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Wie wir Gott (nicht) lieben – über Gottesbilder und Gottes Wort

Unser „Gottesbild“ muss vom Wort Gottes geprägt sein und darf nicht einfach ein Gebilde in unserem Kopf werden. Ein falsche Vorstellung von Gott wird es dem Menschen unmöglich machen, Gott recht zu ehren und zu lieben.

Jeder Mensch macht sich im Laufe seines Lebens ein oder mehrere Vorstellungen von Gott. Selbst Atheisten und Materialisten haben ihre Gottesbilder, wenn auch eher als Feindbilder. Beim Nachdenken über Gott bleibt tatsächlich nur wenig anderes übrig, als sich ein eigenes, natürlich immer subjektives, interessengeleitetes und zeitgebundenes „Bild“ von Gott zu machen. Eine objektive Erkenntnis Gottes ist schon alleine deshalb nicht möglich, weil kein Mensch und keine Methode einen direkten Zugriff auf Gott hat. Wenn ich also im Folgenden von „Gottesbildern“ spreche, meine ich damit kein fassbares Bild, sondern eine Art Zusammenfassung aller Glaubenssätze über Gott, wie sie in einem Menschen vorhanden sein können.

Wie Gottesbilder geprägt werden

Matthäus 11,27: Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden. Niemand außer dem Vater kennt den Sohn wirklich, und niemand kennt den Vater, außer dem Sohn und die, denen der Sohn es offenbaren will.

Alles Denken über Gott beruht letztlich auf Beobachtungen seines Handelns und Redens, auf Schlussfolgerungen und begründeten Spekulationen (vgl. Mt 11,27; Joh 1,18). Keine Methode der Theologie oder Philosophie erlaubt es, unmittelbare Aussagen über Gott zu machen. Für die Natur­wissenschaften gilt diese Ein­schrän­kung natürlich umso mehr, weil diese Wissens­be­reiche sich schon in der Wahl ihrer Methodik auf materiell fassbare Gegenstände beschränkt haben, also Gott als Objekt ihrer Forschung ausschließen.

Christen sind davon überzeugt, das Handeln und Reden Gottes am zuverlässigsten und authentischsten in der Bibel zu finden. Deshalb ist dieses Buch die Grundlage ihres Redens von Gott.

Da jeder Mensch in seiner Denk- und Wahr­nehmungsfähigkeit be­­schränkt ist, fallen auch die jeweiligen Gottesbilder einseitig aus. Welche Gottes­bilder beliebt und damit häufiger vertreten sind, liegt einerseits an der persönlichen Prägung, an Erwartungen und dem eigenen Charakter, andererseits aber auch an den gesellschaftlichen Trends, mit denen die betreffende Person lebt.

„Gott“ im Konsumismus

Die gewollte und realisierte Einseitigkeit jedes Gottesbildes führt in der logischen Konsequenz dazu, dass andere Eigenschaften Gottes in den Hintergrund treten und übersehen werden.

Zu einer Zeit, in der in Europa Materialismus und Kon­sum Leben und Denken dominieren, haben diese weithin beworbenen Wer­tungen natürlich auch Aus­wirkungen auf das Gottesbild der Christen. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund wird Gott weitgehend als Garant der erstrebten Lebensform betrachtet. Dabei wird die Diesseitigkeit Gottes hervorgehoben, sein Kümmern um die materiellen Bedürfnisse des Menschen: Einkom­men, Gesundheit, Be­zie­hungen, Spaß usw. Auch Demokratie und Individualismus hinterlassen ihre Spuren im Gottesbild. Gott wird eher als Partner betrachtet, der ermutigt, tröstet, versteht, höchstens einmal rät, nie aber befiehlt. Gott muss emotional erlebbar sein, sich nach Willen und Wünschen des Christen richten. Er sollte sich weltoffen und tolerant präsentieren; ebenso wie es von einem zeitgemäßen Menschen erwartet wird, nur mit etwas mehr Macht und Gestal­tungs­frei­raum. Der gewünschte Gott ist dafür da, den Menschen in seinem Lebensplan zu unterstützen, ihm immer wieder zuzusagen, wie wichtig und wertvoll er ist. In ethischen Fragen soll sich ein solcher Gott eher zurückhalten, denn da fordert der postmoderne Mensch größtmögliche Freiheit.

Viele der gegenwärtig erwün­schten und des­halb hervor­ge­ho­benen Ei­gen­­schaften Got­tes finden sich bei näherem Hin­sehen ansatzweise tatsächlich auch in der Bibel. Gott ist der liebende Vater (vgl. Mt 6,9; Röm 8,15), mit einer unvorstellbaren Ge­duld. Er vergibt auch die schlimmste Schuld (vgl. Jes 1,18; Röm 5,20) und lässt sich selbst in der Person Jesu Christi quälen, ohne den Menschen direkt zu bestrafen (vgl. Lk 23,34).

Die gewollte oder zumindest realisierte Einseitigkeit jedes Gottesbildes führt in der logischen Konsequenz natürlich dazu, dass andere Eigenschaften Gottes in den Hintergrund treten, übersehen werden. Das betrifft insbesondere Charakteristika Gottes, die nicht dem gegenwärtigen Zeitgeschmack oder theologischen Trends entsprechen, die aber trotzdem deutlich in der Bibel benannt werden.

Stilblüten theologischer Gottesbilder

Originelle Stilblüten theologischer Gottesbilder sind ideologische Konstruktionen, die Gott jeweils an den gerade herrschenden Zeitgeschmack anpassen. So entstanden in den vergangenen Jahrzehnten zum Beispiel der atheistische Gott, der feministische Gott, der soziale Gott, der ökumenische Gott, der ökologische Gott, der esoterische Gott usw. usw. All diese Gottesbilder existieren natürlich viel eher in der Vorstellungswelt jener Theologen als in der Realität. Und zumeist veralten solche Projektionen ebenso schnell wie der zugehörige Zeitgeist.

In der gegenwärtig in Europa ausgeprägten Esoterik werden die Gottesbilder eher flexibel und nebulös. In der Tendenz hat jeder seinen eigenen Gott, der sich dann noch in jeder Lebensphase ändern kann und so an die eigenen Bedürfnisse und Überzeugungen anpasst.

In letzter Konsequenz wird damit jeder Mensch selbst zu Gott, denn er hört auf Gott in sich, auf seine Gefühle, Gedanken, Wünsche und Befürchtungen. Zuweilen werden diese Selbstreflexionen noch mit Begriffen biblischer Dogmatik umschrieben. Dann spricht man von „Prophetie“, vom „Reden Gottes“ oder der „Offenbarung“ des Geistes. Tatsächlich aber lauscht der esoterisch geprägte Mensch lediglich auf den Chor verborgener Stimmen in sich selbst.

Gespeist werden diese Äußerungen aus der jeweiligen Erziehung und Le­bens­erfahrung, aus der jeweiligen Per­sönlichkeit, den eigenen Idealen, Wünschen, Hoffnungen, der Absicht andere zu dominieren oder der tief sitzenden Hoffnung, die eigene Bedeutung durch die vorgeblich göttlichen Stimmen aufzuwerten. Natürlich kennt die christliche Theologie Offenbarungen Gottes. Sie kennt aber auch seelische und okkulte Stimmen, die für den Betreffenden nicht immer auf Anhieb unterscheidbar sind (vgl. Jer 29,8-9; 1Joh 4,1).

Das moderne Empfinden und was dabei vergessen wird

Populär ist gegenwärtig vor allem der liebevolle, vergebende, verständnisvolle, tolerante, unterhaltende, heilende und reich beschenkende Gott.

Populär und ausführlich beworben wird gegenwärtig vor allem der liebevolle, vergebende, verständnisvolle, tolerante, unterhaltende, heilen­de und reich be­­schenkende Gott. All diese Ei­gen­­schaften Got­tes finden sich durch­aus auch in der Bibel und werden von persönlichen Erlebnissen aus Geschichte und Gegenwart gestützt. Diese Aspekte Gottes entsprechen aber vor allem den tiefen Sehnsüchten des modernen / postmodernen Menschen und seinen Vorstellungen von einem erlebnisreichen und erfüllten Leben. Daneben existieren aber noch ganz andere Seiten des Ewigen, ohne die das Gottesbild einseitig und irreal werden kann. Mancher wird im Laufe seines Lebens von Gott mutmaßlich enttäuscht, weil sich Gott ihm gegenüber eben nicht nur verständnisvoll, tolerant, heilend usw. verhalten hat (Hiob 7,3; Ps 73; Jer 12,1). Einige geben deshalb sogar ihren Glauben auf, verlassen ihre Gemeinden oder suchen ihr Heil anderswo, beispielsweise in der Esoterik.

Unter den zahlreichen Aspekten von Gottesbildern, die heute unter die Räder zu geraten drohen, sollen hier stellvertretend vier Beispiele genannt werden.

a. Der richtende / strafende Gott

Hier handelt es sich mit Sicherheit nicht um die heute populärste Eigenschaft Gottes. Trotzdem, durch die gesamte biblische Geschichte hindurch tritt Gott als jemand in Erscheinung, der böswillige Menschen auch heftig zurechtweist und bestraft.

  • Adam und Eva wurden wegen Überschreitung eines Gebotes Gottes aus dem Paradies geworfen (1Mo 3,17-19.23-24).
  • Die gottvergessenen und leichtlebigen Menschen zur Zeit Noahs wurden von Gott ertränkt (1Mo 6,13.17; Mt 24,37-39).
  • Die ägyptische Armee kam bei der Verfolgung der Israeliten um, weil sie gegen den ausdrücklichen Wunsch Gottes handelte (2Mo 15,1-21).
  • Saul wurde krank und verworfen, weil er in guter Absicht Falsches tat und dabei Gottes Ordnungen verletzte (1Sam 13,5-14; 15,20-26).

Auch im Neuen Testament griff Gott ein, wenn er Menschen zurechtweisen wollte.

  • Hananias und Saphira starben, weil sie die Apostel belogen (Apg 5,1-11).
    Andere Christen wurden krank, weil sie das Abendmahl nicht ordentlich einnahmen (1Kor 11,27-33).
  • Und bei den Gerichten in der Offenbarung kommen Millionen Menschen um, weil sie sich gegen Gott empören (Offb 6,12-17; 8,8-11).

Zwar passt ein richtender Gott so gar nicht zu den sanften und friedfertigen Konzepten von Pädagogik, Esoterik und zeitgenössischer Theologie. In den biblischen Berichten ist sie allerdings eine der ganz deutlichen Eigenschaften Gottes. Wenn es um den wahren Gott geht, dann darf dieser Charakterzug nicht fehlen.

b. Der transzendente Gott

Gott ist mehr am Herzen des Menschen interessiert als an seinem Äußeren.

Sicher ist Gott an der Welt, den Menschen und ihrem Ergehen interessiert. An­son­sten hätte er sie kaum ins Dasein gerufen. Die Bibel ist voller Beispiele von Gottes Anteilnahme und Hilfe in schwierigen Lebenslagen (vgl. 2Chr 33,12f; Ps 50,15; 107,6). Das Hauptaugenmerk Gottes geht aber weit über diese Welt hinaus. Gott war schon Ewigkeiten und lange vor der Er­schaffung der materiellen Welt und des Menschen (vgl. Spr 8,22; Ps 90,2; Joh 1,1). Auch hat der Planet Erde nur eine begrenzte Haltbarkeit. Zu dem von Gott verheißenen Schlusspunkt wird diese Welt und alles, was mit diesem irdischen Leben zu tun hat, vernichtet, um Platz für ein rein jenseitiges Leben zu schaffen (vgl. Jes 65,17; 66,22; 2Petr 3,10; Offb 21,1).

  • Gott ist mehr am Herzen des Menschen, also seinem innersten Wesen, interessiert als an seinem Aussehen (vgl. 1Sam 16,7).
  • Gott kommt es mehr darauf an, dass der Mensch ihm vertraut als auf seine Leistungen und Opfer (vgl. Jes 1,10-17; Amos 5,21-23; Mich 6,6-8).
  • Menschen, die zu sehr am Dies­seits und an materiellen Dingen hängen, werden überdeutlich aufgefordert, sich davon zu trennen, weil das alles nur von sehr begrenzter Bedeutung ist (vgl. Mt 6,19-21; 19,21; 2Kor 4,16-18; 1Joh 2,16f).
  • Gott fordert den Christen auf, sich seines eigentlichen Ziels in der ewigen Welt bei Gott bewusst zu sein und alle irdischen, diesseitigen, zeitlich begrenzten Interessen und Aktivitäten hintenanzustellen. Denn auch Gott ist in dieser geistlichen, nichtmateriellen Welt zuhause (vgl. Joh 14,3; 2Kor 5,1-10; Phil 3,20f).

Gott ist Geist, sagt die Bibel (vgl. Joh 4,24; 2Kor 3,17f).

c. Der Leiden zumutende Gott

Wahrscheinlich niemand außer ein Masochist oder eingefleischter Pessimist sehnt sich nach Leiden. Es ist vollkommen normal, sich zu wünschen, satt, sicher und gesund zu leben. Aus der Sicht Gottes sind das aber nicht die höchsten Werte. Das betrifft ihn selbst als auch seine Nachfolger.

Durch die Erschaffung der Welt mit ihren nicht immer so friedlichen Bewohnern hat sich Gott einige Unannehmlichkeiten eingehandelt. Doch er war bereit, um der Menschen willen zu leiden, an ihrer Undankbarkeit, ihrem Hochmut, ihrer Brutalität usw. Immer wieder wird die Trauer und Betroffenheit Gottes in der Bibel erwähnt (vgl. 1Mo 6,6; Hes 33,11; Jona 4,11; Lk 19, 41).

Leid ist aus der Sicht Gottes manchmal gut und oft ein notwendiger Nebeneffekt von Wachstum und Reife.

In Jesus Christus hat Gott schwerstes Leid und übelste Verspottung auf sich genommen (vgl. Jes 53,4-7; Mt 27,15-54). Leid ist aus der Sicht Gottes manchmal gut und oft ein notwendiger Nebeneffekt von Wachstum und Reife. Den treuen Propheten des Alten Testamentes mutete Gott immer wieder äußerste Probleme zu. Hiob ist geradezu das Paradebeispiel des unschuldig Leidenden (vgl. Hiob 1,20-21; 3,1-26). Ebenso ist es mit dem verschleppten und versklavten Joseph und mit Daniel (vgl. 1Mo 37,29f; 39,7-20; Dan 1,3-7; 3,16-23). Auch Elia musste mit Verfolgungen und Morddrohungen leben (vgl. 1Kön 19,1-4).

Im Neuen Testament verspricht Jesus seinen Jüngern weder Reichtum noch Gesundheit, dafür aber mehrfach Ver­folgungen, Spott und Leiden (vgl. Mt 5,10f; Joh 15,18-21; 2Tim 3,12). Alle Apostel haben schwer gelitten (vgl. Apg 4,1-3; 12,1f; 2Kor 11,16-28). Und das war scheinbar durchaus im Sinne Gottes. Gelegentlich kann Leid aus Gottes Sicht andere, wichtigere Eigenschaften fördern oder vor potentiellen Fehlern schützen (vgl. Röm 5,3-5; 2Kor 4,7-15; 12,7-10). Eine überdeutliche Charak­tereigenschaft Gottes in der Bibel ist es, Leid zu ertragen und anderen Leid zuzumuten.

d. Der fordernde Gott

In einer Zeit von Konstruktivismus, Esoterik und Konsum hört der postmoderne Mensch beständig, wie schön, wichtig und begehrenswert er ist. Daran kann man sich gewöhnen, sogar als geistlicher Mensch. Unzählige Vorträge, Predigten, Seminare und Buchtitel stoßen in dasselbe Horn: „Du bist wichtig!“, „Du bist wertvoll!“, „Erkenne Deine Potentiale!“, „Bleibe wie du bist!“ usw.

Der Gott der Bibel schlägt da gelegentlich ganz andere Töne an. Fast könnte man depressiv werden. In jedem Fall wird bei den klaren Aussagen Gottes das positive Selbstbild des Menschen angekratzt.

Schon im Alten Testament wird dem Men­schen immer wieder der Spie­gel vorgehalten. Ihm wird Eigen­sucht, Undank­bar­keit oder sogar Dumm­heit vor­geworfen (vgl. 1Mo 6,5; 8,21; Ps 14,1; Jes 59,3-9; Jer 17,9).

Im Neuen Testament geht es in gleicher Weise weiter, dazu kommen Hinweise auf die eigene Hartherzigkeit und Lieblosigkeit (vgl. Mk 7,21f; Röm 3,23; Gal 5,19f; Kol 3,5-8).

Gott bleibt aber nicht bei der Diagnose. Auch wenn der Mensch nur allein durch die Gnade Gottes gerettet werden kann, wie Luther zu Recht betonte, stellt Gott an den Geretteten deutliche und nachhaltige Anforderungen (vgl. Gal 5,16-21). Sein Denken und seine Lebensplanung soll er grundsätzlich neu aufstellen und an Gottes Prioritäten ausrichten (vgl. Röm 12,2; Eph 4,17; Jak 1,19-27). Er soll sich ganz für Gott investieren: mit aller Zeit, seinen gesamten materiellen Möglichkeiten und allen seinen Fähigkeiten. Alles andere soll dahinter zurückbleiben (vgl. Mt 10,37; Lk 14,25-27; Phil 3,8). Seine ethischen Urteile soll er nicht nach seinem Bauchgefühl oder den eigenen Vorteilen, sondern an den deutlichen und gelegentlich sogar unangenehmen Forderungen Gottes ausrichten. Gott erwartet, dass wir alle Zeit und Energie für Ihn, für andere Christen und für leidende Menschen investieren (vgl. Mt 25,31-40; Jak 4,4; 1Joh 2,12-17; 4,7-21). Der Gott der Bibel ist zweifellos ein sehr fordernder Gott.

Sicher, es gibt auch zahlreiche Bibelverse, die Gottes väterliche Fürsorge für seine Kinder dokumentieren, aber hier sollte es ja bewusst und auch ein wenig einseitig um die heute eher ausgeblendeten Charaktereigenschaften und Handlungsweisen Gottes gehen.

Ein an der Bibel orientiertes Gottesbild muss auch auf diese und noch viele andere Aspekte des Wesens Gottes achten.