ThemenMission und Evangelisation

Gemeinsam mit Israel hören – Gedankenanstöße zur Juden­-Missionsdiskussion

Bis zum heutigen Tag steht die triumphierende Kirche der geblendeten Synagoge gegenüber. Alle christlichen Demutsbeteuerungen können darüber nicht hinwegtäuschen: Letzten Endes müssen „die Juden“ eingestehen, sich getäuscht zu haben, während „die Gemeinde“ schon immer Recht hatte. Der Apostel Paulus bezeugt: „Bis auf den heutigen Tag hängt die Decke vor ihren Herzen, wenn Mose gelesen wird“ (2Korinther 3,14ff.).

Gemeinsam mit dem jüdischen Volk warten wir auf den Messias, der sein Volk in der Thora verwurzeln wird. „Im Messias“ wird die Decke weggetan. Dann „wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR“ (Jeremia 31,34).

Und wie ist das bei uns Christen? – Wir haben nicht selten eine christliche Ideologie verinnerlicht, aber das Wort des lebendigen Gottes ist uns fremd. Wenn wir die Heilige Schrift tatsächlich lesen, sehen wir „mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn“ – doch „wie in einem Spiegel“ (2Korinther 3,18). An anderer Stelle schreibt Paulus, dass wir „durch einen Spiegel ein dunkles Bild“ sehen, lediglich „bruchstückhaft“ erkennen (1Korin­ther 13,12).

Der Prophet Jesaja sieht eine Zeit voraus, in der Gott „die Hülle wegnehmen [wird], mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Nichtjuden zugedeckt sind“ (Jesaja 25,7).

Bis Gott das tun wird, will ich gemeinsam mit dem jüdischen Volk – dem Gottes Wort in einzigartiger Weise anvertraut ist (Römer 3,2; 9,4) – darauf hören, was der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu sagen hat. Dabei sind mir folgende Punkte wichtig geworden:

Es gibt einen bleibenden Unterschied

Mit der Berufung des Abram (1.Mose 12) machte Gott einen Unterschied zwischen Israel und den Heidenvölkern. Dieser Unterschied wurde nie aufgehoben – genauso wenig, wie der Unterschied zwischen Mann und Frau. Das erste Apostelkonzil bestätigte ihn (Apostelgeschichte 15). Bis ins letzte Buch der Bibel hinein bleibt er sichtbar.

Die Nachbarvölker Israels wurden von Gott gerichtet, weil sie behaupteten: „Wie alle Völker ist das Haus Juda“ (Hesekiel 25,8). Der Prophet Joel sah voraus, dass Gott die Völker einmal dafür zur Rechenschaft ziehen wird, dass sie „sein Erbteil Israel“ „unter die nichtjüdischen Völker zerstreut“ haben (Joel 4,1f.). Auch christliche Theologie wird sich an diesem Maßstab messen lassen müssen. Wenn sie tatsächlich vom Geist des Königs von Israel geprägt ist, sammelt sie das auserwählte Volk und bewahrt dessen Identität.

Die Heilige Schrift bezeugt den Unterschied zwischen Israel und den Nationen bis hinein in die Frage der Rechtfertigung. Dafür seien hier zwei Belege genannt:

  • 1) Der Apostel Paulus betont, dass es „widernatürlich“ ist, wenn Nichtjuden gerettet werden. Die Erlösung von Juden dagegen ist kata füsin, entspricht den Naturgesetzen, ist selbstverständlich (Römer 11,24).
  • 2) Gott hat sich verpflichtet, Israel zu retten. Ginge Israel verloren, stünde Gott als Lügner vor der Welt. Die Rettung von Nichtjuden dagegen, so das neutestamentliche Zeugnis, ist pure Gnade und Barmherzigkeit (Römer 15,8f.).

Wer die von Gott gesetzten Unterschiede annulliert, wird blind für sein Handeln.

Es gibt nur einen Gott

Das haben wir Nichtjuden vom jüdischen Volk gelernt! Die Götzen der Heiden können nicht helfen. Die Propheten haben das dem Volk Israel im Laufe von Jahrhunderten eingehämmert. Deshalb sind gesetzestreue Juden heute in dieser Frage so unnachgiebig. Das gilt auch für unbiblische Philosophien, Theologien und Bräuche, selbst wenn diese sich selbst „christlich“ nennen.

Im März 2000 besuchte Papst Johannes Paul II. Jerusalem. Die Oberrabbiner des Staates Israel überreichten ihm als Geschenk eine Bibel. In der Widmung griff Rabbi Meir Lau das ökumenische und interreligiöse Bemühen des Pontifex auf. Er zitierte den Propheten Micha (4,5): „Alle Völker wandeln ein jedes im Namen seines Gottes“ – um dann ausdrücklich zu betonen: „Wir aber wandeln im Namen des Herrn, unseres Gottes, immer und ewig.“

Die größten (christlichen) Verfechter einer Judenmission sind sich mit den größten (jüdischen) Gegnern der Judenmission einig im Blick auf den Exklusivanspruch des lebendigen Gottes.

… und deshalb nur einen Weg zum Heil

Aus der Einzigartigkeit Gottes folgt zwingend, dass es nur einen Weg zum Heil gibt. Alle von Menschen erdachten Heilswege und Heilsanstrengungen müssen scheitern. Auch darin sind sich Christen und Juden, die „Mose, die Propheten und die Schriften“ als Wort Gottes betrachten, einig.

„Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden.“ Das beinhaltet: Wer den Namen des Herrn nicht anruft, geht verloren. Paulus zitiert in Römer 10,13 den Propheten Joel (3,5), der fortfährt: „Denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Zuflucht sein“. Losgelöst vom Zion und Gottes Plan mit Israel wird jede Heilslehre zur Illusion. Das gilt, auch wenn dem viele Christen heute nicht zustimmen mögen, weil ihre Theologie den Heilsplan des Schöpfers bis zur Unkenntlichkeit universalisiert hat.

Israel schreit nach Erlösung

Die Frage, ob Israel Erlösung braucht, ist auch kein Grund zum Zwist zwischen Juden und Christen. Gewalt in Familien, Abtreibungen, Aggressivität im Straßenverkehr mit Hunderten von Todesopfern in jedem Jahr, eine hohe Selbstmordrate, die unendliche Geschichte von Hass, Terror und Krieg, die das jüdische Volk seit undenklichen Zeiten verfolgt, sind unübersehbar. Es gibt keinen Israeli, der nicht selbst Krieg erlebt hätte, keine Familie, die nicht um Gefallene trauert. Die Hasstiraden und Träume von der Vernichtung des jüdischen Volkes, religiös legitimiert und von der Weltöffentlichkeit schweigend akzeptiert, sind allgegenwärtig.

Das Volk Israel schreit nach Erlösung. Die Frage, wann Gott dem Leid dieser Welt ein Ende setzen wird, und die Forderung „Messias jetzt!“ – prägen das heutige Israel.

Die Messias-Frage

So bleibt die Frage: Ist Jesus von Nazareth der Messias Israels – „oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Frage Johannes des Täufers an Jesus (Matthäus 11,3; Lukas 7,19) ist brandaktuell. „Ich habe ja nichts gegen deinen Jesus“, schleuderte mir vor einiger Zeit ein ultra-orthodoxer Rabbiner entgegen: „Soll er nur endlich kommen!“

Die Frage, ob Jesus der Erlöser Israels ist, ist heute weniger denn je eine Frage der theologischen Logik als vielmehr eine Anfrage an unser Wesen als Jesus-Nachfolger. Er selbst hatte vor 2.000 Jahren betont, dass weder Richtigkeit noch Lautstärke, nicht einmal Zeichen und Wunder entscheidend sind, sondern: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ (Matthäus 7,16.20).

Ihr seid das Salz

Das auserwählte Volk soll eifer­süchtig werden auf ein „Nicht-Volk“

Schon der Apostel Paulus wusste, das Heil ist zu dem Zweck zu den nichtjüdischen Völkern gekommen, „um Israel zur Eifersucht zu reizen“ (Römer 11,11). Das auserwählte Volk soll eifersüchtig werden auf ein „Nicht-Volk“ (Römer 10,19). Deshalb war Paulus stolz auf sein Amt als Heidenapostel. Er hoffte, durch seine Heidenmission „seine Blutsverwandten eifersüchtig zu machen und einige von ihnen zu retten“ (Römer 11,13f.).

Warum wird heute so viel und hitzig darüber diskutiert, was wir Israel zu sagen haben – und so wenig darüber, dass das jüdische Volk nicht eifersüchtig auf uns ist? Ob der Missionsbefehl tatsächlich Auftrag von Nichtjuden an Israel ist, kann diskutiert werden – besonders wenn man den von Gott gesetzten Unterschied zwischen Israel und der Völkerwelt ernst nimmt. Dass das Heil zu uns Heiden gekommen ist, damit wir Israel zum Nacheifern reizen sollen, ist zweifelsfrei eine der zentralen – und vielleicht am meisten übersehenen – Funktionen der christlichen Gemeinde.

Die Botschaft der Nichtjuden an Israel

„Wir brauchen euch Gläubige aus den Heidenvölkern. Ohne euch verstehen wir nicht, wer wir sind. Ohne euch verstehen wir nicht, warum wir in dieses Land zurückkehren mussten. Ohne euch werden wir den Messias nicht erkennen!“

Bedeutet das nun, dass wir dem jüdischen Volk überhaupt nichts zu sagen hätten – nach 2.000 Jahren Antisemitismus und nach dem Holocaust? – Gerade bibelkundige, orthodoxe Juden haben mir in den vergangenen Jahren mehrfach gesagt: „Wir brauchen euch Gläubige aus den Heidenvölkern. Ohne euch verstehen wir nicht, wer wir sind. Ohne euch verstehen wir nicht, warum wir in dieses Land zurückkehren mussten. Ohne euch werden wir den Messias nicht erkennen!“ Das lernen sie aus der Heiligen Schrift.

Für uns sind diese Menschen eine Herausforderung, neu die Bibel zu lesen, neu auf Gottes Stimme zu hören, neu das tatsächlich zu leben, was die Heilige Schrift sagt, um dann weiterzusagen, was Gott seinem Volk sagen will – ohne eigene Ideen hinzuzufügen, und ohne ein Wort von all dem Guten, das der Herr sagen will, wegzunehmen (siehe dazu etwa 5Mose 4,2; Offenbarung 22,18f.).