Der weltbekannte britische Astrophysiker Stephen Hawking ist am 14.3.2018 in Cambridge gestorben (geb. 1942). Viele kennen ihn als den Physiker im Rollstuhl, der nur über seinen Sprachcomputer mit der Außenwelt kommunizierte. Immer wieder war er für scharfe Beobachtungen und steile wissenschaftliche Thesen gut. Insbesondere beschäftigten ihn das Wesen der Schwarzen Löcher, die Allgemeine Relativitätstheorie und die Frage nach dem Anfang des Universums.
In gewisser Weise hatte Hawking einen regelrechten Kultstatus; vielleicht weil er so gut in das Schema des skurrilen Genies passte. Einige sahen ihn auf einer Stufe mit der Physik-Ikone Albert Einstein (1879-1955). Er selbst wies diese Vergleiche immer deutlich zurück und hielt sich für vollkommen überschätzt. In den letzten Jahren hatte Hawking insbesondere mit seiner Behauptung für Diskussion gesorgt, er könne mit den Mitteln der Physik beweisen, dass es keinen Gott gäbe. Zahlreiche Kollegen hielten das für eine unzulässige Grenzüberschreitung der Naturwissenschaft und kritisierten die Stimmigkeit dieser Theorie. Sollte Hawking mit seiner Behauptung richtig liegen, dann kann er das nun auch nicht mehr verifizieren. In diesem Fall gibt es den Physiker nämlich nach seinem Tod als eigenständige, denkende Person nicht mehr. Sollte sich Hawking aber geirrt haben, dann befindet sich seine Seele zwischenzeitlich im Jenseits und weiß um die Lücken seiner kosmologischen Spekulationen über Gott und die Welt.
Auf der Suche nach dem Wesen der Schwarzen Löcher
In seiner Oxforder Doktorarbeit (1966) bezog Hawking Gesetzmäßigkeiten über die Entstehung sogenannter Schwarzer Löcher aus dem Gravitationskollaps massereicher Sterne (Singularität) auf den Urzustand des Alls. Er projizierte die Expansion des Universums in umgekehrter Reihenfolge und kam dadurch zu einer extremen Konzentration von Temperatur, Dichte, Energie und Krümmung am Anfang des Universums. Raum und Zeit dagegen schrumpfen in diesem Szenario auf den Wert null. Damit erklärte Hawking den Urknall als kosmische Singularität.
In weiteren Forschungen berechnete Hawking die Energie, die von Schwarzen Löchern ausgeht. Zu seinen Ehren wurde dieses Phänomen später Hawking-Strahlung genannt; wobei es experimentell bislang noch nicht nachgewiesen werden konnte.
Mit nur 32 Jahren wurde Hawking 1974 in die renommierte Royal Society aufgenommen. 1977 richtete die Universität Cambridge für ihn eine Professur in Gravitationsphysik ein. Drei Jahre später folgte die Berufung auf den berühmten Lukasischen Lehrstuhl für Mathematik in Cambridge (1979-2009). Nach seiner offiziellen Pensionierung wurde Hawking in Cambridge zum Forschungsdirektor der Fakultät für angewandte Mathematik und theoretische Physik ernannt.
Hawkings populärwissenschaftliche Bücher über den Urknall, über schwarze Löcher und die Quantenphysik wurden schnell zu Bestsellern. Seine Kurze Geschichte der Zeit (1988) wurde in 40 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als zehn Millionen Mal verkauft.
Trotz seiner schweren Behinderung durch Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) wollte Hawking kein Mitleid. Er ermutigte auch andere Menschen, sich eher auf ihre Möglichkeiten statt auf ihre Probleme zu besinnen. In seiner Autobiographie Meine kurze Geschichte (2013) schreibt er:
„Meiner Meinung nach sollten sich behinderte Menschen auf die Dinge konzentrieren, die ihnen möglich sind, statt solchen hinterherzutrauern, die ihnen nicht möglich sind.“
Physikalischer Beweis des Atheismus?
Am stärksten wurde in der breiten Öffentlichkeit Hawkings vorgeblicher Beweis des Atheismus diskutiert. „Hawking versetzt Gott den Gnadenstoß“, freut sich der vielzitierte Atheist und Gottesgegner Richard Dawkins (geb. 1941).
Ursprünglich hatte Hawking in seiner kosmologischen Konzeption durchaus noch Platz für einen abstrakten Gott.
„Wenn wir eine komplette Theorie haben, können wir die Gedanken Gottes verstehen“, heißt es dazu beispielsweise in seinem internationalen Bestseller Eine kurze Geschichte der Zeit. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC (2010) erklärte Hawking Gott dann aber zum entbehrlich gewordenen Lückenfüller wissenschaftlicher Theorien: „Man kann nicht beweisen, dass Gott nicht existiert. (…) Aber die Wissenschaft macht Gott überflüssig.“
Mit seiner Kosmologie meinte Hawking die Existenz Gottes physikalisch widerlegen zu können. In seinem Buch Der große Entwurf (2010) stellte Hawking dahingehend folgende Behauptung auf:
„Weil es die Gesetze der Schwerkraft gibt, hat sich das Universum aus dem Nichts selbst geschaffen.“
In der Singularität des Urknalls, der absoluten Konzentration von Masse, Energie und Temperatur, käme es rein theoretisch zu einem Verschwinden von Zeit und Raum. Damit brächen alle heute bekannten Naturgesetze zusammen. Berechnungen, die hinter diesen Zustand zurückgehen wollten, seien damit unmöglich.
In diesem Zustand unendlicher Konzentration habe das Universum gar keinen räumlich und zeitlichen Rand und keine Grenze mehr. Es sei allein in sich geschlossen und auf sich begrenzt, auch ohne eine undurchdringliche Singularität an seinem Rand, im Gegensatz zu Schwarzen Löchern.
Im Gegensatz zu anderen Astrophysikern, für die Naturgesetze sich aus den Anfangs- oder Randbedingungen des Urknalls entwickelten, behauptet Hawking mit seinem Modell:
„Die Grenzbedingung des Universums ist, dass es keine Grenze hat. Das Universum war völlig in sich abgeschlossen und keinerlei äußeren Einflüssen unterworfen. Es wäre weder erschaffen noch zerstörbar. Es würde einfach SEIN.“
Demnach wäre dieser Urzustand des Universums vollkommen ohne Zeit, also in gewisser Weise ewig und in sich ruhend. Dann benötige es natürlich auch keinen Schöpfer. Von atheistischer Seite aus wurde Hawkings Theorie begeistert gefeiert. Wobei man diesen ewigen Urzustand unendlicher Energie und Masse natürlich auch einfach Gott nennen könnte.
Aus dem Ursprünglichen habe sich dann ohne erkennbare und berechenbare Ursache das ganze Universum entfaltet. Hawking:
„Spontane Erzeugung ist der Grund, warum etwas ist und nicht einfach nichts, warum es das Universum gibt, warum es uns gibt. Es ist nicht nötig, Gott als den ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat.“
Etwas spöttisch bemerkte Hawking, dass zwar viele Menschen Gott als den ultimativen Schöpfer des Alls betrachten würden. Dann aber sei zu fragen, wer ihn dann geschaffen habe. – Natürlich könnte man jetzt Gott auch einfach an die Stelle des ewigen Urzustandes setzen und wäre hypothetisch ganz im Einklang mit Hawkings Modell.
Im festen Glauben an die Absolutheit physikalischer Berechnungen formulierte Hawking:
„Die Naturgesetze können von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen und die Gesetze brechen, sonst wären es keine Gesetze. Gott bliebe allenfalls die Freiheit, den Anfangszustand des Universums auszuwählen. Aber selbst hier könnten Gesetze herrschen. Dann hätte Gott überhaupt keine Freiheit.“
Ganz offensichtlich konnte sich Hawking einen jenseits mathematischer Berechenbarkeit stehenden Gott schlicht nicht vorstellen.
Auf der einen Seite beurteilte Hawking die Möglichkeiten der Wissenschaft äußerst optimistisch. Auf der anderen Seite betrachtete er die Menschheit als letztlich belanglose Episode der kosmischen Evolution:
„Wir sind nur eine etwas fortgeschrittene Brut von Affen auf einem kleinen Planeten, der um einen höchst durchschnittlichen Stern kreist. – Aber wir können das Universum verstehen.“
Hawkings Missachtung wissenschaftlicher Grenzen
Viele Wissenschaftler sind überzeugt, dass Hawking mit seinen philosophisch-religiösen Thesen weit über die Erkenntnismöglichkeiten physikalischer Methoden hinausgegangen ist, und dass Naturwissenschaften prinzipiell nichts über Gott aussagen können, weil er für ihren methodischen Atheismus natürlich nicht zugänglich ist.
Der Hamburger Astrophysiker Hans-Jürgen Hagen kritisierte Hawkings Absicht, den Atheismus wissenschaftlich belegen zu wollen:
„Ich denke, dass wir als Naturwissenschaftler Gesetze finden und beschreiben können. Mehr aber auch nicht.“
Hans-Jürgen Hagen vergleicht die Suche nach dem Ursprung mit einem Buch, „das wir versuchen zu verstehen, aber von dem wir nicht wissen, wer es geschrieben hat“. Wenn jemand den Ursprung mit physikalischen Gesetzen erklären wolle, sagt Hagen, dann stelle sich doch folgerichtig die Frage, woher denn diese Gesetze kommen. Einer stimmigen Antwort weicht Stephen Hawking mit der Behauptung aus, diese Naturgesetze, bzw. ihre Voraussetzungen seien ewig. Das aber ist eher eine religiöse Antwort.
Der Oxforder Mathematiker John Lennox (geb. 1943) hält Hawkings Behauptung, das Universum sei von selbst und ohne Gott entstanden, weil es so etwas wie Schwerkraft gebe, für unlogisch. Die Schwerkraft selbst muss durch irgendetwas entstanden sein oder auf eine weitere Gesetzmäßigkeit zurückgehen.
„Als Wissenschaftler sage ich, dass Hawkings Behauptung fehlerhaft ist“, schreibt Lennox.
„Er möchte, dass wir zwischen Gott und den Gesetzen der Physik wählen, so als würden sie in einem Gegensatz zueinander stehen.“
Doch könnten die Naturgesetze niemals eine vollständige Erklärung des Universums ermöglichen, so Lennox.
„Die Gesetze selbst schaffen gar nichts, sie sind nur die Beschreibung von etwas, was unter gewissen Umständen passiert.“
Hawking meinte, die Existenz Gottes damit widerlegt zu haben, dass sein Weltentstehungmodell ohne Gott alle offenen Fragen beantworten könne.
Irrtümlicherweise ging Stephen Hawking davon aus, Gott widerlegt zu haben, weil er in seinem Weltentstehungsmodell momentan keine offenen Fragen mehr sah. Unversehens verwechselt er damit begrenzte physikalische Hypothesen mit der vielgestaltigen Wirklichkeit selbst. Mit physikalischer Begrifflichkeit wollte er einen religiösen Mythos für das 21. Jahrhundert schaffen, der ohne die bisherigen Vorstellungen von Gott auskommt. In Wirklichkeit aber bewirbt Hawking lediglich ein neues Gottesbild, das stärker an abstrakten, naturgesetzlichen Formulierungen orientiert ist als an den religiösen Offenbarungen der Bibel.
Spektakuläre Ideen mit Verfallsdatum
Hawking irrte in seinen wissenschaftlichen Annahmen aber auch immer wieder. So beispielsweise 1974, als er entgegen der Annahme seines amerikanischen Physikerkollegen Kip Thorne meinte nachweisen zu können, dass es sich bei der kosmischen Röntgenquelle Cygnus X-1 um kein Schwarzes Loch handeln könne.
Ende der 1970er Jahre prognostizierte Hawking sehr optimistisch die Entwicklung einer Weltformel bis zur Jahrtausendwende. Damit könnten dann alle physikalischen Phänomene zufriedenstellend erklärt werden. Diese Formel würde dann die klassische Physik und auch die bisherige Quantenmechanik ablösen. Bis heute aber liegt eine solche Formel noch immer in weiter Ferne.
Im Gegensatz zu Hawking sind der Vater der Stringtheorie, Leonard Susskind (geb. 1940), und der Physik- Nobelpreisträger Gerardus ’t Hooft (geb. 1946) davon überzeugt, dass die Gesetze der Quantenmechanik auch im Bereich Schwarzer Löcher gültig sind; und damit wahrscheinlich auch am mutmaßlichen Beginn des Universums.
Hawking kritisierte häufig, wie die Menschen mit ihrem Planeten umgehen. Als Lösung für die überbevölkerte Erde bleibe bald nur noch das Auswandern auf andere Planeten. Hawking warnte auch davor, dass die Entwicklung der künstlichen Intelligenz außer Kontrolle geraten und zur Gefahr für die Menschen werden könnte.
Die methodische Grenze naturwissenschaftlicher Welterforschung hielt Stephen Hawking für nicht mehr relevant. Seiner Einschätzung nach seien sowohl die Philosophie als auch die Theologie faktisch tot. Neue, zukunftsweisende Ideen kämen allein noch von den Naturwissenschaften.
Auf dem Weg zu einer postmodernen Kosmologie
In späteren Jahren relativierte Hawking sein eigenes Weltentstehungskonzept. Demnach sei der Urknall doch nicht der absolute Anfang von Raum und Zeit gewesen. Ähnlich der hinduistischen Kosmologie habe es vielleicht ein Vorläuferuniversum gegeben, das durch die Schwerkraft der darin enthaltenen Massen und Energie zusammenschrumpfte, bis es eine minimale Ausdehnung erreichte. In dieser Phase wuchsen Druck und Temperatur auf unfassbar hohe Werte, und die winzige Energie-Blase flog in einem Urknall auseinander, wodurch es zum gegenwärtigen Kosmos gekommen sei.
Außerdem sympathisierte Hawking mit der sogenannten M-Theorie. Sie basiert auf dem Konzept der Strings. Demnach sind die kleinsten Teilchen des Universums winzige, fadenförmige Gebilde von 10-33 (ein millionstel milliardstel milliardstel milliardstel) Zentimeter Länge. Entsprechend der M-Theorie ergibt sich eine Raumzeit mit zehn Raumdimensionen und einer Zeitdimension. Teil dieses Konzepts ist die Annahme, dass es viele parallel existierende Universen mit eigenen physikalischen Gesetzen geben könne (Multiversum). In einer Art Quantenschöpfung könnten unablässig weitere Kosmen entstehen, jeder einzelne mit eigenen physikalischen Gesetzen. Für die Gleichungen der M-Theorie gibt es 10500 Lösungen, von denen jede möglicherweise ein eigenes Universum beschreibt. Demnach könnte es, rein theoretisch betrachtet, zahlreiche parallel nebeneinander existierende Universen geben, die natürlich keinerlei Ahnung von der Existenz der jeweils anderen hätten.
Am Ende bleiben Stephen Hawkings durchaus spannende und spekulative Erklärungsversuche zum Aufbau und zur Geschichte des Universums. Ganz gleich, ob seine Konzepte in der Zukunft die allgemeine Zustimmung der physikalischen Forschung bekommen werden oder nicht; über die Existenz Gottes sagen diese Modelle im Kern nichts aus.