Immer wieder erreichen mich Fragen zu meiner Bibelübersetzung. Eine davon ist diese: „In meiner Elberfelder Bibel (nichtrevidiert) ist Johannes 5,4 enthalten, in der revidierten Elberfelder Bibel aber nicht mehr, in deiner NeÜ auch nicht. Wo liegt das Problem? Was ist deine Sicht?“
Joh 5,3-4 In diesen lag eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer, Dürrer, [die auf die Bewegung des Wassers warteten. 4 Denn zu gewissen Zeiten stieg ein Engel in den Teich herab und bewegte das Wasser. Wer nun nach der Bewegung des Wassers zuerst hineinstieg, ward gesund, mit welcher Krankheit irgend er behaftet war.] Elberfelder 1898
Johannes 5,3(-4) In diesen Hallen lagen Scharen von kranken Menschen, Blinde, Gelähmte, Verkrüppelte. NEÜ
Schon in der vierten Ausgabe der Elberfelder Bibel von 1898 stehen der letzte Satzteil von Vers 3 und der ganze Vers 4 in eckigen Klammern. In den neuen revidierten Ausgaben der Elberfelder Bibel steht der Text mit dem Engel nur noch in der Fußnote, ebenso in der NeÜ bibel.heute.
Warum muss der Text mit dem Engel als Zusatz gewertet werden, der nicht zum verbindlichen Bibeltext gehört?
Die überprüfbaren Fakten
- Der oben unterstrichene Text fehlt in den ältesten und besten Handschriften, die wir besitzen.
- In mehr als 20 anderen alten Handschriften, in denen der Text vorkommt, ist er durch Sternchen oder Kreuze markiert, die diese Worte eindeutig als nicht originalen Text kennzeichnen.
- In diesem Text sind Worte enthalten, die Johannes sonst nie verwendet hat. Und die letzten vier Worte im griechischen Text des Verses kommen im Neuen Testament überhaupt nicht vor.
- Die oben unterstrichenen Worte sind in den Handschriften in sehr unterschiedlichen Lesarten überliefert.
Der Grund für den Zusatz
Wie kann man erklären, dass ein recht alter aber doch späterer Zusatz, der nicht von Johannes stammen kann, in den Text des Evangeliums aufgenommen wurde? Schauen wir uns zunächst den Text ohne Zusatz an:
Joh 5:3-7 3 In diesen Hallen lagen Scharen von kranken Menschen, Blinde, Gelähmte, Verkrüppelte. 5 Einer der Männer dort war seit achtunddreißig Jahren krank. 6 Als Jesus ihn sah, wurde ihm klar, dass er schon lange krank war, und er fragte ihn: „Willst du gesund werden?“ 7 „Herr“, erwiderte der Kranke, „ich habe niemand, der mir hilft, in den Teich zu kommen, wenn das Wasser bewegt worden ist. Und wenn ich es selbst versuche, kommt immer schon ein anderer vor mir hinein.“ NeÜ bibel.heute
Der Kranke glaubte offenbar, dass man als Erster in den Teich kommen müsse, nachdem das Wasser bewegt oder aufgewühlt worden war. Nur dann hätte man eine Chance gesund zu werden. Das glaubten auch viele andere Kranke, die jeden Tag auf diese Chance warteten. Das genannte Aufwallen des Wassers ging sicher auf Beobachtungen der Menschen zurück. Dass dadurch aber wirklich jemand gesund wurde, berichtet Johannes nicht. Aber genau das wurde von den Kranken geglaubt. Deshalb waren so viele dort, und deshalb gab es diesen schrecklichen Wettlauf.
Das lässt sich ohne jeden Zusatz aus dem Text schließen. Klar ist auch, dass es sich hier nicht um glaubendes Vertrauen auf Gott handelte, sondern um den Glauben an eine durch übernatürliche Mächte (Engel) verursache Wirkung von Wasser in einem bestimmten Moment oder durch ein bestimmtes Ritual. Dieser fragwürdige Glaube war bei den Juden verbreitet, zumindest bei denen in Jerusalem.
Weil die Geschichte mit den Engeln auch in christlichen Gemeinden bekannt war1 und vielfach geglaubt wurde, haben wohl mehrere Kopisten unabhängig voneinander diese Geschichte in eine Abschrift des Johannesevangeliums aufgenommen. Sie bot eben eine Erklärung für die Bewegung des Wassers.2 Deshalb kam es in einigen Handschriften zu den Hinweisen für den Zusatz und zu den entsprechenden Textvarianten.
Theologische Argumente
Der Zusatz in Johannes 5,4 vertritt eine Theologie, die der ganzen Bibel fremd ist. Niemals sollte an die Wunderwirkung irgendwelchen Wassers geglaubt werden. Wunder in Verbindung mit Wasser geschahen immer nur auf ein ausdrückliches Wort Gottes hin.
Dass jeder tatsächlich gesund wurde, der zuerst hineinstieg, „mit welcher Krankheit irgend er behaftet war“ wie V. 4 behauptet, widerspricht immerhin der Bemerkung in Joh 9,32, dass man in Israel noch nie davon gehört hatte, dass ein Blindgeborener geheilt wurde.
Wenn Vers 4 tatsächlich von Johannes geschrieben wäre, dann hätte er einen jüdischen (Aber-)Glauben gegen das gesamte Alte und Neue Testament als Wort Gottes legitimiert. Das ist gewiss nicht der Fall, auch wenn einige Christen und Kopisten das geglaubt haben.
Johannes beschreibt eben keinen Wunderteich, sondern die wunderbare Heilung eines Menschen, der 38 Jahre lang krank gewesen war. Das geschah aber nicht durch einen Engel oder bewegtes Wasser, sondern durch unseren Herrn Jesus Christus, der gerade auch wegen dieser Heilung verfolgt wurde (Joh 5,16-18).
Tertullian (gest. 220 n. Chr.) schreibt davon, ebenso Ambrosius von Mailand (340-397 n. Chr.). ↩
Inzwischen wurde der Betesda-Teich nördlich des Tempelareals ausgegraben. Es handelt sich dabei um eine Anlage für kultische Reinigungsbäder (Mikwen), die aus zwei Becken bestand, in die Stufen hineinführten und die durch eine 6,5 m breite Mauer getrennt, aber durch Kanäle verbunden waren. Die fünf Säulenhallen standen auf den vier äußeren Seiten der Becken und auf der Mauer zwischen den Becken. Das Aufwallen des Wassers könnte vielleicht dadurch entstanden sein, dass nach starken Regenfällen der obere Teich überlief und sein Wasser in den unteren Teich abgab. Quelle: Rienecker, Maier, Schick, Wendel (Hrsg.) Lexikon zur Bibel, SCM Brockhaus 2013. ↩