ThemenBibel und Gemeinde, Ethische Themen

Am Anfang war es so! Die Schöpfung und sexualethische Normen

Durch den Schöpfungsbericht wird eine Schöpfungsordnung vorgezeichnet. Von dieser Grundlage müssen wir auf einige sexualethische Normen schließen. Dass diese in der Bibel eine so große Rolle spielen, hat offenbar nichts mit Ablehnung von Sexualität zu tun, sondern ist ein Ausdruck des Zusammenhangs des Wesens Gottes mit der Geschlechtlichkeit des Menschen. Weil Gott etwas von seinem eigenen Wesen im Menschen abbildet, müssen auch wir dem hohe Beachtung schenken, in sexualethischer Hinsicht Gottes Maßstäben zu genügen.

In seinem 1998 veröffentlichen Buch „The Gifts of the Jews” skizziert der Historiker Thomas Cahill auf eindrückliche Weise, was die abendländische Zivilisation dem Volk Israel und ihrer Religion alles zu verdanken hat. „Mit den Juden fing alles an“, lautet der erste Satz.1 Cahill meint damit unser Wertesystem und unsere Empfindungen – überhaupt die Art und Weise, wie wir die Welt betrachten.

Zu den „Gaben der Juden“ gehören (neben vielen anderen) eine bestimmte Auffassung vom Wesen Gottes – heute spricht man (leider nicht ganz ohne unerwünschte ideologische Nebenwirkungen) vom „Gottesbild“ – und eine verhältnismäßig strenge und für viele in der Umwelt eigentümliche Sexualethik. In der Antike wusste man – dank ihrer erstaunlichen Fähigkeit, auch in der Zerstreuung ihre Identität über Jahrhunderte zu bewahren – weit über die Grenzen Palästinas hinaus über die Juden, dass sie nur einen Gott anbeten. Sie behaupten sogar, dass es nur diesen einen Gott gibt.2 Die Literatur der Juden in der Diaspora weist regelmäßig auf die hohen sexualethischen Maßstäbe hin, die sie im Gegensatz zu den Völkern, unter denen sie leben, einzuhalten versuchen.3 Was man dabei leicht übersieht: Die Auffassung der Juden vom Wesen Gottes bedingt in hohem Maß ihre sexualethischen Überzeugungen. Das heißt aber auch: Die sexualethischen Normen bringen der Bibel zufolge auch Wesentliches über Gott zum Ausdruck.

Sex in der Welt der Götter

Die biblische Auffassung von der Schöpfung unterscheidet sich von der aller anderen Völker im Alten Orient.

Grundlegend für diese Ansicht ist das Verhältnis Gottes zu der Schöpfung überhaupt, wie die Bibel sie versteht. Hier liegt eine weitere wichtige „Gabe der Juden“ vor, denn die biblische Auffassung dazu unterscheidet sich grundlegend von der aller anderen antiken Religionen.4 In der Umwelt Israels gab es keine eindeutige Markierungslinie zwischen „Gott“ und „Materie“. Gemäß der Vorstellung der Völker im Alten Orient existierte am Anfang eine Art Ursuppe, aus der sowohl der Kosmos als auch die Götter hervorgingen. Die Götter verkörpern den Kosmos und sind teilweise identisch mit ihm.5 Sie haben somit Anteil an den Prozessen der Welt, was die geschlechtlichen Handlungen einschließt.6 Vater Himmel verkehrt mit Mutter Erde. Götter treiben es miteinander, und menschliche Sexualität spiegelt in all seinen Varianten dieses „göttliche Verhalten“ wider.

Es versteht sich von selbst, dass sich aufgrund dieser Auffassung des Verhältnisses der Götter zur Welt keine normative Sexualethik begründen lässt, und in der Regel versuchten pagane Völker das erst gar nicht. Sexuelle Normen unterlagen dann gesellschaftlichen Konventionen, die die Götter zwar bejahen und deren Bruch sie bestrafen, aber die sie selbst nicht immer einhalten. Theologie und Ethik, besonders die Sexualethik, stehen in den Vorstellungen der Völker der Antike in keinem ursächlichen Verhältnis zueinander.

Sexualität ist übrigens nach diesem Weltbild schlecht, wenigstens aus kosmischer Perspektive. Das implizit pantheistische Moment antiker Religionen – das Göttliche und das Materielle sind ineinander verwoben – bedeutet, dass der Kosmos nach Vereinheitlichung strebt, das heißt unter anderem nach der Überwindung geschlechtlicher Unterscheidung. Denn diese Differenzierung ist eigentlich ein Fehler im System.7

Der Urmensch sei androgyn gewesen; das Urproblem sei die Abspaltung des Weiblichen; der Kosmos komme erst zur Ruhe, wenn dieses Problem gelöst wird. Sexuelles Verlangen zwischen Mann und Frau spiegelt in manchen antiken Vorstellungen den Drang des jeweils Männlichen und Weiblichen im Kosmos wider, sich zu vereinen.8 Ihre körperliche Vereinigung im Geschlechtsakt veranschaulicht das unabänderliche Streben des Universums: die Wiederherstellung eines undifferenzierten Ganzen.

Der Gott der Bibel und die Bedeutung menschlicher Sexualität

Wie anders ist da das biblische Bild. Mit dem ersten Satz der Bibel wird eine neue und revolutionäre Sicht der Wirklichkeit verkündet: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Zwischen dem Göttlichen und dem Materiellen besteht eine grundsätzliche Trennung. Die Markierungslinie zwischen diesen beiden Kategorien ist fettgedruckt. Gott ist ein nichtmaterielles Geistwesen, das ewig existiert. Der Kosmos besteht aus Stoff, den Gott geschaffen hat, und verdankt ihm gänzlich seine Existenz. Die Beachtung dieser prinzipiellen Unterscheidung zwischen Gott und dem Kosmos gehört zu den wichtigsten Anliegen alttestamentlicher Religion.

Das Bilderverbot im Dekalog beruht darauf, dass durch die bildhafte Darstellung Gottes im kultischen Kontext die Trennlinie zwischen Göttlichem und Materiellem zu verschwimmen beginnt. Deswegen ist Götzendienst aus biblischer Sicht ein ernsthaftes Vergehen: Er muss falsche Auskunft über Gott geben.

Die Beachtung der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Gott und dem Kosmos gehört zu den wichtigsten Anliegen alttestament­licher Religion.

Welche Bedeutung haben nach dieser Auffassung des Verhältnisses Gottes zu der Schöpfung die geschlechtliche Unterscheidung des Menschen sowie die davon abhängige, das menschliche Leben so stark bestimmende Sexualität? Die Antwort altorientalischer Religionen war klar und in sich schlüssig: sie leiten sich von der Beschaffenheit des Kosmos ab. Sie ist übrigens darin mit der evolutionären Biologie einig; für die moderne Wissenschaft ist jedoch der Kosmos rein materialistisch aufzufassen, und somit hat die Geschlechter­unter­scheidung eine rein naturalistische und letztlich evolutionär-pragmatische Ursache.

Wiede­rum ist die Antwort der Bibel revolutionär: Die grundsätzliche Unter­scheidung zwischen Mann und Frau – mit anderen Worten menschliche Sexualität – ist nicht vom Kosmos ableitbar, sondern Ausdruck des Wesens Gottes!

Dabei fällt seltsamerweise auf: Die Geschlecht­lichkeit der Tiere in der Schöp­fungsgeschichte findet keinerlei Erwähnung, obwohl diese in biologischer Hinsicht in der Tierwelt genauso wichtig ist wie bei den Menschen. Nur für den Menschen gilt sie als wesentlich im Sinne von wesensbestimmend.

Von den Tieren heißt es lediglich, dass sie „nach ihrer Art“ geschaffen wurden (1. Mose 1,21.24-25), als sei die geschlechtliche Unterscheidung bei ihnen nebensächlich und somit nicht nennenswert. Bei den Menschen allein wird die Geschlechterdifferenzierung als grundlegend für ihre Identität betrachtet.

Sexualität und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen

Noch erstaunlicher ist: Gerade in der Geschlechterdifferenz besteht ein wesentlicher Aspekt ihrer Gottesebenbildlichkeit. Das behauptet unverblümt ein programmatischer Text aus dem Schöpfungsbericht (1Mo 1,27):

Gott schuf den Menschen gemäß seines Ebenbildes. In seinem Bild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie.

In der Geschlechter­differenz besteht ein wesentlicher Aspekt der Gotteben­bildlichkeit.

Nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sein heißt als Mann und Frau geschaffen sein: Wie bei allen Mysterien birgt dieses die Gefahr in sich, dass es gründlich missverstanden werden kann.

Man könnte zum Beispiel von dieser Einsicht ableiten, dass Gott ein sexuelles Wesen ist, dass die Geschlechterdifferenzierung auch ihn erfasst. Damit läge man aber falsch; diese gibt es bei ihm nicht.

Gott ist weder Mann noch Frau, noch ist er beides in Einem. Was in der Schöpfungsgeschichte bei der Unterscheidung der menschlichen Geschlechter zum Ausdruck kommt, lässt trotzdem aufhorchen: Gott ist ein vielfältiges Wesen, nicht monolithisch, nicht apathisch, keine bloße Kraft und auf keinen Fall nur ein Urprinzip.

Er ist eine komplexe Persön­lichkeit, die für uns immer für eine Überraschung gut ist (siehe dazu: den Rest der Bibel). Er trägt eine Komplementarität in sich– im Sinne eines auf ein Gegenüber bezogen sein –, der in der Geschlechter­dif­feren­zierung zwischen Mann und Frau Ausdruck ver­liehen wird. Hier ist bereits der Impuls zu spüren, der im NT darin zur vollen Geltung kommt, dass sich Gott als trinitarisches Wesen offenbart: ein Gott, der in drei Personen existiert.

In ihrer Geschlechterdifferenzierung spiegeln also Männer und Frauen einen überaus wichtigen Aspekt des Wesens Gottes wider. Deswegen ist ihre Sexualität wichtig. Und deswegen ist Geschlechtlichkeit auch wirklich gut!

Sexualethik ist deswegen so wichtig, weil sie einen wesentlichen Aspekt des Wesens Gottes widerspiegeln soll.

Genau deswegen erhält die Sexual­ethik in der Bibel auch eine erstrangige Bedeutung. Sie gehört aus theologischer Sicht nicht zu den so genannten adiaphora – Lehrmeinungen, über die man sich einigen kann, uneinig zu bleiben (wie zum Beispiel beim korrekten Taufmodus) – und wird auch nicht dem Bereich persönlicher Ent­scheidungs­freiheit überlassen (wie zum Beispiel das Geben oder das Fasten).

Im Gegenteil: Fast jedes neutes­tamentliche Buch enthält einen (manch­mal langen) Ab­schnitt oder mehrere Abschnitte über sexualethische Themen, die implizit auffordern: Schaut, dass ihr als Gemeinde richtige sexualethische Normen anlegt. Denn das, was ihr in diesem Bereich tut und lasst bzw. gebietet und untersagt, gibt Auskunft über Gott. Und es ist keine Bagatelle, wenn man über Gott falsches Zeugnis abgibt.

Am Anfang gab es Sex…in der Ehe

Wie sehen denn die richtigen Normen aus? Welche Art von sexuellem Verhalten gibt ein treues Bild von Gott wieder und trägt deswegen sein Gütesiegel? Das macht dem, der Ohren zum Hören hat, der Schöpfungsbericht in 1. Mose 2,18-25 ganz klar. Denn er zeigt gemäß seiner Absicht, wie Gott sich vorstellt, dass menschliche Sexualität ausgelebt bzw. in welchem Rahmen sie genossen werden soll, damit die Ebenbildlichkeit Gottes in den Menschen zur vollen Geltung kommt.

Die Geschichte geht so:

18 Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.

19 Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen.

20 Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.

21 Da ließ Gott, der Herr, eine schwere Müdigkeit über den Menschen kommen, so dass er einschlief. Dann er nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch.

22 Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

23 Und der Mensch sprach:

„Endlich! Diese ist Knochen meiner Knochen und Fleisch meines Fleisches.“

Diese wird «Frau» genannt, denn vom Mann wurde diese genommen.

24 Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.

25 Beide, Adam und seine Frau, waren ­nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.

Diese bewusst „naiv“ gestaltete Geschichte ist in so vieler Hinsicht für das biblische Menschenbild, und insbesondere für die Beziehung zwischen Mann und Frau, bestimmend, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll.

Die Schöpfungs­geschichte enthält auch einen erotischen Subtext über Adams Verlangen, das ohne Eva keine Erfüllung findet.

Unter anderem begründet sie die Würde und die Gleichwertig­keit der Frau – wieder eine revolutionäre „Gabe der Juden“ im altorientalischen Kontext. Für unsere Zwecke ist zunächst ihre starke erotische Komponente wichtig. Diese wurde in der Auslegungs­ge­schichte oft durch prüde kirchliche Interessen verdrängt, so dass wir Gefahr laufen könnten, sie völlig zu übersehen. Aber die Geschichte prickelt dank ihres erotisch aufgeladenen Subtextes. Sie deutet an, wie sexuelles Verlangen in Adam entsteht, das aber zunächst keine Erfüllung findet.

Die Span­nung steigt bei der Erschaf­fung der Frau, die der Anlass zum ersten Gedicht der Menschheits­ge­schichte ist. Zu­gegeben: Adams Gedicht lässt sich nicht mit Goethe oder Rilke vergleichen, aber es war sein erster Versuch in der dichterischen Kunst.

Einerseits will er etwas Schönes und Passendes sagen, um sich bei Gott für das wunderbare Geschenk zu bedanken; andererseits spürt man förmlich wie Adams Hormonspiegel beim Anblick der wohlgeformten Kreatur an seiner Seite steigt. Die Synapsen in seinem Hirn werden mit chemischen Substanzen überflutet, die nicht gerade hohe künstlerische Leistungen fördern und mit deren Umgang Adam ungeübt ist (das erklärt vielleicht auch viele schlechte Popsongs). Adam hat buchstäblich anderes im Kopf.

Man übersieht leicht, dass die Szene im Paradies eine Hochzeit darstellt: Gott führt die Braut zu ihrem Bräutigam und ist Trauzeuge.

Man übersieht auch leicht, dass diese eindrückliche Szene als Hochzeit ins­zeniert wird. Gott führt die Braut zu ihrem Bräutigam und dient als Trauzeuge. Adam bindet sich an Eva unwiderruflich, indem er sie in die Position eines engen Verwandten stellt: „Sie ist Knochen meiner Knochen und Fleisch meines Fleisches.“

Das erste Gedicht der Menschheit ist damit zugleich ein Ehegelübde. So fasst es jedenfalls der Erzähler auf, von dem der Kommentar in V. 24 stammt. In dieser Szene sieht er den Bund der Ehe begründet und macht ihn für alle Nachkommen Adams und Evas bestimmend: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.“ Der Mann bekennt sich öffentlich und verbindlich zu der Frau, und danach wird der Bund geschlechtlich vollzogen.

„Sie werden ein Fleisch“ bedeutet nämlich – trotz aller wohlgemeinten Versuche, diesen Satz als Entstehung einer geistlichen Einheit auszulegen – genau das, was das Bild dem schlichten Menschenverstand nahelegt: die Vereinigung des männlichen mit dem weiblichen Körper im Geschlechtsakt.

So versteht jedenfalls Paulus im Einklang der jüdischen Auslegung diese Redewendung (vgl. 1. Korinther 6,16). Der feierliche Anlass – es handelt sich ja um eine Hochzeit – gebietet dem Erzähler sein Anliegen in gehobener Sprache auszudrücken, aber im Wesentlichen ist es dies: erst das Versprechen, dann der Sex.

Sexuelle Handlungen haben ihren Platz nur in der Ehe, in der ein Mann und eine Frau sich zu einem exklusiven Verwandt­schafts­verhältnis gegenseitig verpflichtet und miteinander verbunden haben.

Welches Bild von Gott wird in dieser Geschichte bzw. in dieser Auffassung menschlicher Sexualität vermittelt? Zunächst ein durchaus zugängliches: Gott zeigt sich hier nicht – wie man seit Karl Barth zu sagen pflegt – als der „Ganz Andere“, sondern als der „Ganz Nahbare“. Implizit wird er als lebensbejahendes, seine Schöpfung in tiefen Zügen genießendes Wesen dargestellt, nicht „fromm“ im Sinne von weltfremd. Prüde ist hier keiner, auch nicht Gott.

In der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau kommt Gottes Bejahung der Vielfalt und Komplementarität zum Ausdruck. Sex wird in diesem Kontext auch zu einer bewusst gestalteten Anbetung Gottes und gewinnt einen gewissermaßen trans­zendenten Aspekt, dessen die mechanistisch wirkenden Begattungsvorgänge unter den Tieren gänzlich entbehren. Dort hat Geschlechtsverkehr, wie Adam bestimmt merkte, keine über das rein Biologische hinausreichende Bedeutung und unterliegt auch deswegen keinen ethischen Normen.

Wie anders sieht es bei den Menschen aus! In der Geschichte der Erschaffung von Adam und Eva wird der von Gott intendierte Rahmen für sexuelles Handeln festgelegt. Damit wird eine für alle Menschen zu allen Zeiten gültige Norm aufgestellt. Sexuelle Handlungen sollen demnach erfolgen, nachdem ein Mann und eine Frau, aus jeweils unterschiedlichen Familien kommend, sich gegenseitig zu einem exklusiven Verwandtschafts­verhältnis miteinander verpflichten.

Alles, was außerhalb dieses Rahmens geschieht, entspricht nicht der Intention des Schöpfers. Das umfasst voreheliche und außereheliche Beziehungen, Geschlechts­verkehr innerhalb der Ur­sprungs­familie, Geschlechts­­akte mit Tieren, polygame (ein Mann mit mehreren Frauen) und polyandre (eine Frau mit mehreren Männern) Be­ziehungs­kon­stellationen, homo­sexuelle Ver­hält­nisse (sowohl männlich als auch weiblich), implizit aber auch gewalttätige Handlungen innerhalb oder außerhalb der Ehe und den Verzicht auf Sex in der Ehe. All das machen zahlreiche Bibeltexte an anderer Stelle klar.

Die Schöpfungsgeschichte als Norm

So einfach ist es, auch wenn in letzter Zeit innerhalb christlicher Kreise unter dem Druck einer zunehmend wieder pagan gewordenen Gesellschaft öfter die Frage gestellt wird, ob die Schöpfungs­geschichte tatsächlich Normen aufstellt, wie dies die Kirche (und vor ihr die Juden) stets angenommen hat. Das betrifft verschiedene Bereiche, bei denen der bis vor kurzem geltende Konsens gehalten hatte, der aber inzwischen brüchig geworden ist.

Seit ungefähr 40 Jahren wird (in Folge der sexuellen Revolution) Sex vor der Ehe in vielen Gemeinden kaum noch kritisch betrachtet. Zumindest redet keiner mehr darüber.

Die normative Bedeutung des Schöpfungs­berichts kann nicht wegerklärt werden, weil sie durch das Neue Testament vielfach bestätigt wird.

Damit ging die Enttabuisierung der Eheschei­dung auch ohne besonders schwer­wiegenden Anlass einher und es folgte die Wiederheirat Geschiedener. Noch wesentlich jünger – so richtig ging es erst im gegenwärtigen Jahrhundert los – ist die zunehmende Akzeptanz oder zumindest die Duldung homosexueller Be­ziehungen (freilich noch unter der Vor­aussetzung, dass sie monogam geführt werden) in vielen christlichen Gruppierungen.

Implizit wird bei all diesen Entwicklungen – und ganz explizit bei Letzterer – in Frage gestellt, dass die Schöpfungsgeschichte als normativ aufzufassen ist: Es werde nur beschrieben, was konventionell als Regelfall galt, ohne andere Szenarien von vornherein auszuschließen.

Dieser Er­klä­rungsver­such scheitert aber an den biblischen Bele­gen. Denn die Schöpfungs­geschichte wird im Neuen Testament eindeutig als normierende Instanz he­ran­gezogen und sowohl von Jesus als auch von Paulus bewusst zur Schöpfungsordnung erhoben. Wir müssen uns hier mit drei Beispielen begnügen und können auch diese nur kurz beleuchten.

Matthäus 19,1-8: Als Jesus von den Pharisäern nach der Legimitation von Ehescheidung befragt wurde, weist er auf die Schöpfungs­geschichte – ausdrücklich auf die maßgeblichen Texte 1. Mose 1,27 und 2,24 – hin und schlussfolgert aus ihnen, dass das von keinem Geringeren als Mose eingeführte Scheidungsrecht von der ursprünglichen Intention Gottes bei der Schöpfung nicht ablenken darf: „Am Anfang war das nicht so.“ Ehescheidung wird nur als Zugeständnis an die Hartherzigkeit der Menschen gebilligt. Die Schöpfungs­ordnung ist für Jesus eindeutig normativ; selbst die Thora ist ihr nachzuordnen.

Epheser 5,22-33: Der Apostel Paulus hält Ehemänner an, ihre Frauen zu lieben, wie Christus die Gemeinde liebt. Sein dramatisches Vorbild bringt seiner Meinung nach den verborgenen Sinn der Ehe einschließlich ihres geschlechtlichen Vollzugs zum Ausdruck, wie das Zitat von 1. Mose 2,24 deutlich macht. Paulus gibt zu, dass die Verleihung einer überaus weltlichen Institution bzw. eines sinnlichen Geschehens mit unüberbietbarer transzendentaler Bedeutung ein Mysterion – ein Geheimnis – bleibt, auf das wir hier nicht näher eingehen können. Dass aber für ihn die Schöpfungsgeschichte eine normative Funktion für die Gestaltung der christlichen Ehe hat, kann nicht ernsthaft in Frage gestellt werden.

Römer 1,18-27: Auch wenn Paulus hier 1. Mose nicht direkt zitiert, sondern nur auf die Schöpfungsgeschichte anspielt, ist seine Sicht der Dinge klar. In der Geschichte werden Grundwahrheiten über Gott, über den Stellenwert des Menschen gegenüber der Tierwelt und über die korrekte Gestaltung des sexuellen Lebens vermittelt. Weil aber die Menschen es ablehnten, Gott gebührende Anerkennung und Anbetung entgegenzubringen, kommen in allen genannten Bereichen Verwirrungen auf. Als Beispiel für das daraus resultierende Durcheinander im Bereich der menschlichen Sexualität weist Paulus auf lesbische und schwule Beziehungen hin. Diese sind „gegen die Natur“ und somit verwerflich.

Homosexuelle Verhältnisse sind „gegen die Natur“. Das bedeutet offenbar gegen die Ordnung der Schöpfung.

Im Kontext heißt das „gegen die Schöpfungs­ordnung“ und keineswegs, wie man ab und zu hört, „gegen die sexuelle Orientierung“.9 Danach wird behauptet, Paulus habe Hetero­sexuelle im Blick, die sich auf homosexuelle Handlung einlassen und somit „gegen ihre eigene Natur“ sündigen. Diese Deutung gehört in das Kuriositäten­kabinett der Auslegungs­ge­schich­te, zumal die Konzeption einer individuellen menschlichen Natur, der man gegen gesellschaftliche Konventionen Gehorsam leisten soll, für die Antike nicht belegt werden kann.

Man könnte andere alttestamentliche und neutestamentliche Texte hinzufügen, aber diese genügen, um klar und deutlich zu machen, dass die Bibel die Schöpfungsgeschichte als normativ in Fragen der Gestaltung menschlichen Sexuallebens betrachtet.

Brauchen wir eine normative Schöpfungsordnung?

Die Zeiten haben sich verändert, werden manche sagen. Ist es wirklich so schlimm, wenn man endlich die Augen aufmacht und anerkennt, dass die in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck kommenden Werte nicht mehr von der Gesellschaft getragen werden? Brauchen Christen diese Normen noch? Die kurze Antwort lautet: Ja, denn sonst gibt es gar keine mehr.

Die Schöpfungs­ordnung ist einer von zwei Grundpfeilern für sexualethische Maßstäbe. Auf dem Liebesgebot allein können sie nicht aufbauen.

Dabei geht es nicht darum, eine Welt­­unter­­gangs­stimmung heraufzubeschwören, um Abweichler brav bei der Stange zu halten. Es geht vielmehr darum, der Tatsache ins Auge zu blicken, dass die Schö­pfungs­ord­nung einen von zwei Grund­pfeilern für den christlich sexualethischen Diskurs bildet. Der andere ist das Liebesgebot. Das ist wesentlich, reicht aber allein nicht aus, um sexualethische Maßstäbe zu setzen.

Mit Anspruch auf die Liebe können und werden nämlich viele Handlungen gerechtfertigt, die bis vor kurzem in der Geschichte der Kirche nie gebilligt wurden: Ehebruch zum Beispiel und neuerlich eben auch homosexuelle Beziehungen. Vielleicht ist es bei diesen rasanten Entwicklungen ratsam, den Fuß vom Gas zu nehmen, um kritisch zu hinterfragen, wohin wir uns bewegen.

Das Problem mit der Preisgabe einer normativen Schöpfungsordnung ist, dass man letztlich alles hinnehmen muss, was die Liebe gebietet oder zu gebieten scheint. Es erheben sich bereits Stimmen in den USA und Großbritannien, die sich für die Akzeptanz polygamer und polyandrer Beziehungen bis hin zur Legalisierung von Mehrfrauen- und Mehr­männerehen einsetzen.10

Wenn alle sich gegenseitig lieben und darauf freiwillig einlassen, was spräche ohne Schöpfungsordnung dagegen? Man hätte dafür sogar eine bessere Argumentationsbasis als für homosexuelle Partner­schaften. Letztere billigt oder befürwortet kein einziger Bibeltext; wenig­stens für die Duldung polygamer Beziehungen kann man hingegen jede Menge an alttestamentlichen Texten heranziehen. Das mosaische Gesetz regelt sie sogar!

Der Grund, warum die Kirche über Jahrhunderte hinweg dennoch einheitlich der Meinung war, dass polygame Ehen nicht in Ordnung sind, ist offensichtlich die Schöpfungsordnung. Angelehnt an die Logik Jesu in der Scheidungsfrage argumentierte die Kirche: Mag sein, dass das Alte Testament die Polygamie duldete, aber am Anfang war es nicht so. Sie entspricht nicht der ursprünglichen Inten­tion des Schöpfers, wie diese in der Schö­pfungsgeschichte zum Ausdruck kommt.

Neuerdings werden Stimmen in der Evangelischen Kirche Deutschlands hörbar, die zur Diskussion stellen wollen, ob man das Inzestverbot lockern soll. Man folgt dabei dem Ethikrat, der sich für die gesellschaftliche Duldung „einvernehmliche[r] Inzesthandlungen zwischen erwachsenen Geschwistern“ einsetzt, denn alles andere „bedeutet einen tiefen Eingriff in die sexuelle Selbstbe­stim­mung“.11

Das Liebes­gebot, das von der EKD de facto als einzig geltendes ethisches Instrumentarium anerkannt wird, kann dem in Zeiten der effektiven Geburtenregelung nichts entgegenhalten, insbesondere dann, wenn auch ein Schwangerschaftsabbruch kaum noch Bedenken auslöst.

Wiederum redet die Schö­pfungs­­­ordnung mit: So war es am Anfang nicht. Auf sexu­elle Beziehungen sollten sich gemäß des Willens des Schö­pfers nur Menschen aus verschiedenen Familien einlassen.

Wir müssen in unserer Zeit dran festhalten: Ohne Schöpfungs­ordnung gibt es keine tragfähige christliche Sexualethik.

Ohne Schöpfungs­ord­nung gibt es eben keine tragfähige christliche Sexualethik. Daran soll auch in Zeiten wie unseren festgehalten werden. Wir tun dies nicht, damit manche sich über andere erheben können, weil sie vielleicht in mancherlei Hinsicht ihr Leben (momentan) besser im Griff haben.

Die Schöpfungsordnung fordert jeden einzelnen heraus. Ihre Auslegung und Anwendung durch Jesus entpuppt alle als Schuldige, die auf unterschiedliche Weise in sexueller Hinsicht gegen den Willen des Schöpfers gehandelt haben. Die Schöpfungsgeschichte ruft uns alle zur Buße. Aber sie weist auch den Weg zu einem Leben in Fülle, wie Gott sich dieses für die Geschöpfe, die er nach seinem Ebenbild als Mann und Frau geschaffen hat, wünscht.


  1. Thomas Cahill, The Gifts of the Jews: How a Tribe of Desert Nomads Changed the Way Everyone Thinks and Feels, New York: Nan A. Talese / Anchor Books, 1998, S. 3. 

  2. Vgl. Peter Schäfer, Judeophobia: Attitudes towards the Jews in the Ancient World, Cambridge, USA: Harvard University Press, 1997, 34-64. 

  3. Vgl. Mary Rose D‘Angelo, „Sexuality“, Eerdmans Dictionary of Early Judaism, Hg. John J. Collins und Daniel C. Harlow, Grand Rapids: Eerdmans, 2010, S. 1222-1224. Für eine ausführliche Untersuchung vgl. William Loader, Making Sense of Sex: Attitudes Towards Sexuality in Early Jewish and Christian Literature, Grand Rapids: Eerdmans, 2013. 

  4. Vgl. Gerhard F. Hasel und Michael G. Hasel, „The Unique Cosmology of Genesis 1 against Ancient Near Eastern and Egyptian Parallels“, in: The Genesis Creation Account and Its Reverberations in the Old Testament, Hg. Gerald A. Klingbeil, Berrien Springs, USA: Andrews University Press, 2015, S.9-29. 

  5. Vgl. John H. Walton, Ancient Near Eastern Thought and the Old Testament: Introducing the Conceptual World oft he Hebrew Bible. Grand Rapids: Baker, 2006, S. 87-92. 

  6. Ebd., S. 104. 

  7. Sowohl für Aristoteles als auch für Platon ist die Entstehung des Weiblichen ein Defekt im Kosmos, der überwunden werden muss. Vgl. z. B. Aristoteles, De generatione animalium. 732A.28; Platon, Timaios, 42. 

  8. Vgl. Platons Geschichte von den Kugelmenschen. Symposion, 189d-193d. 

  9. Vgl. Kevin DeYoung, What Does the Bible Really Teach about Homosexuality? Wheaton, USA: Crossway, 2015, S. 49-57, insbes. 53-54. 

  10. Vgl. z. B. www.economist.com/blogs/democracyinamerica/2013/04/gay-marriage. 

  11. Vgl. die Stellungnahme des Ethikrats zum Inzestverbot am 24. September 2014, die unter www.ethikrat.org/publikationen/stellungnahmen/inzestverbot als PDF erhältlich ist. Zitate auf S. 72-73.