ThemenHeilsgeschichte

Ja und Amen in IHM: Die Erfüllung der messianischen Verheißung des Alten Testamentes durch Jesus von Nazareth

Wer die Bibel und ihre Prophetie ernstnimmt, der kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass Jesus Christus der Retter ist, der im Alten Testament über Jahrhunderte angekündigt wurde. Es macht von daher keinen Sinn, auf einen anderen Retter zu warten. Man soll an den glauben, der gekommen ist. Dieser Befund wird auch dadurch gestützt, wenn man die jüdische Messiaserwartung genauer betrachtet.

Mit allen meinen Schriften, die in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren entstanden sind, ist ein kleineres und größeres Stück meines für die meisten nach außen hin verborgenen Lebensweges verbunden. Ein Theologe schrieb von meiner Konkordanz zum Heidelberger Katechismus: „Das ist eins Ihrer Kinder, die Sie unter dem Herzen getragen haben.“ Verleger, Pastoren, Prediger, Menschen, die nichts davon verstehen oder am liebsten Geschäfte machen, sind oft roh mit meinen Kindern umgegangen, was mir manchen väterlichen Schmerz verursachte. Sooft mir der vorliegende Aufsatz vor Augen kommt, wird manches Furchtbare in Erinnerung gerufen. Vor kurzem, als er gedruckt vor mir lag, musste ich mich still zurückziehen, bittere Tränen rollten mir über die Backen, die mit einem herzlichen Dank von dem Gott allen Trostes getrocknet wurden.

Der vollständige Aufsatz als PDF kann hier heruntergeladen werden: Meister – Verheissungen auf den Messias – Sonderdruck

Der hier folgende Aufsatz ist schon mehr als 30 Jahre alt. Zu der Zeit herrschte der Dämon Hitler in Deutschland. Es beruhigt mich, dass mir der übliche Nazigruß kein einziges Mal über die Lippen geglitten ist. Der Judenhass in Hitlers „Mein Kampf“ versetzte mich in einen Schock. Der Syna­gogenbrand 1938 galt für mich als ein Zeichen aus dem höllischen Abgrund. Die Verfolgung und Drangsal des jüdischen Volkes veranlasste mich zur Abfassung dieser Schrift. Durch den Umgang mit einigen Rabbinern wurden mir Quellen der jüdischen Literatur zugänglich. Wochenlang wurde an dem Stoff gearbeitet und geordnet, bis der Aufsatz fertig war. Die fertiggestellte Arbeit las ich dann im Familienkreise vor.

Mein Gedanke an eine freudige Aufnahme wurde schnell vertrieben durch eine Ohrfeige, dass das Blut aus der Nase spritzte. Woher kam dieser unsinnige Fanatismus?

Direktor Wilhelm Göbel, vom Blauen Kreuz, Barmen, schrieb einen Zeitspiegel, den die Nazis für ihre Propagandazwecke gebrauchen konnten. Diese Zeitschrift war in meiner engeren Umgebung ziemlich verbreitet. Man konnte gut merken, wo das Blatt gelesen wurde. So musste ich sehr auf der Hut sein, dass mein Aufsatz nicht vernichtet wurde oder in unberufene Hände kam. Besuche von der Gestapo, was für mich und meine Gesinnungsgenossen zum guten Ton gehörte, wurden verschiedentlich bei mir durchgeführt. Allemal wurden sie von mir abgewimmelt mit der Bemerkung: „Davon verstehen Sie nichts, das müssen Fachleute beurteilen, die ein objektives Urteil haben. Politisches ist hier nicht zu finden.“

Pastor Gauger, der Herausgeber von „Licht und Leben“, der meine Arbeit „Das Alte Testament im Neuen“ drucken ließ, war auch ein Verfolgter und Schwergeplagter des Naziregimes. Ihm zeigte ich meine Arbeit. Er las sie durch, gab mir als Anerkennung 50 Mark und sagte in seinem schwäbischen Akzent: „Wenn das die Nazis lesen, die zerreißen Sie bei lebendigem Leibe in tausend Fetzen. Halten Sie den Aufsatz verborgen, es kommt eine Zeit, dann hat er seine Bedeutung und Gültigkeit; ich möchte ihn für meine Orientierung gerne behalten.“ Pastor Kuhlmann, Barmen, Herausgeber der Mitteilungen der Ev. Gesellschaft für Deutschland, für den ich laufend alttestamentliche Arbeiten schrieb (z. B. über den Propheten Daniel), gab mir 30 Mark für die Arbeit. Mein Artikel: „Die Ahnenreihe Jesu Christi“, den die Nazis unter die Lupe nahmen, brachte mich in Lebensgefahr. Pastor Kuhlmann in seiner Treue hat mich nicht verraten, sondern nahm alles auf sich.

Jahrzehntelang lagerte die Arbeit versteckt unter meinen Studienbüchern, für mich ständig griffbereit. Während der ganzen Nazizeit wurde ich behandelt wie ein Verbrecher. Schuljungen riefen mir auf der Straße nach „Altes Testament“, „Bibelforscher Lump!“ Einer schrie mich an: „Sie mit Ihrer verfluchten Judenbibel. Sie sollten lieber Ihre Kraft auf das Studium der deutschen Sprichwörter verlegen!“ Dieser Rat wurde von mir befolgt. Das führte zu dem Ergebnis, dass von den 4000 deutschen Sprichwörtern 3500 aus der Bibel entlehnt sind, 3000 aus dem Alten Testament. Kaum ein Briefträger ließ einen ruhig gehen, ohne einem mit dem Heil-Hitler-Gruß lästig zu werden, auf den ich nie eine Antwort gab. Fast jeder „braune Kupferfasan“ glaubte, etwas an einem finden zu müssen. Selbst Leute aus Gemeinschaftskreisen drohten mit dem KZ. Eine aufgestellte Hakenkreuzfahne am Tisch unter der Kanzel einer Reformierten Kirche veranlasste mich, radikal zu protestieren. Die Gestapo wurde veranlasst, Haussuchung zu halten. Meinen Artikel versteckte ich vorher unter den Dachziegeln. Nach dem Kriege, während meiner Studienzeit, war ich beim Institutum Judaikum Delitzschianum, wo man Neuhebräisch studierte. Meine liebe Arbeit wurde danach noch einmal überarbeitet. Bei der Baufirma Runkel in Remscheid, in der Lichtpause, wurde sie einige Male vervielfältigt wie viele andere Artikel. Dort stand mir viel freie Zeit zur Verfügung. Der Seniorchef förderte meine Studien. Er wollte alles auf seine Kosten drucken lassen. Gott holte ihn bald in die himmlische Heimat. So ist denn meine Schrift über mein Erwarten gedruckt worden.

Es gibt wohl kaum eine Nation der Erde, die in ihrem Ergehen und ihren Erwartungen so eigenartig dasteht wie das israelitische Volk. Der Inhalt der ältesten Urkunden dieses von Gott auserwählten Volkes enthüllt schon seine sonderbare Geschichte mit ihrer unsagbaren Tragik, er begründet aber auch die Aussichten, Hoffnungen und Erwartungen nach allen traurigen Ereignissen. Aus dem Strom der Zeiten ragt Israel als ein ehrwürdiges Denkmal der ewigen Wahrheit aller Gottesverheißungen heraus. Dieses Volk, vom furchtbaren Zorn des Höchsten sichtbar geschlagen, aus dem Lande der Väter vertrieben, an alle Enden der Erde zerstreut, hat Jahrtausende unter schweren Leiden und Verfolgungen in unwandelbarer Standhaftigkeit seinen Glauben an den Messias und seine Hoffnung auf das messianische Königreich festgehalten. Diese Festigkeit gründet sich einzig und allein auf die messianische Verheißung im Gesetz und in den Propheten.

Die Schriftstellen im Neuen Testament bezeugen klar und deutlich Jesus Christus als den verheißenen Messias.

Die Botschaft des neutestamentlichen Schrifttums enthüllt, dass der im Alten Bunde verheißene Messias schon gekommen ist (Joh. 1, 41. 45; 26; 10, 25; 20, 31). Die Schriftstellen des Neuen Testamentes bezeugen klar und deutlich Jesus von Nazareth als diesen Messias. Juden, die außer durch den „Thenak“1 durch den „Talmud“2 unterrichtet sind, bestreiten diese beiden von Gott gewirkten Heilstatsachen.

Es hat dem Schöpfer Himmels und der Erde in seiner Gnade wohlgefallen, sich Israel aus allen Völkern als Eigentumsvolk zu erwählen (2. Mos. 19, 5. 6; 5. Mos. 7, 6). Diesem Volke hat Gott zuerst seine Aussprüche anvertraut (Röm. 3, 2). Die göttliche Heilsoffenbarung ist in der Heiligen Schrift festgelegt. Der Messias aus Israel ist dazu bestimmt, ein Licht aller Heidenvölker zu werden (Jes. 42, 6; 49, 6). Diese Jesajanische Weissagung ist durch das Kommen des Gottessohnes im Fleische (Luk. 2, 32) und die apostolischen Sendboten des Evangeliums erfüllt worden (Apg. 13, 47). Paulus und Barnabas bekundeten mit dieser Anwendung des Jesajawortes die Anerkennung des Alten Testamentes, dessen eigentlichen Kernpunkt, die messianische Hoffnung, die damaligen Juden durch ihr Verhalten verneinten.

Maimonides: Ich glaube in voller Wahrhaftigkeit, dass alle Reden der Propheten Wahrheit sind!

Der Israelit wird belehrt, den Worten und Aussprüchen der Gottesoffenbarung des Alten Testamentes zu glauben und zu gehorchen. Das Glaubensbekenntnis des Maimonides3 mit seinen 13 Artikeln, das in der jüdischen Synagoge seit Jahrhunderten bis heute noch Gültigkeit hat, spricht dem alttestamentlichen Schrifttum seine ganze Anerkennung aus. Es heißt dort im 6. Artikel:

„Ich glaube in voller Wahrhaftigkeit, dass alle Reden der Propheten Wahrheit sind!“

Das von Gott dem Volke Israel anvertraute Alte Testament spricht viel von dem kommenden Erlöser, den die Urväter, die Erzväter und ihre Nachkommen mit Sehnsucht erwartet haben. Worte und Weissagungen enthalten manche Andeutungen auf den zukünftigen Messias. Eine kurze Zusammenfassung dieses Hauptgedankens der prophetischen Schriften bietet der 13. Artikel des Glaubensbekenntnisses von Maimonides durch folgenden Wortlaut: „Ich glaube in voller Wahrhaftigkeit an das Kommen des Messias!“ Dieses Bekenntnis war schon in den ältesten Zeiten der Ausdruck der Über­zeugung der gottesfürchtigen Väter. In den Targumim4 , den alten aramäischen Übersetzungen des Alten Testamentes, sind nicht weniger als 72 Stellen, die auf den Messias gedeutet werden.

Alle Juden werden immer wieder angewiesen, das Alte Testament mit rabbinischen Erklärungen zu lesen. Israeliten hören von Jugend auf: „So haben es unsere Väter geboten!“ oder: „Die Bibel ist ohne die Erklärung unserer Gelehrten, gesegneten Andenkens, nicht verständlich!“ Es wird bei ihnen ein großer Unterschied zwischen dem geschriebenen Worte und den Überlieferungen der Väter gemacht. Talmudisten sagen oft: „Die Worte der Schriftgelehrten sind wichtiger als die Worte Gottes.“ Gute Talmudkenner haben selten eine zusammenhängende Kenntnis der alttestamentlichen Heilsgeschichte. Maimonides erstrebte ein freies Forschen in der Schrift mit dem Festhalten der Tradition.

Nach dem Talmud belehrte Juden erwarten noch den Messias. In der jüdischen Literatur kann aber festgestellt werden, dass die alte Synagoge die meisten messianischen Schriftstellen des Alten Testamentes richtig verstanden hat. Neu­testa­mentliche Heils­wahrheiten werden im jüdischen Schrifttum nicht selten erläutert und bestätigt. Stellen des Talmud, der Rabbinen und Kabbalisten deuten manche Aussage und Weissagung des Alten Testamentes messianisch, dort wird der Messias in Stellen gefunden, deren Zusammenhang auch zu einer anderen Erklärung berechtigt. Der Talmud sagt ganz allgemein: „Alle Propheten haben insgesamt von den Tagen des Messias geweissagt.“ Gelehrte Rabbiner des Mittelalters, wie Salomon Jarchi5 (1040-1105), Aben Esra (um 1092-1167), Abarbanel6 (1437-1508) und David Kimchi7 (1160-1235), haben aus Abneigung gegen das entstellte Christentum wichtige und klare messianische Stellen anders gedeutet. Der goldene Faden der Wahrheit, der sich durch die Tradition hindurchzieht, ist jedoch nicht ganz verlorengegangen. Die Rabbiner widerlegen sich mehrfach gegenseitig in ihrer Deutung der messianischen Verheißungen. Der eine und der andere kommt auf den wahren Sinn der alttestamentlichen Stellen zurück.

Alttestamentliche Beweise für die bereits erfolgte Erfüllung der messianischen Verheißung

Die Erfüllung der messianischen Weis­sagungen durch Jesus von Nazareth wird durchweg mit Bibelstellen des Neuen Testamentes begründet. Die neutestamentlichen Wahrheitsbeweise können noch durch folgerichtig aufgefasste Stellen des Alten Testamentes bekräftigt werden. Es sind vor allem messianische Verheißungen zu erwägen, die zu entscheidungsvollen Zeitpunkten ausgesprochen wurden. Die messianische Hoffnung des Volkes Israel gründet sich nur auf die Weissagungen im Gesetz und in den Propheten des Alten Testamentes.

Wenn die Umstände nach der Zerstörung des Tempels bereits so lange andauern, bedeutet das, dass der Messias längst gekommen sein muss.

Der Prophet Hosea weissagt, dass die Kinder Israel am Ende der Tage den Messias suchen werden (Hos 3,4.5). In dieser Pro­phetenstelle wird eine frühere und spätere Zukunft un­terschieden. Der erste Teil dieser Weissagung (Hos 3,4) ist in Er­füllung gegangen nach der Geburt des Messias; und zwar vom Jahre 70 bis in die jüngste Gegenwart befindet sich Israel in dem von Hosea geschilderten Zustand. Die Bekehrung Israels, das Suchen nach dem Messias und seiner Gnade gehört der Endzeit an. Die Verhältnisse, dass Israel lange Zeit ohne König, ohne Fürst, ohne Opfer, ohne Leibrock und ohne Heiligtum sein wird, treten nach der Prophetie ein, wenn der Messias schon gekommen ist. Wer an der Wahrheit der Weissagung festhält, muss die unbedingte Folgerung ziehen, dass der verheißene Messias erschienen ist, weil das Ereignisse sind, die erst nach seiner Ankunft eintreten sollen. Wenn diese Umstände schon bald zwei Jahrtausende andauern, muss der Messias längst gekommen sein. Weil die in der Schrift angegebenen Merkmale der Geburt Jesu von Nazareth vorangingen und bis jetzt noch andauern, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der von den Juden verachtete Nazarener der verheißene Messias ist. Diese Tatsache lässt sich noch durch andere Stellen des Alten Testamentes näher begründen.

1. Der Erzvater Jakob weissagt im Abschiedssegen über seine Söhne, dass das Zepter von Juda nicht entwendet werden soll, noch ein Gesetzgeber von seinen Füßen, bis der Schilo (es ist wohl statt Schilo hier Maschlo = seine Herrschaft zu lesen) komme, dem die Völker anhangen werden (1Mose 49,10). Der Patriarch prophezeit das Kommen des Messias aus dem Stamme Juda. Der Ankunft des Messias geht nach dieser Prophezeiung die Entwendung der Herrscher- oder Königswürde des Stammes Juda voraus.

Die vorhin erwähnte Weissagung Hoseas, dass Israel lange ohne König und ohne Fürst sein werde (Hos. 3, 4), ist längst erfüllt. Die in allen vier Weltteilen zerstreuten Israeliten und die nach Palästina eingewanderten hätten genügend Mittel, sich zu einem Königreich zusammenzuschließen. Sie haben seit langer Zeit keinen König mehr und können auch keinen haben, ohne sich gegen Gottes Wort und Willen zu versündigen. Israels rechtmäßiger König darf nur aus dem Stamme Juda und aus dem Hause Davids gewählt werden (2Sam 7,8-16). Seit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels sind alle israelitischen Geschlechtsregister vernichtet, so dass die heutigen Juden nicht mehr sagen können, aus welchem Stamme sie herkommen.

Wenn bis zum Kommen des Messias das Zepter vom Haus David nicht genommen werden soll, dann muss er gekommen sein, weil das Königtum nicht mehr besteht.

Diese Tatsache zeigt, dass das rechtmäßige, von Gott anerkannte Königtum vom Stamme Juda entwendet ist. Wenn bis zum Kommen des Messias das Zepter nicht entwendet werden soll, muss Er gekommen sein, wenn das Königtum nicht mehr besteht.

2. Nach der Prophetie Daniels (Dan 9,24-27) sind 70 Jahrwochen über das heilige Volk und über die heilige Stadt bestimmt. Es wird dem Übertreter gewehrt und die Sünde versiegelt. Die ewige Gerechtigkeit wird gebracht und die Geschichte und die Weissagung zugesiegelt. Der Allerheiligste empfängt die Salbung. Von der Zeit an, wo der Befehl ausgeht, dass Jerusalem wieder aufgebaut wird, bis auf den Gesalbten und Fürsten sind 7 Jahrwochen und 62 Jahrwochen, so werden die Gassen und Mauern wieder aufgebaut. Nach den 62 Jahrwochen wird der Gesalbte ausgerottet. Ein Volk des Fürsten wird kommen und die Stadt und das Heiligtum zerstören, das ein Ende nehmen wird wie durch eine Flut, und bis zum Ende des Streites bleibt es wüst. Es wird vielen der Bund gestärkt eine Woche lang. Mitten in der Woche wird das Opfer und Speisopfer aufhören. An den Toren stehen Greuel der Verwüstung. Es ist beschlossen, dass die Verwüstung bis ans Ende dauert.

Was Daniel vorausgesagt hat, ist eingetroffen. Es sind schon bald 2000 Jahre verflossen, seit die täglichen Opfer im Tempel zu Jerusalem aufgehört haben. Der jüdische Staat ist durch den feindlichen Einfall der Römer vernichtet worden, das ganze Land wurde durch verheerende Kriege verwüstet. Die historische Tatsache kann keiner in Abrede stellen. Jüdische Schriftsteller sehen in diesen Ereignissen eine Erfüllung der Weissagung Daniels.

Wenn der Messias im zweiten Tempel erscheinen sollte, musste er kommen, als derselbe noch stand. Weil es den Tempel seit der Zerstörung nicht mehr gibt, muss der Messias bereits gekommen sein.

Nach der Weissagung Daniels müssen alle diese Begebenheiten vor der Ankunft des Messias stattgefunden haben. Weil sich sämtliche Ereignisse wirklich schon zugetragen haben, muss der Messias bereits gekommen sein. Gelehrte Juden geben unumwunden zu, dass der letzte Teil der Weissagung Daniels von den 70 Jahrwochen zur Zeit des römischen Feldherrn Titus erfüllt wurde. Es ist geradezu paradox, an der Erfüllung des ersten Teils der Weissagung zu zweifeln, die von der Zukunft des Messias spricht.

Die Rabbiner erklären zwar, die Ankunft des Messias ereigne sich nur unter einer bestimmten Bedingung und wegen der Sünde Israels würde sie verzögert. In der Weissa­gung Daniels ist von keiner Bedingung die Rede, wohl aber, dass die Ankunft des Messias an einen fest bestimmten Zeitpunkt gebunden ist. Ebensowenig kann das Kommen des Messias um der Sünde willen verzögert werden. Das setzt voraus, dass die Missetat bei der Zukunft des Messias überhandnimmt.

Im 53. Kapitel des Propheten Jesaja, das selbst Juden messianisch deuten, heißt es von dem Messias:

„Er ist um unserer Missetat willen verwundet, um unserer Sünden willen zerschlagen und um der Übertretungen des Volkes Israels willen gemartert worden.“

Ferner heißt es:

„Wir alle gingen wie Schafe in der Irre, dass der Herr unser aller Sünden auf Ihn warf und sein Leben zum Schuldopfer dahingab.“ Von dem Messias selbst ist gesagt, dass „Er viele gerecht macht; denn Er trägt ihre Sünden.“

Wenn nach dieser Weissagung das Kommen des Messias den Zweck hat, die Sünden wegzunehmen, dann liegt in der Behauptung ein offenbarer Widerspruch, das Übermaß der Sünden verzögere seine Ankunft.

Einige Juden bekennen ganz offen, dass die Ankunft des Messias an keine Bedingung gebunden ist. Abarbanel und Rabbi Hillel8 sind beide der Ansicht, wenn auch die Zukunft des Messias durch die Gerechtigkeit der Juden beschleunigt wird, sie trotzdem durch ihre Sünden nicht verzögert werden kann. Es heißt in dieser Beziehung: „Wenn sie gleich derselben unwürdig sind, so wird solche dennoch zur bestimmten Zeit stattfinden.“ Rabbi Manas seh ben Israel sagt: „Es ist gegründet auf die unbedingte Verheißung des hochgelobten Gottes.“ Rabbi Bechai versichert, „dass zwar die Erlösung von der Reue abhänge, dass aber, wenn auch keine Reue erfolgen sollte, dennoch die bestimmte Zeit nicht verrückt werde.“ Wer behauptet, die Zukunft des Messias werde um der Sünde willen verzögert, erkennt damit zugleich an, dass Er schon hätte kommen sollen. Die Heilige Schrift lehrt an keiner Stelle, dass sich die Ankunft des Messias um der Sünde willen verzögere, sondern sie lehrt, dass dies die Ursache seiner Sendung sei. Aus dieser Tatsache kann nur gefolgert werden, dass der Messias bereits gekommen sein muss.

3. Der Prophet Haggai sagt, dass der zweite Tempel dem ersten weit an Schönheit nachstehe; dennoch betont er nachher, dass die Herrlichkeit des letzten Hauses größer sein wird als die des salomonischen Tempels. Der Grund, den Haggai für diesen scheinbaren Widerspruch anführt, ist, weil „der Trost aller Heiden kommen und der Herr Zebaoth das zweite Haus mit seiner Herrlichkeit erfüllen wird“ (Hag 2,4.7.8).

Maleachi weissagt inhaltlich das gleiche, dass der Herr, den die Juden suchen und erwarten, der „Engel des Bundes“, plötzlich zu seinem Tempel kommen werde (Mal 3,1). Es ist klar, dass der Trost aller Heiden und der Engel des Bundes, der sich in dem zweiten Tempel zeigen sollte, mit dem verheißenen Messias identisch ist.

Der von Herodes wieder aufgebaute Tempel wurde übereinstimmend als der zweite Tempel angesehen, so dass die Verheißung von Haggai auf ihn zutrifft.

Wenn der Messias im zweiten Tempel erscheinen sollte, musste Er kommen, als derselbe noch stand. Weil nun dieser Tempel seit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer nicht mehr steht, muss der Messias bereits gekommen sein. Eine genaue Vergleichung beider Prophetenstellen zeigt deutlich, dass der Trost aller Heiden mit dem Herrn, dem Engel des Bundes, ein und dieselbe Person ist. Rabbi Daniel Kimchi erklärt, dass der Herr, der Engel des Bundes, der Messias ist. Rabbi Moses Gerundensis behauptet, dass Er der erlösende Engel ist, von welchem es in der Schrift heißt: „Mein Name ist in Ihm.“ (vgl. 2Mo 23,20-21) Andere bekennen, dass Er der verheißene Messias ist. Der Messias muss demnach gekommen sein, als der zweite Tempel noch stand. Seine Ankunft muss also vor dem Jahre 70 n. Chr. stattgefunden haben, weil in diesem Jahre der zweite Tempel zerstört wurde.

Die Juden versuchen der Stärke dieses Beweises auszuweichen. Sie behaupten, der Tempel, in welchem der Messias erscheinen sollte, sei jener dritte, von Hesekiel beschriebene Tempel (vgl. Hes. 40 ff.). Ferner geben sie an, Jesus von Nazareth wäre nicht in dem von Josua und Serubabel, sondern in dem von Herodes erbauten Tempel erschienen.

Der erste Einwurf wird durch die ausdrücklichen Worte widerlegt: „Die Herrlichkeit dieses zweiten Hauses soll größer sein als des ersten.“ (Hag 2, 9). Das bestimmte Fürwort des hebräischen Textes „haseh“ = dieses, nötigt, den Tempel zu verstehen als den, dessen Herrlichkeit weit dem salomonischen nachsteht. Es muss daher notwendig der zweite Tempel sein, in welchem der Messias erscheinen sollte. Der zukünftige Tempel, von dem Hesekiel weissagt, kann nicht gemeint sein.

Der zweite Einwurf wird durch das übereinstimmende Zeugnis der Juden selbst widerlegt. Der von Josua und Serubabel erbaute Tempel wurde zur Zeit des Antiochus Epiphanes und in den darauffolgenden Kriegen so beschädigt, dass er wegen seiner Baufälligkeit von Herodes auf seinem alten Grund neu gebaut werden musste. Weil dieser Tempel nicht wie der erste durch Kriegsein­wirkungen zerstört worden ist, sondern nur verbessert und erweitert wurde, sahen die Juden diesen Tempel für einen an, vom Anfang seiner Erbauung unter der Regierung des Cyrus bis zu seiner Zerstörung durch die Römer unter Titus. In alten jüdischen Schriften wird dieser Tempel immer Beth Scheni — das zweite Haus, im Unterschied zum ersten, dem salomonischen Tempel, genannt.

Der dritte Tempel, den die Juden noch erwarten, ist der von Hesekiel geweissagte. Maimonides sagt von der Zerstörung des zweiten Tempels, dass er auf die Zerstörung durch die Römer hinweise. Wenn Herodes auch eine bedeutende Verbesserung und Er­weiterung des Tempels vornehmen ließ, so wurde er dennoch für den zweiten Tempel angesehen. Es war auch die durchgängige Meinung der Landsleute, dass die Römer den zweiten Tempel zerstört haben. Josephus vermerkt auch die Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer. Jeder jüdische Kalender, der in der Chronik von der Vernichtung des Tempels spricht, erwähnt den zweiten Tempel. Die ganze jüdische Nation glaubt einstimmig, dass unter Titus der zweite Tempel zerstört wurde.

Die Folgerung kann bestehen bleiben: Wenn der Messias während des zweiten Tempels kommen sollte, muss Er längst gekommen sein, weil dieser Tempel im Jahre 70 n. Chr. zerstört wurde.

Zusammenfassung der Gründe, dass Jesus von Nazareth der Messias sein muss

Drei Hauptgründe beweisen, dass der Messias längst gekommen sein muss. Er sollte kommen, ehe das Zepter von Juda entwendet wurde; ehe die Opfer im Tempel aufhörten und ehe der zweite Tempel zerstört wurde. Diese Ereignisse haben stattgefunden. Der Messias muss darum gekommen sein. Wenn die historischen Tatsachen die Erfüllung der messianischen Verheißung begründen, dann ist noch zu beweisen, dass Jesus von Nazareth der verheißene Messias ist.

Der Messias muss bereits gekommen sein, deswegen ist der einzige Punkt, über den Juden und Christen streiten könnten, der, ob Jesus von Nazareth der Messias ist.

Der Messias muss vor der Zerstörung des zweiten Tempels, vor der Aufhebung der Tempelopfer und vor dem Entweichen des Zepters von Juda kommen. Weil diese Ereignisse vor dem Jahre 70 der christlichen Zeitrechnung eintraten, muss der Messias schon vorher gekommen sein. Diese Tatsache vernichtet den Betrug des Barkochba und derer, die sich fälschlich als Messias ausgaben. Diejenigen, die vorher mit dem Anspruch auftraten, der Messias zu sein, haben keinen Anhang gefunden. Der einzige Punkt, über welchen noch zwischen Juden und Christen gestritten werden kann, ist der: Ob Jesus von Nazareth der Messias ist oder nicht. Hier sind einige wichtige Tatsachen ernst zu erwägen.

  • 1. Daniels 70 Jahrwochen

Daniel nennt 70 Jahrwochen als den Zeitraum, in welchem einige wichtige Ereignisse stattfinden werden. Der Prophet sagt, dass bis auf den Messias, den Fürsten, 7 Jahrwochen und 62 Jahrwochen oder 69 Jahrwochen gerechnet werden sollen von dem Ausgang eines gewissen Befehls an, um Jerusalem nach dem babylonischen Exil wieder aufzubauen. Der Talmud, Manasseh ben Israel, Abrabanel, Abenesra und andere jüdische Ausleger verstehen die 70 Jahrwochen als 490 Jahre. Diese 490 Jahre mögen von einem persischen König an gerechnet werden, wie man will, eins ist dennoch gewiss, sie müssen schon vor dem Jahre 70 n. Chr. zu Ende gegangen sein, weil der Tempel zerstört und die Opfer längst zu der Zeit aufgehört haben. Wenn der Messias vor diesem Zeitpunkt gekommen wäre, beruhte die Zahlenangabe Daniels auf einem Irrtum. Es kann aber bewiesen werden, dass diese Zahlen in ihren Einteilungen mit der Geschichte Jesu von Nazareth genau übereinstimmen.

Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus und Tacitus und Suetonius geben zu verstehen, dass gerade damals eine allgemeine Erwartung der nahen Erscheinung des Messias herrschte, die nur von der Berechnung dieser Zahlen herrühren konnte. Das beweist nicht allein, dass der Messias gekommen sein muss, sondern auch, dass Jesus von Nazareth der Messias ist.

  • 2. Jesus von Nazareth ist kein Betrüger

Gegen diese Gründe könnten die Juden einwenden, dass um diese Zeit offenbare Betrüger aufstanden. Sie hätten sich auch darauf berufen können, dass sie sich zu der von den Propheten bestimmten Zeit einfanden, nämlich vor der Zerstörung des zweiten Tempels, vor der Abschaffung der Opfer, vor der Entwendung des Zepters von Juda, nachdem die Jahrwochen Daniels zu Ende gegangen wären.

Jesus könnnte auch ein Betrüger gewesen sein, der zufällig aus dem Stamme Juda war, der die Propheten kannte und sich die allgemeine Erwartung des Messias auf eine schlaue Art zunutze machen konnte.

Darauf ist zu sagen, ein Betrüger hätte das gekonnt. Ein Betrüger vermag aber über keine Umstände zu verfügen, über die er nicht gebieten kann. Wäre Jesus ein Betrüger gewesen, so hätte Er um die Zeit erscheinen können, als Er kommen musste, aber die Erfüllung der messianischen Verheißungen wäre Ihm unmöglich gewesen.

Die Verheißungen verlangen, dass dem Messias auch die Völker anhangen müssen. In dieser Beziehung hat keiner die Probe bestanden als Jesus von Nazareth.

Jesus von Nazareth hat die ganze Weissagung vom Schilo (1Mose 49,10) erfüllt. Es sind durch Ihn auch die geweissagten Nebenumstände Wirklichkeit geworden. Die Prophe­zeiung Jakobs lautet nicht nur, dass der Messias kommen werde, sondern dass Ihm auch die Völker anhangen werden. Abrabanel erwähnt eines der Un­terscheidungs­zei­chen des Messias, dass die Heiden Ihn suchen würden. In dieser Beziehung hat keiner die Probe bestanden als Jesus von Nazareth. Zu Ihm versammeln sich allein die Völker; die größten und mächtigsten Nationen haben ihre Knie vor Ihm gebeugt. Millionen der kultiviertesten Völker haben Ihn als den verheißenen Gottgesandten erkennen und anbeten gelernt.

  • 3. Vorhersagen von Jesus selbst

Für die göttliche Sendung Jesu von Nazareth kann ferner geltend gemacht werden, dass Er den Anfang und das Ende der Zerstreuung der Juden mit klaren Ausdrücken vorausgesagt hat. Eine solche Voraussage liegt in keines Sterblichen Möglichkeit. Einem Betrüger wäre es nach der Weissagung Moses und anderer Propheten auch möglich gewesen, die Zerstreuung der Juden vorher zu verkündigen. Ein Fälscher aber konnte nicht wissen, dass die Not beginnt, ehe dieses Geschlecht vergangen ist. Jesus würde nie gewagt haben, eine Zeit zu bestimmen, wann die Not anfängt, wenn Er ein Betrüger gewesen wäre. Die Dauer der Zerstreuung der Juden erweist Ihn als einen echten Propheten.

  • 4. Prophetie vom leidenden Gottesknecht erfüllt

Die eingehende Beschreibung vom Leiden und Sterben des Messias in der bekannten Weissagung Jesaja (Jes. 52, 13-53, 12) stimmten genau mit dem Leiden und Sterben Jesu von Nazareth überein. Die jesajanische Schilderung braucht nur mit der Passionsgeschichte Christi verglichen zu werden, wie sie in den Evangelien erzählt wird, damit man sich von der Übereinstimmung überzeuge. Abrabanel erklärt, diese Weissagung beziehe sich nicht auf den Messias, sondern auf die Leiden Israels. Diese Deutung ist unmöglich richtig.

Der Charakter der von Jesaja beschriebenen Person stimmt durchaus nicht mit dem Wesen des israelitischen Volkes überein. Der Knecht Jahwes sollte für die Sünden anderer gestraft werden; Israel aber musste für seine eigenen Sünden leiden. Der Messias sollte frei von Sünden sein, von Israel wird das wohl keiner behaupten. Der Verheißene sollte wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, ohne den geringsten Widerstand sich geduldig seinem Schicksal unterwerfen. Israel leistete den Römern den kräftigsten Widerstand. Der Messias sollte aus dem Lande der Lebendigen vertilgt werden; Israel besteht als Volk immer noch, wie Jeremia weissagt: „Ich will kein gänzliches Ende von dir machen.“

Die Erklärung Abrabanels teilen nicht alle jüdischen Gelehrten. Die meisten Rabbiner beziehen die Weissagung Jesajas wie wir auf den Messias, sie glauben auch, dass der Messias für die Sünden anderer leiden sollte.

  • 5. Das mosaische Zeremonialgesetz ist durch Jesus Christus abgeschafft

Gegen die Messiaswürde Jesu von Nazareth machen die Juden noch geltend, Er habe das mosaische Zeremonialgesetz abgeschafft, dem von Gott her ewige Verbindlichkeit zustehe. Dieser Einwand ist leicht zu widerlegen.

a) Wenn die jüdischen Zeremonial-Gesetze eine ewige Verbindlichkeit hätten, würde Gott ihre Befolgung für alle Völker angeordnet haben. Die Propheten erklären wiederholt, dass sich der Bund des Messias über die Juden und über alle Völker erstreckt. Das wird auch von jüdischen Auslegern anerkannt. Das Zeremonialgesetz verpflichtet seine Bekenner, jedes Jahr dreimal nach Jerusalem zu gehen. Wenn dieses Gesetz ewige Gültigkeit hätte, müssten alle Völker dreimal im Jahre nach Jerusalem ziehen, was eben unmöglich ist. Diese Anordnung kann also nicht von ewiger Dauer sein, weil Gott nichts Unmögliches befiehlt. Von den Opfern im Tempel gilt das gleiche.

Das mosaische Zeremonial­gesetz kann seit der Zerstörung des Tempels nicht einmal von den Juden eingehalten werden, so kann es nach Gottes Willen noch viel weniger für die übrigen Völker verbindlich sein.

b) Wenn das mosaische Zeremonial-Gesetz ewige Gültigkeit hätte, würde Gott für die Möglichkeit der Erfüllung gesorgt haben. Das Aufhören der göttlichen Anordnungen geschieht gewiss nicht ohne Gottes Zulassung, sonst würde Er das verhindern. Durch Gottes Vorsehung ist die Zerstreuung der Juden und die Zerstörung des Tempels bewirkt und zugelassen worden, so dass Israel seine Religionsgebräuche nicht mehr durchführen kann. Wenn die Juden selbst das Zeremonialgesetz unerfüllt lassen müssen, kann es nach Gottes Absicht für die übrigen Völker der Erde noch viel weniger verbindlich sein. Nach Gottes unerforschlichen und gerechten Ratschlüssen ist die Gültigkeit des mosaischen Zeremonialgesetzes durch Jesum Christum abgeschafft worden, und zwar so, dass an seiner Stelle der lebendige und errettende Glaube steht, den alle Völker der Erde annehmen können.

Auch die jüdischen Ausleger erkennen an, dass durch den Messias ein neuer Bund entsteht, der ein neues Gesetz gibt, und dass die meisten Opfer aufhören werden.

c) Das mosaische Zeremonial-Gesetz hat keine ewige Gültigkeit, denn es ist ein neuer und ein besserer Bund verheißen worden. Gottes Wort erklärt sich am besten durch sich selbst. Wenn im Gesetz und in den Propheten erklärt wird, dass die durch Moses angeordneten Gebräuche und Satzungen durch einen neuen Bund ersetzt werden, dessen Wesen im Geiste gegründet ist, so hat der vorhin genannte Einwurf keine Beweiskraft. Jeremia betont das mit ganz bestimmten Worten, wenn er sagt:

„Siehe, es kommt die Zeit, spricht Jahwe, da will Ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen. Nicht wie der Bund gewesen ist, den Ich mit ihren Vätern machte, da Ich sie bei der Hand nahm, dass Ich sie aus Ägypten führte, welchen Bund sie nicht gehalten haben, so dass Ich sie zwingen musste, spricht Jahwe; sondern das soll der Bund sein, den Ich mit dem Hause Israel machen will nach dieser Zeit, spricht Jahwe: ,Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und Ich will ihr Gott sein.‘“ (Jer 31,31.32.33)

Hier ist ein neuer Bund verheißen und beschrieben. Es sollte kein Bund von Gebräuchen und Zeremonien sein. Einen solchen Bund hatte Gott mit Israel bei seinem Auszug aus Ägypten gemacht. Der neue Bund sollte völlig verschieden von jenem Bund sein. Es sollte ein rein geistiger Bund sein, der darin besteht, dass das Gesetz Gottes ins Herz geschrieben wird. Ein Bund von Gebräuchen und Zeremonien soll es nicht sein, wie er mit den Israeliten beim Auszuge aus Ägypten gemacht wurde. Der neue Bund ist nach der Weissagung Jeremias ganz verschieden von jenem Bund.

Gegen diese Deutung haben die jüdischen Ausleger nichts einzuwenden. Rabbi Salomon und der Verfasser der Pesikta deuten die Jeremiastelle und 3Mose 26,9 auf die Tage des Messias. Der Jalkut sagt: „Gott wird durch die Hand des Messias ein neues Gesetz geben“; und dass in den künftigen Zeiten oder in den Tagen des Messias alle Opfer, außer dem Dankopfer, aufhören werden. Im Jalkut Chadasch ist zu lesen, dass die Abschaffung des Zeremonial-Gesetzes notwendig erfolge. Abrabanel behauptet, dass alle jüdischen Feste, außer dem Purimfeste und dem Versöhnungstage, aufhören werden. Im Jalkut Chadasch wird die Lehre aufgestellt, dass der Messias die Strafe, welche über die Söhne Adams verhängt ist, aufhebe, dass Er die ihnen gebührende Züchtigung von Israel weg- und auf sich nehme. Der Messias kommt an die Stelle der Opfertiere, nach denen man sich während der festgesetzten Zeit des allerheiligsten Hauses in heißer Erwartung ausstreckt. Wenn also der Messias an die Stelle der Opfer tritt, ist klar, dass Er sie abschafft.

Jeremia und die jüdischen Ausleger betonen, dass dem Bund von Gebräuchen und Zeremonien ein geistiger Bund folge. Dieser geistige Bund soll durch den Messias gegründet werden. Es ist nicht einzusehen, dass der Einwand der Juden gegen die Messias-Würde Jesu verhindern kann, Jesus von Nazareth als Messias anzuerkennen. Jüdische Ausleger sind der Ansicht, dass der Messias nach der Verheißung Jeremias einen neuen Bund stiften wird.

Weil Jesus den neuen Bund gestiftet hat, liegt kein Grund vor, Ihn nicht als Messias anzuerkennen, diese Tatsache muss vielmehr dazu beitragen, zu glauben, dass Er der Messias ist. Jesus tat nichts anderes, als was der Messias nach der Weissagung Jeremias tun sollte und was der messianischen Erwartung der jüdischen Ausleger entsprach. Weil durch seine Erscheinung die Schrift in allen Teilen erfüllt worden ist, muß Er der einzig wahre Messias sein, der Bote des Bundes, den Maleachi verkündigt hat.

  • 6. Zurück zum Messias

Es könnten noch eine Menge Beweise angeführt werden, die die wichtige Wahrheit bekräftigen, dass Jesus von Nazareth der verheißene Messias ist. Wer an die Erscheinung eines Messias glaubt und von der Göttlichkeit der Bücher des Gesetzes und der Propheten überzeugt ist, zweifelt nicht daran, dass der Messias, der vor der gänzlichen Zerstreuung der Juden gekommen sein muss, kein anderer sein kann als Jesus von Nazareth.

Jesus von Nazareth wird von allen Menschen als Messias anerkannt, in deren Herzen Er regiert, die sich Ihm zum Eigentum hingegeben haben. Er ist wirklich der Bote des Neuen Bundes, durch den alle Völker gesegnet werden. Zu Ihm muss auch Israel zurückkehren, wenn es wünscht, dass der Zorn des Höchsten von ihm weiche.

Es ist noch die schon erwähnte merkwürdige und erschütternde Weissagung Hoseas zu beachten:

Der gegenwärtige Zustand der Juden ist immer noch erschütternd, da sie eigentlich in der Entfremdung von Gott leben. Aber sie werden zurückkehren zu dem Messias, den sie verloren haben.

„Die Kinder Israel werden lange Zeit ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Altar, ohne Leibrock und ohne Heiligtum bleiben. Darnach werden sich die Kinder Israel bekehren und Jahwe, ihren Gott, und ihren König David suchen und werden Jahwe und seine Gnade ehren in der letzten Zeit.“ (Hos 3,4.5).

Hier wird geweissagt, dass Israel lange Zeit ohne eine National-Verfassung und ohne ein Tempelopfer sein wird. Es ist keine Rede davon, dass das auserwählte Volk der Abgötterei verfällt, wozu die Väter geneigt waren. Dieser Teil der Weissagung ist bereits erfüllt und geht noch immer in Erfüllung. Der Zustand der Juden seit fast 2000 Jahren bestätigt das.

Die Weissagung Hoseas zeigt ferner, dass die Juden nicht immer in diesem Zustand bleiben werden. In der Endzeit kehren sie zurück, sie suchen dann Jahwe, ihren Gott, und David, ihren König. Der Messias kommt vor der Abschaffung der Tempelopfer, vor der Zerstörung des Tempels und vor dem Entweichen des Stammeszepters von Juda. Der Zustand „ohne König, Fürst und Opfer“ tritt demnach erst nach der Ankunft des Messias ein. Auf diese Weise kann gefolgert werden, dass der Messias längst gekommen sein muss, weil die Juden schon bald zwei Jahrtausende diesen traurigen Zustand durchlebt haben.

Der Messias, von dem Hosea weissagt, kann sich nicht zum ersten Mal offenbaren, sondern es muss ein Messias sein, der seit langer Zeit gekommen ist, den die Juden erst verleugnet und verworfen haben, zu welchem sie dann in der letzten Zeit zurückkehren sollen.

Wenn die Juden am Ende der Tage Jahwe, ihren Gott, suchen und zu Ihm zurückkehren, dann setzt das voraus, dass sie während der ganzen Zeitdauer des von Hosea geweissagten Zustandes ohne Jahwe leben. Hätte Israel mit Gott in Gemeinschaft gelebt, würde es nicht heißen, dass sie Ihn suchen und zu Ihm zurückkehren. Es kann nur gesucht werden, was man verlassen hat. Der gegenwärtige Zustand der Juden ist immer noch erschütternd, da sie eigentlich in der Entfremdung von Gott leben.

Das Volk Israel kehrt nicht nur zurück, um Jahwe, seinen Gott, zu suchen, sondern auch David, seinen König. Sie können David nicht im buchstäblichen Sinne suchen, es ist ein David im bildlichen Sinne gemeint. Der aramäische Paraphrast erklärt die Worte ganz richtig:

„Und sie werden gehorchen dem Messias, dem Sohne Davids, ihres Königs.“

Wenn sie nun zurückkehren sollen und den Messias suchen, dann müssen sie zu einem Messias zurückkehren, den sie verlassen, und suchen, den sie verloren haben. Der Messias, von dem Hosea weissagt, kann dann nicht zum ersten Male sich offenbaren, sondern es muss ein Messias sein, der vor langer Zeit gekommen ist, den die Juden erst verleugnet und verworfen haben, zu welchem sie in der Endzeit zurückkehren sollen.

Was aber kann die Ursache des traurigen Zustandes sein, den das jüdische Volk Jahrhunderte hindurch erdulden musste? Das abgöttische Juda wurde mit einer 70-jährigen Gefangenschaft bestraft; Juda, das seit dem babylonischen Exil die Abgötterei völlig verabscheut hat, erleidet eine bald zweitausend Jahre lange Zerstreuung in alle Welt. Diese viel härtere Strafe muss ein größeres Verbrechen voraussetzen als ihre Abtrünnigkeit von Gott.

In der Weissagung Hoseas liegt eine Andeutung, was es für ein Verbrechen ist. Sie müssen lange Zeit ohne König, ohne Fürst und ohne Opfer sein, weil sie von Jahwe, ihrem Gott, gewichen sind, indem sie ihren König, den Messias, Jesus von Nazareth, verworfen haben. Gottes Zorn wendet sich von ihnen, wenn sie Jesus Christus suchen und zu Ihm zurückkehren. Das wird geschehen, wenn die Zeit erfüllt ist, in der sie klagen, wie man ein einziges Kind beklagt, und sich um Ihn betrüben, wie man um ein erstes Kind sich betrübt (Sach. 12, 10). Zu der Zeit will Jahwe auch über das Haus Davids und über die Bewohner Jerusalems den Geist der Gnade und des Flehens ausgießen, denn, spricht Jahwe, „sie werden mich ansehen, in welchen jene gestochen haben.“


  1. „Thenak“ ist eine Abkürzung von „Thora“ = Gesetz; „Nebiim“ = Propheten; und „Kethubim“ = Schriften; es sind die drei Haupteile der hebräischen Bibel des Alten Testamentes (vgl. Luk. 24, 27). 

  2. Talmud = Lehre, Unterricht ist die Gesamtheit der Erläuterungen des Gesetzes, was bis zur Mitte des 9. Jahrh. n. Chr. die Schriftgelehrten zusammengetragen haben. Der Talmud zerfällt 1. in die Mischna = Wiederholung des Gesetzes; 2. in die Gemara = Vollendung. Die Mischna ist eine Sammlung von 4187 Lehrsätzen, die Rabbi Jehuda sammelte und fixierte. Die Gemara ist eine Sammlung von Diskussionen über die Mischna, die das 20fache derselben ausmacht. Der Talmud besteht in zwei Redaktionen: es sind der „Palästinensische Talmud“, der sog. „Talmud Jeruschelmi“, und der „Babylonische Talmud“. 

  3. Maimonides, geb. am 14. Nisan (30. März) 1135 in Cordova, gest. am 13. Dezember 1204, war der größte jüdische Gelehrte des Mittelalters. Wegen seines Einflusses auf das theologische Denken des Judentums wurde er als zweiter Mose gepriesen. 

  4. Targumim sind aramäische Übersetzungen und Umschreibungen fast zum ganzen Alten Testament, mit Ausnahme von Daniel, Esra und Nehemia. Die bekanntesten sind die von Onkelos (4. Jahrh. n. Chr.) zum Pentateuch (5 Bücher Mose) und von Jonathan ben Ussiel zu den Propheten. Im letztgenannten Targum sind wichtige Zusätze messianischen Inhaltes. 

  5. Salomon Jarchi heißt meistens Raschi nach den Anfangsbuchstaben seines Namens Rabbi Schelomoh Jizchaqi. Er verfasste einen Kommentar zu 23 Talmudtraktaten und zur ganzen Bibel. Außer einer Worterklärung enthält der Kommentar die beliebtesten Allegorien der Rabbiner. 

  6. Abarbanel, auch Abrabanel, ein gelehrter Jude vornehmer Herkunft. Er bewies aus dem Buch Daniel und aus sonstigen Bibel- und Talmudstellen, dass der Messias unfehlbar eintreffen müsse. 

  7. David Kimchi (1160-1235) stand als Gelehrter im ganzen Mittelalter in hohem Ansehen. Er verfasste Kommentare zur Genesis, zu den Vorderen und Hinteren Propheten, den Psalmen, zur Chronik, zu Ruth; und eine Polemik gegen die Christen. 

  8. Rabbi Hillel, gest. 14 n. Chr., verehrt als Wiederhersteller des Gesetzes.