Vollmundig werden seit einiger Zeit auch den Evangelikalen die Errungenschaften der Bibelkritik angepriesen. Erst durch die historische Erforschung der Bibel durch historisch-kritisch arbeitende Theologen sei es möglich, die Bibel mit einer zusätzlichen Dimension in 3-D zu lesen. Dabei wird übersehen, dass es von Anfang an zum gesunden Lesen der Bibel gehörte, ihre historischen Aussagen richtig einzuordnen. Die „zusätzliche Dimension“ ist tatsächlich eine weniger, denn die Bibelkritik bestreitet die Historizität vieler in der Bibel geschilderter Ereignisse. Es seien gut erfundene Geschichten, die nur Glauben wecken wollten. Das fängt bei Schöpfung und Sündenfall an und macht vor Wundern und der Auferstehung von Jesus nicht halt. Dann sagt man, dass sich der Mensch erst durch die von der Aufklärung inspirierte Bibelkritik aus dem Gefängnis einer dunklen Sicht des Menschen befreit habe. Endlich war der Mensch nicht mehr durch und durch Sünder, sondern reich von Gott begabt und nur ein bisschen schlecht. Haben die Weltkriege und Massenmorde, die anhaltende Sklaverei, Vergewaltigungen und Missbrauch nichts mit dem aufgeklärten Menschen zu tun?
Auch zählt man zu den Errungenschaften der Bibelkritik, ein einheitliches Verständnis der Bibel zu haben. Man betont den „Konsens“, dem am besten niemand mehr widersprechen darf. Dass die Bibelkritik tatsächlich zu einer Zersplitterung der Meinungen geführt hat, scheint man großzügig übergehen zu dürfen. Während man früher um die rechte Erkenntnis stritt, darf heute um des Friedens willen jede noch so abwegige Meinung unwidersprochen bleiben. Das ist dann besonders kurios, wenn zwei Theologen, die das glatte Gegenteil behaupten, sich gegenseitig Überstimmung versichern.
Richtet Bibelkritik eigentlich auch Schaden an? Es ist regelmäßig zu beobachten, dass Gemeinden, in denen bibelkritische Positionen vertreten werden, sich in dahinsiechende religiöse Versammlungen verwandeln. Die Freude am Glauben, an der Verkündigung des Evangeliums und am Gemeindeleben schwindet. Bibelkritik führt durchweg zu mittelmäßigen Predigten. Es gibt nicht viele brillante Prediger, die sogar oberflächliche Moral ansprechend verpacken können. Wird aber nicht die Bibel mit ihrer Qualitätsbotschaft verkündigt, dann bleiben nur nette Geschichtchen und ein bisschen Moral.
Natürlich gibt es unter Konservativen auch ein falsches Predigen über Sünde, das die Freude an der Vergebung vergessen lässt. Aber geheilt wird das offenbar nicht mit Bibelkritik, sondern nur durch ein genaues Hören auf die Botschaft der Bibel. Die Bibelkritik führt den Menschen nicht zur Hoffnung auf Jesus und sein Evangelium, sondern zum Hoffen auf sich selbst, seine Kräfte und Möglichkeiten. Das aber raubt schließlich auch die persönliche Glaubensfreude, denn kaum jemand kann sich dauerhaft über sich selbst belügen. Führt aber nicht wenigstens die Befreiung von den Forderungen der Gebote zum Aufatmen? „Tu, was du willst, Gott hat dich lieb!“ Auch das ist durchschaubarer Selbstbetrug, der von der biblischen Botschaft weg lenkt: „Gott liebt dich, denn er vergibt dir durch Jesus aufgrund des Glaubens und befreit dich zu einem Leben nach seinem Willen“.