Immer wieder wird die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien in Frage gestellt. Stefan Gustavsson, Direktor von Apologia, dem christlichen Zentrum für Apologetik in Stockholm, räumt unaufgeregt und gründlich Einwände und scheinbare Widersprüche aus dem Weg. Er tut das mit dem methodischen Werkzeug des Historikers und dem Können eines Professors für Journalistik1. Der folgende Text orientiert sich an diesem ausgezeichneten Werk und verzichtet deshalb auf weitere Quellenangaben.
Den Blick für Fakten schärfen
Kritik an der Existenz von Jesus Christus und den Evangelien ist weit verbreitet und schnell gesprochen. Wer die Kritiker nach den Fakten fragt, wird meist mit irgendwelchen Behauptungen abgespeist. Auch die neuere aggressive Kritik, die ihren Niederschlag in einer Reihe von Romanen und Sachbüchern fand, angefangen von Dan Browns Sakrileg 2004, glänzt mehr durch Fantasie als durch Fakten. Selbst manche Theologen und Religionswissenschaftler haben einen blinden Fleck, wenn es um die Texte des Neuen Testaments geht. Aber auch diese Texte sind historisches Quellenmaterial und man kann sie nicht einfach deshalb ablehnen, weil sie in der Bibel stehen. Es ist merkwürdig, dass Skeptiker hier oft mit zweierlei Maß messen. Die erhaltenen Texte über Sokrates, Konfuzius oder Alexander den Großen nehmen sie ernst und zweifeln nicht an der Existenz dieser Personen, obwohl praktisch alle zeitgenössischen Quellen verloren gegangen sind.
Fakten sind in jedem Fall die noch vorhandenen Texte aus der Welt der Antike. Es können auch Gegenstände sein (Bilder, Inschriften, Kunstwerke, Münzen, archäologische Überreste). Schließlich kann man Schlussfolgerungen aus anderen Fakten ziehen (zum Beispiel, dass eine christliche Bewegung entsteht).
Es sind immer viele Theorien im Bezug auf die Geschichte denkbar. Aber die Theorie muss auch zum Faktenmaterial passen.
Natürlich sind viele Theorien in Bezug auf Geschichte denkbar. Es geht aber darum, wie sich eine Theorie zum Faktenmaterial verhält, also zu den Spuren, die jeder untersuchen kann. Und bereits hier versagen die neuen Theorien über Jesus.
Was allerdings die Person von Jesus betrifft, sind sich inzwischen die meisten Historiker einig, dass Jesus gelebt hat und die Evangelien viele wichtige Hinweise dafür enthalten. Denn seine Auswirkungen auf die Geschichte und seinen Einfluss auf Millionen von Menschen kann man ja nicht ignorieren.
Gründe für die Glaubwürdigkeit der Evangelien
1. Die Datierung der Texte im 1. Jahrhundert
Die Mehrheit der Theologen datiert die Entstehung der Evangelien relativ spät (zwischen 65 – 95 n.Chr.). andere argumentieren mit guten Gründen für eine wesentlich frühere Datierung. So könnte das Markusevangelium schon um das Jahr 50 n.Chr. entstanden sein. Aber unabhängig von den Datierungen ist sicher, dass alle Evangelien geschrieben wurden, als noch Augenzeugen von Jesus lebten. Jesus war um das Jahr 30 herum eine öffentliche Person. Die beschriebenen Ereignisse konnten also überprüft werden.
2. Die Kontinuität der Vorgeschichte
Die Evangelien sind die Niederschrift einer früheren mündlichen Überlieferung, die bis ins Jahr 30 und zum Wirken von Jesus zurückreicht. In der Antike war die Erinnerungskultur sehr hoch entwickelt. Etwas zu lernen bedeutete, in weiten Teilen auswendig zu lernen. Und die Aufgabe der Jünger war es, genau die Unterweisung ihres absolut einzigartigen Meisters zu lernen, um sie anderen unverändert weitergeben zu können. Es sind diese Lehren zusammen mit den Berichten über seinen Tod und seine Auferstehung, die kontinuierlich wiedererzählt wurden, bis sie schließlich ihren schriftlichen Niederschlag fanden.
3. Die Bedeutung von Augenzeugen
Die christliche Botschaft besteht nicht aus ausgeklügelten, erfundenen Geschichten (Mythen), sondern beruht auf Augenzeugenschaft. Das bestätigen sowohl Petrus als auch Johannes in ihren Briefen. Jesus hatte von vornherein daran gedacht, als er von Anfang an eine Gruppe engster Mitarbeiter auswählte, die ihm kontinuierlich – von Anfang bis Ende – folgen sollten. Er sagte ihnen später: „Auch ihr werdet als Zeugen für mich auftreten, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen“ (Joh 15,27).
Besonders Lukas beleuchtet die wichtige Rolle von Augenzeugen in der Einleitung seines Evangeliums (Lk 1,1-4). Wir erhalten Informationen auf zehn unterschiedlichen Gebieten: Lukas sagt,
1. dass es über Jesus schon vor ihm schriftliche Berichte gab
2. dass es viele Berichte über das Leben von Jesus gab
3. dass man frühzeitig die Ereignisse im Zusammenhang schildern wollte
4. dass es sich um Ereignisse handelt, die unter uns geschehen sind
5. dass die Informationen über diese Ereignisse von Augenzeugen kommen
6. dass die Augenzeugen von Anfang an dabei gewesen sind
7. dass die Augenzeugen nicht anonym waren, sondern bekannte Diener der Botschaft wurden
8. dass er selbst allem bis zu den Anfängen sorgfältig nachgegangen ist
9. dass er sich jetzt entschieden hat, die Informationen in geordneter Reihenfolge aufzuschreiben
10. dass alles, wovon er in seiner Schrift unterrichtet, zuverlässig ist.
In jedem der vier Evangelien werden identifizierbare namentlich genannte Personen aufgeführt (zwischen 20 und 44), mit denen man Kontakt aufnehmen konnte, wenn man den Wahrheitsgehalt überprüfen wollte.
4. Zwischen Ereignis und Niederschrift
Nur Augenzeugen können viele der Details kennen, die die Evangelien überliefern.
Warum warteten die Jünger so lange mit der Niederschrift? Weil sie die Botschaft so schnell wie möglich weitergeben wollten und das ging nur durch mündliche Kommunikation. Dennoch gab es von Anfang an auch schriftliche Notizen, siehe Lukasprolog. Augenzeugen, die öffentliche Bürgen waren, begleiteten sowohl den mündlichen als auch den schriftlichen Prozess. Dann gab es noch die Gemeindeleitung in Jerusalem, die ebenfalls eine inhaltlich kontrollierende Rolle für die heranwachsende Bewegung spielte. Das alles spricht von einer ungebrochenen historischen Kontinuität zwischen Jesus und den Evangelien.
5. Der zeitgeschichtliche Kontext
Die Verfasser der Evangelien zeigen eingehendes Wissen über
- die Flora. Es wachsen Sykomoren, Maulbeerfeigenbäume, in Jericho.
- die Topographie. Kana lag hoch, deshalb ging man nach Kapernaum hinab.
- das Wetter. Es können plötzlich heftige Stürme auf dem See Gennezareth entstehen.
- die Sprache. Es werden ursprünglich aramäische Ausdrücke wiedergegeben.
- die Architektur. Der Aufbau des Tempels und seiner unterschiedlichen Teile.
- die Rechtsprechung. Korban (Tempelgabe) als Alternative zur Fürsorge für Eltern.
- die Politik. Die Beziehungen zwischen Herodes Antipas, Pontius Pilatus und Kajaphas.
- die Gesellschaft. Die unterschiedlichen Gruppen von Schriftgelehrten, Pharisäern, Sadduzäern, Zeloten usw.
Die Autoren kannten sehr kleine Ortschaften, die man nicht kennen kann, wenn man nicht dagewesen ist, zum Beispiel Betanien, Betphage, Betsaida, Dalmanuta, Emmaus, Magadan usw.
6. Die Präzision der Namensgebung
Es gibt eine neuere Untersuchung über jüdische Namen im damaligen Israel und Ägypten. Man hat etwa 3000 gefunden. Es fällt auf, dass die häufigsten Namen von Juden in Ägypten sich deutlich von den häufigsten in Israel unterscheiden. Wenn nun einer der Jünger einen häufig vorkommenden Namen hatte, bekam er einen Beinamen zur Identifikation. Der eine Simon bekommt den Namen Petrus, der andere den Beinamen Zelot. Jakobus und Johannes werden über ihren Vater identifiziert, der andere Jakobus über seinen Vater Alphäus. Die Jünger mit ungewöhnlichem Namen wie zum Beispiel Thomas und Andreas (sie kommen nicht unter den 99 häufigsten Namen vor) erhalten natürlich keinen Beinamen. Diese Präzision kann nur auf genaue Kenntnis der tatsächlichen Ereignisse der Zeit beruhen.
7. Die Identität der Verfasser
Keins der vier Evangelien gibt an, wer sein Verfasser ist. Die Überschriften „nach Matthäus“, „nach Markus“ usw. sind spätere Hinzufügungen, die notwendig wurden, als man alle vier Evangelien nebeneinander überlieferte. Das ist aber auch bei vielen anderen bekannten Werken der Antike der Fall, ohne dass die Verfasserschaft bezweifelt wird. So werden auch die Evangelien von späteren Quellen eindeutig ihren Verfassern zugeordnet. Die frühesten davon waren Papias von Hierapolis, Irenäus von Lyon, Clemens von Alexandria. Auch inhaltliche Eigenarten der Evangelien bestätigen das, was wir von den Verfassern sonst wissen. So ist deutlich erkennbar, dass Markus aus der Petrusperspektive schrieb.
8. Die peinliche Ehrlichkeit
Weil die Evangelien das Siegel der Wahrheit tragen, finden wir in ihnen auch ungünstige oder peinliche Dinge über wichtige Personen erzählt. Es wird nichts geschönt.
Das Bild, das die Evangelien von den Jüngern zeichnen, ist alles andere als schmeichelhaft. Warum berichten sie über die Unfähigkeit der Jünger, zu verstehen? Warum berichten sie über ihre Selbstsucht und den Versuch, sich die besten Plätze im kommenden Reich zu erschleichen, über ihre Müdigkeit, als Jesus Todesängste erlitt? Warum sind die Zurechtweisungen des Petrus im Text geblieben und sogar der scharfe Tadel von Jesus an Petrus: „Geh weg von mir, Satan!“ Warum hat Markus nicht die Verleugnungsgeschichte von Petrus gestrichen?
Die Evangelien tragen das Siegel der Wahrheit. Daher sind sie auch in den Punkten ehrlich, die für sie ungünstig und peinlich sind. Sie überliefern selbst die furchtbaren Worte unseres Herrn: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Ergebnis für den Historiker
Das erzeugt Gänsehaut! Es ist möglich, mit dem Mann von Nazaret in historischen Kontakt zu kommen, ein Kontakt dritten Grades (wir lesen eine Quelle, die direkten Kontakt mit den Augenzeugen von Jesus hatte)!
Kein einziger der acht Gründe, die für die Glaubwürdigkeit der Evangelien sprechen, trifft auf die gnostischen Evangelien zu (zum Beispiel das Evangelium des Judas, das der Maria Magdalena, das des Thomas oder des Philippus).
Das 2013 in Schweden veröffentlichte Buch „Kein Grund zur Skepsis“ erschien 2018 auf Deutsch im Neufeld-Verlag (ISBN 978-3-86256-150-6). Es wurde für den deutschen Sprachraum überarbeitetet und lektoriert von Prof. Dr. Matthias Clausen, Dr. Alexander Fink, Dr. Andreas Gerstacker und Jens Kosiol ↩