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Toleranz – Liebe und Wahrheit

Christliche Toleranz ist von der christlichen Liebe bestimmt. Die aber sagt dem Menschen auch unangenehme Wahrheiten, damit er den richtigen Weg finden kann. Christliche Toleranz unterscheidet sich vom gegenwärtig vertretenen Toleranzbegriff. Christen wollen und werden ihre Werte nicht mit Druck oder gar Gewalt durchsetzen, aber trotzdem mit Mut und Klarheit vertreten.

„Und Gott redete alle diese Worte und sprach: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich herausgeführt habe aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ (2Mo 20,1–3).

„Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (Joh 14,6).

„Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit Freudenöl über deine Gefährten” (Heb 1,9).

„Es kann keiner gut sein, welcher der Sünde nicht zürnt. Wer die Wahrheit liebt, muss alles Falsche hassen… Wenn Christus in einem Herz regiert, herrscht Krieg zwischen Christus und Belial, und wenn unser Erlöser als Richter zu Gericht sitzen wird, dann sind seine Worte: ‚Weicht von mir, ihr Verfluchten!’ nichts anderes als die Fortsetzung dessen, was er während seines Lebens über Sünde lehrte. So innig er die Sünder liebt, so unerbittlich hasst er die Sünde. So vollkommen seine Gerechtigkeit ist, so vollständig wird er die Gottlosigkeit in jeder Form und Gestalt vernichten.“ (C. H. Spurgeon: Morning and Evening, 20. Mai, Morgen).

„Die Neo-Christen unserer Tage habe einen neuen Dekalog angenommen, und dessen erstes Gebot lautet: ‚Du sollst nicht verschiedener Meinung sein.‘ Sie hat auch neue Seligpreisungen angenommen, deren erste lautet: ‚Selig sind, die alles tolerieren, denn sie werden für nichts Rechenschaft ablegen müssen“ (A. W. Tozer)

1. Das Evangelium bringt Entzweiung

Das lehrte unser Herr die Jünger:

„Denkt ihr, dass ich gekommen sei, Frieden auf der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern vielmehr Entzweiung. Denn es werden von nun an fünf in einem Hause entzweit sein; drei werden wider zwei und zwei wider drei entzweit sein: Vater gegen Sohn und Sohn gegen Vater, Mutter gegen Tochter und Tochter gegen Mutter, Schwiegermutter wider ihre Schwiegertochter und Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter“ (Luk 12,51–53).

Beachten wir die Wörter: Entzweiung, entzweit und gegen. Wo das Evangelium geglaubt, aufgenommen und befolgt wird, ist das Ergebnis unweigerlich Entzweiung und Gegnerschaft. Das muss so sein, denn:

1.1 Gemeinde und Welt sind scharf von einander geschieden

  • Die Welt liegt im Argen (1Jo 5,19).
  • Die Welt steht unter dem Zorn Gottes (Jo 3,36; Rö 1,18).
  • Die Welt vergeht und ihre Lust (1Jo 2,17).
  • Die Gemeinde ist nicht von der Welt (Jo 17,14; Gal 1,4).
  • Die Gemeinde ist abgesondert von der Welt (2Kor 6,14–18).
  • Der Glaube ist nicht aller Teil (2Thes 3,2).

Diese Aussagen lehren uns, dass zwischen der Gemeinde und der Welt eine unüberbrückbare Kluft liegt. Die Wahrheit des Evangeliums scheidet zwischen den Erlösten und den nicht Erlösten, zwischen denen, die dem Evangelium gehorchen und denen, die ihm nicht gehorchen. Die einen wandeln im Licht (1Jo 1,7), die andern in der Finsternis (Apg 26,18). Die einen lieben die Wahrheit, die anderen hassen die Wahrheit (Jo 3,19.20). Daraus ergibt sich zwingend, dass wir in der Gemeinde Ansichten, Worte und Handlungen verurteilen, die man in der Welt toleriert.

1.2 Sünde in der Gemeinde und Sünde in der Welt

Die Gemeinde ist aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf herausgenommen worden (Gal 1,4); sie ist abgesondert vom Unglauben und Götzendienst der Welt. Als Gemeinde sind wir berufen, uns von den Sünden der Welt reinzuhalten. Wir müssen jede Form der Sünde in uns richten; wir richten die Welt aber nicht. Wir wachen über der Reinheit der Gemeinde; wir richten Sünde in der Gemeinde und fegen den Sauerteig aus:

„Fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr eine neue Masse seid, gleichwie ihr ungesäuert seid. Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet“ (1Kor 5,7).

Gegenüber denen, die draußen sind, verhalten wir uns aber nicht so:

„Denn was habe ich zu richten, die draußen sind? Ihr, richtet ihr nicht, die drinnen sind? Die aber draußen sind, richtet Gott; tut den Bösen von euch selbst hinaus“ (1Kor 5,12.13).

Hier irrte die Römisch Katholische Kirche, indem sie mit dem Schwert alle richtete, die sich ihrem katholischen Glauben nicht fügten

Genau hier irrte die Römisch Katholische Kirche, indem sie mit dem Schwert alle und alles richtete, das sich dem Römisch Katholischen Glauben nicht fügte. Man hörte nicht auf das eben zitierte Wort des Apostels, dass es nicht Sache der Gemeinde oder Kirche ist, die zu richten, die draußen sind. Man ignorierte die Aussage des Gleichnisses vom Unkraut und vom Weizen im Acker (Mt 13,24–30). Der Acker ist die Welt (V. 38); der Herr wies seine Knechte an, das Unkraut stehen zu lassen (V. 28f.). Denn der Herr wird am Ende der Zeit seinen Engeln befehlen, das Unkraut zu bündeln und ins Feuer zu werfen (V. 41f.). Als die Katholische Kirche meinte, sie müsse das tun, hat sie erstens die Bösen, nämlich die Verdreher und Hasser des Evangeliums, geschützt und stattdessen viele Gerechte im Feuer verbrannt.

Wir haben gemäß 1Kor 5,7 in der Gemeinde, in der wir ein- und ausgehen, Verantwortung für alles, was in der Gemeinde gelehrt und geduldet wird. Darum hätten die Korinther den Bösen aus ihrer Mitte längst hinaustun müssen; darum wäre es ihre Pflicht gewesen, den Irrlehrern das Maul zu stopfen und sie nötigenfalls auszuschließen, wenn sie über ihre falschen Lehre nicht Buße taten (1Kor 15).

Sektiererische Menschen muss man nach ein- oder zweimaliger Ermahnung wegschicken:

„Einen sektiererischen Menschen weise ab nach einer ein-und zweimaligen Zurechtweisung, da du weißt, dass ein solcher verkehrt ist und sündigt, indem er durch sich selbst verurteilt ist“ (Tit 3,10.11).

Weil wir zum Volk Gottes gehören, tragen wir die Verantwortung für alles, was im Volk Gottes geschieht, was gelehrt und was geduldet wird. Wenn die Gottheit Christi in Frage gestellt wird, müssen wir vor dieser Irrlehre warnen, wie es der Apostel Johannes tat:

„Denn viele Verführer sind in die Welt ausgegangen, die nicht Jesus Christus im Fleisch kommend bekennen; dies ist der Verführer und der Antichrist … Jeder, der weitergeht und nicht bleibt in der Lehre des Christus, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, dieser hat sowohl den Vater als auch den Sohn“ (2Jo 7.9)

Siehe auch 1Tim 6,20f. Wir müssen auch Irrlehrer beim Namen nennen:

„und ihr Wort wird um sich fressen wie ein Krebs; unter welchen Hymenäus ist und Philetus, die von der Wahrheit abgeirrt sind, indem sie sagen, dass die Auferstehung schon geschehen sei, und den Glauben etlicher zerstören“ (2Tim 2,17f.).

Gegenüber den Torheiten und der Eitelkeit der Welt sind wir geduldig:

„Erinnere sie… niemand zu lästern, nicht streitsüchtig zu sein, gelinde, alle Sanftmut erweisend gegen alle Menschen. Denn einst waren auch wir unverständig, ungehorsam, irregehend, dienten mancherlei Lüsten und Vergnügungen, führten unser Leben in Bosheit und Neid, verhasst und einander hassend…“ (Tit 3,1–3).

Gegenüber sündigem Tun und böser Lehre in der Gemeinde können wir nicht tolerant sein

Gegenüber sündigem Tun und böser Lehre in der Gemeinde können wir nicht tolerant sein:

„Denn es gibt viele zügellose Schwätzer und Kopfverdreher, besonders die aus der Beschneidung, denen man den Mund stopfen muss, welche ganze Häuser umkehren, indem sie um schändlichen Gewinnes willen lehren, was sich nicht geziemt“ (Tit 1,10.11).

Warum? Weil wir Gott lieben, das Volk Gottes lieben und den Bruder lieben.

Wie sollten wir schweigen, wenn wir sehen, dass böse Lehre das Haus untergräbt und bald das ganze Gebäude zum Einsturz bringen wird, wenn man die böse Lehre nicht abweist? Warnen wir nicht, haben wir Blut an den Händen (Hes 3,18; Apg 20,26–28).

Wir lernen in unserer Warnung vor Irrlehren und im Verurteilen des Bösen von der Gesinnung Christi:

„Ein Knecht des Herrn soll nicht streiten, sondern gegen alle milde sein, lehrfähig, duldsam, der in Sanftmut die Widersacher zurechtweist, ob ihnen Gott nicht etwa Buße gebe zur Erkenntnis der Wahrheit, und sie wieder nüchtern werden aus dem Fallstrick des Teufels, die von ihm gefangen sind, für seinen Willen“ (2Tim 2,24–26).

Aus Liebe schonen?

Häufig schützen wir Liebe vor und weisen den Bruder nicht zurecht, wenn er gegen Gott, gegen die Gemeinde oder gegen dich gesündigt hat, obwohl der Herr uns geboten hat, den Irrenden zurechtzuweisen (Mt 18,15; Lk 17,3; Jk 5,19.20). Das ist aber nicht Liebe, sondern Eigenliebe, und das ist Sünde: Sünde gegen Gott und Sünde gegen den Bruder. Es ist Übertretung des größten Gebotes (Mt 22,37–39), und damit die größte Sünde, die wir am Bruder begehen können.

2. Der Pluralismus in der Gesellschaft

Der Pluralismus bildet den politischen und gesellschaftlichen Gegenpol zu totalitären Systemen. Er anerkennt die unterschiedlichen Interessen und politischen Positionen und betrachtet deren individuelle Verwirklichung als legitim und erwünscht. Damit ein pluralistisches System funktionieren kann, muss die Anzahl der verbindlichen Normen möglichst niedrig gehalten werden; d. h. das Wertesystem muss minimalisiert werden, wenn es von allen anerkannt sein will.

„Die Menschen unterscheiden sich tiefgehend in ihren letzten Überzeugungen, besonders der Religion und der Auffassung vom letzten Sinn des Lebens. Dies kann insbesondere dort, wo für ein gemeinsames soziales und politisches Handeln innerhalb einer Gesellschaft eine gemeinsame Wertüberzeugung vorausgesetzt werden muss, zu Konflikten führen, die nur durch Besinnung auf letzte Gemeinsamkeiten in der Anerkennung der Menschenwürde überwunden werden können. Abzulehnen ist ein Pluralismus, der die Vielfalt der Weltanschauungen durch Preisgabe jedes absoluten Wahrheitsanspruches zu rechtfertigen sucht und alle philosophischen und religiösen Überzeugungen im Sinne des Relativismus als völlig gleichwertige persönliche Standpunkte abwertet“.1

Die demokratische Ordnung der Schweiz ist ein Beispiel für politischen Pluralismus; als Gesellschaftsordnung ist sie nicht ideal, aber man kann mit ihr leben, und sie bietet eine Reihe von Vorteilen, auf die wir nicht mehr verzichten mögen.

Die Gemeinde ist aber nicht die Welt, und die Gemeinde ist, wenn sie biblisch bleibt, in ihren Anschauungen und in ihrer Ordnung auf keinen Fall pluralistisch. Sie kennt nur eine Wahrheit: die Bibel, das eine geoffenbarte Wort Gottes, und den einen in ihr geoffenbarten Christus Gottes. Auf diese Wahrheit ist jeder Christ verpflichtet; jeder muss sich ihr unterordnen. Ein Meinungspluralismus wird ausdrücklich verworfen:

„Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung völlig zusammengefügt seiet“ (1Kor 1,10).

Die Forderung nach einer pluralistischen Gesellschaftsordnung entstand als Reaktion auf die schlechten Erfah­rungen, die man in den Ländern der Christenheit gemacht hatte. Da hatte über Jahrhunderte eine Kirche tyrannisch über die Menschen geherrscht, indem sie keinerlei Abweichung von ihren Dogmen duldete. Und absolutistische Herrscher unterwarfen in verschiedenen europäischen Ländern ihre Untertanten ihrem Willen. Und schließlich wurden große Teile Europas im 20. Jahrhundert von totalitären Diktaturen geknebelt. Als Reaktion auf solche Erfahrungen entstand der Pluralismus, der uns heute selbstverständlich ist. Für das Zusammenleben in einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft ist ein maßvoller Pluralismus unerlässlich. Doch die Gemeinde ist nicht die Welt; in der Gemeinde muss es anders sein.

3. Der Pluralismus in den Gemeinden

Ein gewisses Maß an Pluralismus ist auch in den Gemeinden unausweichlich; Christen, die mit allem Ernst Gottes Wort und Willen zu verstehen suchen, kommen in untergeordneten Lehrfragen zu verschiedenen Ergebnissen. Das liegt nicht daran, dass die Bibel unklar wäre, sondern daran, dass in uns bei allem guten Willen noch Hindernisse zum klaren Erkennen verbleiben. Das soll uns demütigen; aber es darf auf keinen Fall Anlass sein, den Pluralismus zum Normalfall zu erklären. Ist das einmal geschehen, kann der Pluralismus zur Prinzipienlosigkeit und damit zur Beliebigkeit ausarten.

3.1 Die heutige Situation in den Gemeinden

Als ich in den frühen Siebzigerjahren, also vor bald 40 Jahren, als junger Christ zum ersten Mal die Freikirchen in der Schweiz kennenlernte, konnte ich folgendes beobachten: Eine Chrischona-Gemeinde war nicht zu verwechseln mit einer Freien Evangelischen Gemeinde, und beide unterschieden sich unübersehbar von einer Pfingstgemeinde; und zwar in einer ganzen Reihe von Lehrpunkten und auch bezüglich des Gemeindelebens sowie der Art des Gottesdienstes. Heute ist es so, dass man irgendeine der größeren Schweizer Freikirchen besuchen kann, und man stellt keine Unterschiede mehr fest. Das einzige, dass sie noch unterscheidet, ist ein an der Außenwand befestigtes Signet oder ein Schild mit dem Namen der Gemeinde. Es hat eine erstaunliche Nivellierung stattgefunden. Das finden wohl die meisten gut, denn sonst wären sie nicht mit der gegenwärtigen Befindlichkeit ihrer Gemeinde zufrieden.

Ist es gut? Um die Frage zu beantworten, müssen wir fragen, was zu dieser Nivellierung geführt hat. Ich nenne drei Dinge:

  • Subjektivismus – meine Meinung ist wichtiger als Gottes Wahrheit
  • Harmoniebedürfnis – meine Ruhe ist wichtiger als Gottes Wahrheit
  • Leidensscheu – mein privates Glück ist wichtiger als die Verteidigung der Wahrheit

Wenn wir das bedenken, dann wird uns sofort klar, dass in den Freikirchen eine geradezu bestürzende Abwärtsnivellierung stattgefunden hat. Man ist nicht mehr und mehr eins geworden, weil man in der Erkenntnis Christi, in der Selbstverleugnung und im stets rückhaltloseren Gehorsam gewachsen wäre; im Gegenteil.

 

3.1.1 Subjektivismus – meine Meinung ist wichtiger als Gottes Wahrheit

Einst war in allen protestantischen Denominationen die Glaubenslehre das wichtigste. Die protestantische Kirche war im Gegensatz zur Römisch Katholischen die Kirche des Wortes. Die Glaubenslehre wurde in Kathechismus, in Predigten und anderen Lehrveranstaltungen vermittelt. Mit der Bibellehre waren alle Angehörigen einer Gemeinde auf objektive Lehren verpflichtet, die über allen standen. Dieser Objektivismus ist inzwischen immer mehr vom Subjektivismus verdrängt worden. Wie man sich fühlt, ob es einem gefällt, ob die persönlichen Erwartungen befriedigt werden – das sind bei viel zu vielen Christen die wirklich entscheidenden Fragen, die sie stellen, wenn sie sich eine Gemeinde aussuchen oder sich selbst erklären müssen, warum sie in diese oder jene Gemeinde gehen.

Der Subjek­tivis­mus verbietet feste Überzeu­gun­gen

Der Subjek­tivis­mus verbietet feste Überzeu­gun­gen. Warum will man keine festen Überzeu­gungen? Weil diese aller Selbstverwirk­lichung ein Ende setzen; das aber ist höchst unerwünscht. Man will sich selbst verwirklichen; man will das glauben und so leben, „dass es für mich stimmt“. Und weil man das will, muss man sich seine Gründe zurechtlegen, die dieses gottlose Wollen rechtfertigen. Da wird die Bibel bemüht: „Unsere Erkenntnis ist Stückwerk.“ Da wird die Kirchengeschichte bemüht: „Christliche Kirchen haben sich gegenseitig verdammt, weil jede glaubte, allein im Besitz der Wahrheit zu sein.“ Da wird die Dogmengeschichte bemüht: „So viele Lehren sind von Christen zu verschiedenen Zeiten verschieden verstanden worden.“ Und damit hat man sich aus der Verantwortung gestohlen, um Gewissheit in allen Glaubensfragen zu ringen:

„Denn ich will, dass ihr wisst, welch großen Kampf ich habe um euch und die in Laodicäa und so viele mein Angesicht im Fleisch nicht gesehen haben, damit ihre Herzen getröstet sein mögen, vereinigt in Liebe und zu allem Reichtum der vollen Gewissheit des Verständnisses, zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes“ (Kol 2,1.2).

„Es grüßt euch Epaphras, der von euch ist, ein Knecht Christi Jesu, der allezeit für euch ringt in den Gebeten, damit ihr stehet vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes“ (Kol 4,12).

„Wir wünschen aber sehr, dass ein jeder von euch denselben Fleiß beweise zur vollen Gewissheit der Hoffnung bis ans Ende“ (Heb 6,11).

Die Liebe zur Wahrheit verpflichtet uns der Wahrheit. Wir müssen uns der Wahrheit beugen, und das heißt, dass wir uns selbst verleugnen müssen. Die Liebe zur Wahrheit muss unsere Vorlieben überwinden. Wir müssen die Wahrheit mehr lieben als uns selbst. Das aber ist im Grund nichts anderes als Gehorsam gegenüber dem obersten Gebot: Wir müssen den Herrn, unseren Gott, lieben über alles.

Folglich: Der Subjektivismus ist ein Kind der Eigenliebe; es ist ein Kind einer unreinen Verbindung. Ich habe meinen Willen nicht Gott unterworfen, sondern an meine Wünsche gebunden; ich habe meine Liebe nicht Gott gegeben, sondern für mich selbst behalten. Andere und anderes mehr lieben als Gott nennt die Bibel Hurerei. Der Subjektivismus ist ein Hurenkind.

 

3.1.2 Harmoniebedürfnis – meine Ruhe ist wichtiger als Gottes Wahrheit

Wer Harmonie um jeden Preis will, liebt seine Ruhe mehr als Gottes Wahrheit und als Gottes Volk

Diese ist ein weiteres Kind der Eigenliebe. Das Verlangen nach Harmonie ist an sich gut; aber es ist nicht gut, wenn dieses Verlangen wichtiger wird als die Liebe zur Wahrheit. Wer Harmonie um jeden Preis will, liebt seinen Frieden und seine Ruhe mehr als Gott, mehr als Gottes Wahrheit, mehr als Gottes Volk. Darum will er das Wort Gottes nicht sein Werk tun lassen, indem es wie ein Schwert zwischen wahr und falsch, göttlich und menschlich, himmlisch und irdisch unterscheidet (Heb 4,12).

Liebe ich Gott, liebe ich auch sein Wort, und ich werde Gottes Wahrheit niemals unterschlagen, um irgendein wünschenswertes Ziel zu erreichen.

Liebe ich das Volk Gottes, suche ich sein Bestes; sein Bestes kann aber nie das sein, was das Volk Gottes für sich begehrt, sondern nur, was Gott für sein Volk verordnet hat. Liebe ich also Gottes Volk, werde ich ihm um jeden Preis die Wahrheit bezeugen. Johannes sagt zum Zusammenhang zwischen Liebe zu Gott und Gehorsam und Liebe zum Volk Gottes und Gehorsam:

„Jeder, der da glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, welcher geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Hieran wissen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1Jo 5,1f).3.1.3

3.1.3 Leidensscheu – mein privates Glück ist mir wichtiger als Gottes Wahrheit

Die Leidensscheu ist ein weiteres Kind der Eigenliebe. Die Abscheu vor Auseinandersetzung ist größer als die Liebe zur Wahrheit. Nur keinen Streit um Lehrfragen! Nur nichts, das die Harmonie stören könnte. Lieber schlucken wir Kröten, als dass wir jemandem die Wahrheit sagen. Lieber den Aberglauben der Römisch Katholischen Kirche und das Wunschdenken der Charismatiker hinnehmen als das Risiko eines theologischen Streites eingehen. Besser, die Glaubenslehre leidet, als dass ich leiden muss.

„Wenn du an etwas glaubst und dran festhältst, werden alle Hunde dich anbellen. Lass sie bellen: wenn sie müde geworden sind, werden sie damit aufhören! Du bist Gott verantwortlich und nicht sterblichen Menschen. Christus kam in die Welt, um die Wahrheit zu bezeugen, und er hat euch gesandt, das Gleiche zu tun; hab acht darauf, dass du dies tust, ob du nun Anstoß erregst oder anderen gefällst; denn nur auf diese Weise wird das Reich Gottes in der Welt errichtet“.2

 

3.2 Die Auswirkungen der Eigenliebe

3.2.1 Die Gemeinden erliegen der neuen Toleranz

Wenn wir als Einzelne und als Gemeinde Gott und seine Wahrheit nicht über alles lieben, dann werden wir unweigerlich vom Zeitgeist überwunden. Wir hatten gesehen, wie unsere Zeit eine neue Art von Toleranz fordert. Was in der Welt der Ungläubigen geschieht, geschieht auch in der Gemeinde. Die Neue Toleranz bedeutet, dass man in den Gemeinden fast alles, auch falsche Lehrern und falsche Praktiken, tolerieren muss, dass man aber auf keinen Fall einen festen Standpunkt vertreten und im Licht der biblischen Wahrheit Irrtümer als solche bezeichnen darf. Ich sagte „fast alles“. Es scheint, dass die Gemeinden heute noch folgende sittlichen Übel, die in der Welt als keine Übel gelten, ablehnen:

  • Unzucht
  • Homosexualität
  • Abtreibung

Die Haltung zur Unzucht und Homosexualität ist bereits stark aufgeweicht. In vielen Freikirchen wird geduldet, dass unverheiratete Paare zusammenleben. Das ist zwar übel, aber viel schlimmer ist, dass man in den wichtigeren Fragen permissiv geworden ist: in den theologischen Fragen, den Fragen, die das Wesen und die Ratschlüsse Gottes, das Heil und die Aneignung desselben betreffen, in der Bibelfrage usw. Das muss man eine Katastrophe nennen.

3.2.2 Der Sauerteig durchsäuert die ganze Masse

In den vergangenen Jahrzehnten haben zwei Dinge fast alle evangelikalen Gemeinden in der Schweiz umgekrempelt: pfingstlich-charismatisches Denken (sofern man diesem Fall überhaupt von „Denken“ reden sollte); jugendgemäße Gottesdienstformen.

Die Durchsäuerung mit dem Pfingst­lich-Charismatischen geschah, weil man tolerant sein wollte. Man durfte falsche Lehren und falsche Praktiken nicht abweisen. Das galt als lieblos. Jugendgemäße Gottesdienste, die mehr und mehr Unterhaltung bieten, konnten von jungen Leuten gefordert und durchgedrückt werden, weil man die Demut und Geduld der älteren Geschwister ausbeutete. Man setzte sich über die Bedenken der Alten hinweg, und diese schwiegen demütig wie die Lämmer. Es war auch hier eine falsch verstandene Toleranz, die den Forschen und Frechen den Weg bahnte.

Der Prediger unterhält im Plauderton und lässig auf einem Barhocker sitzend die Gemeinde

Bis in die 80er Jahre waren in den Gottesdiensten gemeinsamer Gesang, gemeinsames Gebet und die Predigt prägend; inzwischen sind die Gottesdienste zu Jugend-Events umgekrempelt worden. Der Prediger unterhält im Plauderton und lässig auf einem Bar­hocker sitzend die Gemeinde; eine Band erzeugt die gewünschte Stim­mung. Wie war diese Umpolung möglich? Durch Toleranz; durch Duldung des Bösen; durch Fahrenlassen des Guten.

Bei den ersten Christen bestand das Gemeindeleben aus vier Stücken: Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen und Gebet. Dabei hatte die Lehre Vorrang:

„Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“ (Apg 2,42).

Weil sie wussten, dass von der gesunden Lehre alles weitere abhing, kämpften sie um die Reinheit der Lehre und wiesen Irrtümer ab (Apg 15). Wenn die Christen im 1. Jahrhundert so tolerant gewesen wären wie die Evangelikalen heute, wäre das Evangelium schon bald von den zeitgenössischen Philosophien und Religionen aufgesogen und neutralisiert geworden. Und wir wären heute nicht Christen.

Die Reformation war eine Bibelbewe­gung. In den reformatorischen Kirchen und den Gemeinden der Täufer hatte die Lehre Vorrang; darum kämpfte man gemäß Judas 3 um die Reinheit der Lehre. Wenn die Reformatoren so tolerant gewesen wären wie die heutigen Evangelikalen, wären wir alle noch an den Bischof von Rom und an den Aberglauben seiner Kirche gekettet.

Wenn ein Georg Whitefield und Johann Wesley so tolerant gewesen wären wie die heutigen Evangelikalen, wäre England im 18. Jahrhundert im Sumpf des Deismus und Rationalismus untergegangen.

Die heute von den meisten Evangeli­kalen gepflegte Toleranz stärkt die Frechen, die Selbstverliebten, die Fleisch­lichen gegen die Demütigen, die Selbstlosen, die Pflichtbewussten. Sie reicht dem Widersacher Gottes die Hand:

„Auch wer sich lässig zeigt in seiner Arbeit, ist ein Bruder des Verderbers“ (Spr 18,9).

Die Korinther rühmten sich ihrer Toleranz (1Kor 5,1.2). Diese Toleranz machte Bahn der Sünde:

„Euer Rühmen ist nicht gut. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert?“ (1Kor 5,6).

3.3 Wie sollen wir uns halten?

Wir sind entschlossen, uns dem allgemeinen Trend nicht anzupassen. Das oberste Gebot bleibt die Liebe zu Gott und die daraus fließende Liebe zu den Brüdern. Das aber bedeutet:

  • Priorität der Lehre vor der Erfahrung. Wer die Wichtigkeit der Lehre erkennt, ist bereit, um Wachstum in der Erkenntnis zu ringen und für die Wahrheit zu kämpfen.
  • Priorität der objektiven Wahrheit vor dem subjektiven Empfinden. Das heißt: Wir müssen Bibelleser werden und Bibelleser bleiben.

Gefahren, vor denen wir uns hüten müssen:

  • Selbstzufriedenheit
  • Selbstgerechtigkeit
  • Genugtuung über das Scheitern anderer

Selbstzufriedenheit, Selbst­gerech­tigkeit, Genugtuung sind alles Kinder der Eigenliebe. Der Selbst­zufriedenheit halten wir das Vorbild des Apostels Paulus entgegen (1Kor 15,10; Ph 3,12–14). Der Selbstgerechtigkeit halten wir das Vorbild des Propheten Daniel entgegen (Dan 9,3–19). Der Genugtuung über das Scheitern der Untreuen halten wir das Vorbild des Propheten Hesekiel entgegen (Hes 9,7.8; 11,13).

Dazu möge Gott uns stärken. Und er möge uns, seinem blutserkauften Volk, Gnade zur Buße und Umkehr und zum unbeirrten Festhalten am Guten geben.

Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke“ (Off 2,5)

Ich komme bald; halte fest, was du hast, damit niemand deine Krone nehme!“ (Off 3,11)


  1. Walter Brugger: Philosophisches Wörter­buch 

  2. Charles Spurgeon, Jesus, the King of Truth, Predigt vom 19. Dezember 1872.