ThemenBibelverständnis

Weshalb ich der Bibel trotzdem glaube

Es gibt gute Gründe der Bibel zu vertrauen, auch wenn sie mit angeblichen wissenschaftlichen Argumenten in Zweifel gezogen wird. Der kürzlich verstorbene Autor hat selber als Universitätsprofessor seinen Glauben bezeugt und auch gegenüber wissenschaftlicher Infragestellung verteidigt.

1. Die Teile und das Ganze

Seit einigen Jahren gibt es in unserer Familie, die 5 Personen im Alter von 13 bis 50 Jahren umfasst, einen spielerischen Brauch: Kurz vor Jahresschluss, wenn die Geschenke von dem Tisch des Weihnachtszimmers fortgeräumt sind, bemühen wir uns alle – jeder nach Lust und Laune –, gemeinsam Teile eines schwierigen Puzzle-Spiels zusammenzusetzen, bis nach einigen Tagen das fertige Bild zu sehen ist. Dabei gibt es einige immer wiederkehrende Beobachtungen:

1. Es ist relativ leicht, am Beginn der Arbeit den Rand zusammenzufügen. Gewiss, auch da scheint längere Zeit hindurch dieses oder jenes Teil zu fehlen. Nicht alle Randstücke fügen sich zunächst gleich nahtlos aneinander. Erst wenn man die verschiedenen Fehleinschätzungen bemerkt hat und die notwendigen Korrekturen vornahm, zeigt sich die in der Tat vorhandene Harmonie der Teile, die sich zum Randstreifen zusammenfügen.

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2. Auch Teile, die scharfe, unverwechselbare, einmalige Konturen enthalten, kann man nach einigen Bemühungen einander zuordnen.

3. Schwieriger wird es bei jenen mit 1500 Puzzle-Teilen, die Un­schärfen aufweisen oder Farbtupfer ent­halten, die an vielen Stellen des end­gültigen Bildes zu finden sein werden. Ebenso bereiten Teile aus größeren Flächen der gleichen Farbe Schwie­rig­keiten, wenn man sie einander richtig zuordnen will. Man muss schon ganz genau hinsehen und die Konturen des einzelnen Puzzles verfolgen.

4. Noch bei jedem Projekt gab es einen Zeitpunkt, bei dem wir an einzelnen Groß- und Kleinelementen des entstehenden Bildes irre wurden: An diesen Stellen scheinen Kleinteile eines ganz falschen Bildes in den Puzzle-Vorrat hineingeraten zu sein, die unecht wirken und hier nicht hinzugehören scheinen. Andererseits fehlen dringend benötigte Teilelemente, die trotz intensiven gemeinsamen Suchens zunächst nicht zu entdecken sind. Auch die Größenverhältnisse stimmen bisweilen nicht: Der linke Rand scheint doch kleiner zu sein als der rechte, dieser Baum scheint über den Rand hinausragen zu müssen, und die Fenster des ersten Stocks des abgebildeten Hauses sind offensichtlich schief angeordnet, wenn man sie mit den Fenstern des Erdgeschosses vergleicht.

An Beobachtungen beim Puzzle-Spielen kann man Einiges über die Besonderheiten der Bibel lernen.

5. Es gibt immer ein Happy End, ein glückliches Ende, wenn man unbeirrt dabei bleibt und den Glauben konsequent festhält, dass alles richtig geordnet ist. Ohne Arbeit und beharrliche Ausdauer erreicht man nicht das Ziel, bei dem sich alle Probleme in erfreuliche Harmonie auflösen.

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6. Erwachsene sind bei dem Zusammensetzspiel durchaus nicht immer erfolgreicher als Kinder! Als besonders intelligent geltende Menschen haben mitunter weniger Erfolg als lediglich praktisch Veranlagte; und mit Intuition lösen sich viele der Teilprobleme leichter als allein mit logischen Schlüssen.

7. Noch eine Beobachtung: Kinder unter 8 Jahren, die viele, wenn auch kleinere Puzzle-Spiele immer und immer wieder zusammensetzen, erwerben die Fähigkeit, beim Betrachten eines beliebigen, an sich dunkeldeutigen Teiles sofort sagen zu können, zu welchem der vielen Bilder das Teilchen gehört, an welcher Stelle des Bildes es liegen muss und was darin die an sich unerklärlichen Farbtupfer genau bedeuten.

Nun will ich, wie man sich denken kann, hier keine Werbung für Puzzle-Spiele betreiben, sondern etwas zum Thema »Weshalb ich der Bibel trotzdem glaube« sagen. Der Vergleich mit dem Zusammensetzspiel möge als eine praxisnahe Einführung dienen.

  • Ich sehe folgende Entsprechungen zum Bibelstudium:

1. Einzelarbeit und gemeinsame Arbeit gehören zusammen, wenn man sich mit der Deutung der Einzelteile der Bibel befasst.

2. Die Schlüssigkeit des großen Rahmens, den das Wort Gottes bietet, leuchtet vielen Menschen ein. Viele begnügen sich mit dem großen Ganzen der Bibel und interessieren sich dann nicht mehr für das eigentliche Bild, den eigentlichen Gehalt und seine Einzelheiten. Mancher guter Religionsunterricht ist so eine Art Rahmengeber: Die Inhalte werden umschritten, auf zentrale Fragestellungen aber geht man nicht ein.

3. Scharf konturierte Einzelteile der Bibel werden von einer weiteren Gruppe von Menschen gefunden und immer wieder betrachtet. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn man nicht allein dabei bleibt.

Es gibt Standardgeschichten, die immer und immer wieder erzählt, im Unterricht behandelt oder in Predigten erklärt werden. Ich denke etwa an den Schöpfungsbericht, die Josefsgeschichte, den 23. Psalm im Alten Testament, sowie die Weihnachtsgeschichte, das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin am Brunnen, die Heilung des Gichtbrüchigen und das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Neuen Testament. Schüler des 8. Schuljahres, deren neuer Religionslehrer schon wieder glaubt mit dem Schöpfungsbericht beginnen zu müssen oder die zum zehnten Mal den verlorenen Sohn ausgelegt erhalten, werden der Thematik überdrüssig. Und jene Predigthörer, die zum 15. Mal das Gespräch zwischen Jesus und der Samariterin am Brunnen erklärt bekommen, fühlen sieh dann einseitig behandelt, wenn diese Verkündigung auf Kosten der anderen Teile der Heiligen Schrift geht.

Auch über die Hexe von Endor (1Sam 28) und das Leben von König Asa (2Chr 14-16) im AT und Maria und Martha (Lk 10) sowie die Auferstehung vieler Heiliger und anderen Wundertaten nach Jesu Tod (Mat 27) sollte man im Religionsunterricht und in Predigten eingehend nachdenken.

4. Jene Passagen der Bibel, die nicht so scharf konturiert sind und sich – oberflächlich betrachtet – stellenweise verwechselnd ähnlich sehen und vom oberflächlichen Leser als mitunter langweilig empfunden werden, müssen bearbeitet werden, wenn man sich nicht mit einem sehr unvollkommenen Bild der Gesamtwahrheit der Bibel zufriedengeben will.

5. Die Tatsache, dass über die rechte Einordnung von Einzelteilchen oder größeren Einzelpassagen zum Gesamtbild nicht alle Leser der Bibel in der Jetztzeit einer Meinung sind, ist nicht verwunderlich. Paulus formuliert diesen Tatbestand einmal so: »Wenn ihr [gemeint sind die Philipper] über irgend etwas anderer Meinung seid, so wird Gott euch darüber Klarheit verleihen« (Phil. 3, 15). Klarheit wird kommen, in bestimmten Gebieten vielleicht aber erst, wenn wir bei dem Herrn Jesus sein werden.

Viele begnügen sich bei der Betrachtung der Bibel mit dem großen Rahmen, der vielen Menschen durchaus einleuchten kann. Sie interessieren sich aber oft nicht für das eigentliche Bild, den Gehalt und die Einzelheiten.

So sollten – um einige Beispiele zu nennen – die unterschiedlichen Einordnungen biblischer Aussagen über das Abendmahl und die Taufe, wie sie in der Gemeinde Christi seit vielen Jahrhunderten durchgehend zu finden sind, nicht Anlass zu dem Schluss sein, die Bibel sei, wenn sie davon spreche, in sich nicht stimmig. Der große Streit über das Abendmahl, das »Marburger Religionsgespräch« zwischen Luther und Zwingli (Okt. 1529), zeigt deutlich, zu welchen Folgen es führen kann, wenn ein Gläubiger wegen unterschiedlicher Auf­fassungen über das Verständnis einzelner Verse des Wortes Gottes mit dem anderen bricht und vor ihm warnt. Letztlich war es (menschlich gesprochen) die unterschiedliche Deutung eines einzigen Wortes – »Dies ist mein Leib« oder »Dies bedeutet meinen Leib« (1Kor 11, 24) –, die uns bis heute die Trennung von lutherischer und reformierter Kirche bescherte. Da ich der Auffassung bin, dass das vollkommene Verständnis der Bibel erst möglich sein wird, wenn wir beim Herrn sein werden, können die in der Tat verwirrend wirkenden, nicht zählbaren Denominationen (und Denominatiönchen christlicher Gruppen), ihr Verständnis sowie ihre Gewichtung der Teilbereiche der Heiligen Schrift mich nicht hindern, ihr und ihrer totalen Stimmigkeit zu vertrauen.

6. Wie kleinere Kinder durch den ständigen Umgang mit ihren Lieblings­puzzle-Bildern die Fähigkeit erlangen, aus einem Einzelteil treffsicher auf das Ganze und die Lage im Ganzen zu schließen, so kann ein Christ durch den ständigen vertrauten Umgang mit dem Wort Gottes dazu kommen, in jedem Teil der Bibel das Ganze zu erkennen. Jene Stelle in 1. Korinther 13, die Luther mit »Unser Wissen ist Stückwerk« übersetzt, liest sich in der Elberfelder Übersetzung schon nahe der Sprache unseres Beispiels als »Wir erkennen stückweise«. Dem Urtext am nächsten aber kommt die Übertragung: »Wir erkennen aus einem (Bruch-) Teil.« Damit will Paulus sagen: Christen leben nicht in der Zeit der Totale, des Ganzbildes, der Voll­kommenheit. Sie sehen gleichsam die gebrochene, die teilweise, die ergänzungsbedürftige Wahrheit und müssen dabei auf die ganze Wahrheit schließen. Wie jedes der 1500 Puzzles einen Teil der Vollkommenheit – des vollständigen Bildes – unverfälscht und ohne jede Unechtheit enthält, ohne selbst das Ganzbild zu sein, so ist jeder kleinere und größere Teil der Heiligen Schrift noch nicht das Ganze, sondern eben ein Teil davon. Aber in sich ist er unverfälscht durch und durch echt, die Wahrheit widerspiegelnd und doch Missverständnissen ausgesetzt.

Weil ich weiß, dass heute die Zeit des »Erkennens aus einem Bruchteil des Ganzen« ist, fällt es mir nicht schwer, der Bibel gänzlich zu trauen.

2. Angriffe von Atheisten auf die Glaubwürdigkeit der Bibel

Als ich kurz nach dem Krieg mein Studium begann, diskutierte ich viel und ausführlich mit einem atheistisch orientierten Studienkollegen über Glaubensfragen. Schließlich einigten wir uns auf ein nachahmenswertes Verfahren, das zumindest das gegenseitige Verständnis förderte und die Gespräche fundierter werden ließ. Er versprach mir, ein von mir ausgewähltes Buch zu lesen, das eine Einführung in die Grundlagen des Christentums enthielt und von einem überzeugten Christen geschrieben war. Ich dagegen war bereit, ein von ihm vorgeschlagenes Buch zu lesen. Es handelte sich um die Schrift »Wie der Mensch Gott erschuf«. Hier wurde im Sinne von Ludwig Feuerbach (1804-1872) die Meinung vertreten, der Mensch habe sich als eine Art Idealbild von sich selbst Gott ausgedacht und ihm die Züge eines allmächtigen und allweisen Übermenschen gegeben.

Da wir wissen sollten, was ein nicht glaubender Gesprächspartner möglicherweise an Argumenten bereit hält, wollen wir einige Gedankengänge führender Atheisten kurz darstellen: Feuerbach schreibt in seinem Buch »Das Wesen des Christentums« (Stuttgart 1969, unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1849, Seite 80 f.):

»Der Mensch setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber … Dieses Wesen ist nichts anderes als die Intelligenz, die Vernunft oder der Verstand. Gott als Extrem des Menschen, als nicht menschliches, das ist persönlich menschliches Wesen gedacht – ist das vergegenständlichte Wesen des Verstandes. … Der Verstand weiß nichts von den Leiden des Herzens; er hat keine Begierden, keine Leidenschaften, keine Bedürfnisse. … ‚Alles ist eitel‘ – diese und ähnliche Aussprüche sind Mottos abstrakter Verstandesmenschen.«

So und ähnlich deutete Feuerbach die Religion, den Glauben an Gott. Es handelt sich seiner Meinung nach vor allem um einen psychologisch zu erklärenden Gott, um einen Gedankengötzen also und somit um ein Hirngespinst der Menschen!

Auch die Verständnisunterschiede der verschiedenen Denominationen und mancher „Denominatiönchen“ können mich nicht daran hindern, der völligen Stimmigkeit der Heiligen Schrift zu vertrauen.

Der Gott der Bibel ist anders! Er ist kein gefühlloses Wesen, sondern ein Vater, der um die Seinen besorgt ist. Gott liebt die Welt, er kann zornig sein, er kann lachen, er kann zutiefst verletzt reagieren durch den Ungehorsam von Menschen, und er hat einen Plan mit ihnen. Der erfundene Gott Feuerbachs ist nicht identisch mit dem der Bibel. Allerdings sollten wir die Gefahr sehen, der viele nur religiöse, wenn auch nicht an den lebendigen Christus gebundene Menschen erlegen sind: den lebendigen Gott gedanklich so zu einer Art bloßem Übermenschen zurechtzudenken, dass er nahe an das Zerrbild herankommt, das Feuerbach von ihm entworfen hat. Der Gott der Bibel ist der Nahe und der Ferne, der ganz Andere und der, der in Christus mein Bruder wurde. Er wurde nicht von Menschen erfunden, sondern hat sich ihnen geoffenbart. Hier steht Glaubenssatz (Gott ist) gegen Glaubenssatz (Gott ist nicht). Nur geöffnete Augen sehen Gott am Werk!

Karl Marx kritisierte an der Auffassung von Feuerbach (nach Hans-Georg Gadamer, Philosophisches Lesebuch 3, Ffm. 1970, S. 132 ff., siehe auch Heinrich Schmidt/Georgi Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, 19. Aufl., Stuttgart 1974, Stichwort »Religion«, S. 551), dass sie vor allem psychologisch gerichtet ist. Religion aber müsse vor allem gesellschaftlich gewürdigt werden. Er schreibt in seinen Thesen über Feuerbach (These 8): »Feuerbach sieht nicht, daß das ‚religiöse Gemüt‘ selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, einer bestimmten Gesellschaftsform angehört.« Er will damit, so zeigt es der Zusammenhang, sagen: Der Glaube an Gott ist von einer Unterdrückergesellschaft lediglich aus Nützlichkeitsgründen erfunden und eingeführt worden, um die Ausgebeuteten mit Hilfe einer erfundenen übersinnlichen Macht klein halten zu können. In konsequenter Weiterführung dieser Gedankengänge steht in dem in der DDR erschienenen »Philosophischen Wörterbuch« (Hg. Georg Klaus und Manfred Buhr, Leipzig 1971, S. 944 f.):

»Die Ausbeuterklasse suggeriert mit Hilfe der Religion dem arbeitenden Volk, daß sein Leiden auf Erden nur eine von Gott auferlegte Prüfung sei, der – sofern sie durchgestanden wird – die ewige Seligkeit folgt. … So mißbrauchen auch heute reaktionäre Kräfte unter aktiver Mitwirkung reaktionärer Kreise, z.B. des katholischen und protestantischen Klerus, die Religion als ideologisches Mittel, um die Werktätigen der kapitalistischen Länder von der Erkenntnis ihrer wahren Interessen abzuhalten.« Und man verweist auf Marx, der die Überwindung aller Religion ankündigt: »Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werktätigenlebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen« (a.a.O. S. 944).

Mit anderen Worten lautet eine der »eschatologischen« (d.h. endzeitlich gerichteten) Aussagen des Atheismus so: Sind erst die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert, überlebt sich die Bindung an religiöse Elemente von selbst und natürlich auch das Sich-Verlassen auf die Aussagen der Bibel.

Es ist über hundert Jahre her, seit Marx seine Prognosen aufgestellt hat. Es gibt inzwischen Länder in Ost und West, in denen Hunger, überlange Arbeitszeiten und Verelendung der Massen verschwunden sind. Wir wollen uns darüber freuen. Doch hat sich dadurch an der Sehnsucht des Menschen nach einem lebendigen und gnädigen Gott nichts geändert! Und die Zahl derer, die freiwillig und ohne gesellschaftliche Nötigungen die Bibel lesen, hat sicher nicht ab-, sondern eher zugenommen. Die Bibel ist ein Bestseller geblieben, weil sie eben so gehaltvoll ist! Wahrscheinlich ist die Zahl der Mitläufer gesunken, die sich lediglich aus Nützlichkeitserwägungen einen christlichen Anstrich gaben. Aber des Menschen Sehnen nach jener Welt, die über aller materialistischen Erfahrbarkeit liegt, ist geblieben.

Denn geblieben ist der Tod, dem alle Menschen entgegengehen, ob sie wollen oder nicht. Gern hätten sie eine Antwort auf die Frage nach dem Woher und nach dem Wohin des Menschen. Die Antwort des Atheismus lautet: Du Individuum kommst aus dem Zufall und gehst in das Nichts. Nutze daher das kurze Leben zur Schaffung des Paradieses auf Erden durch gesellschaftliche Veränderungen – notfalls und wahrscheinlich mit Gewalt.

Der Atheismus kann die Sehnsucht des Menschen nach einem lebendigen und gnädigen Gott nicht ändern. Das Sehnen des Menschen nach jener Welt, die über aller materialistischen Erfahrbarkeit liegt, ist geblieben.

Die Antwort der Bibel an den Christen heißt: Du bist erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, und du wirst bei dem Herrn sein alle Zeit! (nachzulesen Eph 1,4 und 1Thess 4,17). Es soll mir hier – das sei betont – nicht um die Frage gehen, welche Sozialform sich für dieses Leben als die gerechteste herausstellt. Ich glaube schon, dass jeder Einsatz gegen Ausbeutung und Verelendung lobenswert ist. Weshalb einige Gruppen aber meinen, dieses Bemühen gegen Gott und seinen Einfluss verwirklichen zu sollen, statt aus der Verantwortung vor dem Gott, der die ganze Welt liebt, wird mir ein Rätsel bleiben. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn die Bibel mit ihren Aus­sagen Leitlinie für die Lebensgestaltung für alle Menschen wäre, hätte sich leicht das verwirklicht, was menschenfreundliche Politik – es gibt ja auch und vor allem Machtpolitik – zu allen Zeiten gefordert hat. Die Bibel ist ein Buch, das der Heilige Geist unseres Gottes der Liebe heiligen Menschen zu schreiben eingab. Die Tatsache, dass auch sie (wie alle Bücher) missbräuchlich verwendet werden kann, ändert nichts daran.

Der Christ weiß auch, anders als der Atheist, um die Existenz Satans, des Bösen, und seines Einflusses. Sünde und Schuld, wenn man dem Bösen statt Gott gehorcht, können nicht wegsozialisiert, sondern nur vergeben werden.

Trotz des Studiums der Aussagen von Atheisten, von denen ich hier nur einige exemplarisch zu Wort kommen lassen konnte, muss ich sagen: Ich glaube der Bibel trotzdem, weil der zeit­unabhängige Wahrheitsgehalt ihrer Bücher solider ist und durch Lebenserfahrungen mehr bestätigt wird als das Weltverständnis der Atheisten. Dieses ist zeitimmanent und hat eine geringe Bandbreite, jenes aber ist ewigkeitsimmanent und weist eine Bandbreite auf, für die die Zeit des Erdenlebens eines Individuums nur einen kleinen Ausschnitt darstellt.

3. Weshalb ich der Bibel trotzdem ganz und gar glaube

Ich kann sehr gut verstehen, dass man als Atheist der Bibel in keiner Hinsicht vertraut, sondern sie als eine Sammlung widersprüchlicher und empörend anmaßender Schriften versteht. Wie soll der glauben können, dem der heilige Geist fehlt?

Ich kann mir gut vorstellen, dass man auch als vor allem religionswissenschaftlich arbeitender Theologe, der (wie ein Anatom) meist sezierend tätig ist, die Frage, ob die Bibel in all ihren Teilen eine Realitäten-Beschreibung ist, rundweg mit nein beantwortet.

Ja, ich habe selbst dafür großes Verständnis, dass lebendige Christen, die mit der Bibel leben und für die sie Gottes Wort enthält, zu ihrem eigenen Bedauern deren völlige Irrtumsfreiheit gedanklich nicht akzeptieren können. Ich freue mich darüber, dass sie in der Nachfolge des Herrn stehen. Sie sind meine geistlichen Mitgenossen. Sie sind keinesfalls meine Gegner, und doch wünschte ich ihnen den Mut zum letzten Schritt: nicht allein praktizierend, sondern vollinhaltlich (also auch im Intellekt verwandelt) der Heiligen Schrift zu vertrauen. Sie hätten beispielsweise Jesus auf ihrer Seite.

Ich jedenfalls habe mich entschlossen, in der ganzen Bibel Gottes Wort zu sehen. Diese Grundsatzentscheidung erleichtert vieles. Sie bedeutet nicht, dass man nun alles erklären kann. Aber man lernt so, anders an die Materie heranzugehen. Man geht beispielsweise an die beiden angeblich unvereinbaren Schöpfungsberichte (bis 1. Mose 2, 3 und ab 1. Mose 2, 4) nicht mit dem Überlegenheitsgefühl jenes Religionslehrers heran, der sich schon in der ersten Religionsstunde seiner neuen Klasse bemüht, von den elfjährigen Kindern die vermeintlichen Widersprüche »herausarbeiten« zu lassen. (Was hat er davon? Warum versucht er, den Glauben zu mindern, statt ihn zu mehren? Warum arbeitet er als ein »schrecklicher Vereinfacher«? Warum wählt er nicht Sachverhalte aus, die für diese Altersstufe vorrangiger sind?) Vielleicht sollte man bei diesen und anderen vermeintlichen Widersprüchen doch folgendes überdenken:

Sicher waren die Verfasser und ersten Leser des Alten Testaments keine intellektuell unbedarften Menschen. Ihr Intelligenzquotient, hätte man ihn damals schon gemessen, wird im Durchschnitt dem unseren kaum unähnlich gewesen sein. Sie werden sicher bemerkt haben, dass das Nieder­geschriebene für den oberflächlichen, den eiligen Leser wie zwei Schöpfungsberichte wirken könnte. Statt des Kurzschlusses »Hier irrte die Bibel« fragten sie sich und sollten wir eher fragen: Warum wurden diese beiden Berichte durch den heiligen Geist so stehen gelassen? Warum haben intelligente Menschen aus Gottes damaliger Gemeinde diese Berichte nicht frisiert, geglättet und so weniger anstößig gemacht?

Mein Vorschlag: Man gehe von folgenden Annahmen aus: Bericht 1 ist wahr; Bericht 2 ist wahr. Widersprüche sind ausgeschlossen. Zu bearbeiten bleibt: Warum wurde uns diese Denkschwierigkeit zugemutet?

Ja, warum wohl? Damit wir uns viel intensiver mit der Bibel auseinandersetzen, um von der Oberfläche in die Tiefe zu gelangen. Man muss diese beiden Berichte nicht nur lesen, sondern studieren (von lat. studere = sich bemühen um etwas). Man wird interessante Erkenntnisse gewinnen, die man nie machen könnte, wenn man von zwei einander ausschließenden Schöpfungssagen spräche. Man wird entdecken, dass nicht zufällig zwei verschiedene Beleuchtungspositionen des gleichen Vorgangs dargestellt wurden. Auch wenn nach intensivem Studium Fragen offenbleiben, reizen gerade sie zur Weiterarbeit.

Wir sollten von den Naturwissenschaftlern lernen, die bei einigen Lehrsätzen von den Entweder-oder-Lösungen zu den Sowohl-als-auch-Erklärungen kamen. Als Beispiel sei die Erklärung des Phänomens ( = Erscheinung) »Licht« genannt. Wir lesen darüber in einem Lexikon der Gegenwart u. a.:

»Lichtstrahlen verhalten sich teils wie Strahlung vieler Teilchen (Korpuskularstrahlen), wie Newton es annahm, teils aber wie Wellen (mit Beugungs-, Interferenz-, Polarisations­erscheinungen), wie Huygens es vermutete. Maxwell deutete das Licht als elektromagnetische Wellenerscheinung . . . Erst durch die Relativitätstheorie und die Quantenelektrodynamik ist es möglich, alle Erscheinungen in einer allerdings unanschaulichen (!) Theorie zusammenzufassen. Das Licht wird dabei ebenso wie die materiellen Teilchen durch ein in Raum und Zeit veränderliches Wellenfeld beschrieben, welches durch den Vorgang der Quantisierung die Zahl der vorhandenen Lichtteilchen anzugeben gestattet. « (Bertelsmann-Lexikon in 4 Bänden 1964)

Ich halte es für denkbar, dass einmal eine Harmo­ni­sie­rungs-Theorie für die sogenannten zwei Schöpfungs­be­richte entdeckt wird. Man sollte sich darum mühen. Vielleicht ist auch sie unanschaulich. Wie Licht sowohl Welle als auch Materie sein kann, stimmen Schöp­fungsbericht 1 und Schöpfungsbericht 2, unabhängig davon, ob wir die dahinterstehende »Theorie« (als Vereini­gungsthema gedacht) entdecken oder nicht.

Die Bibel mutet uns Denkschwierigkeiten zu, damit wir uns viel intensiver mit Gottes Wort beschäftigen und von der Oberfläche in die Tiefe gelangen.

Nun sagt man, diese Bibeltreue verführe zu Gesetzlichkeit. Es gibt eine gute und eine lebentötende Gesetzlichkeit. Samuel Külling illustriert gute, lebenerhaltende Gesetzlichkeit in seiner Schrift »Das Übel an der Wurzel erfassen« (Bettingen 1966, Selbstverlag, S. 6), wenn er erklärt: Wer so urteilt, »gleicht damit dem, der definiert: Autofahrer sind gesetzlich – enge Menschen, die beim kleinen Detail des Wechsels von grün in rot bei den Verkehrsampeln anhalten.«

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Ich möchte ermuntern, der Bibel ganz zu glauben. Das hieße ihrer Eigengesetzlichkeit gemäß mit ihr umzugehen. Diese „Gesetzlichkeit“ lässt das Denken aus der sehr begrenzten Dimension »Vergänglichkeit« heraustreten und sich statt auf die Oberfläche mehr auf die Tiefe auszurichten, indem man endlich die Ewigkeitsbotschaft ganz gelten lässt.

Wer dies bejaht, wird spüren, dass ihm keine Last aufgelegt wird, dass er nicht eingeengt, entmündigt oder intellektuell unredlich wird. Im Gegenteil! Er kann aufatmen, seine Energien ganz darauf verwenden, das Wort des Lebens für sich, die Gemeinde und die Pflege der Verbindung zu Gott zu erschließen. Er wird wesentlich!