. Gott hegt und pflegt sein Licht für unseren Weg. Manchmal ist es nämlich starkem Wind ausgesetzt, Seitenwind, Gegenwind. Durch Ehepro- bleme, persönliche Krisen, Krankheit, Verlust, Gefahr, Alter. Der Herr Jesus Christus hat verheißen, dass niemand Seine Schafe aus Seiner Hand reißen wird (Joh 10,28). Wenn die Not Sie umgibt, halten Sie sich umso fester an das Licht. Separieren Sie sich nicht von der Gemeinschaft mit ihm und von denen, in deren Herzen der Christus ebenfalls aufleuchtet, das heißt von der Gemeinde. Ich habe zu viel Not gesehen, um mich dieser Mahnung enthalten zu können. Gottes Licht kann nicht ausgeblasen werden. Was hindert Sie daran, Ihre Orientierung durch dieses Licht zu behalten oder wieder zu finden?
Noch ein Weiteres: als ewiges Wort Gottes ist die Heilige Schrift nicht den Gesetzen der Schöpfung unterworfen: Das Gras ist verdorrt und die Blume ist verwelkt; aber„ das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit.“ Dies aber ist das Wort, das euch als Evangelium verkündigt worden ist (1.Petr 1,24-25). Mit anderen Worten: Der Lichtglanz des Evangeliums wird nicht matt. Das Bibelwort zerfällt nicht, die Heilige Schrift löst sich nicht auf. Es ist gesprochenes Wort Gottes und daher beständig, im besten Wortsinn ewig.
Die Lampen zur Zeit des Psalmisten hatten keine Schutzgläser. Sie bestanden im Prinzip aus einem Tongefäß mit einem Docht. Das Scheibenputzen entfiel also, aber nicht das beständige Nachladen mit Öl. Sonst wird der Schein der Lampe immer kleiner und matter und schwächer. Gott sorgt dafür, dass stets genug Öl fürs Feuer da ist. Der helle Schein Seines prophetischen Wortes wird nie dunkler. Es bleibt beständig, fest, unauslöschlich. Wir haben um so fester das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen (1.Petr1,19).
Wer ist es, der auf das Wort Gottes achtet? Im Sinn von ihr tut gut daran? Es ist nicht der Bewunderer seines Glanzes, es ist nicht der kunsthistorische, naturwissenschaftliche, gesellschaftswissenschaftliche Kenner von Lampen, Leuchten, Feuer und so weiter. Es ist nicht der Beobachter, sondern der Täter des Wortes (Jak 1,22). Der Fuß braucht eine Leuchte, um sich zu bewegen.
Das Licht wird gebraucht, um den Weg zu gehen. Der bewegungslose Fuß kann unbehelligt in der Finsternis verharren. Er braucht kein Licht zum Herumstehen. Aber es wird ihm nicht zum Guten gereichen. Er wird eines Tages von den Gefahren der Finsternis sterben und das Ziel nicht erlangen.
Die Aufgabe der Prediger ist es, diese Lampe auf den Sockel zu stellen, damit sie der Gemeinde den Weg leuchte. Es ist ganz einfach: Je mehr das Wort Gottes in einer Gemeinde gelehrt und gelebt wird, – wir lassen uns beides nicht auseinanderdividieren! – desto fröhlicher ziehen die Christen ihre Straße durch das Pilgertal. Weil sie im Licht wandeln (Eph 5,8) und die Freude im Herrn ihre Stärke ist (Neh 8,10). Weil der Lichtglanz des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus ihre Augen erleuchtet (2.Kor 4,4), ihre Hände bewegt, ihre Herzen zum Gebet treibt und ihre Füße dem Ziel zu drängt. Ge- meinden, in denen das Wort Gottes nur noch als kleines Dekorationslicht verwendet wird, sind arme Gemeinden. Gott schenke ihnen neues Vertrauen in Sein Wort, oder sie werden den Weg allen Fleisches gehen, weil sie das Licht verloren haben.
3. Gott hält die Lampe bis zum Ziel
Das Wandern als Hobby ist ein modernes Phänomen. Lustwandelnd zu promenieren war bis vor nicht allzu langer Zeit ein Privileg der Schönen und der Reichen. Wozu sollte sich die übrige Bevölkerung auch ziellos durch die Gegend bewegen, wenn die rein physischen Anforderungen zum Lebenserwerb ihre Kräfte eh schon stark strapazierten?!
Das Leben indes wird für keinen Menschen je ein leichter Spaziergang werden. Wir sind alle unterwegs auf ein Lebensziel. Die Kräfte eines jeden schwinden dabei. Wohl dem, der dann jemanden auf seiner Seite hat, der ihm das dringend benötigte Lebenslicht hält. Wenn die eigene Hand zu schwach geworden ist, um die Lampe zu tragen. Wohl dem, der rechtzeitig gemerkt hat, dass das Licht seiner Vernunft ihn keinesfalls ans Ziel führen kann, denn die Aufklärung aus ihm selbst ist unfähig, die eigenen Kräfte zu übersteigen. Sie ist nicht stärker als er selbst. Sie kann die Finsternis nicht überwinden. Der aufgeklärte Mensch bleibt auf sich selbst geworfen. Das heißt: auf seine Finsternis in ihm. Die Philosophie der Aufklärung ist im Licht der Offenbarung Gottes nicht mehr als ein Münchhausen-Märchen, eingekleidet in die Wortgewandtheit philosophischer Gelehrsamkeit. Wer dies auszusprechen wagt, wird entgeistert angestarrt, denn er begeht Blasphemie am Säkularismus, der die unhinterfragbare Religion der Gegenwart ist – „Kritik verboten!“ „Du wirst doch nicht hinter die Aufklärung zurück wollen?“ fragt man uns. Richtig: nein, wir wollen nicht hinter die Aufklärung zurück. Wir müssensie überwinden. Der „aufgeklärte Mensch“ bleibt allein. Ziellos. Orientierungslos. Weil er die Offenbarung Gottes nicht annehmen will.
Der Mensch, der Gott gehört, kommt ans Ziel. Weil Gott mit ihm auf dem Weg ist und das Licht trägt, ja, als sein Licht leuchtet, bis zum Ziel. Egal, wie schwach der Mensch ist. Außerhalb des Menschen, seiner Fähigkeiten und Konditionen leuchtet das Licht des ewigen Wortes Gottes dem Gotteskind den Weg nach Hause. Jeder Schritt ist wichtig. Jeder Schritt ist entweder ein weiterer Schritt der Heimat zu oder der erste Schritt auf einen Irrweg. Ich brauche Sein Licht. Je schwächer ich bin, desto mehr. Je weiter ich von einem Irrweg wieder zurückwandern muss, weil ich das Licht nicht sah. Gott hält mir sogar die Lampe für den Rückwärtsgang. Zurück auf den guten Weg.
Wenn Sie Kindern eine Leuchte für die Nachtwanderung in die Hand geben, werden sie das Licht instinktiv wohl ziemlich hoch halten. Was wird geschehen? Das Kind wird irgendwann stolpern. Weil es die Laterne so hoch gehalten hat, dass das Kind zwar geblendet wurde vom Licht, aber den Weg zum Ziel nicht mehr ausreichend gesehen hat – was ja der eigentliche Zweck der Laterne gewesen wäre. So handhaben es nun auch manche Christen. Sie halten das Wort Gottes hoch. Sehr hoch. Sie haben eine ganz hohe Meinung über die Bibel. Sie verkrampfen ihre Arme regelrecht dabei, bis es schmerzt. Das Lesen wird in dieser Haltung sehr unangenehm. Und sie denken, genau das dabei zu tun, was ihnen von „den“ Bibeltreuen gepredigt wird.
Was sie vergessen: Die Wunder Gottes in unserem Leben und die Wunder in Gottes Gesetz (Ps 119,18) sind uns nicht dazu gegeben, um von uns bewundert zu werden, sondern um die Leuchte für unseren Fuß zu sein und Licht auf unserem Weg. Im Expositor war 1864 zu lesen:
Was wir alle brauchen, sind nicht Wunder, die unsere Augen blenden, nicht Erscheinungen, deren Glanz uns in Entzückung versetzt, sondern ein wenig Licht auf dem dunkeln, schwierigen Pfad, den wir zu gehen haben, eine freundliche Lampe, die uns bei unserer Arbeit scheint [Hervorhebung i.Orig.].4
Wir sind gewiss, dass Gott uns helfen wird, mit Seiner Lampe den Weg auszuleuchten. Er hält unsere Hand, auch dann, wenn die unsere sich nur widerwillig führen lässt oder schwach geworden ist. Lasst uns dazu Sorge tragen, dass Lesen und Leben eng beieinander liegen, eine Einheit bilden.
In Swasiland führt die Nationale Bibelgesellschaft zur Zeit eine Anti-Aids-Kampagne durch. Die Bevölkerung leidet unter der Immunschwächekrankheit, zusätzlich verbunden mit Tuberculose. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt für Männer 36, für Frauen 37 Jahre. Jedes Jahr gibt es 14.000 Neuansteckungen unter den 1,1 Millionen Menschen. Dabei nennen sich 80% der Bevölkerung Christen. Wie kann das sein? Nun, gäbe es mehr Täter des Wortes als bloße Hörer, gäbe es weniger Neuerkrankungen. Auf einer Kundgebung der Bibelgesellschaft trugen die Demonstranten ein Transparent vor sich her mit der Aufschrift: „Die Bibelgesellschaft: ‚Übernimm Verantwortung, Stopp Aids! Halte dein Versprechen, lebe enthaltsam! Ps 119,105: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“5
Warum können eigentlich nur die Swasi dergestalt auf die Straße gehen? Unsere Länder hätten es wohl genauso nötig. Auch in unseren Breitengraden leiden Menschen unter Immunschwäche, die meisten sogar unter der noch gefährlicheren geistlichen Immunschwäche. Sie sind jeder Verführung hilflos ausgeliefert, weil das Licht des Wortes Gottes ihnen den Weg nicht gezeigt hat. Es würde mich interessieren, was passieren würde, wenn wirdas riesige leuchtend weiße Transparent unserer afrikanischen Freunde ausleihten und auf der Zürcher Bahnhofstraße vor uns her trügen: „Der Bibelbund: Die Bibel – das einzige Licht für das Leben. Folge nicht deinen Begierden, sondern folge Christus nach. Ps119,105.“
Es ist wohl an der Zeit, dass wir die Bibel wieder deutlich, unerschrocken, ohne Angst vor Widerstand und Zurückweisung auf den Sockel heben. Von mir aus auch auf der Bahnhofstraße. Das wird nur in dem Maße geschehen, wie wir das Vertrauen auf Gottes unfehlbares Wort im täglichen Lebensvollzug umsetzen, nachdem wir überzeugt worden sind von der Reinheit Seines Lichts. Wir stellen uns in Demut unter Sein Licht und glauben schlicht, dass Gott klar gesprochen hat und meint, was er sagt. Wir sind gewiss: Sein Wort führt uns zum Ziel.
Augustinus: „Exposition on the Book of Psalms”, in: Philip Schaff (Hg.), The Nicene and Post-Nicene Fathers, 1st series, Vol. 8, Edinburgh: T&T Clark, 1989 (Reprint), S. 560. ↩
John MacArthur: „The Master’s Plan for The Church”, Chicago: Moody, 2008. S. 308- 310. Das erwähnte Zitat stammt von John Armstrong. ↩
Johannes Calvin: „Institutio Christianae Religionis (Unterricht in der christlichen Religion)“. Übersetzt von Otto Weber, Neukirchen: Neukirchener Verlag, 5. Aufl. 1988. II, 7, 12. In den Abschnitten II, 7, 12-17 stellt er die Wirkung des Gesetzes an den Gläubigen dar (usus in renatis). ↩
Zitiert in Charles Haddon Spurgeon: „Die Schatzkammer Davids“, Bd. 4, Kassel: Oncken, 1912. S. 222. ↩
Eva Thomi, Jutta Henner: „Hoffnung für Kranke Menschen.“, in: Die Bibel aktuell: die Zeitschrift der Schweizerischen Bibelgesellschaft, 2 (2011/56. Jahrgang). S. 7. Photo S. 1. ↩