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Sola Scriptura – allein die Schrift

Warum ein neues Buch zu einem alten Thema?

Hätte die Bibel nicht diese herausragende Bedeutung als einzige Grundlage in allen Fragen des Glaubens und des christlichen Lebens, dann wären die meisten Streitpunkte in der Schriftfrage nebensächlich. Es wären nur Gefechte um die eine oder andere Vorliebe, wie sie in der Christenheit gepflegt wird. Wie den einen die Bibel wichtig ist, so den anderen das Erlebnis mystischer Gotteserfahrung oder der Kampf um die soziale Gerechtigkeit oder die Pflege alter christlicher Bräuche oder oder. Wer für die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel eintritt, erschiene wie jemand, der sein christliches Hobby pflegt. Tut er das verbunden mit ernsten Warnungen in Hinsicht auf die Wahrheit des Evangeliums, den gesunden Weg der christlichen Gemeinde und das richtige Verständnis der Bibel, muss er sich nicht wundern, wenn das als übertrieben angesehen wird oder ihm deswegen sogar die Spaltung der Christen vorgeworfen wird. An der Frage nach dem „Allein die Schrift“ entscheidet sich, wie wichtig die Schriftfrage überhaupt für den Weg der christlichen Kirche ist.

Wir können den „Streitpunkt Schriftfrage“, der immer wieder als spalterisch für die evangelikale Bewegung angesehen wird, nicht unter die Nebenfragen einordnen. Es geht um das Fundament des christlichen Glaubens. Es geht aber auch um die Berechtigung, das Evangelium von Jesus Christus als einzigen Weg zu Gott zu verkündigen. Es geht darum, ob wir ein Recht haben, ethische Forderungen aufzustellen und das Tun von Menschen danach zu beurteilen. Es geht um den rechten Glauben und das Wesen des Christentums. Wer darf uns sagen, was das ist? Irgendwelche menschlichen Instanzen oder allein die Heilige Schrift?

Auch wenn es immer wieder bestritten wird, so hat die Bibel eine unverkennbare Sonderstellung, die von nichts anderem erreicht wird. Die Heilige Schrift transportiert die Offenbarung Gottes mit dem Mittel von Wörtern auf eine geheimnisvoll wirksame Weise. Wir haben doch nur die Bibel als Grundlage, wenn wir wissen wollen, wie Gott wirklich ist und was er von uns will und wie die Trennung zwischen ihm und uns überwunden werden kann. Wir kennen Jesus Christus nicht anders als durch die Bibel. Aber genau durch dieses Buch kommt Gott dem Menschen heute so nahe, wie er es durch Christus auf der Erde war. Denn wir lieben Gott und Jesus aufgrund und durch sein Wort.

Es gibt keine andere Religion auf der Erde, die sich wie der christliche Glaube grundlegend aus einem Buch herleitet. Das gilt auch im Hinblick auf die anderen „Buchreligionen“ Judentum und Islam. Das real-existierende christliche Leben enthält zwar auch Vieles, das sich so nicht in der Bibel findet. Aber von Anfang an war klar, dass sich das sowohl mit biblischen Aussagen vereinbaren lassen muss, als auch dann nicht zum Maßstab gemacht werden darf, wenn es nur eine menschliche Tradition darstellt. Tatsächlich stehen alle Glaubenslehren und jede Form christlichen Lebens immer unter dem Vorbehalt, dass sie aufgrund der Schrift erneuert werden können.

Die Geschichte der Kirche ist eine der Reformation aufgrund von Schrifterkenntnis. Allein aufgrund der Heiligen Schrift hat sich die Christenheit zu sperrigen Lehren wie der Dreieinigkeit Gottes, der vollständigen menschlichen und göttlichen Natur von Jesus Christus, der sühnenden Wirkung seines Todes und der leiblichen Auferstehung durchgerungen. Die Aussagen der Bibel führten zu Reformen, nachdem die Kirche im frühen Mittelalter zu Wohlstand und Sicherheit gekommen war. Es waren Bibelsätze, die am Ende des Mittelalters zur Reformation mit ihren erheblichen Umwälzungen der Christenheit durch die Neuentdeckung der Gnade Gottes führten. Biblische Erkenntnis stellte den verbreiteten Judenhass in der Kirche in Frage, selbst wenn er von manchen mit Bibelversen gerechtfertigt wurde. Die Bibel führte zum Wiedererwachen der Mission. Das alles wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass falsche Auslegung der Bibel zu zahlreichen Sonderlehren und der Bildung von christlichen Splittergruppen und Sekten führte. Korrektur kann nur durch die Bibel selbst kommen.

Obwohl das Prinzip Sola Scriptura naheliegend ist und auch notwendig für den Erhalt des Wesens des Christentums, steht es damals wie heute in Gefahr. Der Reiter weiß, dass man nicht nur von zwei Seiten vom Pferd fallen kann, sondern auf allen vieren. Tatsächlich ist die Herausforderung durch das römisch-katholische Traditionsprinzip, das das „Allein die Schrift“ verneint, nicht überholt. Es wird weiter offen vertreten und auch konservative Christen in der evangelikalen Bewegung sind damit konfrontiert. Der Angriff auf das Sola Scriptura läuft dabei so, dass mit dem Hinweis darauf, dass jede christliche Kirche Traditionen hat und pflegt, auch die Berechtigung der Traditionen als bestimmende Norm behauptet wird. Am Ende einigt man sich darauf, dass man eben unterschiedliche Frömmigkeitsstile pflege, bei den einen mit Maria und den Heiligen, bei den anderen mit ekstatischen Musikeinlagen. Die Bibel als normierende Instanz wird zweitrangig.

Das ist bei einem zweiten aktuellen Angriff auf das Sola Scriptura nicht anders. Überall erlebt der mystische Glaube ein neues Erwachen. Dabei geht es vor allem um das Erleben der transzendenten Wirklichkeit des Göttlichen. Auch im evangelikalen Lager sind sich viele einig, dass das den Glauben der Zukunft darstellt. In diesem Glauben spielt biblische Lehre eine untergeordnete Rolle, außer sie dient zu einem besonderen Erlebnis. Meist aber gilt, dass Lehre trennt, aber gemeinsames Handeln und Erleben eint, weswegen die Lehre der Bibel hintangestellt wird. Was immer das religiöse Erleben fördert, erscheint dagegen geadelt. Übrigens haben dann auch allerlei Anleihen aus anderen Religionen ihren Platz, weil sie die mystische Nähe zu „Gott“ fördern.

Auf einer etwas anderen Schiene nehmen diejenigen das „Allein die Schrift“ unter Beschuss, die immer wieder betonen, Christen glaubten nicht an die Bibel, sondern an Jesus Christus. Abgesehen davon dass vor einer Art von Bibelverehrung gewarnt wird, die es kaum irgendwo gibt, steht am Ende irgendein idealer Christus der Nächstenliebe über und gegen den Christus, den die Bibel verkündigt. Die Vertreter dieser Ansichten gehen offenbar auch davon aus, dass es eben nicht allein die Schrift ist, die uns den Zugang zu Jesus eröffnet und den rechten Glauben formt, sondern ein irgendwie gedachter, wirkender Jesus, der übrigens bei genauem Hinschauen immer mit dem Zeitgeist gehen muss.

Und ein weiterer Kunstgriff soll das Sola Scriptura außer Geltung setzen. Man behauptet, dass die Bibel so in der antiken Kultur des Orients gefangen sei, dass sie ohne diese Kultur – sei es nun die hellenistische oder die jüdische – nicht zu verstehen sei. Aber dann darf nicht die Bibel selbst das Material zum notwendigen Verstehen kultureller Eigenheiten geben, sondern aus wechselnden antiken Quellen, aus Abbildungen auf griechischen Amphoren oder aus der Lehre des Judentums soll die Bibel verstanden werden. Am Ende kann angeblich das Gegenteil von dem richtig sein, was der Wortlaut der Bibel sagt. Das betrifft wahlweise ethische Gebote oder auch die Versöhnung mit Gott. Was Paulus „wirklich“ meinte, soll erst jetzt durch eine außerbiblische Brille sichtbar werden. Richtig verstehen könne man den Schöpfungsbericht nicht ohne die alten babylonischen Mythen. Nicht allein die Schrift entscheidet dann über Glauben und Leben des Christen, sondern die Deutungshoheit angeblicher Kenner alter Texte aus der Umwelt der Bibel.

Was sind die Folgen dieses Sturmlaufs auf das „Allein die Schrift“? Entweder wir unterwerfen uns der Norm der Schrift oder wir verlieren die Bibel als Norm völlig. Es gibt keinen Weg dazwischen, weil das Akzeptieren selbst ausgewählter Aussagen der Schrift als Norm und das Verwerfen anderer eine neue Norm über der Schrift einführt. An ihre Stelle treten andere Normgeber und ihre Normen. Wollen wir abhängig werden von einer kirchlichen Institution, die irren kann und oft geirrt hat? Wollen wir uns den wechselnden unsicheren Meinungen unbestritten kluger Theologen anvertrauen? Oder soll das eigene Bauchgefühl die Norm für Glauben und Leben als Christ werden? Alle vermeintlichen Alternativen zur Heiligen Schrift können die Christen nur verunsichern, werden sie ohne klare Wegweisung und unter der Herrschaft von Menschen zurücklassen, die schnell zu Verführern werden. Es gibt keine wirkliche Alternative zum christlichen Prinzip Sola Scriptura.

Allein die Schrift. hg. Don Kistler. Dillenburg: CVG, 2019. Edition Bibelbund. ca. 200 S. 9,90 €.

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