Vom 23. bis 27.10.2020 fand in den Christlichen Gästehäusern in Rehe (Westerwald) die 11. Bibelbund Konferenz statt. Ein Dutzend Referenten sowie einige Workshopleiter boten ein breites Spektrum an Themen, mit dem die Teilnehmer in ihrem Vertrauen auf die Bibel als Gottes immer noch gültiges Wort ermutigt wurden. Durch die Tagung zog sich nicht nur eine sehr humorvolle und warmherzige Atmosphäre, sondern auch ein hohes intellektuelles Niveau. Also Futter für Hirn und Herz, die gleichermaßen in einen befreiten „Swing“ versetzt wurden. Leider kann ich hier nur ein paar persönlich wichtig gewordene Schwerpunkte in eigener Reflektion wiedergeben (nicht erwähnte Referenten mögen es mir nachsehen), es lohnt sich aber unbedingt das Nachhören und Weitergeben der käuflich erwerbbaren mp3-CD. Es würde sich lohnen, alle Referate in jährlichen Sammelbänden abzudrucken, weil zeitlose theologische Fragen genauso wie Beobachtungen zum aktuellen Geschehen in Theologie und Gesellschaft gleichermaßen fundiert dargestellt werden.
Zu Beginn eines jeden Tages wurden wir häppchenweise mit dem Galaterbrief vertraut gemacht. Wussten Sie, dass die Briefempfänger wahrscheinlich ausgereiste Franzosen („Gallier“) waren, die ungefähr im Süden der heutigen Türkei Heimat fanden? Sie mussten von Paulus ermahnt werden, die in Christus gewonnene Freiheit nicht wieder durch einen Rückfall in alte Regeln und Gewohnheiten – eine alte menschliche Schwäche – zu verlieren. Treffend passte deshalb auch der Galaterbrief zum Thema der Konferenz: „Befreit leben, versöhnt mit Gott“. Der Theologe und Informatiker Dr. Benjamin Lange zeigte uns in einer auch schauspielerisch herrlich dramatisierten Grafik („Groll-O-Meter“), mit welcher Leidenschaft Paulus um die ihm lieb gewonnene Gemeinde rang.
Der Althistoriker und frühere Leiter des Instituts für Glaube und Wissenschaft, Dr. Jürgen Spiess, bot uns einen sehr persönlich gehaltenen best-of-Vortrag seiner wohl tausenden von Ansprachen und Diskussionen vor und mit Akademikern. Gerade aus der Sicht eines Althistorikers gibt es viele Beweisanzeichen, die die Auferstehung Jesu als tatsächliche historische Tatsache plausibel erscheinen lassen. Nur muss man dann eben auch den Glaubensschritt wagen, sich existenziell darauf einzulassen, denn „es gibt kein Leben aus der Distanz“.
In gewisser Weise wurde so auch ein Bogen gespannt zu Leben und Werk von C.S. Lewis. Wie uns nämlich Dr. Berthold Schwarz, Dozent an der Freien Theologischen Hochschule Gießen, nahebrachte, war es eine der besonderen Fähigkeiten dieses einzigartigen Apologeten, Menschen in einer feinen Art und Weise „in die Zange zu nehmen“. Immer wieder malte er seinen Lesern und Zuhörern die existenzielle Bedeutung von Wahrheiten und Gedankenschlüssen so vor Augen, dass sie merkten, dies kann nicht ohne Konsequenz bleiben und verlangt eine Entscheidung. Durchmogeln ist vor Gott und dem eigenen Gewissen auch intellektuell nicht redlich!
Was man unter der „Diktatur des Relativismus“ versteht, erläuterte derselbe Referent in einem weiteren Vortrag. Anhand von Kol. 2,8 („Lasst Euch nicht einfangen von leerem Betrug“) legte Dr. Schwarz dar, worin er im Moment eine Gefahr zur faktischen Unterdrückung von unliebsamen Meinungen durch die Mehrheit sieht. Gerade in einer Demokratie kann es geschehen, dass eine Minderheit der Gesellschaft, die aber bei Medien, Gesetzgeber und Rechtsprechung die Abstimmungsmehrheit hat, große Weichen für alle stellt und so vorgibt, was richtig und falsch sein soll. Dass wir im Moment in einer solchen Situation sind, äußerte bspw. schon 2005 der vorherige Papst Benedikt XVI. Wer sich Debatten um die political correctness und die „cancel culture“ ansieht, mag sich fragen, wie lange man noch sagen darf, dass nach biblischem Verständnis nicht alle Wege zur ewigen Seligkeit führen. Hier gibt es eine Art modernen Pranger.
Schön, wenn sich Menschen ohne großes Hinterfragen auf die Autorität der Bibel einlassen und daraus alles Wesentliche für Glauben, Leben und Sterben entnehmen. Vielen Menschen genügt dies aber nicht und sie haben das Bedürfnis, genauer zu verstehen, warum es wichtig und hilfreich ist, sich auch mit verstandesmäßigen Anfragen an Glaube und Schrift zu beschäftigen. Wertvolle Hilfestellung im Sinne einer „Apologetik der Apologetik“ gab der Lektor Ralf Kaemper. Die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern: wir sind theologisch in eine neue Epoche gekommen, in der Kernwerte und Glaubenswahrheiten, die Juden und Christen jahrtausendelang aus der Schrift entnahmen und apologetisch verteidigten, nicht mehr gelten sollen. Viele Gemeinden und Werke sind herausgefordert, sich neu zu entscheiden, wobei leider die alte menschliche Sünde des Verdrängens und Vermeidens zerstörerische Psychokräfte entfaltet und sich dabei geschickt als Toleranz tarnt. Schleiermacher scheint so zunehmend unter Evangelikalen aktuell: „Die Offenbarung ist keine von oben her gekommene außerordentliche Mitteilung, sondern das Bewusstwerden des eigenen inneren Lebens und einer neuen Anschauung des Unendlichen“. An die Stelle von Ringen um Wahrheit tritt eine Art Religionsgefühl. Die Bibel fordert uns zur Apologetik auf, und unsere Liebe zu Gott schließt auch unser Denken ein. Es mag verblüffen, aber Jesus war genau betrachtet auch stark apologetisch unterwegs. Sehr oft argumentiert er für seinen Anspruch. Dabei hat Apologetik auch eine Friedenswirkung, denn wer argumentiert, schlägt nicht. Apologetik ist auch ein seelsorgerlicher Liebesdienst, weil sie besonders junge fragende Menschen ermutigt.
Allerdings hat sie auch Grenzen, denn wir können niemanden in den Himmel hineinargumentieren. Und wir müssen überlegen, wo und wie wir uns einsetzen. Zum einen müssen wir nicht über jedes Stöckchen springen, das uns hingehalten wird, zum anderen müssen Christen aber auch manchmal Widerstand leisten. Immerhin waren die meisten Briefe des NT auch Aufforderung an die Empfänger, Irrlehren aus der Gemeinde herauszuhalten.
Neben dem Thema des Schutzes für das ungeborene Leben gibt es in Gesellschaft, Medien und Politik nach meiner Beobachtung kein anderes so heißes Eisen wie die praktizierte Homosexualität. Letzteres ist auch nachvollziehbar, weil neuerdings fundamental in die Schöpfungsordnung, wonach die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau das durch die ganze Bibel sich widerspruchslos durchziehende partnerschaftliche Lebensmodell ist, eingegriffen wird. Dabei spüren die Menschen in ihrem Gewissen, dass hier inzwischen etwas nicht mehr ganz rund läuft. Ein Riss auch in der evangelikalen Glaubensszene konnte entstehen, weil Christen nicht früh genug klar, freundlich und konsequent „Nein“ gesagt haben. Sie hätten sich einfach nur dem jahrtausendealten Verständnis von Christen, Juden und auch überwiegend der säkularen Gesellschaft anschließen müssen. Vom Anfang bis zum Ende der Schrift, so zeigte Prof. Friedhelm Jung vom Bibelseminar Bonn, offenbart sich Gott seinem Wesen nach gerade in der Spannung des Zusammenlebens von Mann und Frau in der Ehe, auch wenn Singlesein dadurch keinesfalls abgewertet werden soll. Interessant, dass uns jüngst moderne Bibelversteher erklären wollen, dass man entgegen dem klaren Wortlaut, dem roten Faden und oft wohl aufgrund eigener biografischer Betroffenheit die biblische Ethik jetzt so verstehen muss, dass das Bibelverständnis zur säkularen, heidnischen Mehrheitsmeinung passt. Ich kenne das Phänomen aber aus dem Berufsleben: Man beschäftigt sich so lange mit einer bestimmten Sichtweise eines Falls, dass man die Orientierung verliert und erst bei Gericht kurz und klar auf das hingewiesen werden muss, was doch jedermann klar vor Augen steht.
Unter dem Titel „Wenn das Evangelium fehlt – wie die gute Nachricht Gemeinden wiederbelebt“ gab Ron Kubsch, eifriger Blogger und Studienleiter am Martin Bucer Seminar, seiner Beobachtung der Gründe geistlich kraftloser Gemeinden Ausdruck. Wenn nicht klar über Buße und Umkehr gesprochen wird, fehlt es an Bekehrungen. Christsein wird oft nur noch als etwas beworben, was das Leben angenehmer macht („Jesus statt Yoga“) und mehr eine therapeutische Funktion hat. Kirchen verlieren ihr Alleinstellungsmerkmal und ihre Kompetenz, wenn sie sich statt mit dem Erstrangigen im Übermaß mit dem Zweitrangigen beschäftigen. Ein moralisches Pseudoevangelium fördert narzisstische Haltungen und bringt Parteiungen, die nicht klar ausgesprochen und geklärt werden, anstelle heilsamer Gemeinschaft. Gerade wenn die Kirchen hier die Prioritäten nicht vertauschen, können sie – wie schon manchmal in der Geschichte – zu großen sozialen Wohltaten beitragen oder diese sogar auslösen.
Die Ethik will festlegen, was richtig und was falsch ist für ein gutes Leben. Bewusst oder unbewusst folgen wir alle bei solchen Bewertungen inneren Leitbildern (z.B. „es war schon immer so, es ist nützlich, es ist vom Gesetzgeber gesetzt und deshalb zu befolgen“). Thomas Jeising warb dafür, Ethik aus der Bibel zu nehmen. Will man dem Menschen in allen Facetten seines oft nicht gerade verlaufenden Lebenswegs gerecht werden, ist dies natürlich anstrengender als eine 08/15-Regel. Denn die Bibel ist kein ausgeklügeltes Gesetzbuch, sondern setzt Maßstäbe, innerhalb deren Rahmen wir aber dann auch Freiheit erleben. Gerade in diesen Grenzen segnet Gott (vgl. Psalm 147,13 ELB: „Er schafft Frieden in deinen Grenzen“).
Zwischen aller intellektuellen Inspiration wandten sich die Konferenzteilnehmer aber auch den in existentiellen Nöten lebenden Menschen zu, die unsere Probleme sicher gerne hätten. Mitarbeiter des Missionswerks Vishwa Jyoti, welches durch eine Sammlung unterstützt wurde, berichteten von manch schlimmen Zuständen in Indien, wo viele Menschen unter Hunger, Verfolgung durch radikale Hindus und medizinischer Unterversorgung leiden.
verfasst von Dr. Ingo Friedrich