Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie Kinder sehen. Das fängt bei der überwältigenden Freude an, wenn so ein Säugling noch recht verknittert gerade das Licht der Welt erblickt und hält meistens auch an, wenn man weiß, wie sehr einem Kinder mit Geschrei, Fragen oder Ungeduld auf die Nerven gehen können. Schließlich sind die Großeltern und Urgroßeltern oft entzückt über ihre Enkel. Ich gehöre auch zu denen, die sich an interessierten Augen von Kindern oder an ihren oft verblüffenden Fragen freuen. Ich mache mir manchmal klar, dass ich nicht wissen kann, was aus diesem Kind einmal wird: ein zukünftiger Bundeskanzler, ein Ingenieur oder ein Dieb oder wer weiß was. Niemand sah vorher, dass aus dem kleinen Martin der Reformator, dem kleinen Albert der Nobelpreisträger oder aus der kleinen Angela die Bundeskanzlerin werden würde.
Denn so ein Baby ist völlig abhängig davon, dass ihm jemand zu essen gibt, es wickelt, versorgt, lehrt und erzieht. Erst nach etlichen Jahren könnte es sich vielleicht auch so durchschlagen. Dem kleinen Kind bleibt deswegen nichts anderes übrig als einfach zu vertrauen, denn es kann anfangs nicht unterscheiden, ob ihm jemand Richtiges und Wichtiges oder Falschheit und Dummheit beibringt. So ein Kind glaubt erst alles: Dass die Eltern es wirklich gut meinen, was meistens stimmt; dass sie alles können und alle ihre Versprechen erfüllen, was sich irgendwann als falsch herausstellt.
Als aber die Zeit herangekommen war, sandte Gott seinen Sohn. Er wurde von einer Frau geboren und unter das Gesetz gestellt.
Es gehört zu den erstaunlichen Tatsachen, dass Gott seinen Retter als Säugling der Jungfrau Maria auf diese Welt gesandt hat. „Uns ist ein Kind geboren!“ So kündigte Jesaja (9,5) Jahrhunderte vorher das Ereignis an. Das „Wort wurde Fleisch“ sah praktisch so aus, dass ein hilfloses Kind in Windeln gewickelt zuerst von Hirten und später von den weitgereisten Sternkundigen bestaunt und sogar angebetet wurde. Auch Simeon nahm im Tempel ein Baby auf den Arm und rief dankbar: „Meine Augen haben dein Heil gesehen“. Dass dieser Weg Gottes eine Bedeutung hat, wird auch deutlich, wenn Paulus den Galatern erklärt, dass Gott es genauso wollte, dass als Erfüllung seiner Verheißungen zur richtigen Zeit der ewige Sohn als Kind einer Frau geboren wird und nicht etwa als Erscheinung vom Himmel plötzlich da ist (Gal 4,4). Warum aber sollte unser Retter als Kind kommen? Das Neue Testament gibt uns darauf eine Reihe von Antworten.
1. Als Jesus Mensch wurde, da begab sich der ewige Sohn, dem im Himmel die Engel gehorchten, in die völlige Abhängigkeit und Fürsorge des Vaters. Er vertraute sich seinem himmlischen Vater ganz an: vom Anfang bis zum Ende seines Lebens am Kreuz. Der Vater sollte für alles sorgen. Nicht weil es der Sohn nicht gekonnt hätte, sondern weil er seinem Vater mit diesem tiefen Vertrauen geehrt hat. Ob in der Krippe oder im Tod, Jesus wartete auf die Bewahrung des Vaters. Er wusste, dass ihn der Vater nicht dem Tod überlassen würde.
2. Die Erniedrigung des Sohnes Gottes sollte sein ganzes Leben umfassen, nicht nur das Sterben am Kreuz. Deswegen wurde Jesus nicht in einem Palast als Kind von Mächtigen und Reichen, sondern in einem armen Haus als Sohn eines armen Ehepaares geboren. Er sollte den Menschen wirklich in allen Lebenserfahrungen gleich werden und so Gehorsam lernen (Heb 5,8). Das heißt nicht, dass Jesus vom Ungehorsam zum Gehorsam kommen musste, sondern dass er seinen glaubenden Gehorsam in allen Lebenssituationen von der Hilflosigkeit des Kindseins bis zur Hilflosigkeit des grausamen Leidens am Kreuz praktisch zeigte.
Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.
3. Gott wollte seine Kraft in Schwachheit zeigen. Es ist das eine, als Starker mit der Faust auf den Tisch zu hauen oder durch Gewalt zu zeigen, welche Stärke man hat. Gott zeigte seine herrliche Macht, indem er die Schöpfung aus Nichts werden ließ. Aber er zeigte seine unwiderstehliche Kraft auch durch Jesus als Mensch mit äußerlicher Schwäche, der am Ende von allen verlassen war, das größte geschafft hat, was überhaupt nur getan werden kann: Er besiegte Hölle, Tod und Teufel. Er überwand die Macht der Sünde und des Bösen durch die herrlichsten Machterweise in aller Schwachheit. „Bist du Gottes Sohn, dann mach die Steine zu Brot.“ „Bist Du Gottes Sohn, dann steig vom Kreuz herab.“ So konnte es Jesus immer wieder hören. Aber wir sehen ihn seine göttliche Kraft allein zum Wohl und Heil von Menschen nutzen.
4. Als Jesus von Kindern umgeben ist, die Eltern zu ihm gebracht hatten, da nutzt er die Gelegenheit den Jüngern, die wahrscheinlich dachten, dass Jesus zu bedeutend ist, um sich mit Kindern abzugeben, dass jeder wie ein Kind glauben und das Evangelium kindlich vertrauend annehmen muss. Lukas 18,16-17: „Lasst doch die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran! Gottes Reich ist ja gerade für solche wie sie bestimmt. Ich versichere euch: Wer Gottes Reich nicht wie ein Kind annimmt, wird nie hineinkommen.“ Mein Gott kann alles und tut alles zu meinem Besten. Das ist die Überzeugung, mit der wir glauben sollen. Wenn es Gott so gesagt hat, dann wird es gut und richtig sein. Gott könnte mir doch niemals einen Stein anbieten, wenn ich Brot brauche. Es ist nicht der berechnende, der oberschlaue und besserwissende Glaube, den Gott sucht, sondern der einfältige Glaube, der auch mit klugen Fragen und Antworten sagt (Ps 139,17-18): „Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.“ Auf das schlichte Wort des himmlischen Vaters hin sollen wir glauben.
5. An dem Jesuskind wird uns ganz deutlich, dass Jesus sein Heil und die Rettung denen schenken will, die selber wie Kinder werden. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Mt 18,3), so ermahnt Jesus seine Jünger. Gott hat Gefallen daran gefunden, den Weg der Rettung nicht zuerst den Klugen und Starken zu zeigen, sondern den Kindern und Unmündigen (Mt 11,25): „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.“ Paulus muss die Korinther, die immer wieder nach dem Hohen streben und mehr Ehre und Ansehen haben wollen, daran erinnern, dass Gott auch unter ihnen vor allem Geringe und Schwachgebildete berufen hat: „Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen.“ (1Kor 1,26). Und Gott muss Paulus selbst erinnern, dass die göttliche Kraft sich nicht an menschliche Stärke andockt, sondern an Schwachheit (2Kor 12,9): „Doch er sagte zu mir: ‚Meine Gnade muss dir genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.‘ Jetzt bin ich sogar stolz auf meine Schwachheit, weil so die Kraft von Christus in mir wirkt.“
Doch er sagte zu mir: ‚Meine Gnade muss dir genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.‘ Jetzt bin ich sogar stolz auf meine Schwachheit, weil so die Kraft von Christus in mir wirkt.
Dass der Herr aller Herren und der König aller König ein Säugling wurde, ist also auch Trost und Ermutigung. Denn wir dürfen wie Kinder vertrauen und wissen, dass gerade in unseren Grenzen und der völligen Abhängigkeit von Gott der schönste Weg für Jesus liegt, uns zu beschenken. Außerdem deutet unser Kindsein im Glauben darauf hin , dass ein Ziel des Glaubens die Erkenntnis ist, dass der ewige Gott durch Jesus Christus unser Vater werden will.