ThemenGelebte Bibeltreue, Predigten und Bibelarbeiten

Weil ER gesprochen hat!: Wie Paulus in Römer 4 mit dem Alten Testament umging

Paulus zeigt mit seiner Auslegung der Geschichte von Abraham und Mose, dass es für uns darauf ankommt, dass wir unser Leben als Teil der Geschichte Gottes begreifen lernen. Wir filtern uns dann nicht das aus der Bibel, was uns gefällt. Die ganze Bibel wird vielmehr zum Filter für unser Leben.Wie das möglich ist, lernen wir beim genauen Blick auf die Argumentation in Römer 4.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder unterstelle ich mich Gottes Wort als seiner Selbstoffenbarung und akzeptiere es als „erstes Kriterium der Wahrheit”. Oder ich nehme meinen eigenen Verstand zum Ausgangspunkt, um Gottes Wort nach meinem Dafürhalten zu richten. In beiden Fällen greife ich auf ein erstes Prinzip zurück, für das es keine direkte Beweisbarkeit gibt.

Die biblischen Autoren ordneten sich selbst Gottes Wort unter. Wir sehen uns ein Beispiel an. Wie ging Paulus mit dem Alten Testament um, wenn er eine wichtige Frage – nämlich die nach der Gerechtigkeit aus Glauben – beantwortete? Ich stelle drei Dinge fest:

  1. Er lebte im tiefen Bewusstsein von Gottes einer Heilsgeschichte und argumentierte selbstverständlich aus diesem Verständnisrahmen heraus.
  2. Für Paulus war Gottes Handeln kein seelentröstender Mythos, sondern Geschehen in Raum und Zeit.
  3. Gerade weil Gottes Wort objektiv verlässliche Dokumentation seines Redens ist, hat sie für Paulus bleibende und bindende Bedeutung.

Bevor wir uns in die Argumen­ta­tionslinie von Paulus hineinbegeben, schicke ich eine wichtige Information zum Schreiben voraus, das Paulus an die große, aus verschiedenen Nationalitäten bestehende Gemeinde in Rom abfasste.

Der Römerbrief ist nicht, wie es oft dargestellt wurde, eine kopflastige, systematische Abhandlung des christlichen Glaubens. Er ist ein beherztes Plädoyer von Paulus, der die Römer für die Weltmission gewinnen wollte (siehe besonders Römer 1,13-15; 15,22-31). Es geht Paulus ums Ganze, ums Grundsätzliche und ums große Bild.

Römer 4 schließt direkt an die erste große Rede von Paulus an. Während drei Kapiteln hatte er darüber referiert, weshalb vor Gott alle Menschen schuldig sind. Mit prägnanten Worten hatte er die bis dahin aufgebaute Spannung gelöst und das Werk von Jesus als die Scharnierstelle der Heilsgeschichte präsentiert. Im Nachgang geht er jetzt der Frage nach, weshalb Gott den Sünder rechtfertigen konnte.

1. Die Bibel als Dokumentation von Gottes Heilsgeschichte: Haben Sie den Blick fürs Ganze?

Was wollen wir denn sagen, dass Abraham, unser Vater, nach dem Fleisch erlangt hat? Wenn nämlich Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, hat er zwar Ruhm, aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? »Abraham aber glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet«. Wer aber Werke verrichtet, dem wird der Lohn nicht aufgrund von Gnade angerechnet, sondern aufgrund der Verpflichtung; wer dagegen keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet. Ebenso preist auch David den Menschen glückselig, dem Gott ohne Werke Gerechtigkeit anrechnet: »Glückselig sind die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden zugedeckt sind; glückselig ist der Mann, dem der Herr die Sünde nicht anrechnet!« (Römer 4,1-8)

Das Alte Testament wird oft als Zeitzeugnis aus düsterer, grauer Vorzeit interpretiert und gegen das Neue Testament der Liebe und des Friedens abgegrenzt. Dabei zieht sich ein roter Faden durch die ganze Bibel.

Ohne ein einleitendes Wort zu verlieren, springt Paulus zuerst 2000 Jahre zu Abraham und dann 1000 Jahre zu David zurück. Wer den Text aufmerksam liest, stellt fest: Die Argumentation von Paulus ist ein Wechselspiel zwischen Fragen und Antworten, aus denen Einwände und neue Entgeg­nungen entwickelt werden.

Die erste Frage stellt Paulus zum Stammvater Abraham, auf welchen die Juden besonders stolz waren: Wie wurde der Stammvater, die nationale und geistliche Identifikations­fi­gur, vor Gott für gerecht erklärt?

Die Antwort holt Paulus direkt aus dem ersten Buch Mose. Nachdem Gott Abraham die Nach­kommen­schaft bestätigt hatte, wird kurz und bündig vermerkt: „Abraham glaubte Gott“. Dieser von Gott gewirkte Glaube war Grundlage für Gottes Urteil: „Du bist schuldig und gleichzeitig frei gesprochen, weil ich dir eine fremde Gerechtigkeit anrechne.“ Die Grundlage für den Freispruch war kein Lohn für gute Arbeit, sondern eine leistungsunabhängige Gabe Gottes.

Wie war es denn mit David, dem König nach Gottes Herzen und dem Vorfahren des Messias? David war wie kaum ein anderer Mensch in der Lage, die von Gott angebotene Vergebung wertzuschätzen. Warum? Hätte Gott auf seinen Lebenspfad geblickt, wäre die Bilanz äußerst ungünstig ausgefallen: Da fanden sich Ehebruch, Mord und Verleumdung. David litt Zeit seines Lebens unter den Folgen dieser Sünden. Umso glücklicher ruft er angesichts der erkannten Sündhaftigkeit aus: „Wie gut hat es derjenige, dessen Sünden zugedeckt sind!“

Welche Botschaft enthält dieses Vorgehen von Paulus für den Bibelleser? Er betrachtet die Geschichte Gottes als einheitliche Linie, die einen zentralen Schnittpunkt aufweist: Das Kreuz. Alle Ereignisse vorher sind darauf ausgerichtet; alle Ereignisse nachher blenden darauf zurück.

In der heutigen Verkün­digung erhalte ich oft einen ganz anderen Eindruck. Das Alte Testament wird eher als Zeitzeugnis aus düsterer, grauer Vorzeit interpretiert und gegen das Neue Testament der Liebe und des Friedens abgegrenzt. Dabei zieht sich ein roter Faden durch die ganze Bibel. In einem sich stetig weitenden Rahmen wird das wunderbare Werk Gottes enthüllt. Die Welt ist Gottes Bühne, auf dem ein Hauptstück gezeigt wird: Gott sucht den Menschen, der ihm entfremdet ist, und rechtfertigt Sünder. Dazu gehörten bereits Abraham und David.

Das verändert unsere Perspektive auf diese Lebensgeschichten. Das Alte Testament ist weder Heldenbuch noch Regelwerk. Abraham und David sind keine „Supertypen“, von denen wir Charakterstärke und eine weise Lebensführung lernen. Sie sind in erster Linie gerechtfertigte Sünder, die glaubten. Sally Lloyd-Jones, die eine Kinderbibel verfasst hat und oft in Gemeinden zu Kindern spricht, stellt in ihren Ansprachen oft zwei Fragen:

„Wie viele von euch denken manchmal, dass sie gut sein müssen, damit Gott sie liebt?“ Sie beschreibt die Reaktion: „ Zögernd heben sie ihre Hände, und ich hebe meine auch.“ Dann folgt die zweite Frage: „Wer von euch denkt manchmal, dass Gott aufhört euch zu lieben, wenn ihr nicht gut seid?“ Auch hier falle die Antwort ähnlich aus: „Die Kinder schauen um sich und erheben erneut ihre Hand.“

Die Figuren der Bibel sind keine Helden und Gallionsfiguren, sondern lebende Beispiele für Gottes Gnade.

Die Figuren der Bibel sind keine Helden und Gallionsfiguren, sondern lebende Beispiele für Gottes Gnade. Lloyd-Jones‘ Rat an die erwachsenen Leiter lautet darum: „Sagt den Kindern, dass es in der Bibel nicht um sie geht.“ Ja, das Subjekt von Gottes Heilsgeschichte ist nicht der Mensch, sondern er selbst und das, was er getan hat.

Frage: Lesen Sie die Bibel aus dieser Perspektive? Wenn nicht, dann könnte dieser Ansatz die Gelegenheit für eine neue Leseinitiative werden.

2. Die Bibel als Geschehen in Raum und Zeit: Ist sie ein relevanter „Filter“ für Ihr Leben?

„Gilt nun diese Seligpreisung den Beschnittenen oder auch den Unbe­schnittenen? Wir sagen ja, dass dem Abraham der Glaube als Gerechtigkeit angerechnet worden ist. Wie wurde er ihm nun angerechnet? Als er beschnitten oder als er noch unbeschnitten war? Nicht als er beschnitten, sondern als er noch unbeschnitten war! Und er empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er schon im unbeschnittenen Zustand hatte, damit er ein Vater aller unbeschnittenen Gläubigen sei, damit auch ihnen die Gerechtigkeit angerechnet werde; und auch ein Vater der Beschnittenen, die nicht nur aus der Beschneidung sind, sondern die auch wandeln in den Fußstapfen des Glaubens, den unser Vater Abraham hatte, als er noch unbeschnitten war“ (Römer 4,9-12).

Paulus lanciert die nächste Frage. Gilt das, was David sagte, nur für die Beschnittenen? Er spricht jetzt vom Unterscheidungsmerkmal des Juden. Alle männlichen Babys wurden am achten Tag an ihrer Vorhaut beschnitten. Dies geschah nicht nur aus hygienischen Gründen, sondern war mit einer geistlichen Bedeutung verbunden. Paulus hatte schon vorher darüber gesprochen:

„Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist; auch ist nicht das die Beschneidung, die äußerlich am Fleisch geschieht; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und [seine] Beschneidung [geschieht] am Herzen, im Geist, nicht dem Buchstaben nach. Seine Anerkennung kommt nicht von Menschen, sondern von Gott“(Römer 2,28+29).

Schon im Alten Testament kündigte Gott an, dass er sein Volk einmal am Herzen beschneiden würde (5Mose 30,6). Jetzt ging es Paulus jedoch um die Frage: Zu welchem Zeitpunkt glaubte Abraham? War er damals bereits beschnitten? Die Antwort lautet ‚Nein‘. Dieses zeitliche Argument ist entscheidend für die Gesamtargumentation. Abraham ist damit nämlich Vater aller Glaubenden, also nicht nur der Juden.

Weshalb hängt Paulus ein wichtiges Argument an den Lebensverlauf eines Mannes, der vor 2000 Jahres gelebt hatte? Was für uns banal klingt, stellte für den Juden eine entscheidende Neu­in­­ter­pretation des Alten Testaments dar. Abraham, ihr Stamm­vater, war nach Gottes Plan dafür vorgesehen worden, zum Vater aller Glaubenden zu werden. Das erste Buch Mose gab schon sehr deutliche Hinweise darauf. Nur interpretierten die Juden die Geschichte damals einseitig national. Paulus, der mit der jüdischen Auslegung bestens vertraut war, stellte diese Lesart wieder auf das Fundament der gesamten Heilsgeschichte.

Wenn ich Zeitschriftenartikel, Lieder, Andachten, Predigten, Zeugnisse von Evangelikalen an mir vorüberziehen lasse, bleibt bei mir folgender Gesamteindruck zurück: Wir lesen und interpretieren die Bibel ähnlich wie die Juden damals, nämlich exklusiv aus einem leser-orientierten Rahmen heraus: Hauptsache, die Bibel tut dem Inneren wohl und erlaubt ein emotionales „Andocken“.

Wir brauchen es auch, dass wir daran erinnert werden, dass es beim christlichen Glauben um einen in der Geschichte verwurzelten Glauben geht. Darum muss die Bibel Filter für unser Leben sein, nicht umgekehrt.

Paulus erinnerte die Juden in der Gemeinde in Rom daran, dass sie die Geschichte zu einseitig interpretierten. Wir brauchen es ebenfalls, daran erinnert zu werden, dass es um einen in der Geschichte verwurzelten Glauben geht. Paulus nahm das Geschehen inklusive der zeitlichen Abläufe für so wichtig, dass er seine gesamte Argumentation davon abhängig machte!

Damit sind wir bei der zweiten Frage: „Filtern“ Sie die Bibel durch das eigene Leben, oder beginnt die Bibel der Filter für Ihr Leben zu werden?

3. Die Bibel ist von bleibender und bindender Bedeutung: Beeinflusst sie Ihr Denken und Handeln?

„Es steht aber nicht allein um seinetwillen geschrieben, dass es ihm angerechnet worden ist, sondern auch um unsertwillen, denen es angerechnet werden soll, wenn wir an den glauben, der unseren Herrn Jesus aus den Toten auferweckt hat, ihn, der um unserer Übertretungen willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung willen auferweckt worden ist“ (Römer 4,23-25).

Paulus beendet seine Ausführungen mit dem Blick auf die Mitte dieser Geschichte: den Tod und die Auferstehung von Jesus. Ohne diese, sagt er an anderer Stelle (1Kor 15), wäre der ganze Glaube vergeblich gewesen. Dann verbindet er den Glauben des Stammvaters direkt mit den seiner Leser. Der Bericht im ersten Buch Mose war um ihretwillen aufgezeichnet worden. Sie sind Teil von Gottes Geschichte.

Die dritte Frage lautet deshalb: Wenn die Bibel von bleibender und bindender Bedeutung ist, wie beeinflusst sie Ihr Denken und Handeln?

Dazu mag das Schaubild als Hilfe dienen:

Die Darstellung geht von einem engen, sich gegenseitig beeinflussenden Kreislauf aus. Rechtes Denken, das durch Gottes Wort genährt ist, führt zu rechtem Handeln. Das rechte Handeln wiederum wirft Fragen auf, was uns zu Gottes Wort zurücktreibt. So entsteht eine fruchtbare Wechselwirkung.

Es gibt zwei Tendenzen, weil wir Menschen Sünder bleiben:

Die einen koppeln das rechte Denken vom rechten Handeln ab. Es geht dann nur noch um Rechtgläubigkeit. Die Umsetzung in die einzelnen Lebensbereiche bleibt auf der Strecke.

Andere haben aufgehört sich von Gottes Wort zu nähren und sind in ihren alten Gewohnheiten gefangen. Weil ihr Handeln nicht mehr vom rechten Denken korrigiert wird, verselbständigt es sich.

Wenn wir uns mit Gottes Wort nähren, beginnt es durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes unser Leben zu verändern. Der Heilige Geist bewirkt Sehnsucht nach rechtem Denken, das durch die Bibel gespeist wird. Gleichzeitig wirkt er das Begehren, Täter von Gottes Wort zu werden. Rechtes Denken beeinflusst rechtes Handeln, und rechtes Handeln korrigiert und schärft das rechte Denken.

Fünf Anregungen, um den gesunden Kreislauf zu stärken

  1. Lesen Sie Ihre Bibel fortlaufend. Die Gewohnheit, nur hie und da kleine „Happen“ zu sich zu nehmen, verstärkt die Tendenz, sich über die Jahre seinen eigenen Glauben zurecht zu legen. Das liegt im Trend der Zeit. Wir picken uns das heraus, was gerade zu unserer Lebenslage zu passen scheint.
  2. Lesen Sie die ganze Bibel. Gott hat es wohlgefallen, sich in menschlichen Worten kundzutun. Er hat alles, was für unser Heil und ein gottgefälliges Leben notwendig ist, darin festgehalten. Es wird uns in unzähligen Lebensbildern, Geschichten, Kommentaren, Weisheitssprüchen und Lehren vermittelt.
  3. Schenken Sie vernachlässigten Abschnitten Beachtung. Wenn Sie schon länger in der Nachfolge Jesu stehen, dann empfehle ich Ihnen, sich vermehrt auf übersehene Abschnitte und Bücher ein­zu­lassen.
  4. Die wichtigste Frage bleibt stets: Was sagt ein Abschnitt über Gott aus? So wird Ihr Bild stets korrigiert.
  5. Bergen Sie die Schätze und teilen Sie diese in Ihrer Familie und Gemeinde.

Fazit

Ist die Bibel punktuelle Zugabe Ihres Lebensentwurfs, oder sehen Sie sich als Teil von Gottes Geschichte?