Frage:
Steht in Hesekiel 28,13, dass Handpauken und Flöten im Himmel erschaffen wurden?
Antwort:
Diese Frage wurde mir in einer langen E-Mail mit Anfragen an die Neue Evangelistische Übersetzung zugesandt. Das ist für mich immer Anlass neu über einen Vers nachzudenken und die Fakten zu prüfen.
An und für sich ist das ja ein reizvoller Gedanke, dass der Vorläufer aller Rhythmusinstrumente schon im Himmel vor der Zeit existierte.
Wer allerdings in seiner Bibel nachschlägt, wird die Musikinstrumente im angegebenen Vers möglicherweise gar nicht finden. Da müsste man schon eine ziemlich alte Lutherbibel bemühen (vor 1912), die alte Elberfelder (1905) oder die neuere Revision der Schlachter (2000), die sich – nicht nur hier – an Luthers Vorlage orientiert. Dort findet man im letzten Teil des Verses diesen Satz:
Am Tag als du geschaffen wurdest, mussten da bereitet sein bei dir deine Pauken und Pfeifen. (Luther 1912)
Deine kunstvoll hergestellten Tamburine und Flöten waren bei dir; am Tag deiner Erschaffung wurden sie bereitet. (Schlachter 2000)
Die ursprüngliche Schlachterbibel hatte die betreffenden Worte aber so wiedergegeben:
… und aus Gold waren deine Einfassungen und Verzierungen an dir gearbeitet; am Tage deiner Erschaffung wurden sie bereitet. (Schlachter 1951)
Die neue Lutherbibel übersetzt:
Von Gold war die Arbeit deiner Ohrringe und des Perlenschmucks, den du trugst; am Tag, als du geschaffen wurdest, wurden sie bereitet. (Luther 2017)
Die sehr genaue Elberfelder Bibel übersetzt von Vers 12 an so:
Du warst das vollendete Siegel, voller Weisheit und vollkommen an Schönheit, 13 du warst in Eden, dem Garten Gottes; aus Edelsteinen jeder Art war deine Decke: Karneol, Topas und Jaspis, Türkis, Onyx und Nephrit, Saphir, Rubin und Smaragd; und Arbeit in Gold waren deine Ohrringe und deine Perlen an dir; am Tag, als du geschaffen wurdest, wurden sie bereitet. 14 Du warst ein mit ausgebreiteten Flügeln schirmender Cherub, und ich hatte dich dazu gemacht. (REÜ 2013)
Was ist hier los? Weshalb wollen die meisten neueren Bibelübersetzungen nichts mehr davon wissen, dass Pauken und Flöten im Himmel geschaffen wurden?
Nun, sicher ist zunächst, dass das alles mit Bibelkritik nichts zu tun hat. Es ist ein Übersetzungsproblem, das man nur durch Vermutungen oder gar nicht lösen kann. Die Elberfelder Bibel merkt zu beiden strittigen Begriffen an: Die Bedeutung des Wortes ist unsicher. Die Übersetzung hat versucht, sich ihr vom Textzusammenhang her zu nähern. Wo liegt das Problem?
Tupächa = deine Handpauken?
Das erste Wort (Hebräisch: tof), das in den verschiedenen Übersetzungen mit „Pauken“, „Tamburinen“, „Einfassungen“ oder „Ohrringen“ wiedergegeben wird, wird in anderen Zusammenhängen der Bibel tatsächlich mit „Handpauke“, „Handtrommel“ oder „Tamburin“ übersetzt. Das ist immerhin 16 Mal der Fall, allerdings immer in musikalischen Zusammenhängen. Warum ist es dann bei Hesekiel nicht so?
Für die Bedeutung eines Wortes ist der Zusammenhang maßgebend.
Es gibt einen wichtigen Grundsatz, der für die Bedeutung eines Wortes maßgebend ist, und das ist der Zusammenhang. Dasselbe Wort kann in einem anderen Zusammenhang tatsächlich eine andere Bedeutung haben. Deshalb finden wir in Wörterbüchern häufig mehrere Bedeutungen für ein Wort. So kann das deutsche Wort Becken 1. ein Wasch- oder Toilettenbecken meinen, 2. ein Schwimmbecken oder Bassin, 3. eine Senke oder Mulde auf der Erdoberfläche, 4. den Teil eines Körpers von der Taille bis zum Ansatz der Oberschenkel (es ist schlimm, wenn man sich das Becken bricht), 5. ein Musikinstrument aus zwei tellerförmigen Metallscheiben.
In der Bibel ist das nicht anders. So kann das hebräische Wort ajil = Widder einen Schafbock meinen, einen Machthaber, einen großen Baum oder einen vorspringenden Wandpfeiler. Es ist ein Synonym für Stärke unterschiedlicher Art.
Das fragliche hebräische Wort bedeutet nur in musikalischen Zusammenhängen immer Handtrommel. Deswegen bleibt die Übersetzung in Hesekiel 28,13 uneindeutig.
Es ist immer der unmittelbare Zusammenhang, in dem das Wort seine konkrete oder übertragene Bedeutung bekommt. Deswegen bedeutet das hebräische Wort tof in musikalischen Zusammenhängen (also da, wo gesungen oder getanzt wird oder noch andere Musikinstrumente aufgeführt werden) immer eine Handpauke, Handtrommel oder Tamburin.
Davon kann in Hesekiel 28,13 aber keine Rede sein. Hier wird die Schönheit eines Cherubs beschrieben, dessen Gewand mit Edelsteinen jeder Art geschmückt war, und der zwischen feurigen Steinen umherging. Von Musik ist weit und breit keine Rede. Aus diesem Grund sind viele Sprachwissenschaftler der Meinung, dass das Wort hier etwas anderes bedeuten muss.
Nekabächa = deine ???
Das zweite Wort (Hebräisch: näkäb) kommt in der ganzen hebräischen Sprache nur ein einziges Mal vor (hapax legomenon) und zwar hier in Hesekiel 28,13. Schon von daher weiß niemand, was es wirklich bedeutet. Die Wörterbücher vermerken gewöhnlich, dass es ein (unbekannter) Fachausdruck der Goldschmiedetechnik sein muss, denn der Zusammenhang bei Hesekiel lässt nichts anderes zu.
Die hebräischen Worte, die sonst mit Pfeife oder Flöte wiedergegeben werden, heißen chalijl (Jes 5,12) oder uwgab (1Mo 4,21). Bemerkenswert ist, dass diese Begriffe auch in Kombination mit Tamburin vorkommen. Aber keins davon steht in Hesekiel 28,13? Gibt es vielleicht ein drittes hebräisches Wort für Flöte? Das ist aber sehr unwahrscheinlich und auch der Zusammenhang bei Hesekiel spricht dagegen.
Ob es sich andererseits aber wirklich um Ohrringe und Perlen handelt, um Einfassungen und Verzierungen, um etwas, das erhöht und vertieft ist, wissen wir auch nicht.
Fazit
Kein Übersetzer weiß wirklich, was in diesem Satz von Hesekiel 28,13 gemeint ist. In solch einem Fall ist es am sichersten, sich mit seiner Vermutung an den Zusammenhang anzulehnen, wie es die Elberfelder Bibel in vorbildlicher Weise in der Fußnote zum Vers tut. – Also doch keine Trommeln im Himmel.