Als die Reformation bzw. die Reformatoren im 16. Jahrhundert das Prinzip sola scriptura formulierten, taten sie eigentlich nichts anderes, als die Bibel von den geistig-geistlichen Fesseln der mittelalterlichen Kirche zu befreien, die den menschlichen Verstand und die Autorität der mittelalterlichen Kirche auf das gleiche Niveau wie die Autorität der Bibel erhoben hatte. Die sola scriptura bedeutete jedoch auch, dass die Reformation zu den bibelfremden Dogmen, die die Kirche zu Christologie, Soteriologie und Pneumatologie aufgestellt hatte, nein sagte. Diese bibelfremden Dogmen legten für das Erlangen des Heils den Wert der menschlichen Handlung auf das gleiche Niveau wie das Erlösungswerk durch Christus erhobenhatten.
Das Gedankengut der im 18. Jahrhundert auftretenden Aufklärung und des Neohumanismus, drangen jedoch sehr schnell auch in die von der Reformation gereinigten Kirchen ein. Als Folge davon bahnte sich aus dem Inneren dieser Kirchen ein neuartiger Angriff gegenüber der Autorität der Bibel seinen Weg.
Ein Vorläufer dieses Angriffs war der Hallenser Theologiedozent Johann Salomo Semler (1725-1791), Begründer der kritischen Bibelanalyse. Die sich später entfaltende sog. historisch-kritische Methode machte – die Mittel der Geschichtswissenschaft anwendend – die Geschichtlichkeit der Bibel zum Gegenstand der Kritik und trieb damit einen Keil zwischen die Offenbarung (als Wort Gottes), das Wort und die Bibel, als niedergeschriebene Offenbarung. Von hier war es nur ein kleiner Schritt, dass der sich als autonom proklamierende Mensch, der sich als über der Bibel stehende geistliche Autorität berechtigt fühlte, die historische Authentizität der Bibel in Frage zu stellen, und damit deren theologische Botschaft anzugreifen begann.
Die im 18. Jahrhundert begonnene rationalistische Bibelkritik leitete mit ihren als „wissenschaftlich“ bezeichneten Thesen und ihren kritischen Behauptungen heftige Diskussionen unter den innerhalb der einzelnen Konfessionen wirkenden theologischen Schulen und Frömmigkeitsrichtungen ein, die auch bis zur Gegenwart andauern.
1. Wir können sagen, dass in unseren Tagen die Verschiedenheit der Einstellung gegenüber der Bibel, die vielleicht massivste Trennwand zwischen den Christen
1.1 Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen auch heute wieder die nachstehenden, von früher her bekannten, Fragen: Ist die Bibel die Offenbarung Gottes oder ist in dieser nur die Offenbarung enthalten? Ist deren Text identisch mit Gottes Wort oder kann sie Gottes Wort nur hin und wieder, als Mittel der von der Bibel unabhängigen Offenbarung, enthalten? (Barth) Letztendlich, als was sollen wir die Bibel betrachten: als menschliches Wort oder als Gottes Wort? Oder als beides? Ist die ganze Bibel Gottes Wort oder ist es unsere Aufgabe, den „Kanon im Kanon“ zu suchen? Besteht eine Verbindung zwischen der Bibel und dem Wort beziehungsweise dem Heiligen Geist oder ist die Bibel lediglich eine Anhäufung von Buchstaben ohne Geist und Offenbarung?
1.2 Beiden Diskussionen stellte sich schnell heraus, dass vom Themenkreis „Offenbarung und Bibel“ auch die Frage der Urheberschaft nicht getrennt werden kann. Wer ist der Urheber der Bibel? Israel, die urchristliche Gemein- de oder der Heilige Geist? Mit den Diskussionen um die Urheberschaft war auch die Frage der historischen Glaubwürdigkeit verbunden. Ist die Geschichtlichkeit der Bibel authentisch, d.h. sind deren historische Berichterstatter authentisch? Oder: Stimmt es – wie viele behaupten – dass die historische Glaubwürdigkeit nicht wesentlich ist, dass die historische Glaubwürdigkeit von der Offenbarung getrennt werden muss und dass es bedeutungslos ist, ob die in den Kreis der historischen, geografischen oder Naturwissenschaften einzustufenden Angaben der Bibel wahr sind oder nicht?
1.3 Die aufgeführten Fragen hatten die christlichen Kirchen bzw. Theologien verhängnisvoll geteilt, weil sich schnell herausgestellt hatte, dass die von der historisch-kritischen Methode aufgeworfenen Fragen und Behauptungen in allen Fällen zu Angriffen auf das Herzstück der Bibel, auf die Christologie, Soteriologie und Pneumatologie führten. Diese Bibelkritik hat nämlich – vergeblich streitet sie es ab – letztendlich dennoch selbst den sich mit dem aufgezeichneten Wort zu Erkennen gebenden und davon untrennbaren geschichtlichen Jesus Christus und dessen geschichtliches Erlösungswerk zum Gegenstand der Prüfung durch die menschliche Kritik gemacht. Barth behauptet vergeblich, dass er nur den Text, nicht die Offenbarung kritisiert. Der Text der Bibel und die Offenbarung sind nämlich nicht zwei von einander unabhängige Komponenten. Deshalb ist es unserer Meinung nach nicht möglich, den Text der Bibel zu kritisieren, ohne auch die Offenbarung
Sicher kann bereits behauptet werden, dass die in der Gegenwart vertretene Auffassung von der Bibel die konfessionellen Grenzen neu gezeichnet hat und eine neue Einheit zwischen den zu verschiedenen Konfessionen gehörenden, in der Frage der Bibel dennoch die gleiche Auffassung vertretenden Theologen und Christen zustande gebracht hat!
Nach Vorausschicken dieser Gedanken möchte ich jetzt zusammenfassen, wie der ungarische Bibelbund, der die ungarischen bibeltreuen Kirchenmitglieder und Pfarrer vereint, die Frage der Offenbarung (revelatio specialis) und der mit der Urheberschaft zusammenhängenden Inspiration (inspiratio) sieht.
2. Unter dem Begriff „Offenbarung“ verstehen wir, was der Gott der Dreifaltigkeit im Verlauf der in Raum und Zeit ablaufenden Geschichte getan und gesagt hat. Diese beiden sind ein und dasselbe (dabar – Wort und Tat). Deshalb ruht die Offenbarung unserer Meinung nach auf zwei Säulen, auf Gottes geschichtlichen Taten und auf Gottes Worten. Wir glauben, dass wir über beides nur aus der Heiligen Schrift – als der aufgeschriebenen Offenbarung – authentisch Kenntnis haben. Darüber berichtet uns Hebr 1,1-2. Auch die hier stehenden griechischen Wörter „polymeros“ und „polytropos“ (vielfältig und auf vielerlei Weise) weisen darauf hin, dass es verschiedene Weisen der Rede Gottes gab, auch schon zur Zeit des Alten
2.1 Die in der Bibel zu lesenden geschichtlichen Ereignisse waren zwar keine verbalen Worte Gottes, dennoch öffnet die revelatio specialis uns die Augen, für das, was Gott den Menschen mit den in der Bibel zu lesenden geschichtlichen Ereignissen, wie z.B. Schöpfung, Sintflut, Wüstenwanderung, Abraham-Geschichten, Landnahme usw. sagen wollte. (Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich anmerken, dass wir die Geschichte nicht mit der Offenbarung gleichsetzen, wir weisen die Geschichtstheologie zurück, wir wollen lediglich den geschichtlichen Charakter der Offenbarung betonen!) Außer der Geschichte waren auch die Einrichtungen zur Zeit des Alten Testaments, wie das Priestertum, der Kult, die Richter oder das Königtum usw. ebenfalls sichtbare, in der Geschichte auftretende Formen der Offenbarung. Ich wiederhole, die spezielle Offenbarung hilft uns, in den alttestamentarischen Geschichten und Einrichtungen Gott zu sehen und Gottes Wort zu verstehen.
Zu den „verschiedenen Arten“ (Formen) der Offenbarung, gehörte beispielsweise auch die von Gott gewollte Institution des Prophetentums. Gott selbst sprach mit den Propheten, was diese weitersagten oder aufschrieben. Wir müssen jedoch fragen: Waren die Erscheinungen (Theophanien, Angelophanien) und Worte des Engels Gottes nicht auch Offenbarungen Gottes? Ein Höhepunkt der alttestamentarischen Offenbarung war das geschichtliche Ereignis der Gesetzgebung, als Gott Mose die Steintafeln übergab.
2.2 Die bereits zitierten zwei Verse aus dem Hebräerbrief gehen nach der Erwähnung des Modus der alttestamentarischen Offenbarung auf den Modus der neutestamentarischen Offenbarung ein und im fleischgewordenen Wort auch auf die in Jesus Christus erhaltene Offenbarung. Im geschichtlichen Ereignis der Inkarnation offenbarte sich Gott in dieser Welt auch auf eine im Fleisch sichtbare Weise. Im Falle Jesus waren die Offenbarungen jedoch nicht nur seine Menschwerdung, seine Taten, seine Leiden, Tod und Auferstehung, sondern auch das, was er sagte.
Auch im Neuen Testament finden wir einen ähnlichen Offenbarungsmodus wie im Alten Testament: die Apostel und Propheten bzw. Ereignisse, Zeichen und Wunder. Hebr 2,3-4 bekräftigen, dass der Bestimmungszweck der Zeichen und Wunder, obwohl diese außerordentliche und die Aufmerksamkeit erregende Ereignisse waren, in erster Linie war, die Aufmerksamkeit auf die göttliche Nachricht zu lenken.
2.3 Außer dem nonverbalen, geschichtlichen Charakter des Modus der neutestamentarischen Offenbarung müssen wir den verbalen Wortcharakter der Offenbarung Denn die Offenbarung wurde durch ihren Sprach- und Wortcharakter klar und verständlich. In der Bibel kommt der Satz „So spricht der Herr“ oder „Der Herr sagte“, usw. 3808 Malvor. Wenn also die reformatorische christliche Theologie von der Offenbarung spricht, will sie betonen, dass diese Informationen, Nachrichten, Lehren und geschichtlichen Berichte, die in der Bibel zu lesen sind, nicht menschlichen Ursprungs sind, nicht von Menschen erfunden, gerade beschönigt oder eingebildet wurden, sondern von Gott selbst stammten. Deshalb sagt Jesus: „Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden“ (Joh 10,35), „Es ist leichter, dass Himmel und Erde vergehen, als dass ein Tüpfelchen vom Gesetz fällt“ (Lk 16,17), Röm 3,2.usw.
Folglich wissen wir z.B. wer Gott ist, was der Mensch ist oder wie die Welt entstand, was nach dem Tod ist usw. nur von dem, was Gott uns darüber offenbart hat. Zu diesen Kenntnissen kann auch heute kein einziger Forscher auf dem Wege der Erfahrungen gelangen.
2.4 Über die Offenbarung sprechend heben wir schließlich hervor, dass der Höhepunkt der Offenbarung und ihr Ziel – natürlich– der Christus war, in dem die Vollkommenheit Gottes körperlich innewohnte, den der Vater uns offenbart hat (Joh 1,14; Kol 2,3; Hebr 1,1-2;). In Ihm wurde alles wahr worüber auch die alttestamentarische Offenbarung sprach, d.h. unsere Erlösung durch das stellvertretende Sühneopfer und dessen Auferstehung. (Lk 24,27; ) Denn der Mensch erhielt auch von der Erlösung nur durch die Offenbarung, und zwar die aufgezeichnete Offenbarung (revelatio specialis), Kenntnis.
Mit den bisherigen Worten wollten wir also unterstreichen, dass auch wir der Ansicht sind, dass die revelatio specialis einen starken historischen Charakter aufweist und deshalb greift derjenige, der die Geschichtlichkeit der Bibel angreift gleichzeitig auch, gewollt oder ungewollt, die Offenbarung an!
3. Der zweite Themenkreis, mit dem ich mich befassen möchte ist, was wir im ungarischen Bibelbund über die aufgezeichnete Offenbarung
3.1 Calvin sagte, dass die Patriarchen die – ursprünglich in Gedanken und Worten bzw. Geschichten usw. – gegebene Offenbarung ihren Nachkommen am Anfang, von Hand zu Hand weitergegeben hatten und sie erst später niedergeschrieben wurde. So entstand die niedergeschriebene Offenbarung, mit anderen Worten, das niedergeschriebene Wort. Die in der Geschichte in Gedanken und Worten gegebene Offenbarung wurde deshalb niedergeschrieben, weil Gott dazu ausdrücklich den Befehl gab. Darüber informieren uns 2.Mo 17,14; 5.Mo 31,24; Jer 36,1-2 bzw. 1.Kor 10,11; Offb 1,1;19 usw.
Wir möchten jedoch betonen, dass die Offenbarung selbst mehr war, jedoch nichts anderes, als die niedergeschriebene Offenbarung. Die niedergeschriebene Offenbarung war eine göttliche Selection, denn weder die Reden der Propheten, noch die von Jesus, wurden in ihrem vollen Inhalt niedergeschrieben, dennoch war die Selektion niemals eine Korrektion! Nur in Klammern wiederhole ich, dass die dritte Form der Offenbarung Jesus Christus war, das fleischgewordene Wort. Für wesentlich halten wir zu betonen, dass Jesus Christus, obwohl er das fleischgewordene Wort ist, eine Person ist, die Heilige Schrift als niedergeschriebenes Wort jedoch ein Buch. Beide sind voneinander untrennbar. Siehe Lk 24,27;44; Hebr 10,5-7.
3.2 Demzufolge gibt es nur eine Offenbarung, weil Gottes Wort und Tat eins sind! Die erwähnten Formen der Offenbarung können zwar voneinander unterschieden werden, sind jedoch untrennbar. Aus dieser These folgt auch, dass die Formen der Offenbarung nicht einander gegenüber gestellt oder gegen einander ausgespielt werden können. Irgendeine Form der Offenbarung anzugreifen oder zu kritisieren, ohne dass die andere davon betroffen wird, ist nicht möglich!
Die ungarischen Vertreter der bekennenden reformierten Theologie standen deshalb von Anfang an, bis zumheutigen Tag, im Streit mit Karl Barth, weil nach der Auffassung von Barth die Offenbarung, dasniedergeschriebene Wort und Jesus Christus, drei verschiedene Offenbarungen sind. Seiner Meinung nach ist die niedergeschriebene Offenbarung in der Heiligen Schrift nur enthalten, dieser jedoch nicht identisch. Deshalb muss man in der Bibel Gottes Wort suchen, Jesus suchen. Nach Barth ist die Bibel nur eine Wortanhäufung, die nur dann zu einem offenbarten Wort wird, wenn der Leser existentiell darauf reagiert. Demzufolge halten viele Barth (u.a. auch ich) für den Vater der historisch-kritischen und existenziellen Schriftauslegung des 20. Jahrhunderts.
Das alles halten wir deshalb für wichtig, zu betonen, weil alle Bestrebungen, beginnend von der frühen Kirchengeschichte bis zu unseren Tagen, die Jesus von der Bibel getrennt hatten, in eine falsche Mystik und Gnostizismus mündeten. (Siehe die römisch-katholische Mystik und die protestantischen enthusiastischen bzw. charismatischen Bewegungen!)
3.3 Der andere Teil, der mit der niedergeschriebenen Offenbarung zusammenhängenden Diskussionen, kulminiert um die Begriffe Eingebung und Inspiration.
Wie wir ausdrückten, erfolgte die Niederschrift der Offenbarung auf Befehl Gottes, was ein über Jahrhunderte andauernder Prozess war. Für die Niederschrift gab jedoch Gott nicht nur den Befehl, sondern auch den Heiligen Geist, in dem Sinne, dass nicht nur die Offenbarung, sondern auch die Niederschrift ein Werk des Heiligen Geistes war. 1.Kor 2,10; 12-13; „Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist …; Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt.…“
Diese komplexe Wirkung, die der Heilige Geist bei Verstehen und Niederschreiben auf die Chronisten der Bibel ausgeübt hatte, bezeichnen wir als Eingebung, als Inspiration. Darum betont die Inspirationslehre der Reformatoren, dass Urheber der Bibel der Heilige Geist-(Gott) ist, dessen willige Werkzeuge die Verfasser der Bibel waren. Welcher Natur diese Wirkung, d.h. Inspiration war, veranschaulichen ausgezeichnet die sich darauf beziehenden Bibelworte. In 4.Mo 12,8 lesen wir: „peh al peh adabber bó umare“ – „mit ihm rede ich von Mund zu Mund.“ /piel!). Demzufolge hat Mose das, was er niedergeschrieben hat, nicht selbst erfunden! Bedenken wir ob Mose es gewagt hätte Gottes Wort zu entstellen?
In 2.Tim 3,16-17 ist folgender Ausdruck zu lesen „Alles, was in den heiligen Schriften steht, ist von Gottes Geist eingegeben …“ „pásza grafé theopneustos…“ die genaue Übersetzung „von Gott ausgeatmet“ verweist auf die Luftbewegung, die beim Sprechen auftritt. Nebenbei, spricht hier der Apostel nicht von der Inspiration der Verfasser, sondern der „grafé – der Schrift, des Tex- tes“, während Petrus in 2.Petr 1,20-21 die Inspiration der Person, der Verfasser der Bibel, der Propheten hervorhebt: „Indem ihr dies zuerst wisset, dass keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist. Denn die Weissagung wurde niemals durch den Willen des Menschen hervorgebracht, sondern heilige Männer Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geiste.“ In 1.Kor 2,10-16 spricht Paulus darüber, dass das, was die Apostel reden, keine menschliche Weisheit ist, sondern vom Heiligen Geist eingegeben wurde.
3.4 Jesu Leben war die wortwörtliche Erfüllung der alttestamentarischen Prophetien. Seine Reden bestätigen die Geschichtlichkeit aller Ereignisse, deren historische Wahrheit die heutige liberale historisch-kritische Theologie infrage stellt. Für ihn waren Adam und Eva lebende Personen, keine symbolischen Namen einer Menschengruppe. Die Geschichte von Noah und der Sintflut war keine Legende, Jonas war nicht der Held einer Lehrfabel, Mose war kein „Knochenschmied“, der überhaupt nicht in Ägypten lebte usw., wie das einige Theologen auch in der Gegenwart behaupten. Wenn Jesus in Mt 5,18 sagt: „Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz (Tora) vergehen“, später in Joh 10,35 sagt er, „die Schrift kann doch nicht gebrochen werden“, er tut nichts anderes, als die Urheberschaft des Heiligen Geistes zu besiegeln. Die Urheberschaft des Neuen Testaments bekräftigen auch solche eindeutigen und machtvollen Worte, wie die bereits zitierten 1.Kor 2,10-16 oder Gal 1,11-12: „Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist. Denn ich habe es von keinen Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi“ oder Offb 1,1;19: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in der Kürze geschehen soll… Schreibe was du gesehen hast…“
4. Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen ist verständlich, warum die Kirchenväter Clemens Romanus (+102), Iraeneus (135-202), Origenes (185- 254), Tertullianus (150-222), Hieronymus (345-420), Augustinus (354-430)] und nach den Reformatoren, auch alle reformierten Glaubensbekenntnisse (II. Helvetisches Bekenntnis 1566, Französisches Bekenntnis von La Rochelle 1559, Dordrechter Bekenntnis 1619, Westminster Bekenntnis 1677) die Inspiration der Heiligen Schrift in dem Sinne bekannten, dass der Heilige Geist die Verfasser der Bibel beim Niederschreiben des ursprünglichen Bibeltextes so inspiriert hatte, dass er ihnen die zutreffendsten Worte eingab, und nicht zuließ, dass ein Irrtum dazu gelangte. (Und wenn wir schon bei den Glaubensbekenntnissen sind, möchte icheinige Zeilen aus dem 1662 entstandenen Debrecen-Egervölgyer Bekenntnis zitieren, dem ersten von ungarischen Verfassern stammenden Bekenntnis derUngarischen Reformierten Kirche (das die Forscher zu den besten der nach der Reformation entstandenen Bekenntnisse zählen). „… der Heilige Geist lehrte, Christus inspirierte durch Seinen Geist die heiligen Propheten, sprach und teilte ihnen die himmlische Wissenschaft Da allein Gott dessen Urheber ist, ist sie nicht aus menschlichen Dichtungen zusammengestückelt, sie ragt mit ihrer Wahrheit hervor, mit ihrer Klarheit überragt sie menschlichen Verstand, Klugheit und Geist, lässt die Dichtungen der Menschen nicht gelten.“ In Kenntnis dieser, ist Calvins Meinung noch besser verständlich: „Der Heiligen Schrift sind wir die gleiche Hochachtung schuldig, wie Gott, weil sie allein nur von Ihm stammt und nicht mit Menschlichem vermischt wurde.“(Corpus Reformatorum. Calvini opera LII. 383)
4.1 Heute weiß jeder Informatiker, dass für die unmissverständliche Mitteilung der Gedanken, nicht irgendwelche Worte genutzt werden können, da die Worte Informationsträger sind. Wenn man die Information tragenden Worte zerschlägt oder vertauscht, wird auch die Information selbst zerschlagen! Natürlich behaupteten weder Calvin, noch die erwähnten Personen, dass die Bibel keinen menschlichen Faktor besitzt. Sie wollten nur betonen, dass der menschliche Faktor den göttlichen nicht verdorben und auch nicht entstellt hat! Das Wunder der Inspiration ist eben darin zu sehen, dass Persönlichkeit, Bildung und Kultur der Verfasser der Bibel auch beim Schreiben nicht verschwanden, im Gegenteil, der Heilige Geist machte sie, obwohl sie Sünder waren, für das Niederschreiben der Offenbarung
4.2 Aus all dem folgt logisch, dass es ohne den Heiligen Geist keine niedergeschriebene Offenbarung gibt. Da der Urheber der Bibel der Heilige Geist ist, tritt er mit dem Anspruch der für alle Zeiten geltenden normativen Offenbarung Gottes auf, die mit ihrer Geschichtlichkeit und ihrer Niederschrift im Raum und in der Zeit steht. Wir sollten uns an alle mit dem Anspruch der Ausschließlichkeit und der göttlichen Autorität von Jesus gesagten Taten und Worten erinnern. Die Reformatoren erklärten, ausgehend von der Evidenz der Urheberschaft des Heiligen Geistes als Grundprinzip der Erklärung der Heiligen Schrift: die „Analogie des Glaubens“ (analogia fidei): Scriptura sacra sui ipsius interpres (Die heilige Schrift legt sich selbst aus).
5. Da wir (am Anfang unseres Vortrages) behauptet hatten, dass die Bibelkritik ein Angriff gegen die Offenbarung und damit gleichzeitig auch gegen die Christologie, Soteriologie und Pneumatologie ist, möchte ich noch in einigen Gedanken meine Behauptungen bekräftigen und formulieren, was wir im ungarischen Bibelbund über das Verhältnis von Bibel (bzw. Wort) und dem Heiligen Geist
5.1 Unsere Ansicht möchten wir aus folgenden Gründen auch auf dieser Konferenz klar formulieren:
a) Seitens der die liberale Geschichtskritik vertretenden Theologen ist auch in Ungarn häufig die zynische Anklage zuhören, dass die bibeltreuen Christen in der Bibel einen Papierpapst anbeten. Sie argumentieren mit dem Bibelvers nach dem geschrieben steht, „der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2.Kor 3,6). Damit wollen viele unseren auf dem niedergeschriebenen Wort Gottes basierenden Glauben erschüttern. (Ich möchte jetzt auch nicht darauf eingehen, dass derjenige, der dieses Bibelwort im erwähnten Zusammenhang zitiert, noch einmal die Prüfung aus Exegese und Hermeneutik ablegen müsste.)
b) Auch in Ungarn ist die von Barth vertretene existenzielle Theorie, die die Heilige Schrift, das Wort, Christus und den Heiligen Geist voneinander trennt, weit verbreitet und diese Theorie raubt der Bibel praktisch deren Divinität.
c) In Ungarn ist auch in den protestantischen Kirchen die charismatische Bewegung vorhanden und wirksam. Gemäß der neuesten, von vielen anerkannten Lehre der neoevangelikalen Bewegung, kann der Heilige Geist den Gläubigen auch unabhängig von der Bibel (vom Wort) (sogar eine weitere) Offenbarung mitteilen. Sie betonen häufig, dass der Mensch nach der Bekehrung noch an einer Taufe des Heiligen Geistes teilhaben muss. Viele fragen: Wie können wir in uns ein Tor für die Wirkung des Heiligen Geistes öffnen, damit wir zu solchen Erfahrungen und Erlebnissen gelangen, die den Menschen zu einem Christentum höherer Stufe verhelfen. Auch in pietistischen oder neoevangelikalen Kreisen fragen viele erneut, wie sie den Heiligen Geist erhalten können, wie sie direkt mit Gott, mit Christus zusammentreffen können, worauf die Antwort meistens lautet: Suche die Ruhe, entleere dich, warte auf eine besondere Erfahrung, meditiere, bete usw.
5.2 Unter Berücksichtigung dieser Gründe und Fragen sind wir der Ansicht, dass die auf die Frage des Verhältnisses von Bibel, Christus (Wort) und den Heiligen Geist gegebene klare, biblische Antwort nicht umgangen werden
a) Zahlreiche, nur auf der trinitarischen Grundlage zu erklärende Bibelworte des Alten und des Neuen Testaments beweisen, dass Gott sich zu erkennen gab, sowohl mit dem durch die Propheten verkündeten, später niedergeschriebenen Wort, als auch mit der Person und den Worten von Jesus Christus. (5.Mo 17,9-11; Ps 33,6. Sach 7,12; Apg 7,51-52; Mt 8,16; Mt 12,28; 2.Petr 1,21; 1.Joh5,7.
b) Die Wiedergeburt erfolgt immer durch den Heiligen Geist und das Wort, welche voneinander untrennbar sind. Sie erfolgt niemals unter Wirkung des unabhängig vom Wort eingreifenden Heiligen Geistes! (Joh 3,3-5. 1.Petr 1,23; Tit 3,5;) Da der Heilige Geist Christi Geist ist, haben wir, wenn wir Gottes Wort lesen, hören und daran glauben, Teil an Christus, der das Leben ist (Joh 14,23; 15,7b).
c) Das Innewohnen von Jesus (bzw. des Heiligen Geistes) in uns erfolgt also durch die Annahme des Wortes, nicht auf einem vom Wort unabhängigen mystischen Weg (Joh 6,63; Joh 8,31; 8,51;15,4;7).
Auf dieser Grundlage bekennen wir, dass der Heilige Geist und die Bibel (das Wort) voneinander untrennbar sind. „Der Heilige Geist ist als göttliche Person natürlich mehr als das biblische Wort, aber bei der Frage nach dem „wie“ (der Art und Weise) seines Wirkens heißt die biblische Antwort: mit bzw. als Wort Gottes (damit ist sowohl das biblische Wort Gottes in „soteriologischer Dimension [sola et tota scriptura]“ als auch das uns verborgene „nicht-biblische Wort Gottes“ in „geschöpflich-pantokratischer Dimension“ gemeint).“ Deshalb glauben wir an die Divinität der Bibel.
D.h., dass der Heilige Geist seine soteriologische Wirkung durch das geschriebene Wort (bzw. durch dessen Verkündung) entfaltet, durch das Wort zu uns kommt, durch das Wort den Glauben erweckt, zur Bekehrung führt, uns Gottes Willen mitteilt, durch das Wort heiligt und zum ewigen Leben führt.
Damit wollen wir nicht behaupten, dass der Heilige Geist nicht auch auf direkte Weise, d.h. auch unabhängig von der Bibel, auf dem Wege der allgemeinen Gnade indieser Welt wirken könnte. Wenn wir jedoch fragen, ob die Heilige Schrift der einzige Weg für den Heiligen Geist ist, um zu uns zu gelangen, Christus zu verkünden und die Erlösung in uns zu erwirken, antworten wir mit Ja.
Schlussfolgerung: Gott offenbart einen Wortcharakter und handelt als bzw. mit seinem machtvollen, kräftigen und geisterfülltem Allmachtswort. Dadurch bekommt das uns Menschen zugängliche Wort – die Bibel – eine noch wichtigere Bedeutung, da Gott mittels des Wortes zu uns kommt, bei uns gegenwärtig ist (Apg 20,32) und so (und nur so!) an und in uns wirkt (1.Thess 2,14), weil das vollkommen klar (5.Mo 29,28ff.) und ausreichend für unser (geistliches) Leben ist (2.Tim 3,15-17).
Wer also das geschriebene Wort, die Bibel, angreift oder auch kritisiert, der greift Christus an, der durch das Wort zu uns kommt und betrübt den Geist von Christus, der die Verfasser des Alten und des Neuen Testaments sowie deren Schriften inspiriert hatte (1.Petr 1,11)! Deshalb behaupten wir, wer die Bibel angreift, greift deren Herz an: die Christologie, die Soteriologie und die Pneumatologie.
Wir glauben fest, dass nur das lebendige Wort und nicht die sich als wissenschaftlich proklamierende Bibelkritik, die christlichen Gemeinden bewahrt. Wer das nicht glaubt oder nicht ernst nimmt, auf dessen Wort werden die Jesus Schafe nicht hören. James I. Packer schreibt über die liberale Bibelkritik:
„… erstens hat sie die Predigt untergraben… zweitens die Lehre unterhöhlt… drittens den Glauben geschwächt… viertens die Laien entmutigt, die Bibel zu lesen… fünftens, Christus aus dem Mittelpunkt gerückt und dem Blick entzogen.“
Wir sind der Meinung, dass alle Prediger und ihre Lehrer über diese Ausführungen, auch hinsichtlich der gegenwärtigen traurigen spirituellen Situation der europäischen christlichen Kirchen und Gemeinden nachdenken sollten.
Literatur
Kálvin, J. A Keresztyén Vallás Rendszere 1559 (Ref. Főiskolai Nyomda, Pápa, 1900)
Kaiser, Bernhard, Christus allein – Ein Plädoyer für den evangelischen Glauben (Verlag der Ev. Luth. Gebetsgemeinschaften: Bielefeld) (Ausführlicher Beitrag zur Soteriologie)
Kaiser, Bernhard, Studien zur Fundamental-Theologie I. (VTR, Nürnberg, 2005.)
Kaiser, Bernhard, Pneumatologia, Selye János Egyetemi jegyzet, Komarno (Handschrift)
Packer, James I., Wie Gott Vorzeiten geredet hat…(Verlag der Liebenzeller Mission, Bad Liebenzell, 1988)
Senk, Ronald. Das Schwert des Geistes – Der Zusammenhang von Heiligem Geist und Gottes Wort in der Heiligen Schrift (www.betanien.de)