Seit etwas mehr als 10 Jahren macht die Gemeindebewegung Emerging Church (zu deutsch: „in Erscheinung tretende Kirche“) von sich Reden. Entstanden ist die Bewegung in den USA, hat aber mittlerweile auch uns in Deutschland erreicht. Das Anliegen der Bewegung ist es, Gemeinde unter den Rahmenbedingungen einer postmodernen Gesellschaft zu bauen. Hat man das eine oder das andere Buch aus dieser Bewegung (z.B. von Dan Kimball oder Brian McLaren) mal in der Hand gehabt, so wird einem manches sonderbar, zumindest fremdartig vorgekommen sein. Was soll man davon halten?
Im vorliegenden Buch setzt sich der renommierte Neutestamentler Donald A. Carson mit dieser Bewegung auseinander. Dr. Carson ist Professor für Neues Testament an der Trinity Evangelical Divinity School in Illinois/ USA. Mehr als 45 Bücher hat er bereits veröffentlicht. Wenn D. A. Carson spricht, so hört man in der evangelikalen Welt zu. Will man sich mit der Emerging Church Bewegung auseinandersetzen, so kommt man an seinem Buch nicht vorbei. Es geht zurück auf drei Vorträge, die Carson 2004 an der Cedarville University gehalten hat.
Nur was man verstanden hat, kann man wirklich beurteilen. Daher stellt Carson zu Beginn des Buches zunächst dar, was Emerging Church eigentlich ist. In der Auseinandersetzung mit den führenden Vertretern dieser Bewegung stellt Carson fest, dass viele von ihnen aus konservativen und traditionell geprägten evangelikalen Gemeinden stammen, von denen sie sich gelöst haben. Protest ist daher ein charakteristischer Wesenzug der Bewegung. Protest gegen die traditionellen Gemeinden evangelikaler Prägung, Protest gegen die Mega-Gemeinden (wie z.B. Willow-Creek und Saddleback) und Protest gegen die Haltungen der Moderne. Dabei geht Carson ausgesprochen fair mit der Bewegung um, indem er zahlreiche Stärken erkennt und beschreibt. Ihre Auseinandersetzung mit der postmodernen Kultur, ihr Wunsch nach authentischem Leben, ihre Sicht für die sozial Benachteiligten und der Wunsch, die Menschen mit dem Evangelium zu erreichen, die von den traditionellen Gemeinden nicht erreicht werden – davon kann man viel Positives lernen.
Im mittleren und größten Teil des Buches stellt der Autor schließlich dar, wie radikal kritisch die Vordenker und Vertreter der Emerging Church Bewegung mit der Zeitepoche der Moderne und der ihr zugerechneten traditionellen Kirchen ins Gericht gehen. Im Gegenzug dazu greifen sie nahezu unkritisch die Haltungen der postmodernen Gegenwart auf. Diese Kapitel stellen eine lesenswerte Analyse der beiden Kulturen dar.
Donald A. Carson, Emerging Church: Abschied von der biblischen Lehre?, CLV: 2008; ISBN: 9783893979899; 329 S.; 9.90 EUR; Englischer Originaltitel: Becoming Conversant with the Emerging Church: Understanding a Movement and Its Implications; Zondervan: 2005.
Um zu verdeutlichen, wie die Vertreter der Emerging Church Bewegung argumentieren, analysiert Carson schließlich exemplarisch die Bücher „A Generous Orthodoxy“ von Brian McLaren und „The Lost Message of Jesus“ von Steve Chalke. Dabei arbeitet er heraus, dass die Frage, ob es überhaupt allgemeingültige und objektive Wahrheit gibt, eine Schlüsselfrage der Bewegung darstellt. Er beendet sein Buch mit einer Auflistung verschiedener Aussagen der Bibel zu den Themen „Wahrheit“ und „Erfahrung“ und macht dabei deutlich, dass sich in diesen Punkten die Emerging Church Bewegung gefährlich weit von der Bibel entfernt hat.
Das Buch richtet sich an Leser, die sich bereits mit der Emerging Church Bewegung auseinandergesetzt haben. Carson stellt zentrale Fragen, auf die man eine Antwort finden sollte, wenn man Gemeinde im Stil von Emerging Church bauen will. Auch wenn Carson darin erklärt, was Emerging Church ist und eine gute Analyse der postmodernen Kultur entfaltet, stellt dieses Buch keine allgemeinverständliche Einführung in diese Themen dar, sondern will sich kritisch mit der Bewegung auseinandersetzen. Carson schreibt auf dem Hintergrund der Situation und theologischen Diskussion in Amerika, was die Herausgeber der deutschen Übersetzung zu vielen und oft recht umfangreichen Erläuterungen in Klammern genötigt hat. Das stört den Lesefluss. Hilfreicher wäre ein Anhang mit Erläuterungen.
Carson setzt sich in seiner Analyse der Bewegung ausschließlich mit ihren Veröffentlichungen auseinander. Beim Lesen hat man nicht den Eindruck, dass der Autor eine Emerging-Church-Gemeinde besucht und erlebt hat. Das wäre sicher hilfreich gewesen, wenn man sich umfassend mit einer Bewegung auseinandersetzen möchte. Dennoch bietet das Buch eine lesenswerte Analyse und stellt berechtigte Fragen.