© wikimedia; Paul Thumann (1834-1908)
ThemenGeschichte der Christen

Da stand er und konnte nicht anders!

Luthers Auftreten auf dem Reichstag in Worms am 18. April 1521 erscheint uns als mutiger Schritt im Angesicht der damaligen Autoritäten. Doch Luther hatte in der Nacht zuvor in Furcht und Zittern zu seinem Gott gebetet und war zur Gewissheit gelangt, dass er sich gegen Gott und sein Wort stellen würde, wenn er sich dem Papst und dem Kaiser beugen sollte. Das markiert weniger die moderne Gewissensfreiheit, die sich an nichts gebunden behaupten will, als vielmehr die feste innere Bindung an Gott und an sein Wort, was dem Gewissen Richtung und Halt gibt. Über diese Bindung hat Martin Luther Rechenschaft abgelegt und sie offen bezeugt.

Am 18. April 1521 stand Martin Luther das zweite Mal vor Kaiser Karl V. auf dem Reichstag in Worms. Die anwesenden Fürsten und andere Autoritäten des Reichstags waren Ohrenzeugen seiner Antworten auf die beiden Fragen, die ihm am Tag zuvor gestellt worden waren. Erstens fragte man, ob er der Autor von 25 Schriften war, die dort gesammelt waren, und zweitens wollte man wissen, ob er bereit war, die falsche Lehre darin zu widerrufen. Luther erkannte die Autorenschaft an und versuchte, eine Diskussion darüber zu beginnen, was in diesen Schriften denn falsche Lehre war. Aber das gelang nicht und er wurde erinnert, dass er der Theologe sei und selber genau wisse, was die Irrlehre sei, die er gelehrt habe.

Luther lieferte dann eine der wichtigsten Reden in der Geschichte der Kirche. Wir kennen nicht den ganzen Text der Rede, haben aber von verschiedenen Beobachtern einige Berichte, so dass ein relativ genauer Überblick vorhanden ist, was er gesagt hat. Es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet über das am meisten wiederholte und weithin bekannte Zitat keine Sicherheit besteht:

„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders“.

Weil nicht alle Berichte diese Erklärung enthalten, zweifeln viele Historiker, dass Luther das wirklich gesagt hat. Wir wissen allerdings genau, dass er dort vor den Mächtigen der Welt und der Kirche mit einem bemerkenswerten Mut und Entschlossenheit stand.

„Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder vernünftige Gründe überwunden werde …, so halte ich mich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt habe, so ist mein Gewissen im Gotteswort gefangen.“

Luther war wirklich mutig, überhaupt nach Worms zu kommen. Er zeigte Mut, als er dem Druck widerstand, einfach seinen Frieden zu machen, indem er seine eigene Lehre widerrief und sich unter das beugte, was die Kirche so lange gelehrt hatte. Wiederum offenbarte er seinen bemerkenswerten Mut mit den starken Worten, mit denen er seine Rede abschloss:

„Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder vernünftige Gründe überwunden werde – denn weder dem Papst, noch den Konzilien allein vermag ich zu glauben, da es feststeht, dass sie wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich mich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt habe, so ist mein Gewissen im Gotteswort gefangen, und darum kann und will ich nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch lauter ist. [Ich kann nicht anders, hier stehe ich,] Gott helfe mir. Amen.“

Mit diesen Worten bezeugte Luther, dass es eine Quelle und Autorität für die Lehre gab, für die er nun vor Gericht stand. Er war bereits aus der Kirche exkommuniziert worden und riskierte, nun auch mit Leib und Leben als geächteter Gesetzloser vom Staat verurteilt zu werden, wegen seiner Lehre.

Die Kirche hatte darauf bestanden, dass sich sein Gewissen ihrer Lehre unterordnen sollte. Diese Kirche hatte über Jahrhunderte ein System von Autorität aufgebaut, das angeblich für Christus selbst sprechen könne. Der Papst, als Nachfolger von Petrus und Stellvertreter von Christus auf der Erde, sollte die Autorität besitzen, alles zu lehren und die Gewissen der Christen daran zu binden. Auch die ökumenischen Konzile sollten die Wahrheit mit der Autorität von Christus selbst aussprechen. Diese Autorität von Papst und Konzilien waren in der westlichen Kirche über Jahrhunderte akzeptiert worden. Wie konnte es nun ein Mann wagen, sich gegen diese Autoritäten zu stellen?

Luther hatte sich mit diesen Fragen bereits vor dem Reichstag auseinandersetzen müssen und betete ernsthaft über diese Sache in der Nacht zwischen dem ersten und zweiten Tag in Worms. Dort vor dem Kaiser stellt er das Ergebnis vor, zu dem sein Ringen ihn geführt hat. Zuerst hatten ihm seine Studien in der Geschichte der Kirche und der Theologie gezeigt, dass die verschiedenen Päpste und Konzilien sich in ihren Beschlüssen widersprachen. Wie könnten sie die Autorität von Christus haben und ohne Fehler sein, wenn sie daran scheiterten, untereinander eins zu sein?

Luther stand auf dem Reichstag nicht mehr als einfacher mittelalterlicher Mann da, der ohne Fragen die traditionel­le Autorität der Kirche akzeptierte. In vielen Punkten seines Lebens und seiner Überzeugungen war Luther noch ein Mensch des Mittelalters, aber er lebte bereits in der Renaissance und profitierte von den Werken der Lehrer der Renaissance. Die hatte dazu geführt, dass viele Werke aus der Kirchengeschichte gedruckt vorlagen und so sah jeder, dass Theologen, Päpste und Konzilien tatsächlich voneinander abwichen. Die Renaissance schaffte ein Bewusstsein für die Bewegungen der Geschichte. Die Theologie der Kirche war nicht so statisch und unveränderlich, wie sie es behauptete. Die mittelalterliche Übereinkunft, dass die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche immer miteinander harmonierten, bestand nicht vor der Wirklichkeit.

Aber für Luther war das Studium der Bibel noch wichtiger als das Studium der Geschichte und der Theologie. Er legte Wert darauf, dass die Kirche ihn zu einem Professor für die Bibel gemacht hatte und ihn schwören ließ, er möge die Bibel treu lehren, was er immer tun wollte und tat. Sein Gewissen war so gefangen im Wort Gottes, was die höchste Autorität bildete. Daraus ergab sich auch seine Folgerung, dass die Bibel immer die Wahrheit lehrte und sich nicht widersprach. Sie allein stellte die absolut verlässliche Autorität von Christus in der Kirche dar. Wenn die Bibel redete, dann musste der Christ glauben und ihr folgen, was auch immer das für Konsequenzen hatte.

Luther war sich bewusst, dass er Schrift und Tradition in einer Weise trennte, wie es lange in der Kirchengeschichte nicht geschehen war. Er ließ den Reichstag wissen, dass es zur Trennung in der Kirche führen würde, wenn man dem Wort Christi folgte:

„Es wird hiernach klar sein, dass ich die Nöte und Gefahren, die Unruhe und Zwietracht, die sich um meiner Lehre willen in aller Welt erhoben haben, und die man mir gestern hier mit Ernst und Nachdruck vorgehalten hat, sorgsam genug bedacht und erwogen habe. Für mich ist es ein denkbar erfreulicher Anblick, zu sehen, wie um Gottes Wort Unruhe und Zwietracht entsteht. Denn das ist der Lauf, Weg und Erfolg, den Gottes Wort zu nehmen pflegt, wie Christus spricht: «Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert; denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater usw.»

Darum müssen wir bedenken, wie Gott wunderbar und schrecklich ist in seinen Rat­schlüssen, dass nicht am Ende das, was wir ins Werk setzen, um der Unruhe zu steuern, damit anfängt, dass wir Gottes Wort verdammen, und so viel mehr einer neuen Sintflut ganz unerträgliche Leiden zustrebt.“

Als auf die Bibel gegründeter Christ wusste Luther, dass seine Berufung nicht darin bestand den Reichtum, den Einfluss oder die formale Einheit der Kirche zu bewahren. Er fühlte sich auch nicht berufen, das „Christentum“ oder die westliche Zivilisation zu schützen, sondern er war berufen, das Evangelium zu predigen.

Mit seiner Berufung auf das Gewissen und auf klare Gründe, stellte sich Luther allerdings noch nicht wie der moderne Mensch vor die Autoritäten, um seine Individualität oder persönliche Freiheit zu verteidigen, alles zu glauben und zu behaupten, was er wollte. Er akzeptierte die Freiheit des Gewissens in der Grenze der Unterordnung unter das Wort Gottes. Wenn er sich auf evidente Gründe berief, dann wollte er diese nicht als selbständige Autorität behaupten, sondern er meinte auch hier, dass man mit klaren Gedanken und sorgfältigem Gebrauch seines Verstandes die Bibel studieren sollte.

Für Luther war die Bibel das eigentliche Wort, die echte Offenbarung von Gott. Sie ist so wahr, wie Gott wahrhaftig ist. Sie ist so zuverlässig, wie Gott zuverlässig ist. Sie hat die Autorität, wie Gott die Autorität ist.

Für Luther war die Bibel das eigentliche Wort, die echte Offenbarung von Gott. Sie ist so wahr, wie Gott wahrhaftig ist. Sie ist so zuverlässig, wie Gott zuverlässig ist. Sie hat die Autorität, wie Gott die Autorität ist. Wir Menschen müssen unsere Gabe, nach dem Bild Gottes geschaffen zu sein, so einsetzen, dass wir dieses Wort verstehen. Und als Sünder, die auf Rettung hoffen, müssen wir das Evangelium genauso akzeptieren, wie es im Wort gelehrt wird.

Luther hat sich und sein eigenes Lehren als im Wort Gottes gefangen beschrieben. Er berief sich nicht auf seine Kreativität oder seine Selbstgewissheit oder sein Recht auf Widerstand. Vielmehr wurde er vom Wort Gottes angetrieben, getragen und gehalten. Er kannte die Gefahr, aber er kannte vielmehr die Freude und Freiheit, die darin lag, zu lehren, was die Schrift lehrte und was die Apostel ebenso gelehrt hatten. Das sah er als einzig sicheren Weg, um vor Gott bestehen zu können, und als solide Grundlage, um auf die Gnade von Jesus zu hoffen. Luther hielt sich an das Kreuz und was immer es ihm brachte, weil er aus der Bibel wusste, dass, ob er nun leben oder sterben würde, er war das Eigentum seines Herrn.

Luthers letzte Worte auf dem Reichstag lauteten: „So helfe mir Gott. Amen.“. Sie wurden oft übersehen oder als Element konventioneller Frömmigkeit abgetan. Aber diese Worte sind so wichtig, wie die anderen, die er an dem Tag sagte. Er befahl seine Sache Gott an, der ihm allein zuletzt helfen konnte. Er wusste nicht, ob er den Reichstag lebendig verlassen könnte oder sterben musste. Aber er lebte in der Zuversicht, dass er Gott treu gedient hatte gemäß seinem Wort und das Evangelium von Jesus Christus recht gepredigt hatte. Er glaubte, dass der Herr ihm helfen würde, all das zu vollbringen, was er für ihn vorbereitet hatte. Und Gott hat seine Absicht erreicht, so wie Luther es erwartet hatte, als er für sich als Lebensmotto Psalm 118,17 wählte: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des HERRN Werke verkündigen.“

Gott half ihm. Luther sollte weitere 25 Jahre predigen, lehren und schreiben. Er erlebte nicht, dass die gesamte Kirche nach dem Wort Gottes reformiert wurde, wie er es gehofft hatte. Aber er sah, wie das Wort Gottes wieder an seinen angestammten Platz in der wahren Kirche Christi kam und wie das Evangelium weithin gepredigt und geglaubt wurde.

Luther stand da in Worms und Gott half ihm – und durch Luther hat Gott auch uns geholfen. Amen

Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ligonier Ministries. Der Aufsatz erschien zuerst im Tabletalk Magazine.