Auf einem silbernen Tablett wird das Baby „serviert“. Worum es bei der „Auslösung des Erstgeborenen“ – hebräisch „Pidjon HaBen“ – inhaltlich geht, erklärt das 13. Kapitel des 2. Buches Mose: „Der Herr hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus der Knechtschaft geführt. Denn als der Pharao hartnäckig war und uns nicht ziehen ließ, erschlug der Herr alle Erstgeburt in Ägyptenland, von der Erstgeburt des Menschen bis zur Erstgeburt des Viehs. Darum opfere ich dem Herrn alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, aber die Erstgeburt meiner Söhne löse ich aus“ (Verse 14-15). Gott selbst sendet Mose zum Pharao: „So spricht der Herr: Israel ist mein erstgeborener Sohn; und ich gebiete dir, dass du meinen Sohn ziehen lässt, dass er mir diene. Wirst du dich weigern, so will ich deinen erstgeborenen Sohn töten“ (2. Mose 4,22-23).
Nachdem Israel Ägypten verlassen hat, sprach Gott wieder zu Mose: „Alle Erstgeborenen sind mein!“ (2. Mose 13,1). Aus dieser und noch einer anderen Stelle in der Schrift, wo Mose israelitische junge Männer auffordert, Gott Brandopfer und Dankopfer darzubringen, schließen die Juden, dass die Erstgeborenen ursprünglich für den Priesterdienst vorgesehen waren (2. Mose 24,5). Später erst bestimmte Gott die Leviten für diesen Dienst: „Siehe, ich habe die Leviten genommen aus den Israeliten statt aller Erstgeburt, die den Mutterschoß durchbricht in Israel, sodass die Leviten mir gehören sollen“ (4. Mose 3,12). Jüdische Schriftausleger führen diesen Gesinnungswandel Gottes auf das traurige Ereignis mit dem goldenen Kalb zurück, wo das Volk schändlich und zuchtlos handelte. Damals reagierten nur die Leviten auf die Aufforderung des Mose: „Her zu mir, wer dem Herrn angehört! Da sammelten sich zu ihm alle Söhne Levi“ (2. Mose 32,26).
Zu Aaron spricht Gott: „Alles, was zuerst den Mutterschoß durchbricht, bei allem Fleisch, es sei Mensch oder Vieh, das sie dem Herrn bringen, soll dir gehören. Doch sollst du die Erstgeburt eines Menschen auslösen lassen“ (4. Mose 18,15). Deswegen soll jeder erstgeborene jüdische Sohn, der nicht von priesterlichem Geschlecht ist, ausgelöst werden. Das geschieht, indem der Vater des Kindes einem Priester Geld überreicht. Dies ist eine von den wenigen Funktionen, die ein Priester im Judentum heute noch hat. Die Rabbiner empfehlen dringend, sich an einen Priester mit starker priesterlicher Familientradition zu wenden. Nicht jeder, der den Nachnamen Cohen trägt, ist ein im Judentum anerkannter Priester. Rabbi Jeffrey W. Goldwasser sagt dazu: „Nach traditionellen jüdischen Regeln wird der Priesterstatus vom Vater vererbt. Aber der religiöse Status, ein Jude zu sein, wird nur von der Mutter geerbt. So kann ein Nichtjude zwar jüdisch werden. Aber niemand kann ein Priester, ein ‚Cohen‘ sein, ohne auch Jude zu sein. Es ist unmöglich, in das Priestertum hinein zu konvertieren.“
Die Mutter darf vorher weder eine Fehlgeburt noch eine Abtreibung gehabt haben
Von dem biblischen Ausdruck „den Mutterschoß durchbricht“ leiten jüdische Lehrer ab, dass sich das Gebot des „Pidjon HaBen“ nicht auf Jungen bezieht, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Auch durfte die Mutter vorher weder eine Fehlgeburt noch eine Abtreibung gehabt haben. Weil dieses Gebot ausschließlich auf die Mutter bezogen ist, sieht das heutige Judentum auch die Möglichkeit, dass es im Falle einer zweiten Ehe des Vaters relevant ist. Im Alten Testament ist die Erstgeburt auch auf den Vater bezogen. Wenn Jakob beispielsweise vor seinem Tod Abschied von seinen Söhnen nimmt und sich an Ruben mit den Worten wendet: „Ruben, mein Erstgeborener bist du, meine Kraft und der Erstling meiner Stärke“ (1. Mose 49,3). Die Encyclopedia Judaica bemerkt: „Die israelitischen Könige lebten oft in Polygamie. Die relative Stellung der königlichen Frauen hatte Einfluss auf die Thronfolge. Das führte dazu, dass das deuteronomische Gesetz mehr einem Ideal entsprach als der Realität.“
In 4. Mose 18,16 lesen wir: „Du sollst es aber auslösen, wenn‘s einen Monat alt ist… um fünf Silberstücke nach dem Gewicht des Heiligtums.“ Deshalb findet die Zeremonie statt, wenn das Baby 31 Tage alt ist. Der Vater bringt den Erstgeborenen auf einem Tablett vor den Priester. Der stellt eine rhetorische Frage: „Was ist dir lieber, mir Deinen Sohn zu geben oder ihn auszulösen?“ Worauf der Vater selbstverständlich antwortet, dass er das Kind auslösen möchte. Daraufhin übergibt er bestimmte Münzen.
Das alles geschieht im Rahmen von Segnungen, die im jüdischen Gebetbuch, dem Siddur, aufgeführt sind. Die Familie lädt Freunde und Verwandte zu einem Mahl ein. „Ich war ein erstgeborener Sohn“, erzählt Dov Goldstein stolz. Für den Holocaustüberlebenden ist es etwas ganz Besonderes: „Mein Sohn wurde ausgelöst, mein Enkel und jetzt machen wir in vierter Generation Pidjon HaBen.“ Einer der wichtigsten jüdischen Segenssprüche ist in der Familie Goldstein zur Wirklichkeit geworden: „Gelobt seist du, Herr, unser Gott, König des Universums, der uns das Leben geschenkt, uns erhalten und bis hierher gebracht hat!“