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Pragmatische Einigkeit – nicht biblische Einheit zwischen Evangelikalen und Katholiken

Am Bericht über die Konsultationen der Weltweiten Evangelischen Allianz und der Römisch-Katholischen Kirche lässt sich ablesen, dass es zwar über Jahre Gespräche gab, die in einem guten Ton geführt wurden. In den inhaltlichen Glaubensfragen gibt es aber keine Annäherung, höchstens ein besseres Verstehen. Welche Schlüsse daraus gezogen werden sollten, erscheint weitgehend offen. Trotzdem wird von beiden Seiten zur pragmatischen Zusammenarbeit ermutigt.

  • Der Bericht über die Konsultationen zwischen der Weltweiten Evangelischen Allianz und der römisch-katholischen Kirche zeigt, dass lehrmäßige Differenzen unverändert bestehen.
  • Der Ton der Gespräche ist aber seit vielen Jahren von großer Freundlichkeit und zunehmendem gegenseitigen Verständnis geprägt.
  • Es geht dabei letztlich um Einigkeit als ein gemeinsames Eintreten für christliche Werte.

Über rund sechs Jahre haben die Weltweite Evangelische Allianz und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen in Konsultationen die Möglichkeit einer Verbesserung der Beziehungen erkundet. Das Ziel der Ge­spräche sei es gewesen, „voneinander zu lernen“, um einen „Weg in die Zukunft zu ebnen“. Beide Seiten betonen, welch gute Erfahrungen sie in diesen Gesprächen gemacht haben.

Man habe „gelernt, dass wir die Worte des anderen so verstehen müssen, wie sie gemeint sind. Wir alle kamen mit Vorurteilen über den anderen, aber wir haben uns geöffnet, um zuzuhören und zu entdecken, wie der andere die Lehren sieht, die zur Diskussion in dieser Konsultation gewählt waren: Schrift und Tradition, und die Kirche und das Heil. Wir haben neue Erfahrungen gemacht und neue Einsichten gewonnen, die wir sonst vielleicht nicht gehabt hätten. Durch diese Erfahrungen haben wir einander und uns selbst besser kennengelernt.“ (66).

Was hier nach gegenseitigen Nettigkeiten in einem kirchlichen „Stuhlkreis“ klingt, war offenbar eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung um zwei wesentliche Themen, die zwischen Evangelikalen und Katholiken weltweit trennend wirken. Das jedenfalls kann man aus dem 2018 vorgelegten Papier unter dem Titel „Schrift und Tradition“ und „Die Rolle der Kirche für das Heil“: Katholiken und Evangelikale erkunden Herausforderungen und Möglichkeiten: ein Bericht der internationalen Konsultation der katholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz (2009-2016) schließen, das die Zwischenergebnisse der Gespräche in einem Bericht dokumentiert, um sie „einer breiteren Diskussion“ zugänglich zu machen. Es handelt sich dabei um keine autoritative Erklärung, sondern nur um einen „abgestimmten Bericht“. Der Bericht wurde auch von IDEA dokumentiert und ist als digitales Dokument im Internet zu finden, so dass damit möglich ist, was an der Basis der Allianzen verschiedentlich gefordert wurde: Die Konsultationen sollten keine Hinterzimmergespräche sein, wenn von der WEA im Namen evangelikaler Christen verhandelt wurde.

Zu den Teilnehmern auf evangelikaler Seite gehörten allerdings vertrauenswürdige Theologen, die sicher nicht darauf aus waren, um eines oberflächlichen Friedens willen, Grundlagen evangelischen Glaubens aufzugeben. Zu nennen wäre etwa Dr. Rolf Hille oder als kritischer Vertreter aus der italienischen Allianz Dr. Leonardo De Chirico. Auch aus Lateinamerika, den USA, Ostafrika und Südostasien waren evangelikale Theologen beteiligt. Für die römisch-katholische Seite ist die Grundlage bei solchen Gesprächen naturgemäß völlig anders als auf der Seite der Evangelischen. Die römische Kirche hat eine festgeschriebene Dogmatik, die durch Konzile bestätigt wurde und prinzipiell nur neu interpretiert oder erweitert werden kann, nicht aber korrigiert oder zurückgenommen. Die evangelikale Bewegung, die die WEA repräsentiert, ist aber eine recht bunte Gemeinschaft, die sich untereinander vielfach nicht einig ist, dies aber als „legitime Vielfalt des Volkes Gottes“ ansieht (65).

Das Papier, das sich in 75 Punkte gliedert, macht am Anfang deutlich, dass sich die Verhandler auf beiden Seiten der biblischen Forderung der Einheit aller Christen bewusst sind und deswegen auch bereit sind, nach echter Einheit zu streben. Dafür will man die „Wahrheit und Reinheit“ des Evangeliums nicht außer Acht lassen, auch wenn „das Streben nach der Wahrheit des Evangeliums nicht immer zur Einheit geführt oder alle Unterschiede aufgelöst hat“ (4). Allerdings wird an dieser Stelle gleich eine Schwäche des Papiers deutlich. Man hat nämlich darauf verzichtet, genau zu sagen, was jede Seite unter Einheit versteht. Zwar wird festgestellt, dass Einheit Geschenk und Aufgabe ist, also einerseits von Gott selbst gegeben und andererseits irgendwie auch praktisch zu leben. Aber die römische Seite versteht unter Einheit wesentlich die institutionelle Einheit der katholischen Kirche und kann die evangelikalen Kirchen nur als „kirchliche Gemeinschaften“ ansehen, denen ohne die Unter­ordnung unter die Papst­kirche die Einheit wesentlich fehlt. Das Umschiffen dieses grundlegenden Punktes wird auch nicht damit geheilt, dass man aufzählt, in welchen Glaubensüberzeugungen sich die Kirchen einig sind (10), zumal dies nur ein etwas erweitertes Apostolisches Glaubensbekenntnis darstellt.

Der Bericht geht nicht von einer geistlichen Einheit des Glaubens aus, sondern sucht eine Vereinigung um aktuellen Herausfor­derungen zu begegnen.

Der Bericht geht dann auch nicht von der geistlichen Einheit des einen Glaubens, der Einheit durch den gleichen Herrn Jesus Christus, durch die eine Erlösung, die eine Hoffnung und den einen Geist aus, sondern betont die gemeinsame Herausforderung durch „einen schleichenden Säkularismus“, „eine zunehmende Erosion der Kirchen“, „ethische Desorientierung“, „Euthanasie, Beihilfe zum Selbstmord, Abtreibung“, „religiöse und ideologische Vielfalt“ und Verfolgung von Christen (8). Punkt 9 macht dann auch deutlich, dass die eigentlichen Ziele sich auf einer beinahe politischen Ebene befinden, aber die Erreichung der Ziele dem geistlichen Auftrag der Verkündigung des Evangeliums dienen soll:

„Inwieweit können Evangelikale und Katholiken solchen Herausforderungen in Zukunft immer noch allein und unabhängig voneinander begegnen? Was hindert Katholiken und Evangelikale daran, bei der Bewältigung der gegenwärtigen Herausforderungen enger zusammen zu arbeiten? Die Teilnehmer dieser Konsultation, die von der Weltweiten Evangelischen Allianz und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen ernannt wurden, sind davon überzeugt, dass die Dringlichkeit der gegenwärtigen Situation es zwingend erforderlich macht, als Evangelikale und Katholiken gemeinsam zu sprechen und zu handeln, wo immer wir können, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Wir sind von Christus zusammengerufen, damit alle Menschen seine Gegenwart in dieser zerbrochenen und zerstückelten Welt erkennen mögen (Joh 3,16; 17,20-23), die er bis zum Tod geliebt hat und immer noch liebt. So war es ein Ziel dieser Konsultation, nach Bereichen zu fragen, die uns gemeinsam betreffen. Um herauszufinden, was wir gemeinsam tun können, bestand ein wichtiger Teil darin, mehr zu lernen über den persönlichen Glauben und die Hingabe des Anderen an das Evangelium Christi und seine Mission zur Rettung einer sterbenden Welt. Wir haben uns auch bemüht, die uns noch immer trennenden Fragen eingehender zu untersuchen. Dies tun wir, weil unser gespaltenes Zeugnis in den Augen der Welt unsere Antwort auf diese Herausforderungen schwächt. Während wir unsere bestehenden Spaltungen erkennen, können wir dennoch die Arbeit, die der jeweils Andere leistet, anerkennen und sogar erwägen, in möglichst vielen Bereichen zusammenzuarbeiten.“

Müssen Christen wirklich wegen ihres Zeugnisses für das Evangelium eine möglichst große Einheit organisieren?

Dieses Denken ist zwar so weit verbreitet, dass man sich kaum wagt, es zu hinterfragen, aber stimmt das auch? Ist es so, dass die Christen aufgrund des Gebetes von Jesus (Joh 17,23) ihre Einheit organisieren müssen, damit ihr Zeugnis des Evangeliums glaubwürdiger wird und von der Welt eher gehört wird? Johannes 17 scheint mir von einer Einheit zu sprechen, die der Sohn durch die Erlösung und die Gotteskindschaft herstellt. Diese wundersame und wunderbare Einheit, die zwischen dem Christen und dem dreieinen Gott und dadurch auch zwischen allen Gläubigen besteht, ist das Zeugnis an die Welt. Dass aber Christen so etwas nach außen darstellen, wie es bei politischen Parteien die „Geschlossenheit“ ist, das mag für politische Prozesse hilfreich sein, aber ist doch etwas völlig anderes als christliche Einheit. Vielleicht ist es im öffentlichen Konzert manchmal gut, wenn Christen „mit einer Stimme sprechen“. Bei Naturkatastrophen und anderen Notständen sollte es selbstverständlich sein, dass Christen zusammenarbeiten, wo es nützlich ist, um Menschen in Not zu helfen. Aber das Gleiche würde auch für die Zusammenarbeit von Christen und Muslimen gelten. Wenn jemand dabei ist zu ertrinken, dann dürfen sie nicht am Rande stehen und über Glau­bensfragen streiten, sondern müssen gemein­sam den Ertrinkenden retten. Würde dadurch nun der Islam glaubwürdig oder der christliche Glaube oder ist es die Religiosität? Obwohl Jesus und die Apostel um Einheit unter den Christen bemüht waren, hatten sie dafür offenbar nie pragmatische Gründe. Es ging vielmehr immer um das Wesen des Glaubens und die Würde der Berufung als Christ.

In Fragen der Wahrheit kann es keinen menschlichen Kompromiss geben, sondern nur das Ringen um die rechte Erkenntnis.

Indem zwei Bereiche, nämlich „Schrift und Tradition“ und „die Rolle der Kirche für das Heil“ besonders betrachtet werden, will man einerseits auf Konsultationen der vergangenen Jahrzehnte aufbauen, andererseits kritische Punkte nicht aussparen, weil es in diesen „keine vollständige Übereinstimmung gegeben hat“. Das Papier zeigt dann, wie man diese beiden Punkte bearbeitet hat. Offenbar hat man sich an der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung“ orientiert, die 1999 nach jahrzehntelangen Konsultationen zwischen Römisch-Katholischer Kirche (RKK) und Lutheranern zustande kam. Damit werden aber auch die Missverständnisse zum Prinzip, die diese Erklärung transportiert. Das lässt sich vielleicht am besten erklären, wenn man betrachtet, warum Martin Luther zeit seines Lebens nichts übrig hatte für gemeinsame Erklärungen von theologisch Andersdenkenden. Er hielt nicht das theologische Ringen für überflüssig, sondern Erklärungen, die sich als Kompromisspapier zwischen unterschiedlichen Positionen darstellten. Einerseits beurteilte er einen menschlichen Kompromiss in Fragen der Wahrheit als falsch, andererseits hielt er es für überflüssig, dass sich Menschen auf gemeinsame Formulierungen einigten, die beide tragen könnten, wenn sie tatsächlich differierende Überzeugungen beibehielten. Außerdem ging es für Luther in der Frage der Rechtfertigung nicht um ein theologisches Problem, das man unterschiedlich lösen könnte, sondern um eine Frage des Glaubens, an der sich für den Menschen und sein Heil alles entscheiden kann. In dieser Hinsicht war die Erklärung ein Missverständnis, das vor allem der evangelischen Seite angelastet werden muss. Das Missverständnis würde nun auch zwischen WEA und RKK weitergeführt, wenn man in dem Bericht mehr sähe, als er sein will: eine Dokumentation darüber, wörüber man freundlich miteinander geredet hat. Dabei hat man festgestellt, dass man Verständnis füreinander aufbringen kann, ohne dass irgendjemand etwas an seiner theologischen Haltung ändern will oder kann.

So wirkt denn auch die Dokumentation der beiden theologischen Bereiche etwas umständlich für das letztlich erreichte Ergebnis. Man betont zuerst das Gemeinsame und das, was einen am jeweils anderen ermutigt. So sind die Katholiken durch die Stellung der Schrift bei den Evangelikalen ermutigt. Die Evangelikalen sind ermutigt, dass bei den Katholiken, die Heilige Schrift als „oberste Autorität in Sachen des Glaubens“ gilt und sie sie als autoritativ für alle „Angelegenheiten des Glaubens und Lebens sehen“ (23. und 24.). In einem zweiten Schritt sagt man einander, was einem bei den anderen Sorgen bereitet. Die Katholiken sehen z.B. in der evangelikalen Haltung des „Allein die Schrift“ eine Zurücksetzung des aktuellen Wirkens des Heiligen Geistes und beklagen ihre Uneinigkeit bei der Schriftauslegung. Die Evangelikalen sind bei den Katholiken besorgt, weil sie ihre Tradition auf die gleiche Stufe wie die Schrift stellen und die meisten Mariendogmen „keine biblische Fundierung zu haben scheinen“. Allerdings sei man trotzdem ermutigt, „dass die Schrift zum immer größeren Schwerpunkt der katholischen Frömmigkeit und ihres kirchlichen Lebens geworden ist“. Das Gleiche macht man dann mit den Ansichten über die Rolle der Tradition. Evangelikale freuen sich, dass die RKK die Tradition der Kirchenväter pflegt und seit der Reformation der Predigt des Bibelwortes eine größere Bedeutung beimisst. Katholiken freuen sich, dass die Evangelikalen die lange Kirchengeschichte achten und nicht meinen, mit ihnen habe die wahre Kirche erst angefangen (37. 38.). Sorgen bereiten den Evangelikalen, dass die Katholiken ihre außerbiblischen Lehren allein aufgrund der Tradition weiterführen, während die Katholiken besorgt sind, dass die Evangelikalen ohne klare Maßstäbe manche kirchliche Tradition aufgenommen haben und andere ablehnen, und dass einige Traditionen achten, während andere das völlig verneinen wollen. Das hindere die Einheit (41.). Dann stellt man sich gegenseitig Fragen nach den wunden Punkten in den Ansichten.

Am Ende dieser Schritte steht (49.):

Es bleiben Unterschiede, wie wir die Tradition und ihre Beziehung zur Schrift wahrnehmen und welche Autorität die Tradition innehat. Sich weiterhin gegenseitig zu befragen führt nicht zum Ende unseres Gesprächs, sondern soll jeden von uns motivieren, tiefer in die eigene Theologie, Praxis und Frömmigkeit einzutauchen. Wir setzen unsere Diskussion fort, weil das Evangelium uns den Auftrag dazu gibt. Nur wenn wir gemeinsam im Wort stehen und der Welt durch die Kraft des Geistes begegnen, können wir hoffen, eine Botschaft anzubieten, die den Prüfungen der Zeit standgehalten hat und unveränderlich bleibt. Wir bringen dieser Welt Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Heb 13,8).

Dieses etwas mühselig wirkende Gespräch, das sich als Ergebnis jahrelanger Begegnungen darstellt, wirkt ziemlich dürftig. Aber angesichts der hochkarätigen Teilnehmer darf man davon ausgehen, dass eben mehr beim besten Willen nicht zu erreichen war. Das ist ernüchternd und verdeutlicht, wie weit die Evangelikalen und die Katholiken selbst dann auseinanderliegen, wenn sie sich mit größter Freundlichkeit, Geduld und Verständigungsbereitschaft an einen Tisch setzen und jahrelang diskutieren. Nun sollen Christen Langmut und Geduld beweisen und darum mögen solche Gespräche auch weitergeführt werden. Die Hoffnung aber, dass es so wirklich vorangeht in der Einheit der evangelikalen und katholischen Christen, kann so kaum wachsen.

Das haben die Teilnehmer wohl auch gemerkt und fragen ausgehend von Gemein­samkeiten und Unterschieden, ob ein gemeinsames Handeln trotzdem möglich ist, und „welche Schritte des Zusammenwachsens … der Herr von uns in dieser Zeit“ erwartet. Man solle sich vor Ort jeweils fragen, ob nicht eine Zusammenarbeit zum Aufbau des Gemeinwohls möglich sei. Außerdem könne man für moralische Werte gemeinsam eintreten und auch gemeinsam beten.

Wir möchten abschließend lokale Ge­mein­schaften von Evangelikalen und Katho­liken ansprechen, und zwar unter Berück­sichtigung der sehr unterschiedlichen Kontexte und des unterschiedlichen Standes der Beziehungen. Wir ermutigen Sie, sowohl die Konvergenzen, die im Text erwähnt sind, als auch die Divergenzen und die gegenseitigen Anfragen zu betrachten. Bei Über­ein­stimmungen (Konvergenzen) möchten wir die Gemeinschaften vor Ort zu Fragen auffordern: Was ermöglichen sie uns? Was können wir demzufolge verantwortlich gemeinsam tun, ohne unsere Überzeugungen zu abzulegen und ohne den gegenwärtigen Stand unser Übereinstimmung überzubewerten? Welche Schritte des Zusammenwachsens erwartet der Herr von uns in dieser Zeit? (69.) …

Ausgehend von Bereichen, in denen unser Dialog Konvergenzen festgestellt hat, laden wir Sie zu folgenden Fragen ein:

* Wie ist es im Licht dieser Über­ein­stim­mungen möglich, zum Aufbau des Gemein­wohls und zur Stärkung der Gemeinschaft zusammenzuarbeiten? Welche Dinge machen eine unmittelbare Zusammenarbeit für unsere Gemeinschaften problematisch?

* Wie können wir verantwortungsvoll unsere gemeinsamen Werte bezeugen angesichts der sozialen und moralischen Umwälzungen in der Welt um uns herum? Wie können wir es tun angesichts der Bedürftigkeit der Welt, das Evangelium Christi zu hören? Wie können wir einige der sozialen und politischen Fragen in unserer Welt ansprechen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen? Können wir das 500. Jubiläum der Reformation nutzen, um gemeinsam neu darüber nachzudenken, was das Evangelium für uns bedeutet und wie es unserer bedürftigen Welt die frohe Botschaft vermittelt?

* Während einige Evangelikalen und Kath­oli­ken das gemeinsame Gebet als nicht akzeptabel sehen, fragen sich viele andere: Gibt es Zeiten und Orte für ein gemeinsames Gebet? Wenn ja, was sollte unser gemeinsames Gebet prägen? (71.)

Selbst eine Verkündigung des Evan­ge­liums könnte also eventuell gemeinsam möglich sein. Jedenfalls will der Bericht dazu ermutigen, das vor Ort herauszufinden. Es wird auch ermutigt, auf örtlicher Ebene weiter zu diskutieren und so Beziehungen zu bauen. Dieser eher pragmatische Ausblick kann angesichts des pragmatischen Einstiegs nicht wirklich verwundern.

Der Bericht spiegelt wider, was man seit einigen Jahren beobachten kann: Es sind freundliche Gespräche zwischen evan­geli­kalen Denominationen und der RKK möglich geworden, in denen man offen über unterschiedliche Lehren sprechen kann, ohne sich gegenseitig zu verurteilen. Es gibt aber auf der Ebene der Lehre über ein gegenseitiges Ver­stän­dnis hinaus kaum echte Annäherung. Die Unterschiede werden nur freundlicher und demütiger benannt, als das früher geschah.

Allerdings setzen offenbar beide Seite auch nicht wirklich auf eine lehrmäßige Einigung und eine Einheit im gleichen Glauben. Die Hoffnung besteht eher darin, dass eine größere Einheit auf pragmatischen Weg zustande kommt. Das Ringen um die Wahrheit trennt leicht. Aber wenn man sich sympathisch findet und den Eindruck hat, dass der andere auch ein aufrechter Christ sein will, dann kann man auf dem Weg der Zusammenarbeit eine pragmatische Einheit erreichen. Ob das nun gut oder schlecht ist, darüber gehen die Einschätzungen auch unter den Evangelikalen weit auseinander. Die einen sind voller Hoffnungen, dass es vielleicht sogar zu einer Reformation der römischen Kirche noch unter Papst Franziskus kommen wird und man deswegen die Unterschiede nicht mehr so betonen solle. Die anderen sehen keinen substantiellen Fortschritt, sondern nur die Gefahr, dass vor lauter Nettigkeit Irrlehren kleingeredet werden und es zu einer Täuschung über die wirklichen Gemeinsamkeiten mit der römischen Kirche kommt.

Festzuhalten bleibt, dass ein Christ, der Gottes Wort als Maßstab anerkennt, sich nicht der Verantwortung für gesellschaftliches Handeln verweigern muss oder darf. Dazu kann er auch mit katholischen Christen gemeinsam gegen Abtreibung oder für die Ehe von Mann und Frau eintreten. Menschen in Not zu helfen verbindet uns mit allen, die das ehrlich tun. Allerdings schaffen solche Ge­mein­samkeiten keine Einheit, schon gar nicht die Einheit, die nur Christus geben kann und gegeben hat. Andererseits gibt es innerhalb der römisch-katholischen Kirche unzweifelhaft Geschwister, die auch an Christus glauben und mit denen wir in Ewigkeit gemeinsam bei Gott sein werden. Mit denen besteht eine Einheit des Glaubens jenseits aller institutionellen Einheit.