ThemenGemeindeleben

Heilung ist möglich – Praktische Überlegungen für die Gemeinde anhand von Jak 5,13-16

Allein schon das Stichwort „Heilung“ löst bei Christen mit einem gesunden Glauben sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Denkt man dabei an Heilungsevangelisten und ihre Praktiken, sträuben sich einem möglicherweise die Haare. Denkt man an das eigene Kind, das mit einer schweren Lungenentzündung um sein Leben ringt und dessen Heilung man auf Gebet hin erleben darf, stellen sich ganz andere Empfindungen ein.

Missbrauch hebt den Gebrauch nicht auf

Kein biblisch denkender Christ wird es begrüßen,

  • wenn Wunderheiler Monate vor einer von ihnen geplanten Großveranstaltung bestimmte Heilungen ankündigen, so als könnten sie über Gottes Terminplan verfügen;
  • wenn Heilungsevangelisten mit einer an Demagogie erinnernden Rhetorik über die Bühne toben und so­­lange Stimmung anheizen, bis es bei entsprechend empfänglichen Teilnehmern zu psychogenen `Heilungen´ kommt;
  • wenn suggeriert wird, Gott wolle immer hier und heute die Heilung, und jeder der glaubt werde jetzt gesund;
  • und wenn schließlich bei nicht geschehener Heilung dem Kranken die zusätzliche Last aufgebürdet wird, er habe eben nicht richtig geglaubt.

Aber es sind nicht nur die Wunderheiler von heute, die einen aufrechten Pietisten alles was mit „Heilung“ zu tun hat nur mit spitzen Fingern anfassen lässt. Es ist teils auch die leidvolle Geschichte des Neupietismus selbst, die hier vorsichtig macht. Im letzten Viertel des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Heiligungsbewegung von einer starken Heilungsbetonung erfasst: Otto Stockmayer vertrat, dass Krankheit nicht der Wille Gottes für Gläubige sei, dass Jesus alle Kranken geheilt und durch seinen Kreuzestod von aller Sünde und Krankheit erlöst habe. Wer in der Heiligung lebt, wird geheilt. Diese Sicht vertrat er auch in seinem Heilungszentrum in Hauptwil in der Schweiz. Die eigenen kranken Familienangehörigen ließ man nicht zum Arzt; auf Heilung hoffende Hausgäste starben, weil sie den Arzt verweigerten. Andere Häuser der Heilung entstanden: durch Johannes Seitz in Teichwolframsdorf; durch Henriette von Seckendorff-Gutend in Canstatt; durch Georg Steinberger in der Rämismühle; aber auch durch Jakob Vetter, der für sich lange jede Behandlung durch einen Arzt ablehnte, und Conrad Bollinger, der zunächst noch jede Krankheit als eine Machtwirkung des Teufels ansah und wöchentliche Heilungs­stunden abhielt, in der Frühzeit von Haus Patmos im Siegerland.1 Vielleicht sind ja ein Teil der tatsächlich geschehenen Heilung einfach als von Gott gewirkte Phänomene im Rahmen von erwecklichen Auf­brüchen der damaligen Zeit zu sehen – vermischt mit manchen fragwürdigen theologischen Interpre­tationen. Aber spätestens durch die Entstehung der Pfingst­­bewegung in Deutschland nach 1907 und das dadurch bewirkte Zerreißen der Gemeinschaftsbewegung wurde man außerordentlich vorsichtig gegenüber diesen Betonungen. Und wenn man die großen Wunderheiler des 20. Jahrhunderts ansah (W. Branham, O. Roberts, C. Kuhlman, H. Zaiss, R. Bonnke u.a.), bestärkte einen das nur in der Überzeugung, dass man lieber von allem die Finger ließ, was irgendwie mit „Heilung“ zu tun hatte.

Und doch, irgendwelcher Missbrauch hebt den Gebrauch nicht auf. Zumindest nicht, wenn die Bibel unmissverständlich erkennen lässt, dass sie einen rechten Gebrauch der Sache kennt. Keiner bestreitet, dass Jesus auch geheilt hat. Keiner leugnet, dass auch durch die Hände der Apostel Heilungen geschehen sind. Kein Ausleger würde abstreiten, dass im 1.Korintherbrief auch von der Gnadengabe, einzelne Heilungen zu bewirken2 , innerhalb der Gemeinde die Rede ist (12,9). Und keiner würde sich nicht darüber freuen, dass uns für Gottes Zukunft die Neuschöpfung verheißen ist, in der es keine Krankheit, keine Schmerzen, kein Leid und keinen Tod mehr geben wird (Offb 21,1-4). Kein nüchterner Christ würde aber in Frage stellen, dass wir auch als Christen noch sterben müssen und dass daher auch Krankheiten als Vorboten dieser Sterblichkeit unseren Leib befallen können – und wir schließlich an irgendwelchen körperlichen Ausfallerscheinungen sterben werden. Das ist nach wie vor die Regel, die für alle Menschen gilt. Heilungen dagegen, sind zeichenhafte Vorweggaben der Vollendung, die Gott gelegentlich als die Evangeliumsverkündigung begleitende Hinweiszeichen geschenkt (Mk 16,20b) bzw. die er – manchmal, aber nicht immer – durch einzelne, dazu begnadete Menschen wirkt.

Was nun aber könnte der normale Gebrauch für alle Christen, die regelmäßige Praxis in allen Gemeinden sein?

Die Praxis des Gebets

Als ein Stück praktischer neutestamentlicher Weisheit legt der Jakobusbrief zunächst allen Christen nahe: „Leidet jemand unter euch, der bete; geht es jemandem gut, der singe Psalmen“ (Jak 5,13). Das ist so einfach, wie es klingt! Christen machen Freud und Leid zum Inhalt ihrer Gebete. Gleich wie es ihnen geht, sie dürfen es Gott sagen. Dafür braucht man keine besonders befähigten Menschen. Man braucht nur das Herz eines Gotteskindes, das weiß, dass es mit allem zu seinem Vater im Himmel kommen kann.

Welcher Christ hätte das je anders gemacht? Vielleicht haben wir gelegentlich – Gott sei´s geklagt! – zu beten vergessen, wenn es uns gut ging. Irgendwie ist uns das Danken nicht in den Sinn gekommen. Und wir haben uns geschämt, wenn uns das einmal aufgefallen ist. Aber wenn es uns wirklich schlecht ging – wenn der Kopf vor Migräne zu zerspringen drohte, wenn es Probleme mit dem Herzen gab, wenn eine Operation anstand oder psychische Probleme das Bewältigen des Alltags nahezu unmöglich machten, dann haben wir für uns, für unsere Nächsten in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft oder Gemeinde gebetet. Und je ernster die Lage war, desto intensiver wurde unser inständiges Bitten zu Gott um Linderung, um Hilfe, um Heilung.

So hat schon Hiskia im Alten Testament um Lebens­verlängerung zu Gott gefleht (Jes 38,1-3); so hat Paulus wegen eines Leidens, das wir nicht im einzelnen kennen, das er aber als tiefe Anfechtung empfand, wiederholt Jesus um Hilfe angerufen (2Kor 12,7ff). Paulus hat zwar nicht die erbetene Linderung erfahren, sondern nur den göttlichen Zuspruch, dass er sich an Gottes Gnade genügen lassen solle, denn durch menschliche Schwachheit hindurch erweise sich Gottes Kraft manchmal besonders deutlich. Anderen Christen dagegen ging es wie dem Mitarbeiter des Paulus, Epaphroditus, der todkrank war und dessen sich Gott erbarmt hat und ihn gesund gemacht hat (Phil 2,25-28). Jeder von uns kann sich in diese unendliche Reihe der Beter einreihen und in guten wie in bösen Tagen Gott sagen, wie es steht. Vielleicht sogar einfach mit den Worten des Vater-Unsers, das mit den Worten „Dein Name werde geheiligt, … Dein Wille geschehe“ beginnt – aber dann auch konkret bittet: „Und führe uns nicht in Versuchung (d.h. in Prüfungen hinein), sondern erlöse uns von dem Bösen“. In Zeiten der Krankheit und Schwachheit bekommen diese Formulie­rungen des Herrengebets ihr besonderes Gewicht.

Das Krankengebet der Ältesten

Die praktische göttliche Weisheit des Jakobusbriefes sagt aber nicht nur jedem Christen persönlich: „Du kannst beten, wenn es Dir nicht so gut geht!“ Sondern sie eröffnet einem Menschen, wenn er krank ist, noch einen zusätzlichen Weg:

„Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“ (Jak 5,14-16).

Es geht Jakobus nicht um die ‚letzte Ölung‘, eine Art Sterbe­sakrament, sondern um ein Angebot für jeden, der krank ist

In zwanzig Jahren des Dienstes, zunächst als Gemeinde­pastor, dann weiter als einer der Ältesten in meiner Gemeinde, sind mir diese Verse als Teil des Wortes Gottes, das wir befolgen sollen, lieb und wichtig geworden. Anfangs, als ich junger Pastor war, spielten diese Verse in unserer Gemeinde kaum eine Rolle. Irgendwann habe ich über diesen Abschnitt zum ersten Mal eine Auslegungspredigt gehalten: und das hieß, eben diesen Text zu erklären, zu veranschaulichen und ganz praktisch auf unsere Gemeindesituation anzuwenden. Nachdem alles gesagt war, wussten wir, wozu uns Gott einlädt. Keiner war gezwungen, es zu tun. Jeder war frei zu sagen: „Lieber Gott, Du bietest das zwar an; aber ich möchte dieses zusätzliche Angebot gerade nicht in Anspruch nehmen!“ Auf der anderen Seite wussten die Gemeindeglieder jetzt zweierlei: Erstens, dass Jakobus 5 nicht von `der letzten Ölung´ spricht, also einer Art `Sterbesakrament´, wenn es zu Ende geht. Sondern dass Jak 5 ein Angebot für jeden darstellt, der krank ist und über das persönliche Gebet hinaus das Krankengebet seiner Ältesten in Anspruch nehmen möchte, das Gott mit besonderen Verheißungen versehen hat. – Und zweitens, dass die Ältesten dieser seiner Gemeinde Jakobus 5 kennen und glauben und gern bereit sind, entsprechend zu handeln!

1. Der Kranke ruft die Gemeindeältesten

Ganz praktisch sah die Umsetzung von Jakobus 5 so aus:

Die Initiative liegt in der Hand des Kranken

Die Bibel regt den Kranken an, selbst die Initiative zu ergreifen: „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde“! Das setzt voraus, dass jemand gesund werden will und dafür das tut, was Gott ihm anbietet. Entsprechend hat schon Jesus Kranke gefragt: „Willst Du gesund werden?“ (Joh 5,6). Es wird also nicht den Ältesten gesagt: „Ihr habt die Verantwortung für Kranke zu beten, sie mit Öl zu salben und sie gesund zu machen!“ Gerade letzteres liegt ohnehin nicht in ihrer Hand. Aber überhaupt legt die Bibel die Initiative in die Hand des Kranken: „Wenn Du krank bist, bietet Dir Gott an Deine Gemeindeältesten zu rufen!“ Und eben das ist ein Akt des Glaubensgehorsams und des Ver­trauens auf Gott. Es werden da nicht ganz besonders befähigte Leute gerufen. Es wird mit keiner Silbe thematisiert, ob solche Ältesten besondere „Heilungscharismen“ haben müssten! Nein, es sind ganz schlicht „die Ältesten der Gemeinde“. Wer sie ruft macht deutlich, dass er nicht besonderen Menschen etwas zutraut, sondern Gott, den er beim Wort nimmt und der verheißt, sich zu dem schlichten Dienst eben der geistlichen Hirten zu bekennen, die er dieser örtlichen Gemeinde gegeben hat.

Natürlich setzt dies voraus, dass Gemeinden überhaupt „Älteste“ im biblischen Sinn haben: Geistliche Männer, die einen guten Ruf haben, die geordnete Familienverhältnisse haben, die ein geheiligtes Leben führen und die geistliche Reife besitzen (1Tim 3,1-7; Tit 1,5-9). In der Bibel gibt es verschiedene Bezeichnungen für sie, die jeweils unterschiedliche Aspekte ihrer Berufung hervorheben: Aufseher, Vorsteher, Leiter, Hirten – oder eben Älteste / Presbyter (Apg 20,17ff; Phil 1,1; 1Thess 5,12; 1Petr 5,1-4; Hebr 13,17). Aber sie alle sind keine geistlichen Supermänner, sondern schlicht von Gott berufene Verantwortungsträger für die örtliche Gemeinde. Vielleicht lohnt es sich ja, dass eine Gemeinde darüber nachdenkt, Älteste im biblischen Sinn einzusetzen – und wenn es nur schon darum ist, damit kranke Christen wissen, wen sie rufen sollen. Es müssen dann nicht unbedingt immer alle Gemeindeältesten gerufen werden, aber mehrere („die Ältesten der Gemeinde“). Es geht um ihr gemeinschaftliches Gebet als Teil ihrer Hirtenaufgabe.

Von daher legt es sich auch ganz praktisch nahe, dass die Ältesten, wenn sie zu jemandem zum Gebet nach Jakobus 5 gerufen werden, zunächst einmal ein seelsorgerliches Interesse daran haben, wie es dem Menschen geht, der sie gerufen hat. Er ist ja krank und wünscht, dass ihm in dieser Situation von Gott geholfen wird. Dafür sollten seelsorgerliche Älteste sich interessieren. Denn sie sind ja nicht allwissend und können die Situation von daher erst verstehen, wenn sie ihnen gesagt wird. Zugleich können die Ältesten auch, nachdem sie mit Anteilnahme zugehört haben, dem Kranken Jak 5,14-16 vorlesen und in kurzen Worten erklären, was Gott hier sagt und wie es geschehen soll.

2. Die Gemeindeältesten handeln im Namen Gottes

Die herbeigerufenen Ältesten haben nun schlicht die doppelte Aufgabe „dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn“ (Jak 5,14b). Zunächst also: sie sollen beten – und zwar unter Handauflegung. Der Ausdruck „über jemandem beten“ kann zwar auch ganz einfach bedeuten, „für jemanden beten“; doch ist es nahe liegender, dass in dem bildlichen Ausdruck „über“ dem Kranken zu beten mitschwingt, dass ihm bei dem Gebet die Hände aufgelegt werden. Diese im Judentum so vertraute Geste des Handauflegens hat nun allerdings überhaupt nichts Magisches an sich (!), sondern sie drückt eine doppelte Symbolik aus: Erstens macht sie zeichenhaft deutlich, dass man sich mit dem andern identifiziert. Er ist nicht allein in seiner Not. Hier sind geistliche Menschen, die sich vor Gott mit ihm eins machen in seinem Leiden und seiner Bitte um Gottes Hilfe. Und zweitens symbolisiert dieses menschliche Zeichen, dass Gott dem Menschen nahe kommt. Entsprechend war die Handauflegung im Judentum immer auch eine Segensgeste. (Dass auch bei Ordinationshandlungen ganz entsprechend und mit ähnlicher Symbolik Hände aufgelegt wurden, sei hier nur erwähnt, hat jedoch mit dem Krankengebet unter Handauflegung nichts zu tun.)

Manche Extremisten haben die Handauflegung leider mit magischen Vorstellungen verbunden

Es ist eine Tragik, dass manche Extremisten die Handauflegung leider mit magischen Vorstellungen verbunden haben, als ginge es darum, dass irgendwelche heilenden Energien durch die Hände von Heilern in den Körper der Kranken gelangten und dort dann wie eine wärmende Kraft in ihm aufstiegen und Heilung bewirkten. Die Charismatikerin Agnes Sanford stellt sich Gottes Heilkraft wie ein `Heilendes Licht´ vor: Dieses heilende Licht könne der Heiler anzapfen, indem er sich den Kranken gesund vorstelle; wenn er ihm dann die Hände auflege – oder per Fernwirkung von jemand anders dort die Hände auflegen lasse! – würden in dem Kranken Heilungsmechanismen freigesetzt. Der Kranke solle bei der Handauflegung dann ganz gerade, entspannt und meditativ konzentriert sitzen: denn wenn das heilende Licht in ihn eindringe, könne er spüren, wie eine Kraft in ihm hochsteige, dass man die Wirbelsäule ganz gerade halten müsse, damit nicht irgendein Schaden entstünde; usw. (A. Sanford, Heilendes Licht, 3. Aufl., Lüdenscheid: Edel Taschenbücher, 1978, S.33, 52f, 146, 158 u.ö.). Dies sind ganz und gar magische Vorstellungen, die zu einem Schamanen passten, nicht aber zu einem Gemeindeältesten nach Jakobus 5!

Ob Gott tatsächlich mit eigentlicher Heilung antwortet, dürfen wir getrost ihm überlassen

Das Gebet der Ältesten soll ein „Gebet des Glaubens“ sein (V. 15a), ein Fürbittegebet („betet füreinander“, V. 16a), ein „ernstliches Gebet“ (so die Luther-Übersetzung – eigentlich: eine „sich als wirksam erweisende Bitte“, V. 16b). Nochmals wird so deutlich, dass es auf keinen Fall um besondere Befähigungen der Ältesten geht. Vielmehr setzen diese Ältesten ihr ganzes Vertrauen auf Gott, der allein wirken kann, und bringen aus dieser Haltung heraus die Not des Kranken gemeinsam vor Gott. Es ist ein Gebet, das Gott durchaus die Bitte vortragen darf, er möge den Kranken gesund machen („Betet füreinander, dass ihr gesund werdet“, V. 16a). Aber natürlich wird auch dieses Gebet in der Haltung geschehen: „… aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!“ Ob Gott tatsächlich mit eigentlicher Heilung antwortet, dürfen wir – wie wir noch sehen werden – ganz im Vertrauen ihm überlassen.

Zum andern soll das Gebet noch durch ein zweites Symbol begleitet sein: durch das Salben des Kranken mit Öl. Auch dieses Salben mit Öl war als Zeichenhandlung in Israel und im Judentum zuhause. Wieder hat dies absolut nichts Magisches an sich. Das Öl ist schlichtes Olivenöl. Auch dieses Öl hat eine doppelte Symbolik: Einerseits war und ist Olivenöl in Israel ganz einfach als ein Heilmittel bekannt, das man in Wunden gießt (Lk 10,34). Dass dieser Aspekt hier in Jakobus 5 im Blickfeld ist, geht schon daraus hervor, dass in V. 14b im Griechischen das Wort „einreiben mit Öl“ gebraucht wird (griech.: aleipho), nicht das Fachwort für rituelles Salben (griech.: chrio). Andererseits war das Öl schon seit alter Zeit in Israel ein Symbol für den Heiligen Geist (Sach 4,2-6). Die Krankensalbung mit Öl im Zusammenhang mit der Fürbitte um Heilung soll also als ein Zeichen des Glaubens und der Hoffnung deutlich machen, dass die Beter erwarten, dass Gott in Antwort auf das Gebet helfend und heilend durch seinen Geist an dem Kranken wirkt.

Wie kann das ganz praktisch zugehen? Es ist gut, wenn Gemeindeälteste ein kleines (Zier-) Fläschchen mit Olivenöl haben, das sie zu einem Krankenbesuch mitnehmen. Oder aber sie benetzen den Boden einer kleinen Schale mit etwas Öl und stellen sie für das Krankengebet bereit. Die Krankensalbung kann dann beispielsweise so geschehen, dass einer der Ältesten (oder alle nacheinander) den Finger mit etwas Öl benetzt, den Kranken damit symbolisch an der Stirn salbt und dabei sagt: „Im Gehorsam zu Gottes Wort salben wir Dich mit Öl als Zeichen der heilsamen Zuwendung Gottes zu Dir durch seinen Heiligen Geist. Der Herr gebe Dir viel Gnade und Frieden“.

3. Der Vorbehalt des Sündenbekenntnisses

Das Krankengebet und die Krankensalbung nach Jakobus 5 sind nun kein Automatismus. Dieses göttliche Angebot für Krankheitszeiten will auch nicht den Eindruck erwecken, dass es vor allem nur darum geht, die Krankheit weg zu bekommen: „Hauptsache gesund!“ Nein, die Hauptsache ist, dass man mit Gott im Reinen ist. Auch solch eine Krankheitssituation kann eine Gelegenheit sein, um Gott neu zu begegnen. Entsprechend lädt ja auch Gott den Kranken ein, sich in seiner Situation an ihn zu wenden. Und der Kranken wendet sich dann auch zusammen mit seinen Gemeindeältesten vertrauensvoll im Gebet an Gott. Und umgekehrt lässt Gott den Kranken mit den Zeichen der Handauflegung und des Öls spüren, dass er verheißen hat sich ihm segensvoll und heilsam zuzuwenden.

Diese Begegnung wäre aber schlimm gestört, wenn unvergebene Sünde zwischen dem Kranken und seinem Gott stünde. Gott ist ein heiliger Gott. Sünde scheidet Gottes Volk von seinem Gott (Jes 59,2). Umgekehrt will Gott nicht nur, dass wir Gesundheit von ihm wollen; sondern er will Gemeinschaft mit seinen Kindern haben. Deshalb spricht er im Zusammenhang von Jakobus 5 die Sünde und die Beichte an. Das Krankengebet soll a. vom Glauben und b. von der Bereitschaft, Sünde loszulassen, begleitet sein (V.15-16a): „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen…; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet“.

Diesen Zusammenhang sollen die Ältesten nicht nur dem Kranken sagen, sondern sie sollen sich das auch selbst gesagt sein lassen. Meine Mitältesten in der Gemeinde und ich haben uns entsprechend geistlich auf ein Krankengebet vorbereitet, indem wir – einzeln oder gemeinsam – Gott um Reinigung von Sünden baten. Erst dann sind wir zum Krankenbett gegangen. Und auch dem Kranken soll Gelegenheit gegeben werden, vor dem Fürbittegebet unter Handauflegung Gott bußbereit um Vergebung zu bitten, wenn unvergebene Sünde zwischen ihm und Gott steht. Ein so von Reue und Vertrauen getragenes Gebet wird auch nicht nur die kleine ergänzende Maßnahme zu allen ärztlichen und medizinischen Bemühungen sein – nach dem Motto: „Ein wenig Beistand von oben kann zur Not nicht schaden!“ -, sondern es wird zum Ausdruck dessen, dass man gerade auch in der Not seinem Gott begegnen kann, und damit die Krankheit zum Segen wird – unabhängig von ihrem Ausgang!

4. Die göttliche Verheißung

Gottes Wort lädt uns ein, im Krankheitsfall zuversichtlich um Heilung zu beten: „… betet füreinander, dass ihr gesund werdet!“ (Jak 5,16a). Wie bei allen anderen Anliegen, dürfen wir auch bei Krankheit Gott konkret sagen, wo der Schuh drückt; und wir dürfen uns von ihm das erbitten, was unser legitimes Anliegen ist: gesund zu werden! Zugleich ermutigt Gott uns zu großem Gottvertrauen: „Das Gebet des Gerechten vermag viel in seiner Wirkung!“ (V.16b). Denn wenn Gott auf das Gebet antwortet, ist ihm nichts unmöglich.

Das Krankengebet ist kein Automat, in den man oben die Fürbitte einwirft – und unten kommt die Heilung heraus

Und doch ist das Krankengebet nicht wie ein Automat, in den man oben die Fürbitte einwirft – und unten kommt die Heilung heraus. Die Ver­heißung, die Gott gibt, bleibt entsprechend etwas allgemeiner: „Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten“ (V.15a). Hier steht nicht, dass Gott in jedem Fall heilen wird. Er verheißt, dem Kranken zu „helfen“ (griech.: sozein = retten, helfen): Das kann im Einzelfall Heilung bedeuten, kann in diesem Zusammenhang aber auch Beistand, Stärkung meinen. Und dass der Herr den Kranken „aufrichten“ wird, kann entweder äußerlich geschehen, indem er sein Krankenlager (gesund) verlassen kann – oder aber dass Gott ihn innerlich stärkt, ihm Zuversicht, Trost und Mut schenkt und ihm so hilft, sein Leiden zu ertragen. Hat Jesus Paulus aufgerichtet, als dieser ihn in seinem Leiden dreimal um Abhilfe bat, Gott aber das Problem nicht wegnehmen wollte (2Kor 12,8)? Ja, denn das Ergebnis war, dass Paulus nun in der Lage war, sich in seiner Lage „meiner Schwachheit zu rühmen, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Muts…“ (2Kor 12,9f).

Jakobus 5 passt hier genau in das neutestamentliche Gesamtbild. Mit dem Kommen von Jesus ist das Reich Gottes schon in diese Welt hereingebrochen. Noch läuft die alte Todeswelt weiter – und auch Christen sind mit ihrem sterblichen Leib dieser Todeswelt noch verhaftet und seufzen darunter – einmal mehr, einmal weniger (Rö 8,22ff; 2Kor 5,1-6). Aber das Reich Gottes, die Neuschöpfung, ist nicht nur zukünftig, sondern ist schon angebrochen (Mt 12,28; Lk 17,21; 2Kor 5,17; Kol 1,13). Und die Zeichen dieses Reiches, das in seiner Vollendungsgestalt einmal mit sich bringen wird, dass alles neu sein und keine Krankheit und kein Tod mehr existieren wird (Offb 21,1-5), werden sich heute schon immer wieder zeigen, wo und wann es Gott gefällt – als Hinweise auf das, was einmal kommen wird! Was sich da dann mitten in einer vergänglichen Welt an uns vergänglichen Menschen zeigt, sind Gottes Wunder. Aber wenn er im Einzelfall solch ein Wunder nicht tut, sondern in anderer Weise heilsam eingreift, weist uns sein Verheißungswort trotzdem darauf hin, dass am Ende das Leben, die Auferstehungsherrlichkeit, das ewige Ziel bei Gott steht. Sei es also durch eine Heilung, die uns ja auch nur für eine Zeit in dieses endliche Leben zurück bringt, sei es durch die Verheißung des Wortes Gottes, das uns in Freud und Leid gilt: Immer werden wir darauf hingewiesen, dass wir jetzt noch im Glauben und nicht dauerhaft im Schauen leben – und dass das Schönste noch kommt. Von daher wollen wir Gott viel zutrauen; und uns auch in unseren Krankheiten und Schmerzen ihm anvertrauen. Er kann heilen. Er wird auf jeden Fall helfen.


  1. Belege finden sich bei St. Holthaus, Heil – Heilung – Heiligung: Die Geschichte der deutschen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung (1874-1909), Gießen: Brunnen, 2005, S.363-377. 

  2. Wörtlich „Charismata von Heilungen“ – was nicht heißt, dass irgendjemand die Gabe hätte, immer und überall alle Krankheiten zu heilen. Dies ist für die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kommen Jesu auch nirgends verheißen! Aber warum sollte Gott es nicht wirken, dass durch bestimmte Menschen – z.B. auf Gebet hin – häufiger als bei anderen einzelne Heilungen geschenkt werden. Es bleiben immer einzelne Heilungen, wann und wo es Gott gefällt. Niemand muss sich da als Wunderheiler ausgeben – und möglichst dann durch Manipulationen nachhelfen!