Die Bibel ist nicht nur Wort Gottes und Grundlagenwerk der Kirche, sie spielt auch eine nicht unerhebliche Rolle im Leben und Arbeiten unzähliger Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart. In einer Reihe von Interviews sollen verschiedene Personen des öffentlichen Lebens zu Wort kommen, um über ihre Erfahrungen mit der Bibel zu berichten.
Der heutige Gesprächspartner ist der evangelikale Medien-Pionier Horst Marquardt (geb. 1929). Marquardt gehörte zu den Mitbegründern des Evangeliums-Rundfunks (ERF). Lange trug er die Verantwortung als Internationaler Direktor der Radio-Mission Trans World Radio (TWR). 1970 gründete er die evangelikale Nachrichtenagentur idea e.V. und 1975 den Christlichen Medienverbund (= Konferenz Evangelikaler Publizisten (KEP)). Von 1973 bis 1986 war er Sprecher der ARD-Fernsehsendung „Das Wort zum Sonntag“. Auch im Rentenalter ist er noch aktiv, so beispielsweise in der Leitung des Evangelischen Seniorenwerks (ESW) und beim Kongress christlicher Führungskräfte (KcF).
Michael Kotsch: Wodurch wurde Ihnen die Bibel zu einem besonderen Buch?
Horst Marquardt: Ich hatte christusgläubige Eltern. Was sie bezeugten, beeindruckte mich als junger Mensch aber nicht. Die Verführungskraft der nationalsozialistischen Ideologie war stärker. Der Zusammenbruch Deutschlands allerdings ernüchterte mich.
Aller Illusionen beraubt fing ich nach 1945 an zu suchen: Warum leben wir? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Ich lebte damals im Osten unseres Landes. Der historisch-dialektische Materialismus faszinierte mich. Ich wurde Mitglied der Kommunistischen Partei. Beruflich eröffnete sich mir eine großartige Chance. Ich wurde Rundfunkjournalist.
Verhältnismäßig rasch wurde mir bewusst, dass sich die maßgebliche, aber theoretische Ideologie nicht mit der Praxis des Alltags deckte. Eine Sendung z. B., in der ich ein ehrliches Bild des Alltags zu geben bemüht war, wurde von den Vorgesetzten nicht akzeptiert. Hätte ich gelogen und einen falschen Zustandsbericht vorgelegt, wäre das genehm gewesen.
Ich fühlte mich ein zweites Mal „verschaukelt“. Ratlos stand ich eines Abends vor meinen Büchern. Eher unbewusst ergriff ich ein Neues Testament, das zwar zum Bücherbestand gehörte, das ich aber nie gelesen hatte. Wahllos blätterte ich, als mein Blick auf 2. Timotheus 3,13ff. fiel: „Mit den bösen Menschen aber und Betrügern wird’s je länger desto ärger: sie verführen und werden verführt.“ Ich erschrak über die Aktualität dieser Aussage.
Wie groß war meine Überraschung, als ich weiterlas: „Du aber bleibe bei dem, was du gelernt hast … Du weißt ja, von wem du gelernt hast und dass du von Kind auf die Heilige Schrift kennst, die dich unterweisen kann zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus …“ Ich hörte beim Lesen den Anruf Gottes.
Michael Kotsch: Welche Rolle spielte die Bibel in ihrer Lebensplanung?
Horst Marquardt: Ein Verwandter, der meine innere Wandlung bemerkt hatte, gab mir „Das Neue Testament in der Sprache von heute“, übersetzt von Friedrich Pfäfflin. Ich entdeckte die Aussagekraft des Neuen Testaments (später der ganzen Bibel). Voller Freude darüber sprach ich mit anderen über meine „Entdeckungen“ und meinen Glauben.
Ein guter Freund riet: „Wenn du so viel Freude mit dem Glauben und mit der Bibel hast, dann mach dir die Weitergabe des Glaubens doch zur Lebensaufgabe.“ Das war der beste Rat meines Lebens. Ich tat, was mir empfohlen wurde, ich studierte Theologie und wurde Pastor. Im Jahre 1960 wurde ich zum Aufbau des Evangeliums-Rundfunks (heute ERF Medien) berufen.
Michael Kotsch: Hat die Bibel für den säkularisierten Deutschen noch eine Bedeutung?
Die Bibel hat nach wie vor eine außerordentliche Bedeutung für unser Land. Leider ist das immer weniger Verantwortungsträgern bewusst.
Horst Marquardt: Die Bibel hat meines Erachtens für unser Land nach wie vor eine außerordentliche Bedeutung. Leider ist das immer weniger Verantwortungsträgern bewusst. Das gilt für alle Bereiche, für Politik, Wirtschaft, Finanzwesen, Medien, Kunst und Kultur, Sport. Die gesamte Gesellschaft entfernt sich immer weiter von der Bibel und der christlichen Grundauffassung der vorangegangenen Generationen.
Interessanterweise aber ist die Sehnsucht nach Werten, die biblisch orientiert sind, sehr groß. Meinungsumfragen zeigen, dass Menschen sich sehnen nach Klarheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Treue und Nächstenliebe.
Leider ist nicht einmal mehr ein Grundwissen vorhanden (Vaterunser, Zehn Gebote, bekannte Bibelworte). Zu lange war der christliche Glaube – auch unter Gebildeten und Meinungsmachern – Privatsache.
Michael Kotsch: Warum ist es wichtig, Inhalte der Bibel mit modernen Medien darzustellen?
Horst Marquardt: Wenn Deutschland, aber das gilt genauso für Europa, seinen Standard und sein Ansehen behalten will, muss die Gesellschaft zu den Wurzeln unserer jüdisch-christlichen Geschichte zurückkehren.
Da die breite Masse der Bevölkerung nur akzeptiert, was „irgendwo“ zu lesen, zu hören oder zu sehen ist, dürfen Medien nicht nur den Gottlosen und den Verächtern des christlichen Glaubens oder auch den Unwissenden überlassen werden. Da die „amtliche Theologie“ weitgehend versagt und Schuld ist an der geistig-geistlichen Misere unseres Volkes, müssen bibelgläubige Kreise und Persönlichkeiten in den Medien und durch die Medien tätig werden. Ist das im allgemeinen System nicht möglich, etwa bei ARD, ZDF oder über dpa, müssen eigene Instrumente genutzt werden wie ERF Medien, Bibel TV und idea.
Michael Kotsch: Gibt es Bibelstellen, die Sie nicht verstehen?
Horst Marquardt: Ehrfürchtig lasse ich verschiedene Aussagen der Offenbarung des Johannes stehen und versuche nicht krampfhaft eine Auslegung, freue mich aber über Versuche anderer, den Text zu entfalten.
Es gibt biblische Aussagen, die mein Vorstellungsvermögen übersteigen, wie z. B. Jesaja 43, 13, wo der Prophet als Stimme Gottes sagt: „ I c h b i n , ehe denn ein Tag war.“ Ähnlich Psalm 90,1, Aussagen, die deutlich machen, dass Gott ohne Anfang und ohne Ende ist. – Wer kann das verstehen?
Michael Kotsch: Was könnte ein motivierendes Bibellesen fördern?
Horst Marquardt: Am ehesten das Vorbild treuer Bibelleser. Sie allerdings sollen – wo immer möglich – bezeugen, was ihnen die Bibel bedeutet. Wer nicht hebräisch oder griechisch kann, sollte immer wieder einmal zu anderen Übersetzungen greifen, damit Bibeltexte ihn neu ansprechen. Menschen müssen ermuntert werden, Zeit zu finden, die Bibel zu lesen. In diesem Zusammenhang ist es gut, daran zu erinnern, wie viel Zeit dagegen manchmal auch gestandene Christen damit verbringen, Zeitungen zu lesen oder Rundfunk- und Fernsehsendungen zu verfolgen. Die jüngere Generation könnte motiviert werden Bibel zu lesen, wenn sie Bibeltexte und Auslegungen auch in den social media finden.