ThemenOrientierung

Wenn die Reformation verraten wird

Sola Scriptura, Solus Christus, Sola Gratia, Sola Fide, Soli Deo Gloria sollten für alle evangelischen Christen Thesen mit bekanntem Inhalt sein. Doch es ist deutlich, dass der Inhalt der Grundaussagen der Reformation weithin auch innerhalb der evangelischen Kirchen aufgegeben wurde. Der Reformation ging es am Anfang um die geistlichen Kämpfe und diese müssten auch im Zusammenhang mit dem bevorstehenden 500. Jahrestag der Reformation im Mittelpunkt stehen, wenn der Verrat an den Lehren der Reformation beendet werden soll.

Ein großer Teil der christlichen Welt plant 2017 das Jubiläum des 500. Beginns der Reformation zu feiern. In Deutschland, das als Ausgangspunkt der Reformation gilt, wird eine Reihe von Feierlichkeiten stattfinden, deren Programm bereits jetzt die kirchlichen und die weltlichen Medien beschäftigt.

In Ungarn wurde auf Empfehlung der Regierung eine Regierungskommission gebildet, deren Aufgabe es sein wird, die Gedenkfeiern inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten. Obwohl bekannt ist, dass das Ziel der Reformation war, die Lehre und die Organisationsstruktur der von der Lehre der Bibel abgewichenen mittelalterlichen römisch-katholischen Konfes­sion zu reformieren, werden in die Feierlichkeiten auch zahlreiche prominente römisch-katholische und orthodoxe Würdenträger einbezogen. Dabei steht die römisch-katholische Kirche bis zum heutigen Tag zu den meisten damals kritisierten Lehren und hat sie sogar bestätigt.

Es ist deutlich, dass man vorhat, die Feierlichkeiten im Geist der Ökumene bzw. einer religiösen Umarmung mit römisch-katholischen und den orthodoxen Vertretern zu organisieren.

Vertreter des Staates werden mit bedeutenden Summen die Vorbereitungen und die Feiern selbst unter­stützen. Das zeigt, dass auch die Politik und der Staat eine derart wichtige Ver­­an­staltungsreihe nicht verpassen möchte. Das kann an sich auch als gute Ent­scheidung bezeichnet werden. Aus Sicht des Staates ist die scheinbare große Ökumene begrüßenswert, denn das durch die politischen Parteien gespaltene Land Ungarn braucht keine weitere Vergrößerung der Zerrissenheit durch die konfessionelle Teilung.

Dennoch haben wir allen Grund zu der Befürchtung, dass die Feierlichkeiten das Wesen der Reformation deutlich verzerren und die religiösen Massen in Richtung eines prinzipienlosen Umarmungskurses geführt werden.

Mit der Verwendung des Attributs „prinzipienlos“ möchte ich auf die Gefahr aufmerksam machen, dass die Opfer der großen ökumenischen Vereinigung wie meistens die biblischen Wahrheiten der Reformation sein werden.

Wer die Bibel und die wichtigsten Ziele der Reformation kennt, weiß, dass die Antworten Roms in Trient nichts geändert haben.

Wer die Bibel und die Lehren der Reformation gut kennt, weiß, dass von den Dogmen, die auf dem Konzil von Trient (1545-1563) als Antwort auf die Reformation verabschiedet wurden, nichts geändert wurde. Die römisch-katholische Kirche ist bis heute weitgehend die gleiche geblieben und hat keines von ihren Verdammungsurteilen gegen die wichtigsten Lehren der Reformation zurückgezogen.

Die Geste der Entschuldigung des menschlich sympathischen und sozial sensiblen Papstes Franziskus, die er kürzlich gegenüber den protestantischen Walden­sern und den protes­tan­tischen Charis­­mati­kern übte, könnte viele täuschen.

Jedoch wurde von den Lehren Roms weder etwas zurückgenommen noch geändert. Die verschiedenen päpstlichen Enzykliken bestätigen eindeutig unsere Behauptung, dass Rom ein Gegner der Reformation war und auch geblieben ist. Was sich geändert hat, ist allein die Kommunikation.

Verräter der Reformation

Ziel und Thema meines Vortrags ist jedoch nicht eigentlich die römisch-katholische Kirche, sondern die Reformation selbst. Und zwar will ich mich mit den geistlichen Themen der Reformation beschäftigen, deren eingehende Erörterung mit großer Wahrscheinlichkeit bei den kommenden großen Reformationsfeiern keine Rolle spielen wird.

Es geht mir um die Beantwortung der Frage, welche Verräter es innerhalb der Reformation gab oder gibt. Wir sprechen häufiger nur von den äußeren Gegnern der Reformation. Diese Gegner sind meist leicht, die Verräter viel schwerer zu identifizieren und also auch zu benennen. Das liegt schon daran, weil die Verräter vor allem in den Reihen der Kirchen der Reformation selber zu finden sind. Ohne genauer darin zu unterscheiden, nenne ich es der Einfachheit halber das protestantische Lager.

Eine nachdenklich stimmende Kritik Roms ist bis heute die, dass die Refor­mation die bis dahin „einheitliche“ westliche Christenheit in zahllose Konfessionen gespalten habe. In vieler Hinsicht hat man damit Recht! Der Irrtum liegt nur darin, dass die Ursache dieser Zerrissenheit nicht die Reformation selber darstellt, sondern bei den inneren Verrätern der Reformation zu suchen ist, – im biblischen Bild gesprochen – in den protestantischen Judassen.

Weil die Benennung dieser Verräter den Rahmen meines Vortrags weit überschreiten würde, insbesondere wenn wir diese nach einzelnen Konfessionen unterscheiden wollten oder noch mehr, wenn wir jede einzelne Personen benennen, darum gehen wir einen anderen Weg. Wir wollen im Weiteren nicht die Verräter, sondern das Wesen des Verrats behandeln. Das ist auch hilfreicher, denn der Verrat dauert meines Erachtens auch in unseren Tagen weiterhin an und wird sich sogar in den kommenden Zeiten verschärfen. Diese Tatsache wir dadurch bestätigt, dass immer mehr evangelische Konfessionen, Kirchen und Organisationen mit der Begründung entstehen, dass die Wahrheit bei ihnen ist und nicht bei denen, von denen sie sich getrennt haben.

Die Bereiche und das Wesen des Verrats

  • Verrat am Sola Scriptura

Die erste große These der Reformation war das Sola Scriptura: allein die Heilige Schrift. In dieser These sagt die Reformation, dass in den Fragen des Heils, des Glaubens und der christlichen Lebensführung allein der Bibel, als Gottes unfehlbarer Offen­barung, die höchste und letzte Autorität zukommt.

Die Bibel ist in allen ihren Teilen gleicher­maßen inspiriert. Über ihr steht keinerlei kirchliche, päpstliche oder sonst eine menschliche Autorität. Die Bibel erklärt sich selbst. Das geschriebene Wort, die Bibel, ist untrennbar verbunden mit dem Wort, das Fleisch wurde, Jesus Christus. Das bedeutet auch: Wer die Bibel angreift, greift Jesus selber an. Darum war das Sola Scriptura für die Reformatoren unerschütterliche Grundlage.

Der vielleicht erste, wirklich große Verrat des Protestantismus erfolgte, als er die Bibelkritik in unsere Kirchen hineinließ, die anfänglich nur geduldet war, in der Gegenwart jedoch zu einer nicht nur an den protestantischen Fakultäten offiziell gelehrten und vertretenen These wurde. Die Bibelkritik stellt die Bibel als Offenbarung, ihre historische Glaubwürdigkeit und die in ihr formulierte absolute Wahrheit in Frage.

So bezweifelt die Bibelkritik die eindeutigen historischen, sachlichen und geographischen Informationen der Bibel über die Schöpfung und die Sintflut, über Mose und die ägyptische Knechtschaft, die Jungfrauengeburt und den Ort der Geburt Jesu, die von Jesus vollbrachten Wunder und sogar seine leibliche Auferstehung. Die Liste ließe sich lang fortführen. Heute bestreiten nicht nur viele Theo­logie­­profes­soren in Deutschland, dass der Tod von Christus am Kreuz ein stellvertreten­des Sühneopfer für unsere Sünden war.

Die Bibelkritik hat auch dem kämpferischen Atheismus viele Argumente gegen die Bibel, den Glauben und Gott geliefert.

Mit der Aufgabe des Sola Scriptura vermittelten und vermitteln die protestantischen Kirchen der Welt ein falsches Bild von Gott und von den Menschen. Deswegen entstammen auch viele Argumente des kämpferischen Atheismus gegen die Bibel und gegen Gott der jeweiligen protestantischen Bibelkritik.

Das ist nichts anderes als ein Verrat an der Reformation und insofern auch eine Rückkehr zum mittelalterlichen Katholizismus, als dass die Autorität der Kirche und die Autorität von Menschen (Theologen) wie ein Papst über die Bibel erhoben wird.

  • Verrat am Solus Christus

Die andere große These der Reformation war das Solus Christus: allein Christus. Diese These betonte, dass zu Gott, dem Vater, nur ein Weg führt, und der ist die Person Christus bzw. der Glaube an die Person Christus. Es gibt also nicht mehrere Wege, die zum barmherzigen Gott führen, sondern nur diesen einen. Weder die Jungfrau Maria, noch die Heiligen, noch die „allein selig machende“ römische Kirche sind ein Weg, der zu Gott führt!

Aber auch über die verschiedenen nicht-christlichen Religionen führt kein Weg zu Gott. Die Götter der Religionen sind nicht mit dem Gott der Bibel identisch. Der Weg zum Heil führt allein über Christus.

Unter Solus Christus verstand die Reformation den Jesus Christus der Bibel, der, als die Zeit erfüllt war, in Bethlehem geboren wurde, in Nazareth lebte, der zur Zeit von Pontius Pilatus gekreuzigt wurde und am dritten Tag auferstand, den Seinen erschienen war, danach in den Himmel auffuhr und zur Rechten Gottes, des Vaters, sitzt.

Seine Worte, seine Verhei­ßun­gen und Hand­lungen ließ der Heilige Geist von seinen Jüngern nieder­schreiben und seitdem dürfen wir wissen, wer Gott ist und wie Gott ist.

Einen eindeutigen Nachweis dafür, dass der zweite große Verrat der protestantischen Kirchen die Aufgabe des Solus Christus war, können wir in der ökumenischen Bewegung sehen. Diese auf dem Boden des Protestantismus geborene Einheitsbewegung, an deren Beginn Jesus Christus noch als die die protestantischen Konfessionen verbindende göttliche Person erschien, gab die Lehre von Christus als dem allein zu Gott führenden Weg Schritt für Schritt auf. Den Platz von Christus nahm ein Humanismus als ein das Christentum zu einer Einheit zusammenfassendes Ideal ein. In der Gegenwart strebt man eine Einheit mit Rom an, obwohl in der katholischen Kirche auch Maria und die Heiligen als ein Weg zum Heil neben Christus gelehrt werden.

Der verhängnisvolle Verrat am Solus Christus zeigt sich auch darin, dass man offen über eine Ökumene der Weltreligionen sprechen kann.

Der verhängnisvolle Verrat am Solus Christus zeigt sich auch darin, dass die großen protestantischen Kirchen offen von einer Ökumene der Weltreligionen sprechen. Nach ihrer Vorstellung gibt es auch einen nicht-christlichen Weg, der zum Heil führt.

  • Verrat am Sola Gratia

Der dritte große Verrat im Protestantismus wurde die Aufgabe des Sola Gratia. Sola Gratia bedeutet, dass der Mensch allein durch die Gnade errettet wird. Die Reformation sagte aus, dass der Mensch die Sündenvergebung und die Erlösung zu einem ewigen Leben aus eigener Kraft weder erreichen, noch kaufen oder verdienen kann, sondern diese ausschließlich durch eine freie, gnädige Entscheidung Gottes als Geschenk erhält und von ihm annimmt.

Die Gnade ist also eine souveräne Entscheidung Gottes, die uns ausschließlich durch das Verdienst des für uns vollbrachten Kreuzestodes von Christus geschenkt werden kann. Der Mensch kann die Gnade nur annehmen und dafür dankbar sein. Das geheiligte Leben eines Menschen, der die Gnade angenommen hat, kann nur Teil einer dankbaren Antwort darauf sein, dient jedoch nicht als eine Leistung, die belohnt wird.

Die Lehre der Sola Gratia war eine Antwort auf den Irrtum, nach dem der sündige Mensch einen freien Willen hat, um das Heil selber zu wählen, indem er befähigt wird, die Sündenvergebung und das Heil mit seinen guten Taten zu verdienen. Die biblische Lehre von der Gnade hält nämlich den Heiligen Geist Gottes, der der Geist der Gnade ist, für den Urheber und Vollbringer des Heils beim Menschen; er ist der Erwecker des Glaubens und veranlasst die Buße.

Dagegen verfechten viele Christen aus dem großen Lager des Protestantismus das Bestehen eines freien Willens und halten auch den Erhalt des Heils für eine menschliche Leistung. Das ist nichts anderes als eine Rückkehr zur römisch-katholischen Lehre, die für das Erlangen des Heils auch gute Taten für unerlässlich hält und das Recht der Erteilung der Sündenvergebung in die Hände des Klerus legt.

Mit der Aufgabe des Prinzips des Sola Gratia hat der Protestantismus den Weg für den Humanismus frei gemacht, der heute die protestantische Welt durchdrungen hat und auch – ungewollt? – das biblische Bild des souveränen Gottes und seiner Gnade neu gezeichnet hat. Dadurch herrscht auch unter vielen evangelischen Christen die Meinung vor, dass es nur oder vor allem um den Menschen ginge und, dass es Gottes Aufgabe ist, die irdischen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Dann wird es zur Hauptsache, dass sich die Menschen in der Kirche sowie bei den Zusammenkünften „wohl fühlen“. Mit dem nahezu magisch eingesetzten Mittel des Gebets meint man dann, über Gott verfügen können.

  • Verrat am Sola Fide

Der vierte große Verrat des Protestantismus ist die Aufgabe des Sola Fide. Sola Fide bedeutet: allein durch Glauben. Das Heil des Menschen kann letztendlich nur durch den Glauben an Jesus Christus erlangt werden.

Dieser Glaube ist kein vom Menschen ausgehender oder von ihm hervorgebrachter allgemeiner Gottesglaube (Ein höheres Wesen muss es ja geben.), sondern der Glaube an den Jesus der Bibel, der beinhaltet, „dass nicht allein anderen, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt sind, aus lauter Gnade allein um des Verdienstes Christi Willen“ (Heidelberger Katechismus Antwort 21). Dieser Glaube blickt immer auf den für uns am Kreuz gestorbenen und auferstandenen und verherrlichten Jesus, der jetzt in der Herrlichkeit im Himmel herrscht.

Wer dem Wort Gottes vertraut, ist durch den Glauben mit dem herrlichen himmlischen Christus verbunden.

Mit diesem herrlichen himm­lischen Christus sind die, die dem Wort Gottes vertrauen, durch den Glauben verbunden. Das heißt auch, dass das Heil der Gläubigen in Christus verborgen ist und dadurch auch unverlierbar wird. In den Gläubigen wohnt Jesus und das Heil nicht leiblich, wie das Vertreter einer falschen Christus-Mystik verkünden, sondern durch den Glauben.

Damit, dass der größere Teil des Protestantismus „Ja“ zum Rationalismus sagte und dann später auch zum theologischen Liberalismus, wollte er alles, was aus der Bibel allein mit dem Glauben zu erfassen ist, mit dem Verstand erklären und auslegen. Die Folge davon war und ist, dass der Glaube dem Verstand untergeordnet wird, weil der Glaube minderwertiger erscheint.

Darum kämpft die protestantische Theologie mit der biblischen Schöpfungs­geschichte, mit dem biblischen Gottesbild, mit dem Menschenbild. Darum kann sie mit der Wirklichkeit von Erlösung und Verdammnis, mit der Auferstehung und mit den sich auf die souveräne Gnade beziehenden Bibelworten nichts anfangen, denn diese können allein durch Glauben verstanden und angenommen werden.

  • Verrat am Soli Deo Gloria

Der fünfte Verrat des Protestantismus war der Verrat am Soli Deo Gloria, der vielleicht größten These der Reformation. Die Bedeutung des Soli Deo Gloria: Gott allein steht die Ehre zu. Mit diesem Satz hat die Reformation das letzte Ziel der geschaffenen Welt benannt und gleichzeitig den Sinn des menschlichen Lebens im Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes angegeben.

Die Ehre Gottes ist das Ziel der Schöpfung, des Menschen, seiner Erlösung und der gesamten Welt- und Heilsgeschichte.

Die Ehre Gottes ist das Ziel der Schöpfung des Menschen, seiner Erlösung und der gesamten Welt- und Heils­geschichte.

Diese These enthält auch die Erkennt­nis, dass ein Geheimnis des Verstehens der Offenbarung (der Bibel) darin besteht, wenn wir durch sie erkennen, dass alles Geschehen der Weltgeschichte und der Heilsgeschichte, unabhängig davon, ob es positiv oder negativ erscheint, dazu berufen ist, der Herrlichkeit Gottes zu dienen.

Soli Deo Gloria heißt „Nein“ zu jeder menschlichen Prahlerei und falscher Verehrung des Menschen.

Das Soli Deo Gloria sagte gleichzeitig „Nein“ zu jeder menschlichen Prahlerei, zu allen Verherrlichungen des Menschen durch die Kirche und die Welt. Besonders verbietet sie die Anbetung des Menschen, die dem Menschen die Ehre erweist, die nur Gott allein zusteht.

Die Kirchen der Reformation gaben diese These sehr schnell auf, als sie anfingen, kirchliche Menschen zu verherr­lichen. Den größten Verrat verübte die Kirche jedoch mit der Anerkennung des Humanismus, mit dem sie Gott letztlich gegen den Menschen austauschte und erklärte, dass alles dem Menschen dienen muss, schließlich sogar Gott.

Heute sind wir soweit, dass zu den wichtigsten Fragen der protestantischen Kirchen die Beschäftigung damit gehört, was die Menschen von der Kirche erwarten. Ihrer Erwartung müssen nämlich die Liturgie, die Predigt und das ganze Kirchenprogramm angepasst werden. Manche evangelische Kirchen versuchen fast krankhaft, die Erwartungen und Be­dürf­nisse der Jugend zu erfüllen, um sie für die Kirche zu gewinnen. Wenn es sein muss, lassen sie in ihren Kirchen Pop- und Rockstars auftreten, um das jeweils ins Ziel genommene Publikum zu gewinnen. Um Tierschützer und -liebhaber zu gewinnen, werden Tiere getauft und besondere Gottesdienste für Haustiere veranstaltet.

Im Mittelpunkt dieses Prozesses, der sich vor unseren Augen abspielt, steht immer der Mensch. Gradmesser seines Willens wird immer mehr die Mehrheitsmeinung: Was will die Mehrheit? Stimmen wir ab und danach entscheiden wir!

  • Verrat an den christlichen Werten

Der Verrat der biblischen Thesen der Reformation hat Folgen, die auf dem Gebiet der christlichen Ethik immer augenfälliger werden. Im Zusammenhang damit möchte ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – nur einige Beispiele aufzeichnen.

Westeuropäische protestantische Kirchen erklären die Schöpfungsordnung der Ehe für überholt. Mit einem sogenannte neuen Ehe- und Familienmodell wollen sie Ehe und Familie „offen“ gestalten, weil das biblische Modell der Ehe ein an das Altertum gebundenes, patriarchalisches Modell gewesen sei, das abgelöst worden ist.

Obwohl 70 % der Bevölkerung der USA behaupten, Christen zu sein, haben sich in Abstimmungen dennoch 57 % für die gleichgeschlechtliche Ehe und die Adoption von Kindern durch solche Paare entschieden. Es gibt nur noch wenige protestantische Konfessionen, die das homosexuelle Verhalten mit einem biblischen Maßstab beurteilen wollen. Unter Berufung auf das Prinzip der Liebe bestätigen viele sogar das partnerschaftliche Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Pastoren und Pastorinnen. Diejenigen, die in der Kirche unter Berufung auf die Bibel ihre Stimme gegen diese Entwicklung erheben, werden wohl in Zukunft mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen haben. Die Bibel ist hier nicht mehr die Autorität. Das Sola Scriptura wurde zu einem leeren Schlagwort degradiert.

Die Versprechen eines irdischen Wohlstandsevangeliums sollen das Evan­gelium des Kreuzes und der Nach­folge Jesu ablösen. „Wenn du reich werden willst, werde Christ, denn Gott will, dass wir reich, gesund und erfolgreich sind“, wird von Manchen behauptet. Parallel dazu entsteht und entwickelt sich fortlaufend eine Manager-Kirche, die nach unternehmerischen Prinzipien ebensolche Einrichtungen unterhält.

Ein erheblicher Teil der protestantischen Kirchen Westeuropas und der USA ist unglaublich reich. Es erscheint manchen fast als ein Privileg, zu ihnen zu gehören.

Zu der Orientierung auf das Geld kommt in einigen protestantischen Kirchen auch das Streben nach politischem Einfluss und Macht hinzu. Dahinter steht die Meinung, dass das Reich Gottes hier auf Erden aufgebaut werden muss, wozu Macht und Geld erforderlich sind. Darum sollen die Christen möglichst viele weltliche und staatliche Führungsposi­tionen einnehmen.

Wer spricht heute noch von der Fremdlingschaft der Kirche, von der leidenden Kirche, von der kleinen Herde und der Heimat im Himmel?

Wer spricht heute noch von der Fremdlingschaft der Kirche und einer leidenden Kirche, von der kleinen Herde, deren Heimat im Himmel ist und deren größter Schatz Christus ist?

Ob bei den Jubiläumsfeiern über diesen Verrat etwas zu hören sein wird? Wird es Buße geben und zu echter Umkehr kommen? Wird es dann vielleicht sogar eine neue Reformation geben?