In Bibel und Gemeinde 2-2018 hatten wir an dieser Stelle eine Stellungnahme der Evangelischen Allianzen aus Italien, Spanien und Malta vom Ende Jahres 2017 in Auszügen abgedruckt.
Darin warnten die Leitungsgremien der Allianzen aus diesen Ländern davor, dass sich die Vertreter der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) von der historischen Position der Allianz gegenüber der Römisch-Katholischen Kirche (RKK) entfernten, und sie befürchteten, dass es in für 2018 geplanten Stellungnahmen dazu kommen könnte, dass man von einer Einheit spreche, die angesichts weiter bestehender grundlegender theologischer Unterschiede nicht vorhanden ist. Es hieß dort: „Millionen von Evangelikalen sehen keinerlei biblische Begründung für eine Bewegung in Richtung ‚größeren Eins-Seins‘ mit dem Weltkirchenrat und der Römischen Kirche.“ Deswegen baten die Allianzvertreter, keine solchen Erklärungen zu unterzeichnen, weil es inhaltlich falsch wäre und „Schaden an der evangelikalen Basis verursachen“ könnte.
In Gesprächen zwischen WEA und den Allianzen in Italien, Spanien und Malta wurde geklärt, dass eine solche Erklärung nicht geplant war und ist. Auch betont die Leitung der WEA, dass sie nie beabsichtigt habe, von den theologischen Grundlagen der Evangelischen Allianz abzuweichen, um so einer Einheit mit der Römischen Kirche näherzukommen.
In diesem Jahr ist unter dem Titel „Schrift und Tradition“ und „Die Rolle der Kirche für das Heil“: Katholiken und Evangelikale erkunden Herausforderungen und Möglichkeiten: ein Bericht der internationalen Konsultation der katholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz (2009-2016) ein Papier erschienen, das die Zwischenergebnisse der Gespräche in einem Bericht dokumentiert, um sie „einer breiteren Diskussion“ zugänglich zu machen. Es handelt sich dabei um keine autoritative Erklärung, sondern nur um einen „abgestimmten Bericht“. Der Bericht wurde auch von IDEA dokumentiert und ist als digitales Dokument im Internet zu finden, so dass damit möglich ist, was an der Basis der Allianzen verschiedentlich gefordert wurde: Die Konsultationen werden öffentlich. Auch an der Basis kann man wissen, was im Namen evangelikaler Christen verhandelt wurde.
Das Papier macht deutlich, dass sich die Verhandler auf beiden Seiten der biblischen Forderung der Einheit aller Christen bewusst sind und deswegen auch bereit sind, nach echter Einheit aus dem Glauben zu streben. Dafür will man aber die „Wahrheit und Reinheit“ des Evangeliums nicht außer Acht lassen, auch wenn „das Streben nach der Wahrheit des Evangeliums nicht immer zur Einheit geführt oder alle Unterschiede aufgelöst hat“.
Der Bericht betont die gemeinsame Herausforderung durch „einen schleichenden Säkularismus“, „eine zunehmende Erosion der Kirchen“, „ethische Desorientierung“, „Euthanasie, Beihilfe zum Selbstmord, Abtreibung“, „religiöse und ideologische Vielfalt“ und Verfolgung von Christen. Neben der Betonung in welchen Punkten man gleiche Glaubensüberzeugungen teilt, werden zwei Bereiche, nämlich „Schrift und Tradition“ und „die Rolle der Kirche für das Heil“ deswegen besonders betrachtet, weil es in diesen „keine vollständige Übereinstimmung gegeben hat“.
Das Papier zeigt dann, wie man diese beiden Punkte bearbeitet hat. Offenbar hat man sich an der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung“ orientiert, die 1999 nach jahrzehntelangen Konsultationen zwischen Römisch-Katholischer Kirche und Lutheranern zustande kam. Man betont zuerst das Gemeinsame und das, was einen am jeweils anderen ermutigt. So sind die Katholiken durch die Stellung der Schrift bei den Evangelikalen ermutigt. Die Evangelikalen sind ermutigt, dass bei den Katholiken, die Heilige Schrift als „oberste Autorität in Sachen des Glaubens“ gilt und sie sie als autoritativ für alle „Angelegenheiten des Glaubens und Lebens sehen“.
In einem zweiten Schritt sagt man einander, was einem bei den anderen Sorgen bereitet. Die Katholiken sehen z.B. in der evangelikalen Haltung des „Allein die Schrift“ eine Zurücksetzung des aktuellen Wirkens des Heiligen Geistes und beklagen ihre Uneinigkeit bei der Schriftauslegung. Die Evangelikalen sind bei den Katholiken besorgt, weil sie ihre Tradition auf die gleiche Stufe wie die Schrift stellen und die meisten Mariendogmen „keine biblische Fundierung zu haben scheinen“. Allerdings sei man trotzdem ermutigt, „dass die Schrift zum immer größeren Schwerpunkt der katholischen Frömmigkeit und ihres kirchlichen Lebens geworden ist“. Am Ende dieses Schritts steht:
Es bleiben Unterschiede, wie wir die Tradition und ihre Beziehung zur Schrift wahrnehmen und welche Autorität die Tradition innehat. Sich weiterhin gegenseitig zu befragen führt nicht zum Ende unseres Gesprächs, sondern soll jeden von uns motivieren, tiefer in die eigene Theologie, Praxis und Frömmigkeit einzutauchen. Wir setzen unsere Diskussion fort, weil das Evangelium uns den Auftrag dazu gibt. Nur wenn wir gemeinsam im Wort stehen und der Welt durch die Kraft des Geistes begegnen, können wir hoffen, eine Botschaft anzubieten, die den Prüfungen der Zeit standgehalten hat und unveränderlich bleibt. Wir bringen dieser Welt Jesus Christus, derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Heb 13,8).
Ausgehend von Gemeinsamkeiten und Unterschieden will man schließlich fragen, ob dies nicht zu einem gemeinsamen verantwortlichen Tun führen kann und „welche Schritte des Zusammenwachsens … der Herr von uns in dieser Zeit“ erwartet. Man solle sich vor Ort jeweils fragen, ob nicht eine Zusammenarbeit zum Aufbau des Gemeinwohls möglich sei. Außerdem könne man für die moralischen Werte gemeinsam eintreten, die man teile. Selbst eine Verkündigung des Evangeliums könnte eventuell gemeinsam möglich sein. Jedenfalls will die WEA und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen dazu ermutigen, das jeweils herauszufinden.
Ohne eine ausführliche Diskussion des Papiers vorwegzunehmen, die es sicher verdient hat (wir werden eine im nächsten Heft bringen), kann man sagen, dass der Bericht widerspiegelt, was man seit einigen Jahren beobachten kann: Es sind freundliche Gespräche zwischen evangelikalen Denominationen und der RKK möglich geworden, in denen man offen über unterschiedliche Lehren sprechen kann, ohne sich gegenseitig zu verurteilen. Es gibt aber auf der Ebene der Lehre über ein gegenseitiges Verständnis hinaus kaum echte Annäherung. Die Unterschiede werden nur freundlicher benannt als das früher geschah.
Wie man diese Situation beurteilen soll, darüber gehen die Einschätzungen unter den Evangelikalen weit auseinander. Die einen sind voller Hoffnungen, dass es vielleicht sogar zu einer Reformation der römischen Kirche noch unter Papst Franziskus kommen wird und man deswegen die Unterschiede nicht mehr so betonen solle. Die anderen sehen keinen substantiellen Fortschritt, sondern nur die Gefahr, dass unter der Freundlichkeit Irrlehren klein geredet werden und es zu einer falschen Einheit mit der römischen Kirche kommt. So stehen Hoffnungen und Befürchtungen gegeneinander. Die letzteren hatten zu der Warnung der Allianzen aus Italien und Spanien geführt. Zugleich aber kann man davon ausgehen, dass alle Beteiligten mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ihre Überzeugungen und Absichten offenlegen, so dass eine Beurteilung möglich ist. Eine offene Diskussion über die bisherigen Ergebnisse sollte es nun auch geben. Der Bibelbund wird sich daran beteiligen.